Journalisten werden nicht mehr gebraucht. Jedenfalls nicht im Fernsehen. Nachdem sich herausgestellt hat, dass weder die Zulassung des Kommerzfernsehens die überaus lästige Einrichtung "Journalist interviewt Politiker und stellt kritische Fragen" beseitigt hat, noch der Versuch, die richtigen Journalisten im Kommerzfernsehen die richtigen Fragen stellen zu lassen, erfolgreich war (kein Schwein wollte Herrn Mertes gucken), ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen, wie es seinem Bildungsauftrag entspricht, echt innovativ in die Bresche gesprungen und lässt die frustrierten Politiker jetzt ihre Fragen selber stellen. Es gibt "eine völlig neue Gesprächskultur". Die besteht darin, dass Politiker ihre Parteifreunde im Fernsehen befragen, weil sie sonst nie dazu komme
mmen, mal in Ruhe miteinander zu reden. Voraussetzung ist, dass der Politiker entweder einen Skandal oder eine Affäre hinter sich hat und seinen eigentlichen Beruf nicht mehr richtig ausüben kann (Heinz Eggert, Lothar Späth), besonders hübsch und immer schick angezogen ist (Michel Friedmann) oder sich als Rentner langweilt (Joachim Gauck, Michael Gorbatschow). Ja doch: Gorbi auch, der soll im ungarischen Fernsehen u.a. den Papst interviewen und zwar zu dessen "Privatleben".Wenn Friedmann von Merkel erfahren will, was er sie bei der letzten CDU-Vorstandssitzung nicht gefragt hat, ist das wirklich reizvoll, aber eigentlich geht alles noch nicht weit genug: Man sollte die Gäste weglassen, und statt dessen Friedmann sich selber befragen lassen: "Friedmann: Ich stelle mich mir". Denen, die sich der Herausforderung noch nicht gestellt haben, lässt sich die Scheu mit zeitgemäßen Formaten nehmen: "Schröder antwortet Schröder", "Fischer meets Fischer", "Trittin contra Trittin". Dann müsste Letzterer nicht sonntags zu Christiansen, dienstags zu Bio und donnerstags zu Illgner hetzen. Talkshows sollten auch nicht das Einzige sein. Warum moderiert nicht Roland Koch "Cash" im ZDF oder Helmut Kohl das "Diät-Duell" auf RTL 2?Diese neue Gesprächskultur hat den Nebeneffekt, dass nun klar ist: Journalist kann jeder sein, vor allem, wenn er Politiker war. Außerdem wissen Politiker/innen einfach viel besser, wie man Fragen gleich so stellt, dass man keine vernünftigen Antworten bekommt. Niemand muss sich im Rundfunkrat über ungebührliches Betragen von respektlosen Journalist/innen beschweren, die Gäste werden endlich so behandelt, wie es ihnen in einer Demokratie gebührt: Mit Achtung für ihr schweres Amt, mit Bewunderung für ihr hartes Los, mit Diskretion und Höflichkeit. Auch wird man nicht mehr erleben, dass ein junger Kollege verwirrt einer Politikerin gesteht: "Das ist jetzt sehr kompliziert, deshalb ein anderes Thema", denn komplizierten Themen stellt man sich selber eher nicht. Journalist/innen gelten gemeinhin als ziemlich weiterbildungsresistent, aber wenn der eigene Beruf überflüssig wird, sollte man doch gelegentlich darüber nachdenken, wie man auch zukünftig seine Brötchen verdienen kann. Also: Lebenslanges Lernen, Flexibilität und unbegrenzte Einsatzbereitschaft müssen jetzt in folgende Bahnen gelenkt werden: Werdet Politiker, verursacht auf dem Höhepunkt einen kleinen Skandal oder eine relativ peinliche Affäre, damit ihr zurücktreten könnt und sucht euch dann aus den unmittelbar eintreffenden Angeboten der Sender das bestbezahlte für eine völlig neue Talkshow oder die Gesprächskultur dieses Landes revolutionär verändernde Begegnungssendung aus, behauptet, es handele sich um eine "neue Herausforderung", ladet eure alten Kumpels ein (die laden euch dann auch in ihre nächste Sendung) und macht euch mit ihnen einen richtig schönen Abend. Ihr könnt sicher sein, dass die in eurem alten Beruf noch verbliebenen Kollegen sich ernsthaft mit diesem Quatsch auseinandersetzen werden.Unausgelastete oder zurückgetretene Politikerinnen brauchen ganz eindeutig keine neue Herausforderung, jedenfalls will niemand bei den Sendern ihnen eine solche zumuten. Ganz raffinierte Politiker sorgen übrigens auf bislang nicht beachtete Weise dafür, dass sie nichts Kritisches mehr gefragt werden, ohne dass sie gleich selber eine Talkshow machen müssen: Sie heiraten die Journalistinnen einfach weg. Tatsache! Am liebsten heiraten sie junge Journalistinnen (man muss beim Nachwuchs ansetzen!) und in dritter oder vierter Ehe. Schröder, Fischer und Vesper sind nur drei Beispiele für diese überaus elegante Methode. Immerhin bleiben uns damit möglicherweise weitere Talkshows erspart und wer weiß, wenn alle das nachmachen (und auch die Politikerinnen sich endlich mal angewöhnen würden, häufiger Journalisten zu heiraten) erledigt sich das Problem "Journalismus" ganz von selber.