Grüner Relaunch in Magdeburg

LÄNDERRAT Kann man eine Partei wie einen Markenartikel verkaufen?

Am letzten Wochenende war einmal mehr Wundenlecken angesagt. In Magdeburg traf sich der Grüne Länderrat, um Wege aus der Gefahr zu beratschlagen. Lang und breit wurde beklagt, dass die WählerInnen nicht mehr wüssten, wofür die Bündnisgrünen stünden. Vielleicht wissen sie das aber doch. Warum sollten WählerInnen nicht klar sehen, dass diese Partei mittlerweile fast alle Positionen geräumt hat, für die sie vor einem Jahr gewählt wurde? Das Bundestagswahlprogramm wurde "im Antiquariat abgegeben", wie Antje Radcke es auf den Punkt brachte. Das ist für bisherige grüne WählerInnen nicht sonderlich attraktiv, neue WählerInnen haben sich bisher nicht eingefunden.

Wie wollen die Bündnisgrünen nun aus der "tiefen Krise" herauskommen? Beim Länderrat wurden vier Rezepte gehandelt.

Erstens müsse man die eigenen Erfolge in der Regierungsarbeit besser darstellen (Kommunikationsoptimierung), zweitens geschlossener auftreten (Disziplin), drittens wieder eine klar erkennbare Politik machen (Programm) und viertens die Partei professionalisieren (Strukturreform). Während es in puncto Kommunikation und Disziplin wiederkehrende allgemeine Appelle gibt, wird an den beiden anderen Rezepten kräftig gearbeitet.

Eine klar erkennbare grüne Politik könnte das Führungspersonal natürlich leicht machen. Es müsste sich einfach nur an das gültige Bundestagswahlprogramm für die Jahre 1998-2002 halten. Den entsprechenden Vorschlag unterbreiteten 60 Berliner Grüne dem Länderrat per Zeitungsanzeige. Sie forderten: "Wir und unsere WählerInnen erwarten: Haltet Euch endlich daran!" Aber das war ja schon immer nicht eben die Sache der Bundestagsfraktion. Statt dessen soll nun ein neues Grundsatzprogramm her. Diese Operation kann zwei verschiedene Resultate zeitigen. Möglichkeit eins: Es werden ins Programm grüne Werte hineingeschrieben, und das Führungspersonal ignoriert diese in bewährter Manier. Möglichkeit zwei: Es wird ein Programm für die Neue Mitte geschrieben, also das Führungspersonal macht die eigene Praxis zum Programm. Ein grünes Bad Godesberg also. Angesichts dieser Aussichten hält sich der Enthusiasmus der Basis an der Programmarbeit in Grenzen.

Natürlich ist es utopisch, allein durch urgrüne Beschlüsse das verspielte Vertrauen zurückzugewinnen. Dazu bedarf es mehr: Es muss auch glaubwürdiges Personal für eine solche politische Linie bereitstehen. Mit dem vorhandenen ist das sicher nicht zu leisten. Rücktritte wären unvermeidbar. Eine bescheidene Personalreserve steht allerdings sogar in der Bundestagsfraktion noch bereit. An die Stelle von Rezzo Schlauch und Kerstin Müller könnten zum Beispiel Christian Ströbele und Annelie Buntenbach treten. Aber das forderte natürlich niemand auf dem Länderrat. Vielmehr warnte Schlauch vor Sündenbock-Debatten, wobei er vermutlich gar nicht sich selbst im Auge hatte.

Eine im März 1999 eingesetzte Strukturreformkommission empfahl in ihrem Bericht die behutsame Anpassung an das Marktübliche, also die Strukturen der anderen Parteien. Dazu soll die Macht bundesweit in einem 15-köpfigen Parteipräsidium konzentriert werden. Konsens war in der einseitig besetzten Kommission die Aufhebung von Amt und Mandat für Präsidium und Bundesvorstand, es ging nur noch um das Ausmaß. Im Länderrat fanden sich immerhin noch 15 Delegierte, die dagegen votierten. Nicht unwichtig ist die geplante Verringerung der Delegiertenzahl bei Bundesparteitagen (1/3 weniger). Damit würde die Rechtsverschiebung in der Partei nach dem Kosovo-Parteitag strukturell abgesichert (wegen der grünen Zustimmung zum NATO-Krieg verließen fast 5 Prozent der Mitglieder die Partei). Da die meisten Kreisverbände in Zukunft nur noch eine(n) Delegierte haben, wird diese natürlich von der Mehrheitsströmung im Kreisverband gestellt, und das dürfte in der Regel die sein, die die Politik des Führungspersonals unterstützt.

Dank all dieser Reformen könnte die Bundestagsfraktion ihre Macht über die Partei weiter festigen und absichern. Damit erhielte genau das Personal, das die Grünen in die aktuelle Krise hineingeführt hat, mehr Macht. Insofern wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass weiterer Schaden für die Partei angerichtet würde.

Aber das sieht das grüne Parlamentspersonal natürlich anders. Dessen Vorteil liegt übrigens auch darin, dass durch das eigene Eindringen in die Parteistrukturen potentielle KonkurrentInnen niedergehalten werden können. Denn in der Vergangenheit konnten viele PolitikerInnen Parteiposten als Sprungbrett für eine spätere Parlamentskarriere nutzen. Das würde auf Bundesebene erheblich erschwert.

Nun sollte man die Entwicklung bei den Bündnisgrünen nicht als Kamikaze-Strategie missverstehen. Denn neben der Option, programmatisch, alltagspolitisch und personalpolitisch auf den grünen Pfad der Tugend zurückzukehren, gibt es eine zweite. Sie ähnelt dem Vorgehen von Markenartikelherstellern, die hin und wieder für eine Marke einen Relaunch durchführen. Im grünen Falle würde der Markenartikel, pardon, die Partei als Fischer-Partei umpositioniert. Böse Zungen nennen das Flucht in den Absolutismus. Die Aufgabe wäre, das hohe Ansehen des Außenministers in der Bevölkerung auf die Partei zu übertragen. Da das nicht zuletzt auf der deutschen Beteiligung am Angriffskrieg gegen Jugoslawien basiert, wären ein paar olivgrüne Programmtupfer sicher passend. Damit die Imagekampagne erfolgreich laufen kann, müssen die Störpotentiale in der Partei selbst ausgeschaltet werden. Zum Beispiel mittels einer Strukturreform. Eine Fischer-Partei ist übrigens nicht zwingend auf eine Parteibasis angewiesen. Sie könnte - wie ein Markenartikelhersteller - genauso gut Werbedamen einsetzen, die den VerbraucherInnen im Supermarkt oder eben in der Fußgängerzone Produktproben anbieten. Aus der Wirtschaft wissen wir, dass manche Relaunch-Kampagnen erfolgreich verlaufen, die Marktanteile steigen dann wieder. Andere können den Abwärtstrend einer Marke nicht stoppen.

Ulrich Cremer ist Herausgeber des gerade erschienenen Buches "Nach dem Krieg ist vor dem Krieg" und war Initiator der grünen Anti-Kriegs-Initiative. Bis Februar 1999 Sprecher des Fachbereichs Außenpolitik bei Bündnis 90/ Die Grünen

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