Requiem für einen Rohstoff

Ökonomie Angela Merkel hat uns vor vier Jahren die Dekarbonisierung der Wirtschaft versprochen. Doch es ginge nur, indem wir den Verbrauch von Rohöl einschränken

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Requiem für einen Rohstoff

Foto: Pedro Pardo/AFP/Getty Images

Die Medien berichten jetzt wieder verstärkt über den Klimawandel, Greta Thunberg sei Dank. Gerade in den regionalen Tageszeitungen macht man sich immer häufiger Gedanken um den Klimawandel. Erst heute Morgen habe ich gelesen, dass auch die Coffee-to-go-Branche darüber nachdenkt, den Einwegplastikbecher durch den Mehrwegbecher (ebenfalls aus Plastik) zu ersetzen. Alles um den Klimawandel aufzuhalten. Dabei ist die Lösung doch ganz einfach: Wer meint, sich im Gehen ernähren zu müssen, kann sein Porzellangeschirr doch schlicht und ergreifend mit sich führen.

Klimaneutrale Verhaltensweisen sind modern, das hat die Werbeindustrie schon lange begriffen. Jetzt will sogar Mercedes-Benz bis zum Jahre 2029 eine CO2-neutrale Produktion installieren und die EU strebt an, Plastikstrohhalme zu verbieten. Viele Menschen wollen sogar auf das Fliegen verzichten. Es geht voran – wir tun was. Bei allen Abhandlungen und Diskussionen um den Klimawandel findet der Hauptdarsteller, der gleichzeitig Fluch und Segen verkörpert, keine Erwähnung: Wertvolles und extrem energiereiches Öl.

Die Droge der Produktion

Die zentrale Quelle des Reichtums der Industriestaaten ist Rohöl und die dazugehörige Senke ist die CO2-Emission. Scheinbar ist es rational, sich ausgiebig an und in der Natur zu bedienen. Diese Nutzung hat Karl Marx als »Gratisgeschenk der Natur« bezeichnet. Dieses Gratisgeschenk wird radikal genutzt bzw. geplündert und man schreckt nicht davor zurück, Kriege anzuzetteln, um an die Droge Öl zu kommen. Diese Droge soll natürlich möglichst günstig, am besten als Gratisgeschenk, verteilt werden.

Wie soll jetzt, bei einer Anbieterin, die Geschenke macht, ein Marktpreis entstehen? Dies funktioniert nur, wenn der auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Unternehmer der Urproduktion in die Rolle der Natur, der Anbieterin, schlüpft. Ökonomisch wird also der Bock zum Gärtner gemacht. Dieser Ressourcenbesitzer wird mit Sicherheit nicht die Frage stellen, den endlichen Rohstoff nicht anzurühren und für die kommenden Generationen aufzubewahren. Wie viel darf er also für die gegenwärtige Generation »abzwacken«? Wer entscheidet darüber? Neoliberale Ökonomen vergöttern die Märkte und haben eine einfache Lösung, nämlich der Preis wird die Entscheidung herbeiführen. Der Preis ist schließlich der beste Knappheitsindikator.

Der Rohstoffbesitzer steht in einem kapitalistisch ausgerichteten System immer vor der Frage, ob er den Rohstoff sofort abbaut. In diesem Fall kann der Rohstoff auf dem Markt verkauft werden und der Urproduzent kann seinen erzielten Gewinn am Kapitalmarkt anlegen. Oder soll er den Rohstoff zurückhalten und darauf wetten, dass der Marktpreis durch die Verknappung zukünftig so steigt, dass in diesem Fall ein größerer Gewinn zu erwarten ist.

Die Reduktion der Preissteigerungsrate

An dieser Stelle muss man einerseits den aktuellen Ressourcenpreis mit der zukünftigen Preisänderungsrate vergleichen. Liegt letztere über den Marktzins, dann werden spätere Abbautermine interessant, weil höhere Preise angesetzt werden können. Durch die Reduzierung der Förderung wird logischerweise die Ressource langsamer abgebaut. Sie wird dann zukünftig weniger knapp sein als in der ursprünglichen Kalkulation unterstellt (Effekt der Reduktion der Preissteigerungsrate). Der Marktmechanismus sorgt also dafür, dass es tendenziell zu einer Gleichheit von Preisänderungsrate und Zinssatz kommt. Auch wenn die Vorräte zur Neige gehen, es herrscht stets ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Ressourcenmarkt.

Die bittere Erkenntnis ist, dass an dieser Stelle der Markt und erst recht der Preismechanismus komplett versagen, weil die tatsächliche Knappheit mit den üblichen Marktmechanismen nicht gemessen werden kann. Es wird zwar die akute, nicht aber die zukünftige Knappheit gemessen. Der Preis signalisiert die absolute Knappheit von Ressourcen erst, wenn es längst zu spät ist und der Rohstoff zur Neige geht. Solange die Möglichkeit der Angebotsausweitung besteht, werden die Märkte durch kurzfristige Signale beeinflusst. Auch wenn die Märkte imstande sind, sehr viel Signale hinsichtlich der Knappheit von Wirtschaftsgütern zu verarbeiten und eine entsprechende Preisbildung zu realisieren, verhält es sich beim Öl ganz anders. Wir sollten in dieser Situation nicht den Märkten vertrauen, sondern den Geologen. Weiterhin ist zu bedenken, dass, bezogen auf die Preise, sich die Fördersituation eines flüssigen Stoffes (Quellenförderung) vollkommen anders darstellt als der Abbau von festen Stoffen.

Das System kann nicht funktionieren, wenn der Preis beispielsweise in Rotterdam nach der relativen Knappheit in den Öllagern gebildet wird. Meistens wird Öl nach wie vor nach dem Over-the-Counter[1] (OTC) Prinzip gehandelt, also findet die Preisbildung direkt zwischen Lieferanten und Händlern statt. Dieser unkontrollierte außerbörsliche Handel ist natürlich anfällig für Spekulationsblasen. Rohstoffmärkte, die nicht der Börsenkontrolle unterliegen, gehören deshalb verboten.

In der Wirtschaft spielt die Natur leider nur dann eine wichtige Rolle, wenn sie sich ökonomisch ausbeuten lässt. Tendenziell wird die Natur in allen ihren Erscheinungsformen zur Ware gemacht. Wenn man die gesamten Ölreserven aus der Erde holen würde, könnte die Klimakatastrophe nicht mehr abgewendet werden. Donald Trump hat es als ökonomischen Wahnsinn bezeichnet, die Ölvorräte, die einige Billionen Dollar wert sind, in der Erde zu lassen. Hat dieser Mensch überhaupt noch die geringste Verbindung zur Natur oder zu zukünftigen Generationen? Wer „Gratisgeschenke“ empfängt, sollte dankbar sein – stattdessen fordert die Fraktion der Naturausbeuter ihre Geschenke, notfalls mit Waffengewalt, ein.

Die Droge der Konsumtion

Die Natur hat vor vielen Millionen Jahren angefangen, bestimmte Rohstoffe zu produzieren. Der größte Teil des Rohöls wurde in zwei Phasen der globalen Erwärmung gebildet, vor 90 Millionen und 160 Millionen Jahren. Vor circa 160 Millionen Jahren wurde Sonnenenergie in Form von fossilen Brennstoffen in der Erde gelagert. Dies ist die konzentrierte Sonnenenergie der Urzeit, die im Laufe von Jahrmillionen in das Erdinnere »gewandert« ist, gekocht und dort gespeichert wurde.

Eine einzige Probe Rohöl enthält hunderte, völlig unterschiedliche Kohlenwasserstoffmoleküle. Durch Destillation in einer Raffinerie werden sie sortiert und veredelt. Durch den Veredelungsprozess konnten zunächst Gase wie Propan und Butan hergestellt werden. Dann kam Benzin hinzu, später Kerosin und Diesel. Die Geburtsstunde der petrochemischen Industrie begann, als man technisch imstande war, große Molekülketten zu halbieren und kleine Moleküle zusammenzukleben. Indem Erdölderivate vermischt werden, entstehen Kunststoffe, die unser Leben komplett verändert haben. Wir wurden abhängig von diesem Stoff.

Um einen Kilo Kunststoff zu produzieren, werden zwei Kilo Erdöl benötigt. Ein Leben ohne Telefone, Handys, Fernseher, Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik, Computer usw. scheint den meisten Menschen, zumindest in den Industrieländern, unvorstellbar. Ohne Öl gäbe es keine Eimer, Matratzen, PET-Flaschen, CDs, USB-Sticks, Teppichböden und Kleidung. Selbst Dinge wie Autoreifen, Reinigungsmittel, Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger wären ohne Öl sehr viel schwieriger herzustellen. Unsere Körperpflege würde sich ohne Parfüms, Lippenstifte, Seifen und Haarsprays anders darstellen. Die Herstellung von bestimmten Medikamenten wäre in vielen Bereichen nicht mehr möglich. Gegenwärtig ist die pharmazeutische Industrie zu annähernd 100 Prozent abhängig vom Erdöl. Unsere billigen und leichten Verpackungen bestehen ebenfalls komplett aus Erdöl. Die Liste lässt sich noch viel weiter fortführen. Im Grunde genommen hängt unsere gesamte Lebensführung vom Öl ab. Selbst wenn der Klimawandel nicht existent wäre, müssten wir trotzdem ausreichend Rohöl für zukünftige Generationen aufbewahren. Sonst wird uns diese Generation eines Tages fragen: Wie, ihr habt Kerosin verbrannt um euch in die brennend heiße Sonne von Mallorca zu legen?

Wir verbrauchen und verbrennen jeden Tag weltweit circa 85 Millionen Barrel (1 Barrel = 159 Liter) Öl. Daraus entstehen circa 65 Millionen Tonnen CO2, jeden Tag. Bei steigendem Wirtschaftswachstum wird prognostiziert, dass der Ölverbrauch in den nächsten Jahren auf 120 Millionen Barrel pro Tag steigen wird. Wieviel Millionen Tonnen CO2 werden wir dann in die Atmosphäre entlassen?

Um die CO2-Emissionen zu reduzieren ist es natürlich wichtig, Inlandsflüge zu verbieten, Auslandsflüge erheblich zu verteuern und eine Kerosinsteuer einzuführen. Aber -die Ressource, mit der höchsten Energiedichte, Öl geht zur Neige und wir brauchen, unabhängig vom Klimawandel, über das Fliegen nicht mehr nachzudenken; es sei denn, wir sind wahnsinnig genug und steigen zukünftig in ein wasserstoffgetriebenes Flugzeug der „never come back airline“ ein.

[1] Frei übersetzt: über den Tresen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Udo Köpke

Buchpublikation: Die Vergötterung der Märkte

Udo Köpke

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