Weder Klasse noch Masse

EU-Agrarreform Die überarbeiteten Brüsseler Vorschläge zielen auf Marktorientierung, aber kaum noch auf nachhaltige Entwicklung und Qualitätsproduktion

Nicht an der Jagd auf Brüsseler Subventionen, sondern am Appetit der Verbraucher sollen die Landwirte künftig ihre Erzeugung ausrichten. Mit der Reform der EU-Agrarpolitik, so ihr geistiger Vater Franz Fischler, könnten die Bauern wieder zu Unternehmern werden. Das Rezept des einstigen Tiroler Bergbauern und heutigen EU-Agrarkommissars heißt Entkopplung der Beihilfen von der Produktion. An die Stelle der Hektarprämien für endlos wogende Getreidefelder und des Kopfgeldes für Mastbullen oder Mutterkühe soll eine einzelbetriebliche Pauschalzahlung treten, die sich nach der Summe der früher kassierten Subventionen bemisst. Der Bauer soll nicht mehr danach bezahlt werden, wie viele Tonnen überschüssigen Getreides er in die öffentlichen Speicher schaufelt oder wie viele unverkäufliche Rinderhälften er ins staatliche Kühlhaus schiebt. Vielmehr erhielte er eine Art Grundgehalt für gesellschaftliche Leistungen, die auf dem Markt nicht bezahlt werden: die Pflege der Landschaft, den Umweltschutz oder die artgerechte Tierhaltung. Die Pauschalbeihilfe soll unverändert weiter fließen, auch wenn weniger Rinder gehalten, statt Weizen Obst und Gemüse angebaut oder Äcker zu Weideland würden.

Sollte sich Fischler mit diesem Konzept durchsetzen, was angesichts des knallharten Widerstandes der Agrarlobby und einer satten Mehrheit der EU-Landwirtschaftsminister alles andere als sicher ist, wäre dies nicht mehr und nicht weniger als der Einzug der Marktwirtschaft in die Agrarproduktion. Die einst aus Gründen der Lebensmittelsicherheit geschaffene dirigistische Planwirtschaft mit ihrer auf Masse orientierten Subventions-Maschinerie würde abgeschafft. Die Landwirte wären dann nicht mehr mit Milliarden-Beihilfen zur Produktion von Überschüssen stimuliert, die später wiederum auf Kosten des Steuerzahlers eingelagert und zum Schaden der Entwicklungsländer zu hochsubventionierten Billigpreisen auf dem Weltmarkt verschleudert werden.

»Klasse statt Masse«, wie es sich Fischlers deutsche Verbündete Renate Künast erhofft, kommt dabei allerdings noch längst nicht heraus. Denn der EU-Kommissar ist in seinem Reformeifer schon scharf ausgebremst worden. Durch den deutsch-französischen Agrarkompromiss und die daraufhin vom EU-Gipfel Ende Oktober in Brüssel beschlossene Deckelung der EU-Agrarmarktausgaben bis 2013 wurden ihm harte finanzielle Bandagen angelegt. Gegenüber dem ersten Entwurf im vergangenen Juli musste Fischler sein Reformpaket deshalb beträchtlich ausdünnen. Stark geschwächt ist nach dessen Überarbeitung vor allem die »zweite Säule« der EU-Agrarpolitik, die ländlichen Entwicklungsprogramme, mit denen Umweltschutz, nachhaltige Entwicklung oder regionale Qualitätsproduktion gefördert werden sollen.

Hatte Fischler in lauer Sommerluft noch davon geträumt, zwischen 2004 und 2008 stufenweise 20 Prozent der direkten Einkommensbeihilfen in die ländliche Entwicklung umzuschichten, hat der herbstliche Brüsseler Gipfelsturm diese Träume weggeweht. Durch die Deckelung der Agrarmarktsubventionen ist Fischler nunmehr gezwungen, neben der EU-Osterweiterung auch die geplante Reformierung mehrerer sogenannter Marktordnungen - vor allem für Milch, Zucker, Olivenöl und Tabak - voll aus Einsparungen zu finanzieren. Dazu braucht er Milliarden, weil alle diese Einzelreformen, zu erheblichen Preissenkungen und damit drastischen Einnahmeverlusten für die Landwirte führen werden, die zumindest teilweise aufgefangen werden müssen. Das Geld, das eigentlich in die ländliche Entwicklung fließen sollte, wird nun zum größten Teil von dieser Einkommenssicherung aufgefressen. Faktisch werden damit überwiegend Umschichtungen innerhalb der traditionellen Agrarsubventionen vorgenommen. Für die »zweite Säule« sollen statt 20 Prozent Kürzung nur noch magere sechs Prozent abfallen - und dies auch erst mit dreijähriger Verzögerung. Der Fonds für ländliche Entwicklung, der heute nur ein Zehntel der 45 Milliarden schweren klassischen Agrarsubventionen ausmacht, wird erst ab 2007 um 228 Millionen Euro aufgestockt. Im Jahre 2012 werden dann 1,48 Milliarden hinzukommen - ein Viertel der ursprünglich vorgesehenen Summe und ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die abgespeckte Reform kann damit durch ihre Marktorientierung zwar die überschüssige Masse verringern, zu größerer Klasse der Agrarproduktion führt mehr Markt allein aber längst nicht. Fischler hat deshalb an die Mitgliedstaaten appelliert, die vom Brüsseler EU-Gipfel nicht gedeckelten Fördermittel für die Entwicklung des ländlichen Raums ab 2007 weiter aufzustocken. Künast ist damit in die Zange genommen. Will sie mehr Reformen, nachhaltige Entwicklung oder Förderung des Bio-Landbaus durchsetzen, müsste sie mehr Geld auf den Tisch legen. Klasse gegen Bares lautet die einfache Formel des ausgebufften EU-Agrarkommissars.

Umwelt und nachhaltige Entwicklung könnten allerdings nicht nur durch größere Finanzspritzen weit stärker gefördert werden, als es das Brüsseler Reformpaket derzeit vorsieht. So war in seinem ersten Entwurf vorgesehen, die Kürzung der direkten Einkommensbeihilfen für besonders arbeitsintensive Agrarbetriebe abzumildern. Nunmehr sind die ursprünglich geplanten Freibeträge nach der Zahl der Beschäftigten, die extensive oder gar biologische Produktion begünstigt und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft beigetragen hätten, ersatzlos gestrichen worden.

Problematisch ist auch die vorgeschlagene Berechnung der künftigen »entkoppelten« Einkommensbeihilfe. Als Referenz soll die Summe fast aller Tier- und Flächenprämien genommen werden, die ein Landwirt oder Agrarbetrieb im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2002 erhalten hat. Faktisch würden damit alte intensive Produktionsstrukturen honoriert - statt neue extensivere zu fördern. Als Alternative käme die stärkere Gewichtung von Grünland in Frage, vor der die Brüsseler Agrarbürokratie unter dem Druck der konservativen Agrarlobby zurückgeschreckt ist. Ein beträchtliches und überdies kostengünstiges Reformpotenzial wurde damit von vornherein verschenkt.

Hochproblematisch sind schließlich die Vorschläge zur Milchmarktreform, nach denen nicht nur die überholten und sündhaft teuren Stützpreise gesenkt sowie der Aufkauf von überschüssiger Butter vernünftigerweise beschränkt werden. Außerdem sollen auch die produktionsbeschränkenden Milchquoten erhöht werden, was neue Überschüsse auslösen und Erzeugerpreise senken würde. Der damit entstehende Preisdruck erzwingt geradezu weitere Kostensenkungen durch Konzentration und Intensivierung in großen industrialisierten Produktionsanlagen. Die einst geschmähten »Agrarfabriken« lassen grüßen.

Ohne erhebliche Korrekturen steht das neue Reformkonzept mit alledem für eine Wende der Agrarpolitik, an deren Ende nicht Marktorientierung, sondern eine Aufspaltung des Agrarmarktes stünde. Betuchte Feinschmecker könnten sich dann in die Nische edler Bio-Produkte flüchten, während Otto Normalverbraucher mit billiger industrieller und überdies wohl auch genmanipulierter Massenware abgespeist würde.

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