Die Weite als solche

Also, gucken ist ja ganz schön. Aber warum man da nun rauf muss, kann ich nicht nachvollziehen. Im Prinzip geht es ja immer nur hoch und wenn man ...

Also, gucken ist ja ganz schön. Aber warum man da nun rauf muss, kann ich nicht nachvollziehen. Im Prinzip geht es ja immer nur hoch und wenn man sich mal umdreht, wird´s einem komisch, weil es so steil ist. Mich hat das irgendwie nie gereizt, da irgendwo senkrecht geradeaus zu gehen. Und man muss sich auch immer so den Hals verrenken, um zu gucken, wie hoch es noch ist und wie weit man schon ist und wie lange das noch dauert und da wird´s mir schon ganz anders, wenn ich nur dran denke. Meine Nachbarin hat sogar solche Hosen, die unterm Knie aufhören, also schön ist was anderes. Ich finde, man soll gerade im Urlaub ein bisschen nett aussehen, weil man die Leute nicht kennt und sich mal ein bisschen zurecht machen. Aber wenn die da oben ankommen in diesen Hütten, sind die so verschwitzt und ganz rot.

Ich bin mal mit einer Seilbahn da rauf, da waren die, die zu Fuß gekommen waren, völlig fix und fertig und hatten in dem Sinne nicht so viel von dem Panorama, weil sie viel zu erledigt waren. Meine Nachbarin schwärmt aber immer davon, dass man so die Weite als solche spürt und ein Gefühl für die Ewigkeit an sich bekommt, wenn man als kleiner Mensch auf und zwischen diesen gewaltigen Gipfeln steht und so was wie ein Gefühl für die Natur sich einstellt. Das kann ich nun gar nicht verstehen, denn wenn ich auf diesen gemachten Wegen gehe, die sie ja wirklich pflegen in diesen Ferienorten und mich dann mal umsehe und nicht immer nur auf den Weg, dann kriege ich auch Natur zu sehen und kann mich irgendwie klein fühlen, falls ich das gerade brauche, wenn ich von unten in die Berge hochgucke. Dafür muss ich dann nicht da rauf, um zu sehen, dass die hoch sind. Meine Nachbarin macht immer Dia-Abende von ihren Bergtouren, die schrecklich langweilig sind, weil alle Berge gleich aussehen und sie immer 73 Dias davon zeigt, wie sie sich windzerzaust und mit Sonnenbrand auf der Nase auf ihren Wanderstock stützt, ein Bein vor, das andere ein bisschen zurück und ein bisschen abgeknickt in der Taille und die Augen zusammengekniffen und so in die Weite guckend und da hat sie auch immer solche Anoraks an, die gar nicht kleidsam sind in unserem Alter, weil sie so bauschen. Sie sagt, es geht ihr um das Gemeinschaftserlebnis. Weil, wenn einer nicht weiterkommt, weil es zu steil ist, dann helfen die anderen und das ist eine Kameradschaft, die es nur am Berg gibt, und wenn man oben ist, hat man was davon. Das ist nun auch nichts Besonderes, denn in meiner Pension sind immer sehr angenehme Damen, mit denen ich gemeinsam diesen einen Weg um den See herum mache und wenn eine nicht mehr kann, setzen wir uns gemeinsam auf die Bank und warten, bis sie wieder bei Puste ist. Da muss man sich ja nun nicht verausgaben, um sich mit Jemandem verbunden zu fühlen. Und auf den Fotos, die wir immer davon machen, wie wir da auf der Bank sitzen, sehen wir, ehrlich gesagt, viel mehr nach Urlaub aus, als meine Nachbarin auf ihren Dias. Noch dazu, wo hinter dieser einen Bank auch ein riesiger Berg aufragt und der macht sich so ganz im Hintergrund wirklich schön.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden