Wer wen?

Vor dem grünen Sonderparteitag Der Streit um die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg wird die Partei Mitglieder kosten

Wie geschlossen stehen die Grünen hinter der Regierungspolitik? Der Parlamentarischen Staatssekretärin im Umweltministerium Gila Altmann wurde durch Kanzler Schröder der Rücktritt nahegelegt, weil sie die Bomben auf Jugoslawien für abenteuerliche Politik hält. Ihr Partei»gegner« und Außenminister Fischer legt einen Friedensplan vor, der nichts wesentlich anderes als Rambouillet enthält, die NATO lehnt ihn ab. Umweltminister Trittin hält sich in der Kabinettsberatung mit interpretierbaren Aussagen zurück, in den USA fragt er, ob es klug ist, Heizkraftwerke zu bombardieren. Der Streit um den Krieg ist zum Streit um demokratische Meinungsfreiheit und die politische Substanz grüner Politik geworden ...

Nachdem die Grünen im Oktober 1998 in der allgemeinen Koalitionsbesoffenheit den von ihrem Bundestagspersonal mitgetragenen Vorratsbeschluß für NATO-Luftangriffe klaglos hingenommen hatten, brachen Ende März Wut und Empörung aus, als der Beschluß in die Tat umgesetzt wurde. Der Protest materialisierte sich in der Grünen Anti-Kriegs-Initiative, deren Aufruf inzwischen mehr als 1.000 ihrer FunktionsträgerInnen, Abgeordnete und Basismitglieder unterzeichnet haben. Auch viele »Realos« besannen sich auf friedenspolitische Wurzeln. Zahlreiche Kreisverbände faßten Beschlüsse zur sofortigen Beendigung des Krieges. Der Bundesvorstand berief deshalb einen Sonderparteitag für den 13. Mai ein. Also hielten sich Parteiaustritte wegen der Grünen-Unterstützung des NATO-Angriffskriegs in Grenzen. Allerdings: Viele machen ihre Entscheidung vom Verlauf des Parteitags abhängig: Unterstützt er den Kriegskurs, dürften mehrere tausend Mitglieder, darunter viele Funktionsträger und ganze Orts- und Kreisverbände die Partei verlassen.

Zwar hat sich die Gemengelage vor dem Parteitag noch nicht endgültig sortiert, aber insgesamt lassen sich drei Gruppen in der Partei ausmachen. Die erste Gruppe umfaßt die Mehrheit der Bundestagsfraktion und auch zahlreiche FunktionsträgerInnen und Abgeordnete auf Länderebene. Es handelt sich um ein Bündnis des klassischen rechten Flügels um Fischer, Schlauch und Sager, angereichert um Personen wie Ludger Volmer, Angelika Beer und Kerstin Müller aus dem Spektrum des linken Babelsberger Kreises. Ihr Interesse ist, eine klare Unterstützung der Kosovo-Politik der Regierung und damit des NATO-Angriffskrieges in der Partei zu erreichen. Das wäre gewissermaßen die endgültige olivgrüne Wende der Grünen. Ihr Hauptargument: Jeder andere Beschluß gefährde die grüne Regierungsbeteiligung. In diesen Kreisen würde sicher die eine oder andere Champagner-Flasche geköpft, wenn die antimilitarischen und pazifistischen Störenfriede nach dem Parteitag gehen würden.

Davon zu unterscheiden ist die zweite Gruppe, die von linken Bundestagsabgeordneten wie Christian Sterzing, Winni Nachtwei und Claudia Roth gebildet wird, aber auch an der Basis Anhänger hat. Sie hat anfangs die NATO-Bombardierungen unterstützt, bilanziert nunmehr jedoch nüchtern, daß die Ziele nicht erreicht wurden. Um der Politik wieder eine Chance zu geben, wird auf eine »begrenzte Waffenpause« orientiert. Außerdem wird erklärt: »Einer Beteiligung der Bundeswehr an Bodentruppen werden wir nicht zustimmen.« Gleichzeitig sieht diese Gruppe Friedensbemühungen der Bundesregierung und unterstützt den Fischer-Plan. Schließlich enthält dieser Neuaufguß von Rambouillet eine 24-stündige Feuerpause, die allerdings daran gekoppelt ist, daß die Serben vorher mit einem Truppenabzug aus dem Kosovo beginnen. In der Frage der internationalen Truppe zur Waffenstillstandsüberwachung fordert sie übereinstimmend mit dem Außenminister ein UN- oder OSZE-Mandat, »wenn nötig ohne Beteiligung der an dem Konflikt beteiligten Parteien«, also ein friedenserzwingendes Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta. Die Neutralität der Truppen ist kein Essential, denn eine Beteiligung der kriegführenden NATO-Staaten wie Deutschland wird nicht ausgeschlossen. Dilemma dieser Mittel-Gruppe ist, daß sie mit der Durchsetzung ihrer Position ebenfalls den erwähnten Massenexodus von KriegsgegnerInnen auslösen würde, mit dem Effekt, daß sie dadurch selbst in der Partei strukturell in die Minderheit geriete. Diese Gruppe sollte ein Interesse an Bündnissen mit den konsequenten KriegsgegnerInnen in der Partei haben.

Die bilden die dritte Gruppe. Sie eint die prinzipielle Ablehnung des NATO-Angriffskrieges von Anfang an. Man gibt sich nicht mit Feuerpausen zufrieden, sondern verlangt die bedingungslose Beendigung der NATO-Bombardierungen, was die deutsche Bundesregierung durch ein Aufkündigen der deutschen Beteiligung befördern könnte. Diese Gruppe wird im Bundestag von acht Abgeordneten repräsentiert, darunter Christian Ströbele, Annelie Buntenbach sowie zwei der insgesamt drei Grünen MdBs aus dem Osten, Sylvia Voss und Steffi Lemke. Ihren politischen Einfluß bezieht sie im wesentlichen aus der Grünen Anti-Kriegs-Initiative. Allerdings ist sie nicht einheitlich. Sie zerfällt wiederum in zwei Teile: Der eine will bei einer Niederlage auf dem Parteitag die Partei verlassen, der andere kann sich vorstellen, auch als Minderheit weiter bei den Grünen zu bleiben, obwohl ihm dann die völlige Marginalisierung droht. Entsprechend der unterschiedlichen perspektivischen Leidensbereitschaft würden sich die einen mit einem inhaltlich klaren Beschluß, der auch eine Kritik an dem Verhalten der grünen Regierungsmitglieder enthielte, zufriedengeben, während andere der Mißachtung eines solchen Beschlusses durch die grüne Bundestagsfraktion vorbauen wollen. Sie hat schließlich im Brechen von friedenspolitischen Parteitagsbeschlüssen eine langjährige Erfahrung. Die Differenz markiert mehr als ein taktisches Geplänkel, da für viele die Identitätsgrenze und die politische Glaubwürdigkeit der eigenen Positionen bei einem folgenlosen Parteitagsbeschluß überschritten wäre.

Auch ein Beschluß, der eine andere Politik verlangt, ohne direkt Rücktritte oder Rückzüge aus der Regierung zu fordern, bliebe nicht folgenlos. Könnte ein Außenminister Fischer nach einem Parteibeschluß, der die Kriegspolitik der Bundesregierung ausdrücklich ablehnt, wirklich einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen? Die Niederlage der KriegsbefürworterInnen auf dem grünen Parteitag hätte vermutlich aber ebenfalls personelle Folgen, die in der Absprengung rechter Teile der Partei gipfeln könnten. Da ein Formelkompromiß in der Frage Krieg und Frieden nicht möglich ist, werden die Grünen nach dem 13. Mai Menschen verlieren. Die Frage, wer gehen wird, ist allerdings offen.

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