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Russland Die etablierten Parteien sind dennoch Favoriten bei der Wahl zur Duma am 18. September
Ausgabe 36/2016
Die Uniform sitzt wieder. KP-Chef Gennadi Sjuganow mit potentiellem Nachwuchs
Die Uniform sitzt wieder. KP-Chef Gennadi Sjuganow mit potentiellem Nachwuchs

Foto: Vasily Maxmimov/AFP/Getty Images

Man lebe in einem reichen Land, aber die Macht habe es in eine Sackgasse manövriert, schimpft KP-Chef Gennadi Sjuganow im Moskauer Säulen-Saal, zu Sowjetzeiten ein Ort für Parteikonferenzen. Die Kommunisten empfehlen sich zur Duma-Wahl als Partei der einfachen Leute. Sie schonen Wladimir Putin, rügen die Liberalen in der Regierung, fürchten sich aber, die Straße zu mobilisieren – ein Überschwappen sozialer Proteste in einen Umsturz à la Kiew will man keineswegs riskieren. Die riesigen Plakate der KP zeigen ein schlichtes Rot als Untergrund für das Emblem Hammer und Sichel, das nicht für Aufruhr, sondern für Gerechtigkeit und Patriotismus steht. Bei der Parlamentswahl 2011 behauptete sich die Partei mit 19 Prozent als zweitstärkste Kraft, auch diesmal kann sich das im Schatten der Kreml-Partei Einiges Russland wiederholen. Partner der KP sind 32 Verbände, von den Aeroflot-Stewardessen bis zur Jugendliga Roter Igel.

Im Säulensaal beklagt Sjuganow, dass es für die Generation der Rentner, die im Großen Vaterländischen Krieg aufwuchs, keine vernünftige Altersversorgung gebe, was sich mit einem Zuschuss von 1,6 Milliarden Euro ändern ließe. Das Gleiche koste die sechste Yacht des Oligarchen Roman Abramowitsch. Zwar wolle der Präsident mehr Altershilfe für die „Kriegskinder“, aber Premier Medwedew, bekannt für wirtschaftsliberales Denken, sei dagegen. Derzeit verdienen in Russland 72 Prozent der Beschäftigten unter 15.000 Rubel (202 Euro), womit die Wohnkosten (im Schnitt 5.000 Rubel/Monat) immer weniger zu begleichen sind. Auch wuchs die Zahl der Armen um drei auf 22 Millionen – bei einer Gesamtbevölkerung von 146 Millionen.

Statt der sieben Parteien, die zur Duma-Wahl 2011 antraten, sind diesmal 14 zugelassen, dazu unabhängige Kandidaten wie der Kommunist Daria Mitina, der sich im Moskauer Uni-Viertel Tscherjomuschki um ein Mandat bemüht und KP-Chef Sjuganow ankreidet, in Wirklichkeit Sozialdemokrat und auf Nähe zur orthodoxen Kirche bedacht zu sein.

Besonders aggressiv präsentiert sich die rechtsliberale Partei Parnas mit Frontleuten wie Michail Kassjanow (Premier 2000-2004) sowie den beiden Rechtspopulisten Wjatscheslaw Malzew (fiel durch antisemitische Statements auf) und Geschichtsprofessor Andrei Subow, der in einer Talkshow rumorte, in Russland herrsche weiter ein „kommunistisches Regime“, da sich Wladimir Putin 2010 zur „sowjetischen Tradition“ bekannt habe. Warum seien weiterhin so viele Straßen nach dem „Verbrecher Lenin“ benannt?

Amerika mit seinen Talkshows liefert ein Muster für Russlands Fernsehprogramm. Je heftiger es zugehe, desto besser, meinen die Eigentümer. Mehr Skandal, mehr Zuschauer, mehr Werbeeinnahmen. Beim Kanal Rossija 24 hat die Formel indes ausgedient, seit Wjatscheslaw Malzew (Parnas) bei einer Live-Sendung eine Amtsenthebung Putins verlangte, und seine Claqueure im Studio vor Begeisterung johlten. Seither dürfen Kandidaten keine Unterstützer mehr mitbringen. Leider befeuert das handverlesene Publikum die Debatten nicht übermäßig und verweist auf ein Dilemma russischer Medienwelten – modern sein zu wollen wie der Westen, aber die Liberalität zu vernachlässigen.

Ohnehin ist von landesweitem Wahlfieber wenig zu spüren, obwohl die Abstimmung für Überraschungen sorgen kann. Erstmals seit 2003 wird wieder nach dem gemischten System gewählt, eine Hälfte der 450 Duma-Abgeordneten über Parteilisten, die andere soll sich aus siegreichen Direktkandidaten rekrutieren, ein Zugeständnis des Kreml nach den Protesten gegen mutmaßliche Wahlfälschungen 2011. Schon drohen die kleine Parteien mit außerparlamentarischen Aktionen, sollten die vier Alteingesessenen – KP, Liberaldemokraten, Gerechtes Russland und Einiges Russland – erneut unter sich bleiben. Die Meinungsforscher des Lewada-Instituts sagen voraus, Einiges Russland könne wie gehabt mit mehr als 55 Prozent rechnen.

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