58 bis 68 Prozent waren angekündigt

Präsidentschaftswahlen in Tschetschenien Der Sieger Alu Alchanow will den Kurs seines getöteten Vorgängers fortsetzen

Der stille und zurückhaltende Alu Alchanow besitzt die Aura eines Staatsdieners, weniger eines Wahlkämpfers und noch weniger die eines Politikers. Der ehemalige Leiter der regionalen Eisenbahnpolizei Tschetscheniens war der Wunschkandidat von Präsident Putin, und er hat sein Wahlziel mit beträchtlichem Abstand vor den Mitbewerbern erreicht: 73 Prozent der Stimmen gab es für den sechsten Präsidenten seit Ausbruch des ersten Tschetschenien-Krieges Ende 1994.

Zu Wochenbeginn ließ Alchanow keinen Zweifel, den Kurs von Ahmed Kadyrow, seinem bei einem Bombenattentat im Mai getöteten Amtsvorgänger, fortzusetzen. Es werde keinen radikalen Personalwechsel in der Verwaltung der Republik geben. Mit dem im Untergrund lebenden Aslan Maschadow - er regierte Tschetschenien in den Jahren 1997 bis 1999 nach dem seinerzeit mit Moskau ausgehandelten Friedensabkommen - könne es nur dann Gespräche geben, wenn sich dieser für "seine Taten" entschuldige. Bewaffneten Separatisten, die glaubhaft versicherten, sie wollten ins friedliche Leben zurückkehren, könnten diese jederzeit tun - sie würden umgehend rehabilitiert.

Dass der Favorit des Kreml die Abstimmung so klar für sich entscheiden konnte, wunderte in Grosny niemanden. Es war bekannt, dass Alchanow über die nötigen "administrativen Ressourcen" verfügte. Die Verwaltung stand hinter ihm, auch die russische Armee. Was dennoch für Erstaunen sorgte, das war die enorm hohe Wahlbeteiligung. In der Hauptstadt Grosny selbst waren es angeblich 76 Prozent der Wahlberechtigten, die ihre Stimme abgaben.

Auf der Pressekonferenz der Zentralen Wahlkommission wunderten sich deshalb ausländische Beobachter, weshalb Grosny am Wahltag wie eine verlassene und ausgestorbene Stadt wirkte, wenn es einen solchen Ansturm auf die Wahllokale gegeben habe. Ganz offenkundig waren viele Bewohner am Tag vor der Abstimmung aus Angst vor möglichen Terroranschlägen zu Verwandten aufs Land gefahren. Manches Wahllokal blieb deshalb den ganzen Tag über eher verwaist. Der Korrespondent selbst besuchte jeweils eine halbe Stunde lang die Wahllokale 72, 89, 377 und 378, die in Grosny und dessen Umland liegen. In dieser Zeit gaben jeweils zwischen zwei und acht Wähler ihre Stimme ab.

Erst am Tag nach der Wahl kehrte Leben in die Trümmerstadt zurück. Es gab den üblichen regen Autoverkehr, in den Cafés im Zentrum saßen Jugendliche und Männer. Die Frauen mit ihren obligatorischen Kopftüchern eilten zum Markt und in die Geschäfte. Im Wahlkampfstab von Präsidentschaftskandidat und Geheimdienstoffizier Mowsur Chamidow herrschte indes große Verbitterung - die Wahlen seien grob gefälscht worden, hieß es dort. Die Wahlbeteiligung habe bei höchstens 20 Prozent gelegen. Zusätzliche Wahlzettel seien in die Urnen geworfen und Wählerlisten manipuliert worden. Der unterlegene Kandidat zögerte jedoch, mit einer offiziellen Erklärung vor die Presse zu treten, möglicherweise aus Angst vor den Konsequenzen. In Tschetschenien reicht heute ein Funken, um bewaffnete Auseinandersetzungen zu provozieren.

Bereits vor dem Votum hatten einige russische Zeitungen erklärt, dass die Bezirksleiter der Wahlkommission die Anweisung erhalten hätten, für den Kandidaten Alchanow ein Ergebnis zwischen 58 und 68 Prozent "zu organisieren". Dass es am Wahltag dann sogar 73 Prozent wurden, ist offenbar das Ergebnis einer so kaum erwarteten Planüberfüllung.


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