Als die Bergung der Toten aus dem U-Boot Kursk begonnen hatte, kam keine in Moskau ausgestrahlte Nachrichtensendung mehr ohne Korrespondentenbericht von der Barentssee aus. Die drei großen Fernsehkanäle ORT, RTR und NTW berichteten gleich mit mehreren Reportern, allerdings nur von den Marinebasen an Land. Doch die Intensität der öffentlichen Debatte, wie sie in den Tagen und Wochen nach der Katastrophe auch im Westen wahrgenommen wurde, war spürbar verebbt. Das hatte nicht nur mit Gewöhnungseffekten, sondern vor allem mit einer vom Kreml inspirierten, alles glättenden Informationspolitik zu tun. Vor Tagen kursierte die Katastrophenversion, vermutlich habe ein irrtümlicher Beschuss durch den Kreuzer Peter der Große die Kursk havarieren lassen. Doch die Resonanz blieb eher gedämpft bis fatalistisch. Dass auch in Friedenszeiten Soldaten sterben, daran haben sich die Russen seit Jahrzehnten gewöhnt.
Vom Bergungsort warteten die Fernsehsender immer wieder mit den gleichen schummrigen Unterwasseraufnahmen auf, die außer Gummihandschuhen, Sauerstoffschläuchen und einer teilweise zerstörten Außenwand des U-Bootes nichts erkennen lassen. Die Familien der toten Seeleute kamen nur selten zu Wort. Stattdessen stand Flottenchef Popow rund um die Uhr vor der Kamera. Das Verteidigungsministerium hatte unverkennbar gelernt, sich professioneller als im August auf Bedürfnisse der Mediengesellschaft einzustellen. Informationen ja, aber zu unseren Konditionen, lautete die Devise der Admiralität. Das Informationschaos in den Tagen nach dem Kursk-Untergang war ein mehr als peinlicher Rückschlag für die militärische Führung. Spätestens mit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im August 1999 hatte man versucht, einen flexiblen, betont generösen, teilweise konzilianten Umgang mit den Medien zu pflegen. Während die Generäle beim ersten Waffengang im Kaukasus (1994 - 1996) aus Angst und Unsicherheit auf schroffe Distanz zu jedem Mikrofon geraten waren, fiel seit einem Jahr ein anderes Vorgehen auf. Der Verteidigungsminister und die Präsidialverwaltung griffen selbst aktiv in die Pressearbeit ein - ihr Vehikel nannte sich Rosinform-Center und koordinierte Exkursionen ins Frontgebiet. Dabei durften Journalisten nur noch gruppen- und stundenweise das Kriegsgeschehen abtasten. Den Großteil der Interviews am Rande der Gefechte hatten sie mit der eingesetzten Generalität zu führen. Zivilisten galten als Quantité négligeable.
Als jüngst in der Marineschule von St. Petersburg der Leichnam des Kursk-Offiziers Michail Kolesnikow aufgebahrt wurde, stand vor seinem Sarg ein Schild mit Worten aus dem Abschiedsbrief des Seemanns: »Wir haben wahrscheinlich keine Chance mehr. Vielleicht 10, 20 Prozent. Wir rechnen damit, dass irgendjemand diesen Brief liest. Verzweifelt nicht.« Besonders diese Worte wurden vom Staatskanal RTR immer wieder gesendet, als Beleg für die charakterliche Stärke des Toten. Die Berichterstattung rund um die Trauerfeier nahm so gelegentlich Züge eines schrägen Heldenkults an, besonders dann, wenn Kolesnikows ehemalige Marine-Lehrer nicht müde wurden, in zahllosen Live-Schaltungen immer wieder die menschlichen Qualitäten des Kapitänleutnants zu preisen.
Bei der von allen Fernsehkanälen ausführlich übertragenen Trauerfeier im Marinestützpunkt Seweromorsk standen zum Klang von U-Boot-Liedern Tausende Einwohner, Angehörige und Militärs auf dem frisch eingeschneiten Tapferkeitsplatz zu Füßen eines riesigen Denkmals, das an den Großen Vaterländischen Krieg erinnert. NTW übertrug die Zeremonie live. Die Korrespondentin konnte sich der Trauerstimmung nicht entziehen und verzichtete auf jegliche kritische Bemerkung, die sich immerhin mit dem Durchhalteappell von Flottenchef Popow hätten anlegen müssen. Die Versuche »angesichts des menschlichen Leids die Einheit Russlands zu untergraben, seine Staatlichkeit zu schwächen und das Ansehen der Flotte zu schmälern«, seien gescheitert, erklärte der. Die unter medialem Flankenschutz zelebrierten nationalen Trauerzeremonien haben jedoch längst eine kritische Grenze überschritten. Immer häufiger zeigen sich Angehörige der Kursk-Opfer befremdet über die öffentliche Vereinnahmung. Bei der Übergabe von Spendengeldern durch die Schauspielerin Vanessa Redgrave in Moskau baten sie deshalb darum, ihnen doch endlich die Intimität der Trauer zu lassen.
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