Sieben verschenkte Jahre

Vor dem "Grünen Ratschlag" in Bonn Die Bilanz der rot-grünen Außenpolitik sollte Anlass rückhaltloser Aufarbeitung sein

Wer eine nüchterne Bilanz rot-grüner Außenpolitik zieht, kann nur mit dem beginnen, was in diesen Jahren zum absoluten politischen und moralischen Tiefpunkt wurde. Ausgerechnet eine rot-grüne Regierung war für den ersten Angriffskrieg der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich. Dieser Sündenfall wird auch nicht durch die Sternstunde rot-grüner Außenpolitik, die Opposition gegen den Irak-Krieg, aufgewogen. Im Gegenteil, konnte doch in diesem Fall den Vereinigten Staaten die Gefolgschaft verweigert werden, ohne dass es zu einem Bruch des westlichen Bündnisses kam. So war dies auch ein Beweis dafür, dass es durchaus Spielräume für verantwortungsbewusste deutsche Außenpolitik gab.

Wollen die Grünen heute zu einem friedenspolitischen Kurs zurück finden - und der "Grüne Ratschlag" an diesem Wochenende in Bonn könnte dazu einen bescheidenen Beitrag leisten -, sind nicht nur programmatische Korrekturen zwingend. Es ist unverzichtbar, dass die Grünen ihre eigene jüngste Vergangenheit aufarbeiten. Nicht nur bei jeder Bundestagsentscheidung über die Fortsetzung eines Bundeswehreinsatzes werden die grünen Abgeordneten mit der Nase auf die Folgen rot-grüner Regierungsentscheidungen gestoßen. Ohne Aufarbeitung der Vergangenheit wäre eine zukünftige Friedenspolitik nicht glaubwürdig.

Dazu gehört, sich nachträglich einzugestehen, dass der von den Grünen in die Regierung entsandte Außenminister nie wirklich in den außenpolitischen Strukturen der Partei verankert und den Positionen der Partei verpflichtet war. Entsprechend hat sich die Besetzung des Auswärtigen Amtes für grüne Politik nicht ausgezahlt. Sie war ein Fehler.

Fischer setzte auf Kontinuität und vermied jeden Bruch mit Schwarz-Gelb. Zur Begründung hieß es, Kontinuität sei "die Voraussetzung für neue Spielräume". Nur wurde kein neuer Spielraum gesucht, vielmehr wurden friedenspolitische Spielräume durch den Dammbruch des Jugoslawienkrieges weiter eingeschränkt. Deshalb kann nun die große Koalition gleichfalls auf Kontinuität setzen und bruchlos fortsetzen, was unter Rot-Grün getan wurde - die sieben Fischer-Jahre bleiben, so bitter es klingen mag, für eine grüne Außenpolitik überwiegend verschenkte Jahre.

Bald nach seiner Amtsübernahme avancierte der Außenminister sogar zu einem Aktivposten bei der ideologischen Absicherung des NATO-Krieges gegen Jugoslawien. Fischer nutzte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, um wichtige Untersuchungsergebnisse zu dem angeblichen Massaker von Racak im Januar 1999 zu unterdrücken und zu manipulieren. Das half besonders in psychologischer Hinsicht ungemein, das Terrain für den Ende März beginnenden Luftkrieg der NATO zu bereiten.

Es lag in der inneren Logik dieser Politik, dass die rot-grüne Regierung Ende April 1999 der in Washington verabschiedeten neuen NATO-Strategie zustimmte. Darin behielt sich das Bündnis unverändert den Ersteinsatz von Atomwaffen vor. Außerdem wurde mit Blick auf den Jugoslawien-Krieg bekräftigt, dass die NATO auch künftig Kriege jenseits des Völkerrechts zu führen gedenke. Auch die rot-grüne Bundesregierung tat so, als ob fortan politisch und moralisch begründete Entscheidungen der westlichen Allianz das Völkerrecht ersetzen könnten. So darf die Beteiligung an einem weiteren völkerrechtswidrigen Krieg in Afghanistan ("Enduring Freedom" ab Oktober 2001) nicht überraschen. Hier ist insbesondere an den Einsatz des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr zu erinnern. Die parallel organisierte ISAF, an der sich Deutschland beteiligt, beruht zwar auf einem rechtskonformen Kapitel VII-Mandat der UN-Charta (Friedenserzwingung), bleibt aber wegen ihrer Vermischung mit "Enduring Freedom" fragwürdig.

Im Windschatten deutscher Kriegsbeteiligungen trieb Rot-Grün den Umbau der Bundeswehr zur Angriffsarmee voran. Die grünen Bemühungen, die Wehrpflicht abzuschaffen, standen in keinem antimilitaristischen Kontext mehr, stattdessen wurde daraus das Projekt, die Streitkräfte möglichst effizient in eine Interventionsarmee zu verwandeln. Nicht zuletzt unterstützte die rot-grüne Regierung intensiv das Konzept, die EU zu einer Militärmacht mit globalem Anspruch auszubauen. Die entsprechenden Passagen im EU-Verfassungsvertrag sowie die 2003 verabschiedete ESS (European Security Strategy) standen in völligem Einklang mit den in Berlin geltenden Vorstellungen - der schwarz-rote Koalitionsvertrag bekennt sich nicht zufällig zu beiden Dokumenten. Für den SPD-Politiker und EU-Kommissar Verheugen gilt "das Gebot der Stunde..., dass sich Europa etablieren muss als eine Weltmacht, die einen Gestaltungsanspruch erhebt."

Mit dem zivilen Friedensdienst, der Bundesstiftung Friedensforschung und dem Aktionsplan "Zivile Krisenprävention" hat Rot-Grün - auch das sei ausdrücklich vermerkt - mit Blick auf nicht-militärische Alternativen positive Akzente gesetzt, obwohl die finanzielle Ausstattung gemessen am Militäretat sehr bescheiden blieb. Der Aktionsplan entkam jedoch nicht dem Würgegriff des Militärischen, zieht man nur das NATO-Kapitel in Betracht. Die große Koalition wird laut Koalitionsvertrag auch auf diesem Feld Kontinuität walten lassen.

Wenn derzeit so viel von "moderner linker Politik" die Rede ist, sollten sich die Grünen eines eingestehen: Wir befinden uns an einem Scheideweg - im Zeichen globaler und imperialer Unilateralität ist der Krieg wieder als legitimes Mittel der Politik in seine zweifelhaften Rechte eingeführt worden. Mit welch verheerenden Folgen offenbart nicht nur der Irak. Es wäre zu wünschen, die Grünen wollten sich nicht weiter für eine solche Politik einspannen lassen und auf den Weg zurückfinden, der friedespolitisch verantwortungsbewusst und völkerrechtlich zweifelsfrei ist. Diesem gehört die Zukunft, auch wenn man dafür als "ewiggestriger Legalist" verschrien werden sollte.

Zum Weiterlesen: Uli Cremer: Enttäuschung friedenspolitischer Hoffnungen, in: Schwarzbuch Rot-Grün, VSA-Verlag, Hamburg 2005


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