Vor der »Wende« glaubten die Ostdeutschen, Geld sei im Westen das Wichtigste im Leben, heute wissen sie, es ist das Wichtigste. Dennoch verhalten sie sich in Geldangelegenheiten bis heute anders als die Westdeutschen. Zum Beispiel beim Einkauf sind sie weniger preisbewußt und vergleichen nicht ständig. Finanzielle Vorteile, wie Rabatte, Skonti oder Sonderkonditionen werden seltener in Anspruch genommen. Ostdeutsche rechnen weniger und feilschen nicht gern um kleinliche Vorteile. Sie nehmen seltener Kredite in Anspruch und sind weniger geneigt, sich zu verschulden. Sie zahlen ihre Steuern gewissenhafter als Westdeutsche und machen kaum von Steuervorteilen und Steuersparmodellen Gebrauch.
Vor allem aber verhalten sie sich beim Sparen und Anlegen von Geld in viel geringerem
geringerem Maße renditebewußt als ihre westlichen Mitbürger. Nach wie vor werden von ihnen die klassischen Sparformen bevorzugt, die gegenwärtig kaum einen Zins erwirtschaften, oder konventionelle Geldanlagen wie Bundesanleihen und Sparbriefe, die zwar dem Sicherheitsbedürfnis genügen, mit denen sich aber kein Geld verdienen läßt. Typisch ist auch ihre Vertrauensseligkeit gegenüber Banken, Versicherungen und Anlagevermittlern, die so manchem schon zur bösen Falle wurde, bei Spekulationsgeschäften mit Immobilien etwa oder am »grauen« Kapitalmarkt. Woher rührt diese besondere Geldmentalität der Ostdeutschen, die natürlich nicht gleichermaßen für alle zutrifft, für Jüngere zum Beispiel sehr viel weniger als für Ältere, die aber besonders für die in der DDR aufgewachsene und sozialisierte Generation typisch ist?Offenbar wandelt sich das Verhalten der Einzelnen deutlich langsamer, als sich die Verhältnisse verändern. So ließ sich zwar die Währung zum 1. Juli 1990 schlagartig auswechseln, nicht aber das Geldverhalten der Menschen. Die zentrale Planwirtschaft der DDR stellte vor allem auf Naturalgrößen ab und war auf die Erzeugung von Produktions- und Konsumtionsgütern als Gebrauchswerten gerichtet, nicht aber auf Geld und Gewinn. Gleichwohl existierten aber auch hier Markt und Geld, wenn auch in einer gänzlich untergeordneten Bestimmung: als Instrumente der Wirtschaftsplanung und -gestaltung sowie Vermittler des Konsums. Was den ehemaligen DDR-Bürgern fehlt, ist also nicht die Kenntnis markt- und geldwirtschaftlicher Zusammenhänge schlechthin. Sehr wohl aber die absolute Dominanz, die es in einer Markt- und Geldwirtschaft wie der bundesdeutschen gegenüber allen anderen Bestimmungsfaktoren und Werten heute besitzt.Diente das Geld unter den alten Verhältnissen wesentlich als Mittel, um bestimmte Güter zu erlangen, so steht es jetzt selbst ganz oben in der Hierarchie der Werte. Galt in der Planwirtschaft das Geld nur als »potentielle Ware« und sonst nichts, so ist es unter marktwirtschaftlichen Bedingungen gerade umgekehrt, alle Ware gilt nunmehr nur als »potentielles Geld«. Mit dieser Bedeutungsumkehr haben ehemalige DDR-Bürger ihre Schwierigkeiten - das erklärt zum großen Teil die oben aufgezeigten Unterschiede im Geldverständnis.Mehr aber noch als der Bedeutungswandel des Geldes macht den Ostdeutschen sein Charakter als Kapital zu schaffen. Slogans wie: »Lassen Sie Ihr Geld für Sie arbeiten - nicht umgekehrt!« lösen bei ihnen eher Befremden aus als Zustimmung, was sich dann praktisch in ihrem Anlageverhalten niederschlägt. Denn nicht Gewinn-Erzielung und Rendite-Erwirtschaftung stehen hier im Vordergrund, sondern Sicherheit und Liquidität. Anlageformen spekulativen Charakters wie Aktien am Neuen Markt, Optionsscheine und Futures stoßen auf größte Skepzis. Sparbücher, Bundsschatzbriefe, Bausparverträge und Kapitallebensversicherungen dagegen stehen trotz niedriger Zinsen hoch im Kurs. Dies allein mit fehlenden Erfahrungen und mangelnden Kenntnissen erklären zu wollen, überzeugt heute nicht mehr. Die Ursachen dafür liegen offenbar tiefer, nämlich in dem besonderen Geldverständnis der Ostdeutschen, wie es einst von der DDR geprägt wurde. Danach ist Geld Tausch- oder Zahlungsmittel und, in begrenztem Umfang, Reserve für schlechtere Zeiten, Vorsorge für's Alter oder Angespartes für künftigen Konsum, nicht aber Kapital, das Gewinn abwirft und Zinsen bringt.Bis heute überwiegt im Osten deshalb die »Geldhaltung« gegenüber der »Geldanlage«, der »Sparer« gegenüber dem »Anleger«. Man will sein Geld sicher aufbewahrt, nicht unbedingt aber verwertet sehen. Die kürzlich von der Bundesbank veröffentlichten Daten zur Vermögensstatistik bestätigen diese Einschätzung. Danach waren die Geldvermögenserträge der Privathaushalte im Westen 1997 mit 5.100 DM je Haushalt rund dreieinhalbmal so hoch wie im Osten, wo sie ca. 1.600 DM betrugen. Und die Nominalrendite, die die privaten Haushalte mit ihrem Geldvermögen erzielten, lag im Westen deutlich höher als im Osten. Dies hat natürlich etwas mit dem Umfang der Geldvermögen zu tun, mehr aber noch mit deren Struktur, und ist insofern zu einem beträchtlichen Teil dem unterschiedlichen Geldverhalten der Menschen in Ost und West geschuldet. Die Ostdeutschen sind, was ihr Geldverständnis anbetrifft, inzwischen zwar mehrheitlich in der Marktwirtschaft angekommen, aber noch nicht im Kapitalismus.