In Köln ist das so: Gewinnt der FC ein Zweitligaspiel, erwartet man ihn alsbald im Finale der ChampionsLeague. Ist die Stadt pleite, zerschlägt sie mit einer beispiellosen Kürzungsorgie ihre Kulturlandschaft und bewirbt sich gleichzeitig als "Kulturhauptstadt Europas 2010". Fragt sich, was die viertgrößte Stadt Deutschlands außer Dom, Korruption und Karneval dann noch zu bieten hat. Ende Juli entscheidet der schwarz-grün regierte Rat über eine Streichliste, in der die Kultur mit 17 Prozent zum angesteuerten Sparvolumen beitragen soll, obwohl sie nur vier Prozent des Stadtetats ausmacht. Nach den Vorschlägen von Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU, eigentlich Lateinlehrer) sollen die Ausgaben für Kunst und Kultur in den nächsten drei Jahren um 21 Millionen Euro gekürzt werden. Das sogenannte Haushaltsloch beträgt 540 Millionen Euro.
Kein Zweifel: Köln ist wie alle Kommunen schwer geschädigt durch die Steuerpolitik der Bundesregierung. Die Gewerbesteuereinnahmen der Stadt sanken von 711 Millionen im Jahre 1997 auf 566 Millionen Euro 2002. Der Bund der Steuerzahler hat ermittelt, dass Köln zu den fünf Großstädten gehört, die allein 53 Prozent des bundesweiten Gewerbesteuerausfalls zu tragen haben. Aber in Köln gibt es auch hausgemachte Gründe für Haushaltslücken: Mit der völlig überdimensionierten Müllverbrennungsanlage, um nur ein Beispiel zu nennen, ist Köln zu Recht landesweit in die Korruptionsschlagzeilen geraten.
Durch die vorgesehenen Streichungen droht nun nicht nur eine kulturelle Verödung, gleichzeitig wird auch das kulturelle und historische Gedächtnis der Stadt entsorgt: Das bundesweit einmalige NS-Dokumentationszentrum soll im nächsten Jahr neben anderen Einsparungen sein Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiter streichen. Die städtische Kunst- und Museumsbibliothek, die seit 1957 Literatur über Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart mit den Schwerpunkten Film und Fotografie sammelt, soll ganz aufgelöst werden. Mit über 350.000 Bänden und wertvollen Fotosammlungen ist sie die größte Bibliothek dieser Art in Nordrhein-Westfalen. Im Historischen Archiv der Stadt, das bis auf das Jahr 1130 zurückgeht, die gesamte Stadtgeschichte dokumentiert und Nachlässe von Künstlern und Sammlern wie Max Bruch, Ferdinand Hiller, Jacques Offenbach und Ferdinand Franz Wallraf hütet, soll auf "Nachlässe und Sammlungen verzichtet" werden. Kölner Autoren wie Jürgen Becker, Dieter Wellershoff, Günter Wallraff, Hans Bender oder Anne Dorn, die ihre Archive schon zu Lebzeiten der Stadt vermacht haben, wollen die rechtliche Zulässigkeit dieser Pläne prüfen lassen. Im Kulturamt stehen die Referate für Rockmusik und interkulturelle Zusammenarbeit zur Disposition. Die Zuschüsse für die freie Theaterszene - kaum irgendwo innovativer und vielfältiger als in Köln, sollen bis 2007 halbiert werden - Gleiches gilt für die Unterstützung der freien Musikszene und der Literatur. Alle acht Museen sind mit erheblichen Kürzungen auf der Liste vertreten, geschlossen werden soll angeblich keines.
Von den Bühnen der Stadt Köln soll nur noch das Haupthaus übrig bleiben, das sich auf seine Umwandlung in eine privatwirtschaftliche "Kulturbetriebe-GmbH" vorbereitet. Kürzungen von 4,9 Millionen Euro bis 2007 müssen verkraftet werden. Alle anderen Spielstätten sollen verschwinden: Die Halle Kalk, die Schlosserei, das Westend-Theater und die Yakult-Halle. Kölns Puppenbühne, das Hänneschen-Theater, wird wohl bleiben, allerdings ohne die Kinder-Kasperlestücke, die zu Köln gehören wie der Karneval. Sämtliche Stadtteilbüchereien sowie die Blindenbibliothek (spart 2003 ganze 28.000 Euro, in den Folgejahren 3.600 Euro), die Medien- und die Busbibliothek (für Stadtteile ohne Zweigstelle) will der Rat der Stadt schließen.
Für die Stadtteilbibliotheken in sozial prekären Stadtteilen setzt sich der Kölner Schriftstellerverband (VS) schon seit zehn Jahren mit Lesereihen ein. Eva Weissweiler, stellvertretende Vorsitzende: "Ein Gutes hat die Kulturkatastrophe. Noch nie hat es unter den Kölner Künstlerinnen und Künstlern soviel Solidarität gegeben wie jetzt." So gründeten Künstler wie Rosemarie Trokel oder der Direktor des Museums Ludwig, Kasper König, spontan den Verein Das Loch, in Anspielung auf eine Köln-typische Baulücke: Gegen bürgerschaftlichen Widerstand wurde zunächst eine gut funktionierende Kunsthalle abgerissen, der Neubau für das Völkerkundemuseum wegen Geldmangels aber gestoppt. Weissweiler: "Der VS schließt sich diesem Verein an und wird mit Literatur am Loch ein neues Genre begründen, die schrammatische Kulturhauptstadt-Poesie." Denn nachdem Fritz Schramma mit der bundesweit Aufsehen erregenden telefonischen Absage an die designierte Opernintendantin Barbara Mundel den Ruf der Stadt nachhaltig schädigte, propagierte er die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas.
"Jetzt nicht lachen", kommentierte der Feuilletonchef des Kölner Stadt-Anzeiger, und es lacht auch niemand: Von vielen misstrauischen Kölnern wird die gleichzeitig neben dem Sparorchester betriebene Bewerbung als Ablenkungsmanöver betrachtet. Köln müsste 2004 als NRW-Spitzenkandidatin benannt, 2005 vom Bundesrat ausgewählt und 2006 von EU-Gremien erkoren werden: ein langer Weg, der Sach- und Personalkosten von mehr als drei Millionen Euro und die Gründung einer rund 50 Personen starken "Kulturhauptstadt GmbH" erfordert. Albin Hänseroth, Intendant der Kölner Philharmonie: "Es mangelt an einer Perspektive - und zwar mangelt es an oberster Stelle. Da lese ich, dass sich die Stadt als Kulturhauptstadt Europas bewerben will, und am nächsten Tag steht in der Zeitung, es soll auch noch eine neue Rheinbrücke gebaut werden. So geht es nicht."
Es geht: In ungebrochener Tradition, so das neueste Gerücht, wird der Geldklüngel die Kulturhauptstadt GmbH unter sich aufteilen. Geschäftsführer soll danach der ehemalige Philharmoniedirektor Franz-Xaver Ohnesorg werden, ihm zur Seite der einzige Zeitungsverleger der Stadt, Alfred Neven Dumont und der Bankier Oppenheim. Beide sind Teilhaber des "Esch/Oppenheim-Fonds", der unter anderem die Veranstaltungshalle Köln-Arena und Bezirksrathäuser finanzierte und dann langfristig und sehr teuer an die Stadt vermietet hat. Was unter anderem dazu führte, dass einige Stadtteilbüchereien, die in diese Bezirksrathäuser einziehen mussten, höhere Mieten bezahlen. Die Gattin des Verlegers, Hedwig Neven Dumont, übernimmt derweil die Schirmherrschaft über eine Elterninitiative zur Rettung der von Schließung bedrohten städtischen Schulbibliotheken. CDU und Grüne übrigens erklärten in ihrem Koalitionsvertrag, dass der Kultur ein besonders hoher Stellenwert zugewiesen wird.
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