Die Intervention der deutschen Regierung in den fertigen Kompromiss der Europäischen Union, dass Autos mit Verbrennermotor nur noch bis zum Jahr 2035 zugelassen werden dürfen, schlägt hohe Wellen. Überraschend fordert Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), dass auch sogenannte E-Fuels nach 2035 erlaubt sein sollen. Wissenschaftliche Studien belegen jedoch, dass die benötigten Mengen dieser synthetischen Kraftstoffe gar nicht hergestellt werden können. Zudem: Der Wirkungsgrad von E-Fuel-Motoren liegt bei etwa 25 Prozent, der mit Strom betriebener Motoren bei 80 Prozent.
Im Streit geht unter, dass auch Elektroautos ressourcen- und klimapolitisch eine Sackgasse sind. Auch wenn für die noch so laut getrommelt wird. Gegen den Optimismus im Hinblick auf „g
f „grüne“ Technologien nimmt die „Kollapsologie“ eine ganz andere Perspektive ein. Es handelt sich um einen neuen wissenschaftlichen Zweig, der seit einigen Jahren vor allem im englisch- und insbesondere im französischsprachigen Raum wichtiger wird. Es geht dabei nicht um Apokalypse oder den großen ökologischen Kladderadatsch. Vielmehr wird der Blick darauf gerichtet, dass und wie angesichts zunehmender ökologischer und wirtschaftlicher Instabilitäten die gesellschaftliche und individuelle Grundversorgung wegbricht. Das kann ein schleichender Prozess sein oder mit plötzlichen Brüchen einhergehen – in jedem Fall ist er sozial und regional höchst ungleichzeitig.Das Handbuch der Kollapsologie von Pablo Servigne und Raphaël Stevens erschien im Original 2015, wurde in Frankreich bisher über 100.000-mal verkauft und hat eine breite Debatte ausgelöst. Die Grundfrage, die gerade für emanzipatorische Politik zentral ist, lautet dabei, wie mit dem Zusammenbruch gelebt werden kann und wie er gestaltet wird – wobei notwendig unklar ist, wie sich solch ein Zusammenbruch manifestiert. Die beiden Wissenschaftler schreiben einleitend zur deutschsprachigen Ausgabe, dass diese Frage bei den meisten Menschen nicht nur eine des Verstehens ist, sondern auch des Fühlens und der Ethik.Das Buch fasst zunächst den Stand der wissenschaftlichen Debatte um exponentielles Wachstum, Erschöpfung der (vor allem billigen) fossilen Energieträger und potenziell auch der metallischen und mineralischen Rohstoffe sowie verschiedene Aspekte der ökologischen Krise (insbesondere Klimawandel und Verlust der biologischen Vielfalt) sehr gut zusammen. Es zeigt die Absurdität der eingangs erwähnten Auseinandersetzungen um E-Autos und E-Fuels auf.Die Rolle des Finanzsystems, das auf Krediten und Schulden basiert, sowie komplexer werdende Lieferketten werden im Hinblick auf die zunehmende Instabilität aufgezeigt. Aus der damit verbundenen Expansionsspirale gibt es unter den bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen kein Entrinnen, sie wird von mächtigen Unternehmen und staatlichen Politiken immer weiter eskaliert.Kollapsologie heißt auch TrauerarbeitEs geht bei der Kollapsologie um den Abschied einer bestimmten Vorstellung von Zukunft, nämlich eines mehr oder weniger ergrünenden „Weiter-so“. Die Autoren sprechen hier von notwendiger Trauerarbeit gegen den „Schockzustand, der einem die Träume raubt“. Das Buch räumt dabei mit dem aktuell im grün-liberalen Spektrum immer und immer wiederholten Versprechen auf, dass wirtschaftliches Wachstum und Ressourcenverbrauch „entkoppelt“ werden können und es beim Umbau der Wirtschaft vor allem um ihre Dekarbonisierung gehe. Das E-Auto ist das Symbol dieses Versprechens, mit dem die herrschende Produktions- und Lebensweise unangetastet bleibt. Trotz aller technologischen Fortschritte wissen wir, dass es viel grundlegenderer Veränderungen und insbesondere in vielen Bereichen eines industriellen Rückbaus bedarf.Das Buch warnt davor, dass von interessierter Seite partielle Zusammenbrüche als eine Art Normalität dargestellt werden könnten. Um im Bild zu bleiben: Auch wenn die Krisen zunehmen, werden E-Autos und womöglich auch mit E-Fuels betriebene Verbrenner uns weiterhin als „Lösung“ im Klimanotstand präsentiert.Bei den Zukunftsperspektiven ist dieses Handbuch der Kollapsologie jedoch enttäuschend. Die Überlegungen zu einer „Politik des Zusammenbruchs“ bleiben unkonkret. Die „Transition-Town-“ und Degrowth-Bewegung werden genannt, es geht viel um die richtige „Haltung“, Boykotte und die Bereitschaft, sich subsistenzwirtschaftlich „vom industriellen System abzukoppeln“, um Veränderungen voranzubringen. Unbeachtet bleiben die Konflikte, die mit der Reorganisierung gesellschaftlichen Lebens angesichts der Zusammenbrüche einhergehen. Die Perspektive der Autoren ist beklemmend eurozentrisch. Denn das Hauptkriterium eines Kollapses – das Wegbrechen der Grundversorgung – war in der Vergangenheit und ist heute die Erfahrung von Milliarden von Menschen in den Ländern des Globalen Südens.DasBuch vermeidet eine genauere Analyse der kapitalistischen Dynamiken und Machtverhältnisse, führt aber immer wieder die zu große und zu schnell wachsende Bevölkerung – ergänzt um den Überkonsum der Reichen – als Grundproblem an. Eine solche kapitalismuskritische Einordnung wird im vorzüglichen Vorwort von Fabian Scheidler vorgenommen. Bei aller Kritik handelt es sich um ein anregendes und im guten Sinne anstößiges Buch.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1