Sie waren mutig

Lebenslustige Feministinnen Die erste Biographie über Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann

Gut 100 Jahre ist es her, dass Anita Augspurg (1857-1943), Deutschlands erste Juristin (die in Zürich studieren musste, weil es in Deutschland für Frauen verboten war) und ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann (1868-1943) in Hamburg einen "Frauenstimmrechtsverein" gründeten, um für das Frauenwahlrecht zu kämpfen. Jetzt gibt es endlich die erste Biographie über zwei der faszinierendsten, mutigsten und klügsten Persönlichkeiten der ersten deutschen Frauenbewegung - und damit auch die Erinnerung an zwei vergessene von Nazideutschland ins Schweizer Exil getriebene Pazifistinnen. Lediglich die Erinnerungen von Lida Heymann an ihre über 40-jährige politische und persönliche Partnerschaft mit Anita Augspurg hatte 1972 die neue Frauenbewegung ausgegraben.
Beide Frauen kamen aus bürgerlichen Haushalten, die ihnen das Los höherer Töchter -Handarbeiten, Klavierspielen und Mann suchen - vorzeichneten, beide verließen die vorbestimmten Pfade, wurden Schauspielerin, Lehrerin, selbständige Fotografin, promovierte Juristin (Anita), Erbenverwalterin ihres Vaters (Lida, die das durch ein höchstrichterliches Urteil erkämpfen mußte).
Sie waren mutig, als ihnen wegen verbotener politischer Betätigung Gefängnis drohte, sie lebten als Liebespaar, als das als abartig galt, sie verdienten ihr eigenes Geld, bewirtschafteten nur mit Frauen einen ökologischen Bauernhof, gründeten das erste deutsche Mädchengymnasium, richteten Frauenhäuser ein, demonstrierten, agitierten, schrieben für Stimmrecht, Frauenstudium, Prostituiertenrechte und verbündeten sich im Ersten Weltkrieg mit Frauen aus "feindlichen" Ländern gegen den Krieg. Hochbetagt lernten sie Auto fahren, bereisten die halbe Welt und waren dabei alles andere als asketisch oder verbiestert.
Vieles, was diesen selbstbewussten Feministinnen an Diffamierung entgegen schlug, kommt einem heute seltsam bekannt vor: Wenn sie gegen die frauenfeindlichen Ehegesetze polemisierten, wurde ihnen vorgehalten, "keinen abgekriegt" zu haben, ihr politisch begründeter Pazifismus galt als "typisch weiblich". Besonders Augspurgs ironisch überlegene Intelligenz provozierte männliche Journalisten zu ganz ähnlicher Häme, wie sie heute wieder Feministinnen begegnet. Nicht nur das Leben und die politischen Kämpfe der Beiden gibt es wieder zu entdecken, sondern eine ganze Frauenkultur aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts, die die Frauenbewegung der 70er Jahre wieder neu erfinden mußte: Es gab Frauenwohngemeinschaften und -clubs, feministische Zeitschriften en masse, eine Frauenbank, Frauenbuchläden.
Die Kölner Autorinnen Anna Dünnebier und Ursula Scheu haben den Lebensweg der Pionierinnen der Frauenbewegung nun nicht nur mit Akribie und Neugier, sondern mit offensichtlichem Vergnügen, mit Sympathie und Respekt vor deren Lebensleistung beschrieben, ohne aber das zweifellos bewundernswerte Paar zu verherrlichen. So interessant und kenntnisreich ihr Buch ist, so lebendig und amüsant ist es geschrieben: Den Autorinnen gelingt es, mit ihren detaillierten Beschreibungen die Atmosphäre von Kongressen und Aktionen so anschaulich zu machen, dass man das Gefühl hat, Augspurgs viel gerühmtes "Bühnenorgan" auf Demonstrationen zu hören oder mitzuerleben, wie ein Nachbarbauer sich als Ehemann anpreist. "Frauen brauchen weibliche Vorbilder" schreibt Alice Schwarzer im Vorwort, in geschichtsloser werdenden Zeiten erst recht möchte man hinzufügen. Augspurg und Heymann sind dafür bestens geeignet.

Anna Dünnebier, Ursula Scheu: Die Rebellion ist eine Frau/ Anita Augspurg und Lida G. Heymann, Das schillerndste Paar der Frauenbewegung. Vorwort von Alice Schwarzer, Heinrich Hugendubel Verlag, München 2002, 319 S., 22 EUR


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