Die klimafreundliche Stadt

Fahrverbote In Stockholm zeigt sich, warum Visionäre nicht zum Arzt gehen müssen

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In Schweden setzt man seit 2007 auf das überlegenere Fortbewegungsmittel "Bus".
In Schweden setzt man seit 2007 auf das überlegenere Fortbewegungsmittel "Bus".

Foto: Debarshi Ray/flickr (CC BY-SA 2.0)

Einer der zweifelhaftesten Sprüche der Nachkriegszeit stammt von Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Viele Politiker haben diesen Spruch beherzigt und haben überhaupt keine Visionen mehr, schade. Visionen sind nicht als Traumbilder zu verstehen, sondern es geht um dringend benötigte Zukunftsentwürfe. Man muss kein Visionär sein, um Städte klimafreundlich zu gestalten. In Deutschland wird in vielen Städten über Fahrverbote nachgedacht, richtig so. Wenn Grenzwerte nicht eingehalten werden, muss gehandelt werden. Über alternative Maßnahmen wird aber unzureichend diskutiert. Da sich viele deutsche Politiker von Visionen verabschiedet haben, können sie aber von unseren Nachbarn lernen.

Die Stadt Stockholm in Schweden hat im Jahre 2007 eine Innenstadtmaut eingeführt. Der Weg dorthin ist eine Lehrstunde für unsere Politiker, die Fahrverbote ablehnen und die Autoindustrie vergöttern. Die Stadt Stockholm hat ihren Bürgerinnen und Bürger den Vorschlag gemacht, die Innenstadtmaut probeweise einzuführen. Nach sieben Monaten sollten dann die Bewohner der Innenstadt über die Maut abstimmen. Sie waren zunächst sehr skeptisch, doch schon bald zeigten sich die Vorteile. Der Verkehrsfluss hat sich deutlich verbessert, da im Innenstadtbereich circa 15 Prozent weniger Kilometer gefahren wurden. Da die Feinstaubemission um knapp 13 Prozent zurückgegangen ist, wurde die Luftqualität erheblich aufgewertet. Zusätzlich wurde die Lärmbelästigung deutlich gesenkt und die Bürgerinnen und Bürger genossen die neue Lebensqualität der Stadt. Wie die Abstimmung nach sieben Monaten ausgegangen ist, liegt auf der Hand. Die Mehrzahl der Bewohner Stockholms haben sich für die Innenstadtmaut entschieden. Einige Städte der europäischen Länder Norwegen, Schweden, Großbritannien und Italien haben diese Maut auch schon eingeführt. Trotz extremer Luftverschmutzung in einigen deutschen Städten setzt man (im visionsarmen Deutschland) weiter auf den individuellen Autoverkehr, unsere Digitalministerin Dorothee Bär (CSU) träumt vom autonom fahrenden Flugtaxi und die Kanzlerin beabsichtigt neuerdings den EU-Grenzwert für die Stickstoffdioxidkonzentration (NO2) in der Außenluft von 40 µg/m3 auf 50 µg/m3 hochzusetzen. Zukunftsweisende Stadtentwicklung sieht anders aus. Grundsätzlich will der Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) überhaupt nichts ändern. Die Autoindustrie und der Minister möchten die gewohnte Mobilität aufrechterhalten, nur mit schweren SUV-Elektroautos die dann 200 km/h fahren können.

Neben den genannten umwelt- und klimaschonenden Vorteilen bietet die Maut weitere Vorzüge: Sie kann zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs herangezogen werden. Die autoabhängigen Bürgerinnen und Bürger, die meinen, immer noch individuell unterwegs sein zu müssen, finanzieren diejenigen, die auf den zukunftsfähigen Gemeinschaftsverkehr setzen. Die Städte könnten dann einen sehr günstigen oder kostenlosen öffentlichen Nahverkehr anbieten. Die Stadt Wien hat es vorgemacht. Der öffentliche Verkehr wird in dieser Stadt sehr stark gefördert. Beispielsweise kostet ein Jahresticket für Bus und Bahn 365,00 Euro, also einen Euro pro Tag. Viele deutsche Großstädte verlangen für ähnliche Tickets den doppelten Preis. In Berlin zahlt man 728,00 Euro, aber nur für die Zonen A und B. Für die Stadt Wien bringt diese Verkehrspolitik nicht nur ökologische sondern auch ökonomische Vorteile. Die Zahl der Fahrgäste hat sich seit der Einführung des Tarifs im Jahre 2012 verdoppelt; sie ist von circa 370.000 auf 780.000 gestiegen.

Die genannten Vorteile sprechen eindeutig für eine Innenstadtmaut. Solch eine Maut lässt sich durch eine einfache Plakette realisieren. In Deutschland scheint dies nicht möglich zu sein. Man denke nur an die Einführung des digitalen Mautsystems Toll Collect. Das gewinnmaximierende Privatunternehmen Toll Collect GmbH wurde im Jahre 2002 gegründet und verursachte damals hohe volkswirtschaftliche Kosten und Skandale. Der Wirtschaftsprüfungsbericht 2004/2005 ist sogar unter Verschluss gehalten worden. Auch denke man an die Diskussion über die Ausführung und Kontrolle von Fahrverboten. Um die Stickoxid-Belastung zu reduzieren, lässt die Umweltbehörde in Hamburg zwei Straßenabschnitte für ältere Dieselautos und Lastwagen sperren. In Altona weisen ungefähr 100 Schilder auf das Verbot und auf Umleitungen hin. Damit ist das Stickstoffdioxid – Problem nicht gelöst, sondern nur umgeleitet worden. Für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet die NO2 – Konzentration in der Außenluft eine Bedrohung rund um die Uhr, für empfindliche (Kinder, Schwangere, alte Menschen oder Menschen mit Vorerkrankungen wie Asthma) Menschen eine lebensbedrohliche Zumutung.

Neben dem Diesel (NO2) verursachen gerade die Benzinmotoren eine unverhältnismäßig hohe CO2 – Emission. Eine entsprechende Maut würde sowohl das, von Dieselmotoren produzierte, NO2 als auch das von Benzinfahrzeugen ausgestoßene CO2 in den Städten reduzieren.

Der amerikanische Soziologe und Historiker Mike Davis hat einen grundlegenden Zukunftsentwurf für unsere Städte entwickelt. Er formulierte in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Kulturpreises der Münchener Universitätsgesellschaft am 08.Dezember 2008:

„[D]ie Grundlage für eine umweltfreundliche Stadt [liegt] nicht unbedingt in einem besonders umweltfreundlichen Städtebau oder neuartigen Technologien [...], sondern viel eher darin, dem allgemeinen Wohlstand eine Priorität gegenüber persönlichem Reichtum einzuräumen.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Udo Köpke

Buchpublikation: Die Vergötterung der Märkte

Udo Köpke

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