Die schärfsten Kommentare zur Rückkehr Alexei Nawalnys kamen nicht von der Regierung. Die Oppositionsparteien in der Duma – die KP, die Liberaldemokraten, die Partei „Gerechtes Russland“ – legten sich ins Zeug. Das ist symptomatisch, der Fall Nawalny wird in Russland anders wahrgenommen, als man in Deutschland glaubt.
Es geht weniger um den widerspenstigen Oppositionellen als um einen Russen, der sich in aller Öffentlichkeit mit westlichen Regierungen einlässt, in Deutschland beste Hotels bewohnt und in Regierungslimousinen durch die Gegend chauffiert wird.
Wladimir Schirinowski, Vorstand der Liberaldemokraten, will Nawalny für Jahre im Gefängnis verschwinden sehen. KP-Chef Gennadi Sjuganow glaubt, Ziel Nawalnys sei es, die russische Realität „in den Dreck zu ziehen“ und einen „neuen, jungen Jelzin“ an die Macht zu lotsen. Der werde „noch Schlimmeres“ zustande bringen als Boris Jelzin in den 1990ern, als Russland dem Ruin ins Auge sah. Selbst das liberale Massenblatt Moskowski Komsomolez ist erstaunt, wie Nawalny seinen Gegnern in Russland das Spiel erleichtert. Wenn er im Spiegel-Gespräch gefragt werde, ob Deutschland die Gastrasse Nord Stream 2 stoppen solle, warum antworte er dann, „das ist Sache Deutschlands. Entscheidet selbst“? Die Pipeline sei „kein Spielzeug von Putin“, sondern werde im „nationalen Interesse Russlands“ verlegt, schreibt die Zeitung.
Freilich sollte, wer anderen unpatriotisches Verhalten ankreidet, selbst strengen Maßstäben gerecht werden. Ist es etwa patriotisch, wenn in Russland das Renteneintrittsalter erhöht, Krankenhäuser zusammengelegt und medizinisches Personal oft schlecht bezahlt wird? Wie patriotisch kann es sein, wenn Spitzenbeamte Nebeneinkünfte auf Konten von Familienmitgliedern parken? Und überhaupt, warum nimmt die Vetternwirtschaft kein Ende, obwohl ständig das Gegenteil versprochen wird? Es stellt sich die Frage, warum der Kreml glaubt, man könne Nawalny und seinen „Fonds zum Kampf gegen die Korruption“ allein mit juristischen Mitteln zu Fall bringen. Wäre es nicht angebracht, würden sich besonders staatliche Medien offensiv mit Nawalnys Agenda – Korruption und Machtmissbrauch – beschäftigen, statt diese Gebrechen auszublenden?
Unabhängige Linke wie Boris Kagarlitzky sehen Nawalny als ein Phänomen, das sich Putins repressiver Herrschaft verdankt. Er verweist auf Fälle wie den des jungen Mathematikers Asat Miftachow, der zu sechs Jahren Arbeitslager verurteilt wurde, weil er ein Fenster am Büro der Regierungspartei „Einiges Russland“ einschlug. Der Soziologe Kagarlitzky will nicht ausschließen, dass Nawalny im August während des Aufenthalts in Tomsk von zwei Gruppen des Geheimdienstes beschattet wurde. Eine habe ihn beobachtet, die andere vergiftet, um Putin zu schaden. Die Aktion gehe vermutlich auf Oligarchen zurück, die einen neuen Präsidenten wollen, um westliche Sanktionen loszuwerden. In einem Moment, da alle Duma-Parteien Nawalny als „Verräter“ brandmarken, gehört Mut dazu, darauf zu beharren, dass der Giftanschlag aufgeklärt wird. Kagarlitzky und Leonid Kalaschnikow, KP-Abgeordneter in der Duma, tun das. Russland müsse den Fall selbst untersuchen, sonst werde es „merkwürdig“. Diese Forderung ist nicht ohne Risiko und verdient gewürdigt zu werden, auch wenn sie jenseits der Wahrnehmung westlicher Korrespondenten erhoben wird.
Kommentare 45
Ich muss schon ein wenig schmunzeln. »Wladimir Schirinowski, Vorstand der Liberaldemokraten« - korrekt sollte es heißen: »Wladimir Schirinowski, Vorstand der faschistischen "Liberal-Demokratischen Partei Russlands"«
Warum fällt es Ihnen bei russischen Faschisten so schwer, das F-Wort in die Tastatur zu bringen? Und wenn Sie ihn offenbar als legitimen Teil der auf Nawalny reagierenden russischen Öffentlichkeit sehen, mache ich mir schon ein wenig Sorgen um die russische Gesellschaft.
Quasi als Partner im Duett taucht dann bei Ihnen »KP-Chef Gennadi Sjuganow« auf, wie Schirinowski Teil einer "Schein-Opposition", die ein wenig die Regierung kritisieren, dabei ein paar Stimmen sammeln darf, aber, "wenn's drauf ankommt" natürlich stramm zum Putin-Regime stehen.
Das System aus autokratischer Regierung und nur scheinbar oppositioneller Kräfte, erfüllt vor allem den Zweck, dem System den Anschein demokratischer Legitimität zu geben und einer möglichen echten Opposition (im Gegensatz zu der sie Zugang zu den Medien haben, ungestört Versammlungen abhalten können etc.) Stimmen abzunehmen. Also als in Moskau lebender "Russland-Kenner" hätten Sie doch durchaus ein paar Worte darüber verlieren und - besser wohl - sich andere "Zeugen" gegen Nawalny suchen können.
In einem freilich gebe ich Ihnen (bzw. einer von Ihnen zitierten Stimme) recht. Nawalny als Phänomen mit der Reichweite, die er hat, ist tatsächlich zu guten Teilen ein Produkt von Putins repressiver Herrschaft. Andere Stimmen, die vielleicht (!) etwas mehr als eine reine Einheit im Protest hätten werden können, sind ja für immer zum Schweigen gebracht worden.
Aber zurück zu Nawalny. Er "ärgert" das Regime schon ein wenig. Sein Film über Putins Anwesen (das wirklich ein Skandal ist) ist ja schon millionenfach angeschaut worden. Wilfried Jonas hat darüber in der FC einen kurzen Artikel geschrieben; Sie gehen ja leider darauf nicht näher ein.
Eines noch zur Abstimmung. Sie zielt leider wie so oft nur auf eine Dualität ab ("russophil" vs. "russophob"), welche sich für Außenpolitik (worum es hier ja gehen soll), aber auch selbst schon für eine politische Analyse verbietet.
Denn die Frage nach "Annäherung" oder "Distanzierung" wird nie ohne Bedingungen zu beantworten sein. Außenpolitische Beziehungen hängen von Bedingungen ab. Das haben sie schon immer. Leider fehlen die hier. Das Ergebnis ist Populismus, wie man ihn ja auch Nawalny vorwirft.
die ausländischen fehl-warnehmungen, die überschätzung nawalnys
sind ebenso naiv wie die behauptete wirkungs-losigkeit nawalnys.
man muß schon den wahrnehmungs-dirigismus in putins reich
in anschlag bringen, um naivitäten zu vermeiden.
Zuchst einmal vielen Dnk für die Einschätzung, North Stream 2 sei für Russland ein nationales Interesse. Dem stimme ich vorbehaltlos zu, geht es doch in Wirklichkeit darum, widerspenstige Nachbarländer zu erpressen.
Dann zum Thema Navalnyj und sein Video. Über 50 Mio. Klicks, über 1 Mio. Kommentare, fast nur auf Russisch. Die Begeisterung für das private Eishockeystadion des Präsidenten scheint in Russland ja sehr groß zu sein. Oder sind diese Russen auch nur russophob?
Ich gebe zu, die Reflexe sind schon faszinierend. Alles nur eine böse Verschwörung aus dem Ausland. Klappte schon bei Stalins Schauprozessen prima. Bei manchen funktionieren solche Reflexe halt bis heute.
Es kommt noch ein zweiter Artikel. Die Stilikone Peter York hat sich ja schon mal mit dem Thema Stilfragen in Palästen beschäftigt...
Der Artikel von Jonas ist enttäuschend, weil er nur die PR-Botschaften von Nawalny paraphrasiert. Wichtig wäre, dass endlich mal der handwerksgerechte Journalismus anfängt und kritisch prüft, wie dieses Video zustande gekommen ist und was es zweifelsfrei zeigt. Auch die Frage, wie Drohnenvideos von einem angeblich schwer bewachten Palast zustande kommen können, sollte Anlass für Nachfragen sein. Mir fallen noch weitere Fragen ein. Jedenfalls sind doch die Zeiten vorbei, in denen Videos unkritisch als "Beweis" konsumiert werden konnten.
",Nord Stream 2 sei für Russland ein nationales Interesse. Dem stimme ich vorbehaltlos zu, geht es doch in Wirklichkeit darum, widerspenstige Nachbarländer zu erpressen."
In erster Linie ist es für Deutschland von nationalem Interesse, Nord Stream 2 fertigzustellen. Weil Deutschland sehr viel Gas braucht um seine Energiewende erfolgreich durchzusetzen. Die Kernkraftwerke laufen aus, Kohlekraft versaut die Mitwelt und die alternativen Technologien sind noch nicht flächendeckend installiert. Das US Gas ist zu riskant, weil gefrackt und als Geschäftspartner derzeit nicht gerade als zuverlässig bekannt. Russland braucht Geld, Deutschland bezahlt zuverlässiger als die Ukraine. Noch läuft der Markt für uns alle so, wie Sie ihn sich doch wünschen, oder?
Und wenn wir auf die Leitung verzichteten, liefern die Russen halt an den Drachen! Der hat immer Hunger und bezahlen kann er auch.
Die bisherige Leitung in der Ukraine ist alt und bedarf der milliardenschweren Sanierung und ja, ist für die Energieversorgung Mitteleuropas nicht mehr ausreichend.
Wir können uns keine andere Realität stricken.
Sind Sie sicher, Sie finden hier "handwerksgerechten Journalismus"? Ach ja - "angeblich schwer bewachter Palast" - wieso gibts eigentlich sonst keinerlei Bilder, obwohl das Anwesen seit über 15 Jahren existiert? Mir fallen auch noch enorm viele kritische Fragen ein, aber die finde ich nicht bei dem "handwerksgerechten Journalismus", wenn der Faschist Shirinovskyj gleich mal als Erster zitiert wird...
Sie wollen mir erzählen, die Technik des Frackings wird in Russland nicht angewendet? Ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt, Ihnen fehlen Informationen. Nur ein externer Hinweis, aber Sie dürfen gerne selbst recherchieren, bevor Sie irgendwelche Propagandamärchen erzählen.
Genau, so leicht lassen wir uns nicht instrumentalisieren...
Fracking hin oder her, kapieren Sie das Marktgeschehen doch bitte:
zuverlässige Lieferung gegen pünktliche Bezahlung, so schwer kann es doch nicht sein, die Marktmechanismen zu begreifen?
<< Russland braucht Geld, Deutschland bezahlt zuverlässiger als die Ukraine. >>
Haben Sie in den letzten Jahren, in denen die Ukraine kein Gas mehr in Russland kauft gehört, dass die Ukraine nicht zahlen würde?
Dafür ist ihr "zuverlässiger" Partner Russland, wegen unzulässiger Knebelverträge mehrfach zu Milliardenzahlungen verurteilt worden.
Nicht nur die USA bieten auf dem Weltmarkt Flüssiggas an.
<<Wir können uns keine andere Realität stricken.>>
So ist es.
Wenn die Bundesregierung demokratisch gewählte Volksvertreter aus Gründen des "Staatsschutzes" nicht einmal über den Umgang mit den diversen Rechtshilfeersuchen aus Russland zum Fall Nawalny unterrichten will, sollte das schon sehr zu denken geben.
https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/fall-nawalny-bundesregierung-ignoriert-informationsrecht-der-abgeordneten/
By the way - das Rentenalter in Russland ist auf 65 Jahre für Männer bis 2028 und 63 Jahre für Frauen 2034 angehoben worden...
Von maroden Leitungen in der Ukraine und Streit darüber, wer die bezahlen soll, hab ich gehört
Die internationalen Schiedgerichte bestrafen oft aus wertewestlicher Perspektive Länder wie Russland, Argentinien, Venezuela und so weiter. Mit Gerechtigkeit hat das weniger zu tun..., eher mit den Machtverhältnissen, quasi der Besetzung dieser Schiedsgerichte (WTO) welche mit Amerikanern und Europäern besetzt sind.
<<By the way - das Rentenalter in Russland ist auf 65 Jahre für Männer ...>>
Bei einer Lebenserwartung bei Männern von etwas über 67 Jahren...
Nun ist es aber so, dass sich die Vertragspartner schon bei Vertragsabschluss darauf einigen, vor welchen Schiedsgericht sie eventuelle Streitigkeiten austragen werden. Deshalb kann ich Ihren pauschalen Aussagen nicht so ganz folgen.
Zum Thema Schiedsgerichte ist die Lektüre von Katharina Pistor "Der Code des Kapitals" sehr hilfreich. Und dann wurde hier die Frage aufgeworfen, weshalb es von dem Palast, den es seit 15 Jahren geben soll, bislang keine Bilder gab. Hinzufügen möchte ich die Frage, weshalb es ausgerechnet jetzt Bilder davon gibt? Vielleicht gibt es darauf Antworten mit Recherchegrundlage. Und sei es google earth.
Ideologisch gesehen gibt es halt unterschiedliches Fracking-Gas. Kapieren Sie das denn nicht? :-)
Also selbst die deutsche Wikipedia hat schon vor Jahren einen Artikel über Putins Palast aufgenommen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Residenz_am_Kap_Idokopas
Vielleicht bemühen Sie sich, den russischen Wikipediaartikel zu lesen. Dort können Sie ein Kapitel mit dem Titel Gerichtsfälle finden. Vielleicht wird es klarer, warum es bislang fast keine Bilder gab. Oder ist Ihnen das russischsprachige Wikipedia auch in irgendeiner Art und Weise verdächtig?
Einem Jedem seine ganz persönliche Obsession.
Bei einigen hier Schreibenden habe ich den Eindruck, sie haben noch immer nicht mitbekommen, dass 1989/1990 einschneidende politische Veränderungen in Europa stattgefunden haben. Verblendet von den eigenen Scheuklappen wird noch immer so getan, als müssten grimmige Alt-Stalinisten auf den einzig wahren Pfad des ach so friedliebenden Werte-Westens gebracht werden.
Als Freund bunter Bildchen (ein Relikt aus meiner Schulzeit) habe ich mir heute mal die US-amerikanischen Stellungen um Russland herum angeschaut. Ich wundere mich dabei immer, wie groß das Territorium unserer amerikanischen Freunde ist. Und wo es überall an Russland grenzt.
Dabei habe ich (wieder kommt meine Schulzeit ins Spiel) gelernt:
das größte Land weltweit ist die Sowjetunion (Russland ist zT Rechtsnachfolger), dann folgen Kanada, die VR China ... und erst dann die großen Freunde der Wahrheit (oder was sie dafür halten).
Ups.
Und die Handwerker haben die Fotos gemacht. :-)
Wo kommt denn diese Obsession her, eine besorgte/kritische Sicht des Regimes Putin und seines Tuns, stets mit "mental im kalten Krieg" geblieben zu erklären? Die meisten hier haben den doch selber gar nicht erlebt. Und die, die haben (wie meine Wenigkeit) dürften sehr unterschiedliche Wahrnehmung der Zeit seitdem haben.
Ich erinnere an die Euphoriewelle, die allgemeine - letztlich aber auch die Dinge etwas rosarot färbende - Russlandbegeisterung unter Gorbi, endlich dürfen wir Freunde sein! Kalter Krieg war out. Und richtig so!
Warum sich die Dinge anders entwickelt haben als erhofft, darüber kann man sich ja streiten.
Aber zumindest mal akzeptieren, dass es vielleicht ganz unterschiedliche Beweggründe für von der eigenen abweichende Beurteilungen geben kann. Man muss ja nicht in allem übereinstimmen, aber eine irgendwie eigenständige und informierte Meinungsbildung darf man anderen ruhig unterstellen.
Selber ups.
Es mag an der fehlenden Analysefähigkeit des Lesers liegen, der in den Kategorien denkt, Kritik am russischen System beinhalte automatisch eine Anhängerschaft der USA und der NATO. Nur sollten Sie diese fehlende Lesekompetenz nicht dem Schreibenden vorwerfen.
“(...) stets mit "mental im kalten Krieg" geblieben zu erklären? Die meisten hier haben den doch selber gar nicht erlebt.“
Falls Sie das zeitlich meinen - ich glaube schon. Der überwiegende Teil des Publikums hier ist schon etwas betagter.
Aber Zustimmung, was die Reflexe angeht.
Zum größten Teil ja. Was Navalnyj übrigens keinesfalls verneint. Angesichts der Tatsache, welche Probleme man in Russland bekommen kann, wenn man solche Photos veröffentlicht, legen die Photographen vermutlich keinen sonderlich großen Wert, genannt zu werden...
Damit ist die Lebenserwartung bei Männern seit dem Amtsantritt des "Unholds" Putin immerhin um knapp 10 Jahre gestiegen! Bei Frauen liegt sie aktuell bei fast 78 Jahren.
Es geht doch nicht um gefracktes Gas. Sondern darum, dass wir uns nicht vorschreiben lassen können, mit wem wir Handel treiben, oder? Würden Sie sich den Ast absägen, auf dem Sie sitzen?
Wenn sie uns dann noch den Handel mit China madig machen, frage ich Sie, wie lange dann unsere einzigartige Soziale Marktwirtschaft das noch durchsteht? Ob Sie sich dann immer noch sich auf Uncle Sam verlassen, wenn die Geier von BlackRock über dem Land kreisen? Merz bringt sich schon in Stellung...
...da bin ich total unideologisch wie Manuela Schwesig auch!
Nö. Beim Amtsantritt Putins lag die Lebenserwartung von Männern bei ca. 65 Jahren. Wie kommen Sie da auf 10 Jahre?
Beim Amtsantritt Putins bekamen Männer also etwa 5 Jahre Rente. Nach der Rentenreform sind es dann gut 2 Jahre.
Aber, aber, wieso denn dieses Herumgewabere, hessischer Landsmann? Über das Thema hatten wir doch bereits vor einigen Monaten einen - moderaten - Disput.
Ob es hier im Konkreten mehr an m e i n e r "fehlenden Analysekompetenz oder Lesekompetenz" liegen mag oder eher an I h r e r begrenzten Kompetenz des Ausdrucks, kann nicht zuverlässig geklärt werden.
Ich verlasse mich auf mein Erinnerungsvermögen. Und das zeigt mir sehr deutlich Ausmaß und Vehemenz, in/ mit dem Sie immer wieder russische Versäumnisse, Fehler, Schwächen ... kritisieren. Seien es systemische oder persönlich gefärbte.
Wie wir wissen, hat jedes System seine Schwächen wie Stärken.
Meine Kritik an Ihren Kommentaren:
erstens der mir unsichtbare Fokus auf deutsche/ westliche Missstände,
zweitens die durchgängige Konnotation von Russland als etwas Mangelhaftem.
Bei Letzterem vermisse ich deutliche Grenzziehungen zwischen russischen Machtapparaten und Mächtigen auf der einen, sowie dem russischen Volk auf der anderen Seite.
Soviel erst mal dazu.
>>Ideologisch gesehen gibt es halt unterschiedliches Fracking-Gas.<<
Technisch gesehen gibt es unterschiedliche Transportarten: Röhre oder Verflüssigen und Schiffstransport. Die zweite Technik verbraucht deutlich mehr Energie als die Erste. Das heisst, US-Flüssiggas wäre teurer als Röhrengas. Erst oberhalb einer Weglänge von 5000 km gleichen sich die Kosten an.
Die russische Gasförderung ist allmählich immer weiter nach Norden gewandert und der kürzeste Weg von den nordrussischen Gasfeldern zu einer deutschen Endstation führt durch die Ostsee. Das ist natürlich nicht schön für die Ukraine, die Durchleitungsgebühren verliert. Aber die alte Röhre ist mittlerweile ein zu grosser Umweg, der mehr Pumpleistung erfordert.
Irgendjemand sollte halt an der bösen Geografie schuld sein.
"Sondern darum, dass wir uns nicht vorschreiben lassen können, mit wem wir Handel treiben, oder?"
Genau darauf wollte ich ja hinaus. Aber in einer der letzen, 'verschwurbelten' Äußerungen von Merkel konnte man entnehmen, dass das sehr wohl mit Biden doch noch der Fall sein könnte und dafür die geeignete Story erfinden (muss). Darin ist man aber sehr flexibel/erfinderisch, wenn es um die 'gemeinsamen' Interessen geht.
"mental im kalten Krieg", geblieben zu erklären? Die meisten hier haben den doch selber gar nicht erlebt.
Der Kalte Krieg ist erst 30 Jahre her. Und seine Kälte und Bedrohung werden noch lange nachwirken. Zu knapp sind wir in den 1960igern und 70igern am Atomtod vorbeigeschrammt und laut Nato Statut war Mitteleuropa Brennpunkt vorgesehener atomarer Auseinandersetzung.
Beim Thema Russland, sind wir Deutsche quasi das gebrannte Kind, von daher handelt es sich um ein feinfühliges Thema in unserer Gesellschaft!
Besonders als Jüngerer ist es wichtig sich an der Meinungsbildung zu beteiligen um das Mosaik des Zeitgeschehens aus verschiedenen (heute nicht mehr bi-polar sondern multilateral) geostrategischen Perspektiven sowie medialer Blickwinkel zusammenzufügen.
Der Kluge hört auf den Rat und Erfahrung der Alten - mit dem Wissen, daß niemand so gut lehrt, wie das Leben...
Wir brauchen uns nicht um ein paar Jahre zu streiten. Tatsächlich gehe ich davon aus, dass jemand, der 1990 noch nicht auf der Welt oder zu jung war für Politik beim Erwachsenwerden eine ganz andere Welt kennengelernt hat als die älteren.
Also sezieren wir mal: Für das Jungvolk (sagen wir mal: alle bis 40) ist der Kalte Krieg nicht mehr als Geschichte, von der sie gehört oder gelesen haben. Die Mitte dazwischen, der ich angehöre, hatte die Eskalation in den 1980er Jahren erlebt, davon die Schnauze gestrichen voll und war heilfroh, dass das vorbei war. Schließlich unsere schon-länger-Pensionäre dürften von allem so ein bisschen haben.
Überhaupt ist die Phase einer "Feindschaft" mit Russland eher eine kurze, wenn man die Geschichte bemüht. Sie macht im Grunde nur das 20. Jahrhundert aus, und das ist letztlich nur eines von vier Jahrhunderten, wo sich die Frage überhaupt stellt.
Und eine gewisse Russophilie hat sich nach 1990 auch hier im Westen schnell wieder ausgebreitet, bis hin zu einer gefährlichen Naivität bezüglich der russischen Führung und ihrer imperialen Ambitionen.
Interessant, nein, im Grunde demagogisch ist auch, dass Herr Heyden in seiner kleinen Umfrage auch nur genau auf dieser Welle reitet: willst Du eine Annäherung oder eine Distanz? Ein freundliches "ich mag Dich, solange Du Dich benimmst", wie es eigentlich im Umgang mit allen Nationen der Welt als adäquat gilt, kommt bei den Optionen "leider" nicht vor...
Bei Letzterem vermisse ich deutliche Grenzziehungen zwischen russischen Machtapparaten und Mächtigen auf der einen, sowie dem russischen Volk auf der anderen Seite.
Die können Sie voraussetzen. Mit einer Einschränkung. Seit 2014 gibts nun einmal diesen Krieg Russlands in der Ukraine, der von Teilen der russischen Bevölkerung mitgetragen wird (aktiv wohl eher nur geschätzt von 25%). Da ich mich oft in der Ukraine aufhalte, können Sie sich vorstellen, wie ich auf Russen reagiere, die Putins Expansionskrieg reagieren. Da fällt mir allerdings bei in Deutschland lebenden Russen auf, wie schlecht die oftmals informiert sind. Und das wiederum den Deutschen oftmals völlig zurecht vorwerfen.
Übrigens lese ich die Navalnyj-Berichte vermutlich aus einem völlig anderen Blickwinkel als Sie. Nämlich aus dem osteuropäischen Blickwinkel. Es dauerte eine ganze Zeit, bis ich verstand, was die Ukrainer bei ihren drei langen Demonstrationen 1989, 2005 und 2014 auf dem Maidan wollten. So richtig habe ich das erst 2014 verstanden. Auch durch viele Gespräche mit vielen unterschiedlichen Menschen in der Ukraine aus allen Regionen des Landes. So ähnlich sehe ich das auch in Russland - zum Beispiel 2011/12. Ich schaue auch gerne auf die russische Musikkultur wie zum Beispiel IC3PEAK, da diese die junge Generation viel besser widerspiegelt. Die Gesellschaftsbeschreibung erinnert mich da schon an die Texte aus der Frühphase von Viktor Zoj und Kino.
Wenn man mir also das westliche NATO/USA-Denken vorwirft, muß ich immer an Alik aus Lviv denken, den ich dort oft treffe. Dem wurde das in den 1970ern auch vorgeworfen. Heute sicherlich auch wieder. Man schüttelt halt den Kopf und bedauert solche Leute wie Ulrich Heyden. In der Endphase der Sowjetunion pilgerten halt auch die russischen Hippies nach Lviv. Einige davon kennt heute jeder Russe...
Zu Alik noch ein Link. Mit zwei Ergänzungen. Im Artikel steht nicht, die Haupttreffpunkte der Hippiekultur waren im Baltikum und im Lviv. Und ich treffe ihn nie in der Oper, sondern in seinem Lieblingscafé. Dort habe ich ihn auch kennengelernt, da ich jeden Morgen in diesem Café bin, wenn ich diese Stadt besuche.
Zum Thema "unsichtbare Fokus auf deutsche/ westliche Missstände". Wenn das Thema Osteuropa ist, warum sollte ich dann zu anderen Themen etwas schreiben? Sämtliche Artikel von mir beschäftigen sich mit Osteuropa. So what?
Danke für Ihre anschaulichen Ausführungen.
Lviv ist das frühere Lemberg?
Wenn Sie ausschließlich zu Osteuropa schreiben, dürfen Sie das natürlich - und sich auch dafür von mir kritisieren lassen.
Immerhin leben wir hier NICHT in Osteuropa, sondern ... erraten. Und zu HIER gibt es vieles zu sagen und schreiben. Stichwort: der Dreck vor der eigenen Haustüre.
Btw: Vorwerfen sieht bei mir anders aus. Das dürfen Sie mir glauben. Ich habe anschauliche Kreidevorräte gebunkert, von denen ich regelmäßig konsumiere.
Ja. Lemberg/Lviv/Lvov - wie es euch gefällt ;-). Und ich habe nichts gegen Kritik. Ich nehme mir ja auch heraus, Herrn Heyden zu kritisieren, wenn er ausgerechnet Shirinovskyj und Syuganov für sein Anliegen zitiert...
Was das Thema Sorgfalt bei der Auswahl von Bundesgenossen angeht, stimme ich Ihnen gerne zu.
Meine Lernprozesse in der "roten Hochburg" Marburg der 1970er, als ich politisch sozialisiert wurde, waren sehr hilfreich.
Sie wissen ja: auch eine stehengebliebene Uhr zeigt zweimal am Tag die richtige Uhrzeit an. Und so habe ich gerne auch politischen Gegnern Achtung und Respekt gezollt, wenn ich in Einzelfragen zugestimmt habe.
Auch (oder: gerade) Gegnerschaften wollen gepflegt werden. ^.^
Hier sind wir ja unter uns. Nixon als Vorbild für Biden zu postulieren. Mein Tag begann mit Kopfschmerzen vom vielen Kopfschütteln...
Ich neige im Alter dazu, mir unnötige körperliche Reaktionen weitestgehend zu versagen.
Im vorliegenden Kontext fällt mir ein Bonmot eines früheren ZDF-Sportreporters ein. Bei einer Boxübertragung meinte der (lange vor Einführung von political correctness und gendering: "Den 'Neger' erkennen Sie an den weißen Socken."
Was Ihren Kopf angeht: wenn Sie den zukünftig weiterbenutzen wollen, heftige Bewegungen tunlichst vermeiden. ;-)
Mal den prophylaktischen Hinweis in Richtung Moderation:
Bitte gnau hinschauen. Ich zitiere und kennzeichne das auch. Niemals käme ich auf die Idee, Gleiches zu sagen ...
Aus gegebenem Anlass noch fix ein kurzer Beitrag aus Kalau hinterher:
die Franzosen haben das H aspiré, das verschlungene H.
Mein Laptop kann - immerhinque - mit dem verschlungenen E aufwarten.