Wenn die Ratio nicht reicht, bedarf es gelegentlich des Schockerlebnisses, um etwas Neues auf den Weg zu bringen. Wenn aber schon Innovation gefordert wird, redet man als Erstes von Techniken und als Letztes - wenn überhaupt - von Institutionen. Dabei erfordert die Lösung eines jeden Problems, das weiß jeder, nicht nur eine Antwort auf die Frage nach dem Wie, sondern auch darauf: Wer es denn tun soll.
Daran wird erinnert, wer die Debatten des ersten Teils des vierten Sachstandsberichts des Weltklimarates (IPCC) verfolgt hat, der vor einer Woche in Paris vorgestellt wurde. Viele empfanden den Report als Schock, weil er in ungewöhnlich deutlicher Form ein krasses Krisenszenario beschreibt: den möglichen Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur um 6,4 Grad Celsius in diesem Jahrhundert, was einen um bis zu 59 Zentimeter erhöhten Meeresspiegel zur Folge haben könnte.
Der zweite und dritte Teil des Berichts, in denen es um die Auswirkungen des Klimawandels und die Möglichkeiten gehen wird, wie sich die absehbaren Konsequenzen noch eindämmen lassen, liegen noch gar nicht vor. Der Streit um die nötigen Instrumente hingegen ist voll entbrannt: Erneuerbare Energien oder Renaissance der Atomenergie; striktere Grenzwerte für Automobilemissionen; verschärfte Vorgaben für den Handel mit Emissionszertifikaten; Steuern auf ökologisch schädliche Aktivitäten. Dabei taucht in all diesen Debatten immer wieder die gleiche Frage auf: Wer soll es denn wuchten - wer soll es wieder beherrschbar machen, das fast außer Kontrolle geratene Klimasystem?
Und es sind die Franzosen - nicht die Deutschen als die vermeintlichen Vorreiter im Umweltschutz -, die sich als Reformer vorstellen. Auf einer informellen Umweltkonferenz gleich im Anschluss an die Präsentation des Klimaberichts hielt Präsident Jacques Chirac in Paris ein flammendes Plädoyer für eine Revolution, die "eine Revolution des Bewusstseins, eine Revolution der Ökonomie und des politischen Handelns" sein müsse. "Der Planet leidet" - so der Präsident - "doch warum tun wir uns so schwer mit den notwendigen Maßnahmen? Weil wir uns mit schuldhaftem Egoismus weigern, die Konsequenzen der Umweltzerstörung zu akzeptieren."
Sollte endlich eine effektive Weltumweltorganisation entstehen, käme das in der Tat einer Revolution gleich. Dies um so mehr, als man es seit 1972 - seit 35 Jahren also - nicht geschafft hat, sich in angemessener Art und Weise dem Schutz und dem Erhalt der globalen Ökologie zu widmen. UNEP, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, ist - wie es das Wort schon sagt - ein Programm; es ist keine mit Sanktionsgewalt versehene Umweltorganisation, schon gar keine Behörde, wie viele Menschen hierzulande glauben. Auch acht Jahre deutscher Leitung (Klaus Töpfer) haben seinen Status im UN-System und in der globalen Umweltpolitik nicht nennenswert gestärkt, weil jede kritische Äußerung als fundamentale Kritik, nicht aber als Hilfe zur Überwindung der strukturellen Schwächen verstanden wurde.
Schon 1998 hatten zwei deutsche Wissenschaftler ein Gutachten vorgelegt, das sich mit der notwendigen ökologischen Reform der Vereinten Nationen und ihrer Umweltpolitik beschäftigte. Seither sind Dutzende von Arbeiten, darunter ganze Bücher über eine UN-Umweltorganisation (UNEO) beziehungsweise Weltumweltorganisation (GEO) geschrieben worden, doch bedurfte es erst eines drohenden Klimakollapses und der Reaktion eines beherzten Staatspräsidenten, diese Reformaufgabe auf die Tagesordnung zu bringen.
Nun haben sich immerhin 46 Staaten zusammen gefunden, die noch in diesem Frühjahr das Statut einer UN-Umweltorganisation entwerfen wollen, wobei man sich für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Vorbild entschieden hat. Gewiss nicht das schlechteste Muster, obwohl dringend zu raten wäre, sich gleichfalls die Welthandelsorganisation (WTO) und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) anzusehen, was deren interne Arbeitsweise, Personalausstattung und Entscheidungsverfahren angeht.
Die neue Institution soll Analyse- und Entscheidungskompetenz erhalten, damit ökologische Schäden verlässlich bewertet, umweltfreundliche Technologien entwickelt und verbreitet sowie eine aktive, das Verhalten des Staates, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft steuernde Umweltpolitik entstehen kann. Dass uns der Klimawandel nicht mehr verlassen und in all unserem Tun präsent bleiben wird, ist inzwischen - nicht zuletzt dank des Weltklimarates - gesichertes Wissen. Dass es aber auch noch andere globale beziehungsweise universell auftretende Umweltprobleme gibt, muss gleich angefügt werden. Vielen Regierungen und Staaten ist leider noch nicht bewusst, dass es auch mit Blick auf andere bedrohte Sphären - die Biodiversität, die Wälder, die Böden, das Wasser und die allgegenwärtigen chemischen Substanzen und Abfälle - einer effektiven und global angelegten Umweltpolitik bedarf. Eine zu gründende UN-Umweltorganisation hätte sich dieser Herausforderungen gleichermaßen anzunehmen. Wann eine solche Organisation entsteht und wie kompetent das geschieht, wird davon abhängen, ob und inwieweit es gelingt, die üblichen Bremser zu überzeugen. Hier könnten die deutschen Politiker - der Bundesumweltminister, die Kanzlerin, der Außenminister oder auch der handballbeflissene Bundespräsident - wunderbar das nachholen, was sie in Paris versäumt haben.
Udo Ernst Simonis, emeritierter Professor für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), beschäftigt sich mit den Forschungsschwerpunkten Ökologisierung der Industriegesellschaft, Weltumweltpolitik und Internationale Forschungskooperation. Er ist (Mit-) Herausgeber des Jahrbuchs Ökologie.
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