Mitschnitt verboten?

Medien Wenn nicht aufgezeichnet werden darf, hilft das Gedächtnisprotokoll. Aber hätte ein solches auch vor Gericht bestand?
Ausgabe 41/2020
Das unauffällige Mitzeichnen ist ein relativ modernes Phänomen, das seine ganz eigenen Probleme mit sich bringt
Das unauffällige Mitzeichnen ist ein relativ modernes Phänomen, das seine ganz eigenen Probleme mit sich bringt

Foto: George Marks/Retrofile/Getty Images

Kürzlich machte eine Sequenz aus einer Fernsehdoku des Senders Pro7 über Rechtsextremismus in Deutschland Schlagzeilen: Ein minutenlanger Dialog zwischen einem Lockvogel und einem hochrangigen Mitarbeiter der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag wurde nach einem Gedächtnisprotokoll nachgesprochen. Warum dieser Umweg? Hätte das Pro7-Team, wenn es die beiden schon in der Bar filmte, nicht auch einfach das Gespräch mitschneiden können? Technisch dürfte das kein Problem gewesen sein, und sicherlich hätte die Szene mit Originalstimmen noch um einiges authentischer gewirkt.

Die unbeholfen wirkende Gestaltung des Beitrags dürfte handfeste rechtliche Gründe haben. Denn § 201 des Strafgesetzbuchs verbietet die „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“: Das „nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen“ Menschen darf nicht aufgezeichnet werden; gibt es gleichwohl eine solche Aufnahme, so darf sie nicht gebraucht und auch niemand anderem zugänglich gemacht werden. In Deutschland gilt also ein totales Verbot, bei einem Gespräch ein Tonband oder auch ein Handy mitlaufen zu lassen, sofern nicht alle Anwesenden einverstanden sind. Auch Tonaufnahmen von Worten, die sich gar nicht an einen selbst richten (etwa mit einem Richtmikrofon), sind verboten. Eng geschnittene Ausnahmen gelten nur in der letztgenannten Situation und auch nur im Falle „überragender öffentlicher Interessen“. Diese Rechtslage führt zu der auf den ersten Blick irritierenden Konsequenz, dass für Tonaufnahmen strengere Regeln gelten als für Filmaufnahmen, denn Aufnahmen mit versteckter Kamera sind nicht ebenso eindeutig untersagt.

Doch haben Gedächtnisprotokolle überhaupt einen rechtlichen Wert, etwa bei einer späteren gerichtlichen Auseinandersetzung? Wie so oft kommt es auch bei dieser Rechtsfrage auf die genauen Umstände an. Natürlich fehlt einem Protokoll die suggestive Wirkung der authentischen Sprache. Doch kann Gedächtnisprotokollen gleichwohl ein hoher Beweiswert zukommen – insbesondere, wenn sie zeitnah zum Geschehen niedergelegt werden. Umso mehr gilt dies, wenn sich die Beteiligten (gegebenenfalls mithilfe ihrer Notizen) noch daran erinnern können, was sie gehört haben, und entsprechende Zeugenaussagen machen können.

So geschehen im Fall eines heiklen Gesprächs zwischen Noch-Verkehrsminister Andreas Scheuer und zwei Vertretern der Firmen, denen der Minister später den Auftrag für die Pkw-Maut in Deutschland erteilte: Hatten die Manager dem Minister angeboten, vor Vertragsschluss die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten, ob eine solche Maut überhaupt zulässig sei? Ein dritter Kollege, der mit den Gesprächspartnern des Ministers unmittelbar im Anschluss an die Verhandlungen sprach, machte sich jedenfalls entsprechende Notizen.

Natürlich wäre das vor Gericht kein hundertprozentiger Beweis. Doch spricht vieles dafür, dass bei einem Rechtsstreit die Notizen zusammen mit der Zeugenaussage des Kollegen kaum zu widerlegen wären. Nicht umsonst geriet Minister Scheuer vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zur Maut-Affäre ziemlich ins Schwitzen, als er damit konfrontiert wurde: Auch ohne Tonaufnahme der heiklen Verhandlungen zog er es vor, sich auf Erinnerungslücken zu berufen.

Ulf Buermeyer ist Jurist und Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die mit strategisch geführten Prozessen Grundsatzurteile für einen besseren Schutz der Menschenrechte erkämpft. Mit Philip Banse moderiert er den Politik-Podcast Lage der Nation

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