Hätte man die Markthändler von Tiflis gefragt, ob man um Südossetien Krieg führen soll, wäre es wohl zu keinem Waffengang gekommen. Mit wem man auch spricht, von patriotischem Feuer ist auf dem Markt, wo mit Kinderschuhen und Kleidern aus der Türkei sowie Elektronik aus China gehandelt wird, nichts zu spüren. "Normale Leute wollen keinen Krieg", meint Gennadij, ein Kurde, der Armbanduhren aus Dubai verkauft. Spannungen habe man in Georgien schon genug. Um diese Aussage zu unterstreichen, zieht er den Daumen einmal quer über seinen Hals, was soviel heißt wie: Es reicht! Tiflis ist eine multinationale Stadt. Hier leben nicht nur Georgier, auch Armenier, Aserbaidschaner, Kurden und Russen.
Der Flughafen von Tiflis wurde vor einer Woche bombardiert. "Wozu war das gut?" Gennadij wohnt direkt daneben und weiß, wovon er spricht. Für die russischen Kontraktniki - die Vertragssoldaten - und die paramilitärischen Einheiten, zumeist Kosaken und Osseten, die - wie das georgische Fernsehen fortwährend berichtet - plündernd durch die Dörfer zwischen Gori und Zchinwali ziehen, hat er nur Verachtung übrig. Die würden sogar Kloschüsseln wegschaffen. Das Fernsehen zeigt Videos aus verlassenen Banken und Kasernen. Ein Plünderer sagt: "Wir leben wie Obdachlose, und die leben wie Könige". Den Satz kennt inzwischen jeder Georgier. Russische Barbaren eben.
Es gibt in der Hauptstadt fanatische Anhänger von Präsident Saakaschwili, aber es gibt auch eine Opposition. Im November brachte sie fast 100.000 Demonstranten auf die Straße. Saakaschwili ließ sie mit Gasgranaten vertreiben, schloss den einzigen unabhängigen Fernsehsender und verhängte den Ausnahmezustand. Kakha Kukava, Generalsekretär der Konservativen Partei, die zur Allianz von neun Oppositionsgruppen gehört, beklagt sich, dass dieses Bündnis in Europa kaum wahrgenommen werde. In den USA sei die Aufmerksamkeit viel größer.
Seit es Krieg gibt in Georgien, ist die Opposition verstummt. Solange russische Truppen im Land stehen, hätten die Oppositionsführer versprochen, Saakaschwili nicht zu kritisieren, erklärte Kukava. Georgi Chaindrawa - einst Minister für eine Reintegration der abtrünnigen Provinzen und von Saakaschwili 2006 gefeuert - tut es trotzdem. Er ist der Einzige, der es wagt, den Mund aufzumachen. Allerdings kann man seine Interviews nur in deutschen Medien lesen. Die georgischen stehen ausnahmslos unter staatlicher Kontrolle. Chaindrawa erklärte, der Angriff auf Zchinwali sei ein "Verbrechen am eigenen Volk" gewesen.
Damit das in Georgien niemand zu hören bekommt, ließ die Regierung die russischen Fernsehkanäle abschalten und das gesamte russische Internet blockieren. Zum Ausgleich tritt der georgische Präsident inzwischen mehrmals am Tag im Fernsehen auf, manchmal mit einem Flüchtlingskind auf dem Arm. Er wettert gegen die russischen Okkupanten. Von Friedenssehnsucht ist nichts zu spüren. Die Rückgewinnung der abgefallenen Provinzen sei für die Georgier eine Selbstverständlichkeit, die man nicht weiter zu begründen brauche. Dass Saakaschwili bisher kein realistisches Konzept präsentiert, um dies zu erreichen, stört kaum jemanden. "Das ist unsere Erde", hört man in Tiflis immer wieder. Man hat fast den Eindruck, dass es nur um die Erde geht und nicht um die Menschen, die darauf wohnen.
Vier Tage im Krieg und Wodka gegen die Angst
Ihr wollt Südossetien und Abchasien also einfach zurückerobern, ohne mit der Bevölkerung dort zu sprechen?, frage ich Sascha einen jungen Mann mit polnisch-jüdischen Wurzeln, der in einem Internet-Café arbeitet, das eine Bildergalerie von Stalin über Saakaschwili bis Mao schmückt. "Mit der Bevölkerung dort wird es keine Probleme geben, wenn erstmal die Russen weg sind", glaubt er. Dass Südosseten und Abchasen sich bewusst für russische Pässe entschieden haben, wird von den meisten Georgiern schlicht übersehen. So erscheint die Rückführung der abtrünnigen Gebiete als rein militärische Mission. Dass ihr Land vielleicht nur Spielball zwischen den USA und Russland ist, weisen die meisten Georgier, mit denen ich spreche, weit von sich.
In einer Altstadtgasse treffe ich Zura. Der Ökonomie-Student, gerade 18 Jahre alt, war vier Tage als Soldat im Krieg. Am 7. August wurde er eingezogen, obwohl er nur eine Grundausbildung von 20 Tagen hinter sich hatte. Er erhielt einen Kampfanzug, Munition und ein Maschinengewehr und wurde mit einem Bataillon aus lauter Rekruten nach Gori beordert. Zura empfand es als gefährlich und falsch, kaum ausgebildete Leute in den Kampf zu schicken. "Aber was sollten wir sonst machen - wir sind vier Millionen, die Russen sind 150 Millionen." Gekämpft hat er dann aber nicht, nur ein Gelände und eine Straße bewacht.
"Wir hatten Angst", erzählt Zura weiter, "weil wir nichts tun konnten." Suchoi-24-Kampfbomber hätten sie mit Raketen beschossen, die Meter tiefe Krater hinterließen. Nachts sei die Furcht so groß gewesen, dass die Kommandeure Wodka an die jungen Soldaten verteilt hätten. "Später haben die sich einfach abgesetzt und uns allein gelassen."
Vier Tage war der 18-Jährige im Krieg, davon vier Stunden im südossetischen Zchinwali. Auch dort habe er wegen der fehlenden Kampferfahrung eigentlich nur herum gestanden. Dieses Kriegserlebnis lässt Zura dennoch nicht entkommen. Schlafen könne er im Augenblick nur mit Medikamenten. "Wir haben gehofft, dass die Amerikaner kommen", sagt er noch. "Denn gegen Russland kann man nicht siegen. Man muss mit Russland irgendwie auskommen. Wir können Georgien schließlich nicht nach Amerika verlegen."
Pistolen am Gürtel und amerikanische Gewehre im Arm
Wir schreiben den 17. August, an der Peripherie von Tiflis formiert sich ein Auto-Konvoi mit Journalisten, ihr Ziel ist Gori. In dem Örtchen Igoeti, 45 Kilometer von der georgischen Hauptstadt entfernt, wird der Tross von Soldaten gestoppt. Nicht weit davon flattert auf einem Schützenpanzer die russische Trikolore. Komplettiert wird die Szene durch eine Gruppe georgischer Polizisten, die sich unter Bäumen einen schattigen Platz gesucht haben. Sie tragen Pistolen am Gürtel, manche halten lässig amerikanische Gewehre im Arm und warten auf weitere Anweisungen, während von georgischer Armee nichts zu sehen ist. Für die russischen Offiziere an diesem Checkpoint scheint unklar, wie es weiter gehen soll. Kampfgeist oder Stolz spricht nicht aus ihren müden Gesichtern. Die Sonne brennt unbarmherzig. Wenn es niemand sieht, nimmt ein russischer Soldat auch schon einmal einen Schluck Wasser aus der Flasche eines georgischen Journalisten.
Der Vorstoß nach Igoeti war der bisher weiteste ins georgische Kernland. Wadim, ein 22jähriger russischer Soldat aus dem nordkaukasischen Naltschik, der eine viel zu große Militärhose trägt, schimpft: "Wir laufen hier wie die Affen herum. Wir können uns noch nicht einmal rasieren." Ein anderer meint: "Wozu brauchen wir Krieg? Wir wollten auch, dass der Waffenstillstand unterschrieben wird." Ihn störe allerdings, dass damit nicht gleichzeitig die Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien anerkannt wurde.
Plötzlich geht einer der georgischen Polizisten zu dem russischen Kommandeur, der im Schutz eines Hauses die Lage beobachtet, und fragt: "Haben Ihre Leute die Gegend hier vermint?" Der Major will zunächst nichts sagen, antwortet dann aber mit einem unwirschen "Njet".
Irgendwann dürfen wir weiterfahren und passieren ausgebrannte georgische Schützenpanzer und russische Militärfahrzeuge, die in der Gegend Stellung bezogen haben. An der Stadtgrenze von Gori kommt unsere Kolonne erneut zum Stehen. Vier russische Panzer sind zu beiden Seiten der Straße postiert, manche mit Zweigen und Netzen getarnt.
"Ich bin stolz, in Gori zu sein" sagt ein älterer Soldat, der seinen Namen nicht nennen will. Die Geburtsstadt von Stalin umwehe doch immer noch etwas Mystisches. "Natürlich wäre es schöner, wenn ich ohne Waffe, nur mit meiner Frau und meinen beiden Kindern gekommen wäre." Bevor er Vertragssoldat wurde, habe er als Zimmermann in Dagestan gearbeitet. "Irgendetwas" ziehe ihn zur Armee, gesteht er.
Die wenigen Georgier, die noch rund um die Stadt leben, versuchen, die russischen Truppen irgendwie gütlich zu stimmen. Dschemal, ein 67 Jahre alter Mann, erzählt mir, Georgier und Osseten lebten früher in der Umgebung von Gori friedlich zusammen. "Die Luft hat stets für alle gereicht, aber wohl nicht der Verstand." Er unterhält sich ohne Scheu mit einem russischen Soldaten und verspricht, noch eine Kiste Pfirsiche vorbei zu bringen. Im Gegenzug, lässt Dschemal einfließen, bekomme er von den Soldaten Zigaretten. Ein Friedensidyll direkt an der Front.
Plötzlich knattern Schüsse, offenbar aus einem Schützenpanzerwagen. Die Journalisten zucken erschreckt zusammen, manche laufen und suchen Deckung. Noch frisch in Erinnerung ist das Bild einer georgischen Fernseh-Korrespondentin, der einen Tag zuvor eben hier während eines Live-Berichts offenbar von einem Scharfschützen in den Arm geschossen wurde. Die Episode läuft ständig auf allen, noch mit einer Sendelizenz bedachten Fernsehkanälen Georgiens - als Beweis für die Aggressivität der Russen.
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