Studie zu Rechtsextremismus in Ostdeutschland

Medien-Echo CDU und Springer-Presse schimpfen über den Bericht des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Selbst der Tagesspiegel stellt "formale Fehler" in den Vordergrund.

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Das Göttinger Institut für Demokratieforschung hat im Auftrag der Ostbeauftragten der Bundesregierung eine Studie über Rechtsextremismus in Ost-Deutschland veröffentlicht.

Die Forschungsarbeit stieß auf scharfe Kritik der Tageszeitung „Die Welt“, die meinte, die Studie sei maßlos übertrieben und rücke Ostdeutsche, die ihre Heimat lieben, in die Nähe des Rechtsradikalismus. Auf die in der Studie zusammengetragenen Interviews mit Bürgern aus Sachsen geht Die Welt nicht ein. Stattdessen wirft man den Autoren angebliche formale Fehler bei der Anonymisierung der interviewten Personen vor.

Ich verstehe das so: Die Springer-Presse möchte nichts auf die „blühenden Landschaften“ in Ostdeutschland kommen lassen. Es handelt sich immerhin um das Lebenswerk von Helmut Kohl und Kurt Biedenkopf, also eine „Erfolgsgeschichte“ von CDU-Politikern. Die Springer-Presse möchte nicht darüber reden, dass ganze Regionen in Ostdeutschland in den letzten 25 Jahren verarmt sind und abgehängt wurden. Dort gibt es keine Aufstiegschancen, wie ein Spiegel-TV-Bericht aus Halle an der Saale zeigt .

Merkwürdig: Auch der liberale Tagesspiegel stellt angebliche „formale Fehler“ der Studie in den Vordergrund seines Berichts und zitiert ausführlich die Kritik von CDU-Politikern, welche die Studie der Ostbeauftragten als „Machwerk“ mit "dünner Forschungslage" und "pseudopsychologischen Diagnosen" abqualifizieren. Ein einziges lobendes Wort über die Arbeit der Forscher aus Göttingen sucht man im liberalen Tagesspiegel vergebens.

Was mich an der Studie stört, ist, dass die Autoren die Schuld der DDR an rechtsextremen Einstellungen in bestimmten Gegenden Ostdeutschlands überhöhen. Auf der Suche nach möglicher Schuld der DDR wird alles zusammengekratzt, was dem heutigen Verständnis deutscher Linker von Willkommenspolitik und Multikulturalismus auf den ersten Blick widerspricht. So kritisieren die Forscher aus Göttigen beispielsweise, dass die DDR den Aufenthalt der Vertragsarbeiter aus Vietnam und anderen sozialistischen Bruderländern zeitlich begrenzte. Die Zeitbegrenzung bezeichnen die Autoren der Studie als Zeichen einer „ethnonationalen und fremdenfeindlichen Kultur“ (S. 35) . Es habe „keine Ansätze von Multikulturalisierung“ in der DDR gegeben beklagen die Forscher aus Göttingen.

Ganz offensichtlich haben es sich die Autoren der Studie bei ihrer Schuldsuche sehr einfach gemacht. Sie haben den Einsatz von Vertragsarbeitern aus Vietnam und Mozambik nicht im Kontext der Wirtschaftspolitik im damaligen sozialistischen Lager analysiert, sondern nach den heutigen politischen und kulturellen Standards der westdeutschen Linken bewertet.

Übrigens lebten auch Hunderttausende Soldaten der sowjetischen Streitkräfte in der DDR – bis auf einige offizielle Treffen – abgeschirmt von der DDR-Gesellschaft. War das auch ein Zeichen von „fremdenfeindlicher Kultur“? Meiner Meinung nach hatte diese Abschirmung etwas mit dem damaligem Verständnis von Ordnung und Sicherheit aber nichts mit "ethnonationaler Politik" zu tun.

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