Der globale Süden als Verlierer

Verkehrswende Ist Elektromobilität wirklich die saubere Lösung, die wir suchen? Oder haben wir eine sinnvolle Alternative nicht schon längst vor der eigenen Nase?

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Wir haben in Deutschland schon seit über einhundert Jahren effiziente Mobilität: die Bahn
Wir haben in Deutschland schon seit über einhundert Jahren effiziente Mobilität: die Bahn

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die Firma VW hat es kürzlich vorgerechnet: ein aktueller VW Golf mit Dieselmotor kommt auf einen CO2 – Ausstoß von 140 Gramm je Kilometer. Beim E-Golf sind es, vom EU-Strommix ausgehend, 119 Gramm je Kilometer. Wenn der deutsche Strommix zugrundgelegt wird, kommt man aber auf 142 Gramm – und damit ist der E-Golf mit dem Diesel vergleichbar. Der neoliberale Ökonom Hans-Werner Sinn hat mit Christoph Buchal ebenfalls eine Studie zu diesem Thema herausgegeben. Demnach belastet ein E-Auto das Klima um 11 bis 28 Prozent mehr als ein Diesel. Ob die veröffentlichten Zahlen wissenschaftlich haltbar sind, kann ich nicht beurteilen. Fakt ist aber, dass selbst die unverdächtigen E-Biker eine große Menge Kohlenstoffdioxid emittieren, weil auch hier der Strom häufig aus Braunkohle erzeugt wird.

Wir benötigen zunehmend transportable Energie

Auch wenn Elektroautos, E-Bikes und E-Roller ihren Strom aus erneuerbaren Energien beziehen würden, taucht ein zweites gravierendes Problem auf: individuelle Elektromobilität benötigt natürlich transportable Energie, die gespeichert werden muss. Wir benötigen dazu bestimmte (seltene) Ressourcen, unter anderem das Alkalimetall Lithium.

70 Prozent der weltweiten Lithium-Vorkommen lagern im Dreiländereck Bolivien, Chile und Argentinien. Hunderttausende Tonnen dieses Leichtmetalls werden in der Erde des Dreiländerecks vermutet. Die Nachfrage nach transportabler Energie wächst rasant. Es werden nicht nur Akkus für das Smartphone benötigt, sondern die gesamte Elektromobilität benötigt große Mengen von Lithium-Ionen-Batterien. Um ein Elektroauto herzustellen, werden je nach Bauart, über fünfzehn Kilo Lithium benötigt. Seit dem Jahre 2016 hat sich der weltweite Lithiumverbrauch verdoppelt. Nach Expertenschätzungen werden wir bis zum Jahre 2030 mehr als 240.000 Tonnen Lithium benötigen, und zwar jedes Jahr. Die Konsequenzen für den globalen Süden sind verheerend.

Der globale Süden als Verlierer

Lithium findet man in bestimmten Gesteinsformationen, der 6-7 prozentige Anteil des Lithiums muss aber aus dem salzhaltigen Gestein herausgepresst werden. Dies geschieht beispielsweise in Chile in der Atacama – Wüste. Um das lithiumhaltige Gestein an die Oberfläche zu pressen, werden 21 Millionen Liter Wasser jeden Tag benötigt. Chile ist zwar der weltweit größte Lithiumproduzent, verfügt aber über geringe Wasserreserven. Trotzdem wird das Wasser für die Lithiumförderung nach oben gepumpt um es dann in der Wüste (!) verdunsten zu lassen – ein ökologischer Wahnsinn.

Die Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung wird massiv zerstört. Die Wasserknappheit wird sich in den betroffenen Regionen weiter verschärfen. Außerdem wird das Wasser stark kontaminiert, die Luft verunreinigt. Für die dort lebenden Menschen, Tiere und Pflanzen eine Zumutung. Ausländische Investoren und Unternehmen scheren sich nicht um die Umweltstandards. Die Unternehmen bohren nach Süßwasser um die Lithiumproduktion aufrechterhalten zu können. Dies beeinträchtigt die Brunnen der indigenen Anwohner und die natürlichen Grundwasservorkommen verringern sich. Hydrologische Untersuchungen haben gezeigt, dass durch die Lithiumproduktion eine irreversible Kontaminierung des Wassers sehr wahrscheinlich ist.

Die deutsche und die internationale Politik sowie die Automobilindustrie stampfen ihren schmierigen („ökologischen“) Fußabdruck in den globalen Süden und lösen möglicherweise die nächsten Krisen in den betroffenen Ländern aus. Neben den vielfältigen politischen Problemen ist aber auch zu bedenken, dass Lithium ein sehr knappes Gut ist und in naher Zukunft wird der peak erreicht. Trotzdem setzen unsere Politiker auf die Elektromobilität. Der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) sagte auf der Vernetzungskonferenz im November des letzten Jahres: „Wir erleben im Augenblick, dass der Bedarf an mobilen und stationären Stromspeichern rasant wächst. Batterieproduktion wird ein wesentlicher Teil der industriellen Wertschöpfungskette weltweit. Weil Batterieanwendungen eben im Rahmen der Energiewende, im Rahmen der Elektromobilität aber auch in vielen anderen industriellen Bereichen zum Normalfall werden.“

Die individuelle Elektromobilität wird natürlich die bestehenden Verkehrsprobleme nicht lösen. Die versiegelten Flächen und die verstopften Straßen werden bleiben. Auch die Verkehrstoten werden nicht weniger. Ökologisch ist nichts gewonnen, wenn die Elektrizität aus Kohlekraftwerken kommt und nicht aus erneuerbaren Energien. Bei der Lithiumförderung werden gegenwärtig die ökologischen Standards nicht eingehalten. Die indigene Bevölkerung wird, durch unseren Imperativ zur Naturausbeutung sowohl im Dreiländereck von Bolivien, Chile und Argentinien als auch in der Amazonas-Region, vor allem in Brasilien, bedroht. Wollen wir wirklich diese Externalisierungsgesellschaft, indem wir auf Kosten anderer leben?

Merkwürdig, wir haben in Deutschland schon seit über einhundert Jahren eine sinnvolle und effiziente Elektromobilität – die Deutsche Bahn. Diese Mobilität benötigt keine mobilen Stromspeicher und demzufolge auch kein Lithium oder andere seltenen Erden. Warum bauen wir diese bewährte und erprobte Form der Mobilität nicht massiv aus? Wahrscheinlich ist das auch wieder, wie beim Tempolimit, „gegen jeden Menschverstand“ (Andreas Scheuer).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Udo Köpke

Buchpublikation: Die Vergötterung der Märkte

Udo Köpke

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