Putin ist ratlos

Kommentar Attentat in Grosny am "Tag des Sieges"

Wer war Ahmed Chadschi Kadyrow - es fällt schwer, den Präsidenten Tschetscheniens zu beschreiben, der im Dynamo-Stadion der tschetschenischen Hauptstadt durch eine Bombe getötet wurde. Charakteristisch waren die von ihm immer wieder lancierten Ausfälle gegen seinen untergetauchten Vorgänger, Aslan Maschadow, mit dem er bis 1999 zusammengearbeitet hatte.

Kadyrow genoss in der patriarchalen tschetschenischen Community kein Ansehen, weil er die Seite gewechselt hatte. 1995 wurde er von Dschochar Dudajew, dem ersten Präsidenten nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung, zum Obersten Mufti und damit geistigen Oberhaupt der Kaukasusrepublik ernannt. Zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges 1999 sagte sich Kadyrow, der im Gefolge einer Pilgerfahrt nach Mekka "Chadschi" in seinem Namen führte, vom damaligen Staatschef Maschadow los und kooperierte mit den föderalen Truppen. Der Kreml machte den Überläufer zum Statthalter in Grosny, wohl wissend, dass der sich nur auf seinen Familienclan stützen konnte.

Kadyrow galt als eigensüchtig. Mit russischen Militärs bereicherte er sich an Wiederaufbaugeldern und Öl-Geschäften. Einem seiner vier Söhne, dem 27jährigen Ramsan, übertrug er den Aufbau eines Sicherheitsdienstes, dem mehrere Tausend Mann angehören. Ausgerechnet diesen für seine Grausamkeit berüchtigten Kadyrow-Sohn möchte der Kreml jetzt zum Nachfolger erheben, zum stellvertretenden Premierminister und somit zweitmächtigsten Mann in der Republik ist er bereits befördert. Ausgerechnet Ramsan, der seine gesamte Jugend im Krieg verbracht hat und ohne höhere Ausbildung ist, steht vor dem großen Sprung nach oben. Nur, bleibt der Kreml weiter auf einen Familien-Clan fixiert, könnte das den Bürgerkrieg in Tschetschenien gebührend anfachen, dessen Fronten höchst unübersichtlich wären.

Im offiziellen tschetschenischen Sicherheitsapparat verdingen sich inzwischen viele ehemalige Freischärler. Größtenteils tun sie es aus materiellen Gründen, ihr Herz schlägt noch für die Separatisten und die Unabhängigkeit. Von daher wundert es nicht, dass die Bombe unter der Ehrentribüne des Dynamo-Stadions nicht rechtzeitig entdeckt wurde.

In der Moskauer Elite herrscht Ratlosigkeit. Dem Kreml nahe Politiker fordern, Präsident Putin solle die Kaukasusrepublik seiner direkten Kontrolle unterstellen. Doch niemand glaubt im Ernst daran, dass der Konflikt dadurch entschärft wird. Nach dem Attentat scheinen Auswege hin zu einem pragmatischen Agreement mehr denn je blockiert. Wer hoffen sollte, der Terrorakt könnte die Kräfte in Russland stärken, die einer politische Lösung den Vorzug geben, wird sich enttäuscht sehen. Die Terroristen haben Russland an seinem wichtigsten Feiertag, dem Tag des opferreichen Sieges über Hitler-Deutschland, herausgefordert. Selbst wenn er wollte, könnte Wladimir Putin sich jetzt kaum hinstellen und für einen erneuten Anlauf zu Verhandlungen plädieren. Die Bombenleger - vermutlich kommen sie aus dem Umfeld des extremistischen Feldkommandeurs Shamil Basajew - müssen das gewusst haben. Ihnen ging es um Rache am "Verräter Kadyrow". Den Tod von Kindern und tschetschenischen Weltkriegsveteranen nahmen sie in Kauf.

Wladimir Putin hat den Tschetschenien-Konflikt zu einer Existenzfrage für Russland hochstilisiert. Kompromisse sind dadurch ausgeschlossen. Die Kaukasusrepublik irgendwann in die Unabhängigkeit zu entlassen, wäre für die Mehrheit der Russen gleichbedeutend mit einer nachträglichen Niederlage im Zweiten Weltkrieg.

Will der Kreml in dieser Situation so etwas wie Stabilität, muss er sich vom Prinzip des "Teile und Herrsche" verabschieden und die eingerissenen Brücken zu tschetschenischen Politikern wie dem populären Unternehmer Malik Saidulajew wieder aufbauen. Außerdem sollte zu den für September geplanten Präsidentschaftswahlen auch ein Kandidat der Separatisten zugelassen sein. Das neue Russland könne nur mit "freien Menschen" aufgebaut werden, beschwor der wiedergewählte Präsident bei seiner Amtseinführung im Kreml sein Amtsverständnis. Warum gilt dieses Credo nicht auch für Tschetschenien?


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