Aggression kann als das eigentliche Verbrechen des Krieges bezeichnet werden, weil es Menschen zwingt, ihr Leben zu riskieren, um ihre Rechte zu verteidigen. Aggression ist nur zwischen zwei Staaten möglich und somit eines der wenigen Verbrechen, das ein Staat gegen einen anderen verüben kann, wobei das Opfer einer Aggression immer ein Recht auf Verteidigung hat. Schließlich, eine Aggression bleibt auch dann eine Aggression, wenn dagegen kein Widerstand geleistet wird oder werden kann.
Die Schwierigkeit des internationalen Rechts, mit Aggressionen umzugehen, besteht nun allerdings darin, dass es keine Abstufungen für aggressive Handlungen gibt. Während man im Strafrecht zwischen Raubmord, Totschlag, Mord etc. unterscheidet, kennt internationales Recht keine vergleichbaren Differenzierungen. Hieraus resultiert ein weiteres Problem: Obwohl dem Opfer grundsätzlich Widerstand bei Aggressionen erlaubt ist, stellt das in zwischenstaatlichen Konflikten eine große Bürde dar, denn jegliche Art von Gewaltanwendung ist nicht denkbar, ohne dass viele Menschenleben riskiert werden.
Eine Aggression ist insofern immer einzigartig, da sie im Prinzip alle Rechte in Frage stellt. Bezogen auf den Staat sind es vor allem das Recht auf politische Souveränität und territoriale Integrität. Das sind zwar international anerkannte Rechte von Staaten, sie resultieren aber ursprünglich aus den Rechten der Individuen (die ja die Bürger eines Staates sind) und erhalten von diesen ihre Legitimation. Schließlich werden im Krieg nicht einfach nur Staaten angegriffen, sondern vielmehr ihre Bürger, deren individuelle Rechte durch einen Krieg rigoros gebrochen werden - ob es sich nun um das Recht auf Freiheit, auf Leben oder politische Selbstbestimmung handelt. Alle Werte und Rechte einer Gesellschaft sind durch eine Aggression in ihrem Bestand gefährdet. Dies ist der Grund, warum bei Aggressionen immer von den Rechten der von einer Aggression Betroffenen die Rede ist.
Dabei lassen sich in entsprechenden Konflikten zwei Vorgehensweisen erkennen: Erstens gibt es im Fall von Aggressionen die klare Präferenz einer militärischen Antwort, wenn eine Aggression begonnen hat. Und zweitens, wenn Kämpfe ausbrechen, muss es immer einen Staat geben, gegen den das Recht durchgesetzt werden soll und werden kann. Dies erlaubt es, zwei Arten von Kriegen zu rechtfertigen: Einerseits die Selbstverteidigung eines Opfers von Aggression, andererseits die Rechtsdurchsetzung durch den betroffenen Staat oder die ihm zuteil werdende Unterstützung durch jedes andere Mitglied der internationalen Gemeinschaft. Das heißt, unbeteiligte Dritte müssen als Teil der Staatengemeinschaft nicht zuschauen, sondern können und sollen sich bei der Rechtsdurchsetzung beteiligen. Die USA beanspruchen im Irak-Konflikt genau eine solche Position für sich.
Es ist aber zu berücksichtigen, dass - um einen Krieg rechtfertigen zu können - erst einmal eine Aggression stattgefunden haben oder nachweisbar unmittelbar bevorstehen muss. Unter keinen anderen Vorzeichen darf Gewalt in der internationalen Gemeinschaft ausgeübt werden, auch nicht wegen vorhandener Differenzen in politischen oder religiösen Angelegenheiten. Wird keine unmittelbare Kriegsgefahr nachgewiesen, darf es per se auch nicht zu kriegerischen Handlungen gegen einen Staat kommen. Zweifelsohne kann ein Staat aber in den Krieg ziehen, wenn er sich gegen eine immanente Aggression verteidigt, die zwar faktisch noch nicht stattgefunden hat, aber unmittelbar bevorsteht.
Ein solcher »Präventivkrieg« erfordert allerdings Kriterien, um die unmittelbare Gefahr zu messen. Diese Kriterien jetzt und für immer festlegen zu wollen, ist ausgeschlossen - ein Phänomen jeglicher Präventivkriege, besonders ihrer reduzierten Form, der dank moderner Kriegstechnik geführten »Präventivschläge«. Wohl können eine Generalmobilmachung, Grenzverletzungen, Truppenmobilisierungen, Militärallianzen oder Seeblockaden bereits als Bedrohung gelten, generell jedoch müssen drei Grundbedingungen gegeben sein, um von einer unmittelbaren Bedrohungssituation zu sprechen: Es muss eine erkennbar aktive Kriegsvorbereitungen geben; es bedarf einer sich manifestierenden Absicht, einem anderen Staat Schaden zufügen zu wollen; es muss eine Situation vorhanden sein, in der Abwarten statt Kämpfen das Risiko, Opfer einer Aggression zu werden, erheblich vergrößert. Nur wenn diese drei Kriterien erfüllt sind, kann ein Präventivkrieg oder Präventivschlag als legitimiert gelten.
Was Politiker (wie Jörg Schönbohm/CDU im Spiegel) öffentlich verkünden, ohne die obigen Bedingungen zu respektieren, unterminiert das Völkerrecht. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass moderne Kriegstheorien kein Umkehrungsprinzip der Beweislast kennen, wie es jetzt bedauerlicherweise von vielen schlecht ausgebildeten Journalisten in den Raum gestellt wird. Die profane Behauptung, die Beweislast würde jetzt nicht mehr bei den UN-Waffeninspektoren liegen, sondern vielmehr bei Saddam Hussein selbst, ist inhaltlich schlicht falsch. Dies wäre noch verzeihlich, wenn damit nicht automatisch auch eine Enthegung des Völkerrechts postuliert würde, also genau der Rechtsgrundlage, die manche Kommentatoren offenbar nicht kennen und daher auch kein Bewusstsein dafür entwickeln, welche Geister sie mit ihren geistigen Schnellschüssen rufen. Wenn ein Staat künftig seine Unschuld zu beweisen hat, und nicht mehr die internationale Staatengemeinschaft seine Schuld feststellen muss, dann braucht eigentlich die Schuldfrage gar nicht mehr gestellt zu werden, denn jeder Unschuldsbeweis ließe sich in diesem Fall a priori zurückweisen. Abgesehen davon, wäre dann auch zu fragen, wie man beweist, was man eventuell nicht hat. Das scheint ein logisches Paradox zu sein.
Wer im Westen über den Tellerrand blickt, muss hoffen, dass sich die Vereinigten Staaten der Konsequenzen ihres Handelns hinreichend bewusst sind. Nicht, wie oft behauptet, wird ein Krieg durch sein Resultat - die eventuell bessere Nachkriegsordnung für die seit Jahrzehnten unter der Diktatur leidenden Iraker - legitimiert, vielmehr muss ein Krieg bereits im Vorfeld völkerrechtlich legitimierbar sein. Es wäre, auch wenn dies gleichfalls von nicht allzu analytisch versierten Journalisten großer Zeitungen in diesem Land verkündet wird, äußerst zynisch, daran zu glauben, dass eine utilitaristische Verbesserung gegenüber dem status quo ante bellum bereits eine moralische Legitimation von Präventivkriegen darstellt. Der Zweck heiligt auch hier nicht die Mittel.
Der Autor ist Gründungsdirektor des European Institute for International Affairs/Heidelberg. Er unterrichtet Politische Philosophie an der TU Darmstadt. Mit Jens Kertscher Herausgeber von: Die Autonomie des Politischen und die Instrumentalisierung der Ethik, Manutius Verlag, Heidelberg, 2002.
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