Russische Medien besser als manche denken

Meinungsfreiheit/Russland Nach dem Eingeständnis deutscher Leitartikler, man habe wenig über die Stimmung unter einfachen Amerikanern gewusst, sollte man den Blick jetzt auch nach Russland wenden.

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Wussten Sie, liebe Leser, eigentlich, dass deutsche Politiker - sofern sie sich äußern wollen - im russischen Fernsehen ausführlichst zu Wort kommen? Eben gerade sendete der russische News-Kanal Rossija 24 ein fast halbstündiges Interview https://www.youtube.com/watch?v=W2oAHAQ_pdw mit dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden und jetzigen Vorsitzenden des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck.

Platzeck redete der Interviewerin nicht nach dem Mund. Er widersprach der von russischer Seite geäußerten Meinung, die Flüchtlingsbewegung spüle massenweise Terroristen nach Europa. Er wies darauf hin, dass die Terror-Anschläge in Europa von Personen verübt wurden, die lange in Europa leben oder dort geboren wurden.

Zum Thema Minsker Abkommen sagte der deutsche Politiker Dinge, die den Russen sicherlich gefallen, nämlich dass Kiew viele Punkte des Abkommens nicht umsetzt und dass die Forderung nach einer Verlängerung der Sanktionen gegen Russland kontraproduktiv ist. Er drückte seine Hoffnung aus, dass Merkel dem Interesse "der deutschen Wirtschaft" folgt und die Sanktionen zurücknimmt (Anmerkung von mir: Ich habe den Eindruck die deutsche Wirtschaft ist in dieser Frage gespalten). Er schlug vor, dass Deutschland und Russland die Meinungsverschiedenheiten zur Krim als zur Zeit unlösbar "zur Seite" legen.

Ist ein Platzeck-Auftritt im russischen Fernsehen einen Blog-Beitrag wert? Ich glaube schon. Denn das Bild über die russischen Medien in Deutschland ist doch arg verzerrt. Wer weiß in Deutschland schon, dass in den letzten zwei Jahren bei fast allen Talk-Shows im russischen Fernsehen, wo es um die Ukraine ging, extra Experten, Politologen und Politiker aus Kiew nach Moskau eingeflogen wurden, und zwar sowohl Personen aus dem Umfeld der Kiewer Regierung als auch aus dem Umfeld des Anti-Maidan?

Ich bin von diesen Talk-Shows nicht begeistert, denn der Stil ist mir zu hart. Es wird viel geschrieen, man unterbricht sich ständig und ein Experte aus Kiew bekam sogar schon mal Schläge, aber immerhin, der russische Fernsehzuschauer kann die Argumente aus dem Umfeld der Kiewer Regierung hören und das nicht nur einmal. Und immerhin: Der Gesprächsfaden zu den Ukrainern wird nicht gekappt.

Ich denke, die Bedingungen für differenziertere Berichte in den deutschen Medien sind gerade jetzt gut. Nachdem die deutschen Leitartikler erkannt haben, dass sie eigentlich wenig über die Stimmung in den USA wussten, könnten sie ihren Blick nochmal nach Osten wenden und sich ehrlich fragen: Was weiß ich eigentlich über die russischen Medien und die Stimmung unter den einfachen Russen?

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