Kuscheliges Abkassieren

Schenk- und Herzkreise "In der Mitte lag ein Kissen mit dem liebevoll verpackten Geld darauf, wir haben über unsere Wünsche und Bedürfnisse gesprochen, ganz offen und ohne Scheu"

Ich bin schon hier", sagt meine Freundin und zeigt mir ein Blatt, auf das sie mit Buntstift rote Herzen gemalt hat. Die Herzen sind kreisförmig angeordnet und enthalten jeweils einen weiblichen Vornamen. "Mit 5.000 Euro kannst auch du dabei sein, und wenn ich dann noch weitere Freundinnen finde, die mitmachen, dann rücke ich an die Spitze des Kreises vor und bekomme 40.000 Euro geschenkt. Wenn du es genau so machst und deine Freundinnen motivierst, bekommst du am Ende ebenfalls 40.000 geschenkt."

Ich verstehe kein Wort. Wie können sich 5.000 Euro auf so wundersame Weise vermehren, dass ich plötzlich 40.000 Euro bekomme, und dann noch geschenkt? Ich habe keine 5.000 Euro übrig, und ich weiß ganz genau, dass auch meine Freundin nicht so viel Geld herumliegen hat. Trotzdem bedrängt sie mich. "Ist das nicht toll", sagt sie, "Frauen beschenken sich gegenseitig, damit sie sich ihre Wünsche erfüllen können." Sie erklärt mir: "Jeweils eine Frau sucht acht Freundinnen, die ihr 5.000 Euro schenken. Dann bekommt sie 40.000 Euro und scheidet aus. Danach teilt sich der Kreis in zwei neue Kreise, und wiederum werden Freundinnen gesucht, um die freien Stellen zu besetzen..."

Der Kreis, erkenne ich, ist eigentlich eine Pyramide: Ganz oben steht ein Herz allein, die Empfängerin. Dann kommen, zwei, vier, dann acht. Die acht unteren Herzen bezahlen jeweils 5.000 Euro, und das glückliche Herz an der Spitze scheidet aus. Dann teilt sich die Pyramide vertikal, die nächsten beiden Herzen rutschen hoch. Ich bin keine große Mathematikerin, verstehe aber schnell, dass dieses System schon nach kurzer Zeit zusammenbrechen muss. Nach zwei Runden werden bereits 32 Herzen gebraucht, nach dreien 64, nach fünf Runden 256. Schließlich müssten, nach 23 Runden, alle erwachsenen Deutschen mitmachen. Die Zahl derjenigen, die nur schenken und nie empfangen, wächst auf jeden Fall explosionsartig an. Der mathematische Beweis ist eindeutig.

Ich habe das Gefühl, dass meine Freundin nicht genau wissen will, wie das eigentlich funktioniert. Stutzig macht mich aber nicht nur, dass sie auf meine Rechnung nicht eingeht, sondern vor allem, dass sie immer von "Schenken" und "Freundinnen" und "Herzen" spricht, eine Wortwahl, die mich im Zusammenhang mit Geld sofort misstrauisch macht. Meine Zurückweisung ist mir aber gleichzeitig peinlich, und genauso funktionieren diese Systeme: Persönliche Bindungen werden ausgenutzt, weil es immer schwieriger wird, mit zunehmender Teilnehmerzahl neue Leute anzuwerben.

Ich lehne ab und erfahre kurz darauf, dass weitere gemeinsame Freundinnen von ihr angesprochen werden. Eine, von der ich weiß, dass sie sehr wenig Geld hat, beteiligt sich. "Ich habe mir das Geld geliehen", sagt sie ganz aufgeregt, "denn ich kann es ja zurückgeben, wenn ich die Empfängerin bin." Sie will mich natürlich sofort werben. Eine Bekannte ruft an: Ihre Psychotherapeutin hat sie unter Druck gesetzt, sich an ihrem "Herzkreis" zu beteiligen. Sie ist verzweifelt, weil sie sich verpflichtet fühlt. Ich bin entsetzt. Es scheint sich um eine Kölner Seuche zu handeln. Ich höre mich um: Es gibt keine Freundin mehr, die noch nichts von den "Herz- und Schenkkreisen" gehört hat, kaum eine, die nicht gebeten worden ist, mitzumachen. Tatsächlich scheint Köln derzeit das Herz der "Herzkreise" zu sein, aber auch deutschlandweit grassiert das "Schenken", aus Bremen beispielsweise wird von regem Spiel berichtet.

Was diese Variante eines Schneeballsystems von längst bekannten anderen unterscheidet, ist die Aufladung mit Gefühlen, vor allem weiblichen. "Wir laden dich in diesen Kreis ein, gemeinsam mit anderen Frauen die Kraft von gegenseitigem Unterstützen, Geben und Empfangen zu erfahren." Nicht von Geld ist die Rede, sondern von "loslassen", von "einem kraftvollen Weg, um spirituelle, psychische und physische Energien freizusetzen." In Broschüren und im Internet wird so um Mitspielerinnen und zunehmend auch Spieler geworben. "Wir glauben an das universelle Gesetz: Alles was wir frei geben, kommt vielfach zu uns zurück. Beides, sowohl das freie Geben als auch das offene Empfangen, sind essentiell für wirkliche Vollendung in unserem Leben." Frei und offen wird von "universellen Gesetzen", aber nicht von Gesetzen ökonomischer Art gesprochen. Schlichte Habgier wird zum "offenen Empfangen".

Mit erotischen Anspielungen wird an das ausgeschaltete Gehirn der Frauen appelliert. "Die Frauen in der Zweier-Reihe bereiten sich innerlich und äußerlich auf die Empfangsposition vor", heißt es im "Mind map für Herzkreise". Sie bekommen "Offenheit, Zuversicht, Freude." Das "Schenken" wird regelrecht zelebriert, mit esoterischem Brimborium, mit Kerzen, Schenkungsurkunden, Umarmungen und Küssen, Keksen, Sekt und leiser Musik. Jene Freundin, die sich das Geld geliehen hat (nicht von mir, obwohl sie fragte), hat mir davon erzählt: "Es war wunderschön. In der Mitte lag ein Herzkissen mit dem liebevoll verpackten Geld darauf, wir haben über unsere Wünsche und Bedürfnisse gesprochen, ganz offen und ohne Scheu."

Ebenso offen und ohne jede Scheu haben manche Frauen, die in der Position sind, andere unter Druck zu setzen, bereits mehrfach abkassiert. Inzwischen gibt es, damit die Kreise nicht zu früh zusammenbrechen, auch welche mit kleineren Einstiegsbeträgen. Weshalb besonders Frauen auf diese Pyramidenspiele hereinfallen, begründet die Kölner Diplompsychologin Marlene Steuber: "Gruppenzugehörigkeit ist ein sehr starkes Motiv. Die Frauen in den Herzkreisen treffen sich ja regelmäßig, tauschen sich aus, geben sich warmherzig und freundlich. Nach dem überkommenen Ideal sollen Frauen Nächstenliebe und Verzichtsbereitschaft üben, sie müssen opferbereit, demütig und bescheiden sein. Die Kreise, bei denen es eigentlich nur um Geld geht, sind deshalb altruistisch verbrämt und ritualisiert, so erleichtern sie Frauen den Zugang."

Als nahezu "sektenartig" wird die Atmosphäre dieser Kreise empfunden, wenn man aussteigen will. "Seit dem Tag, an dem ich mitgeteilt habe, dass ich aussteigen möchte, hat sich keine der Frauen mehr bei mir gemeldet, obwohl wir uns vorher sehr gut verstanden haben. Keine wollte wissen, warum oder wieso", berichtet eine, die es nicht zu spät begriffen hat. Und Marlene Steuber erläutert: "Die Frauen wagen nicht mehr, Fragen zu stellen oder gar auszusteigen. Denn dazu würde, psychologisch gesprochen, eine gewisse Ich-Stärke gehören. Es gibt eine unausgesprochene Vereinbarung, dass Kritik nicht zugelassen wird."

Das soziale Spektrum der Herzkreise ist bunt gemischt. Ärztinnen, Anwältinnen, Architektinnen, die genug Geld haben, um riskante Spielchen zu spielen, sind dabei, aber eben auch Alleinerziehende, Sozialhilfeempfängerinnen, die sich das Geld für die Teilnahme leihen. "Was ist das für eine Art von Energie", fragt die Kölner Journalistin Yvonne Greiner, "die intelligente Frauen guten Gewissens ihren miserablen Kontostand mit den Euros einer Freundin ausgleichen lässt, während diese eventuell ihr letztes Geld verliert?" Ihre Vermutung: "Die soziale Distanz, die dadurch entsteht, dass man die Frauen - meistens aus anderen Städten - nur kurzzeitig und oberflächlich kennt, mag dazu führen, dass das Abzocken leichter fällt."

Dabei könnten alle einfach rechnen: Nur jede achte Teilnehmerin kann gewinnen. Der große Rest von 87,5 Prozent verliert mit hundertprozentiger Garantie seinen Einsatz. Geradezu dreist mutet an, wenn sogar auf den einschlägigen Internetseiten zugegeben wird: "Bevor du den kostbaren und vielleicht für dich neuen Schritt des Schenkens tust, vergegenwärtige dir bitte Folgendes klar und in Ruhe: Dein Geschenk ist ein Geschenk. Es ist unabhängig von deinem Wunsch und der Möglichkeit, jemals in die Position des Beschenkten zu kommen."

Das alles klingt ohne weiteres nach Betrug. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs sind Schneeballsysteme tatsächlich in Deutschland strafbar. Aber: Da kein zentraler Veranstalter hinter den Herzkreisen steckt, wird es juristisch kompliziert. Die Verbraucherzentralen warnen und halten die Kreise immerhin für sitten- und damit für rechtswidrig. Aber wo man niemanden zur Verantwortung ziehen kann, weil die Grenzen zwischen Tätern und Opfern fließend sind, greift die Rechtsprechung nicht. Die Bremer Verbraucherschutzzentrale: "Jede Teilnehmerin muss sich darüber im klaren sein, dass sie ihre 5.000 Euro womöglich nie wieder sieht. Und selbst wenn es für sie noch läuft und sie die 40.000 Euro bekommt, muss sie wissen, dass am Ende ganz viele Frauen ihr Geld verlieren. Mit Herz und Hilfe hat das verdammt wenig zu tun. Die dezentrale und private Organisation in einzelnen Zirkeln würde es allerdings schwer machen, jemanden konkret zur Verantwortung zu ziehen."

Heide Härtel-Herrmann, die in Köln den Frauenfinanzdienst betreibt, sieht sich persönlich herausgefordert. "Ich fühle mich als Geldberaterin provoziert, wenn es offensichtlich sehr viele Frauen gibt, die an eine wundersame Geldvermehrung aus dem Nichts glauben. Mich interessiert weniger die moralische Seite, das Abzocken von Freundinnen oder der psychologische Aspekt, wie schlecht es ihnen gehen muss, wenn sie darauf reinfallen. Wenn Frauen das schlichte Addieren, Multiplizieren oder den Zinseszins als männliche Mathematik und männliche Ökonomie abwerten, weil sie nicht wirklich hinschauen wollen, dann bin ich auch als professionelle Geldberaterin erstaunt. Nach 17 Jahren Aufklärung über Wirtschaft erlebe ich einen Backlash, der zeigt, wie dünn das Eis ist, auf dem sich Autonomie und wirtschaftliche Souveränität von Frauen bewegen. Als Frauenberaterin bin ich doppelt entsetzt, weil ich sehe, wie wenig Hirn bei den Beteiligten im Spiel ist. Herzkreise sind für mich die Kuschelvariante von ›Gier frisst Hirn‹."

In der Schweiz ist man juristisch rigoros: Dort warnt das Bundesamt für Justiz offiziell davor, sich durch Versprechen von Liebe, Heilung und Reichtum "irreleiten zu lassen". Wer an einem Schenkkreis teilnimmt, macht sich strafbar: "Denn bei solchen Schenkkreisen handelt es sich um ein gemäß Lotteriegesetz verbotenes Schneeballsystem." Wer sich an einem "Schenkkreis" beteiligt, kann mit Geldbußen bis zu 10.000 Franken oder mit Gefängnis bestraft werden und muss mit der Einziehung seines Gewinns rechnen. Auch in den USA sind sowohl die Pyramidenspiele als auch die individuelle Teilnahme verboten.

Die Freundin, die mich zuerst auf die Herzkreise ansprach, hat sich übrigens lange nicht mehr gemeldet. Vielleicht hat sie nachgerechnet, vielleicht schämt sie sich, dass sie sich auf Kosten anderer bereichern will, was sich auch bei Kerzenlicht nicht übersehen lässt. Ohne Blümchen machen seit kurzem auch Männer mit: In der "Tafelrunde", einem reinen Männerspiel, wird mit Werten wie "Ritterlichkeit" und "Ehrlichkeit" geworben. Mathematische Logik, angeblich eine männliche Tugend, ist freilich auch hier nicht gefragt.

Auf der Internetseite des Kölner Juristen Wolfram Gagern findet man die genaue mathematische Auflösung der "Herz- und Schenkkreise" sowie zahlreiche Links zu weiteren Analysen: www.geldspiele-beobachter.de

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