Und McDonalds gleich nebenan

Die Kinder der Perestroika im "CCCP"-Fieber 13 Jahre nach dem Ende der UdSSR blüht in Moskau und St. Petersburg der Sowjet-Kult

Ira trägt knallrote Ohrringe und Jeans mit einem roten Leinengürtel. Und unter der Jeans-Jacke? - Bereitwillig gibt die Sechzehnjährige den Blick frei - ein rotes T-Shirt mit dem Schriftzug "CCCP" - Sojus Sowjetskich Sozialistitscheskich Respubliki. "Otschen stilna" - sehr stilvoll -, sage ich anerkennend, und Ira lächelt vielsagend. Mit ihrer Freundin Lena sitzt sie am Manege-Platz auf einem Marmorgeländer und lässt die Beine baumeln. "Maikas" (T-Shirts) mit kokett erinnerungsschwerer Symbolik sind in diesem Sommer Trend in Russland, besonders bei Jugendlichen unter 20. "Ich bin stolz auf die Sowjetunion. Das war ein starker Staat, vor dem die anderen Respekt hatten", meint Ira. "Die Sowjetunion hatte ihren festen Platz in der Welt." Ira träumt von einem starken Russland. Präsident Putin mache es schon richtig, wenn er dafür sorge, dass man gegenüber den Amerikanern nicht mehr "bei jeder Gelegenheit zurückstecken" müsse.

An der gläsernen Weltkugel - nicht weit von Ira - trifft sich Ruslan mit seiner Freundin Tanja und führt ein rotes T-Shirt mit DDR-Wappen aus. Ruslan arbeitet bei McDonalds am Arbat. Stolz zeigt er seinen Betriebsausweis. "Ich bekam mein Gehalt, ging in ein Geschäft und habe ein attraktives T-Shirt gesucht. Man möchte gut aussehen." Ob die beiden deutschen Staaten wieder vereinigt seien? Davon weiß er nichts. Wie sollte er auch - als die sowjetischen Truppen aus der DDR abzogen, war Ruslan gerade neun. Sein fünf Jahre älterer Freund Andrej hält nichts von Sowjetsymbolen. "Bei Gorbatschow musstest du Schlange stehen, um Brot kaufen zu können, und wir lebten damals mit drei Familien in einer Wohnung. Jetzt kannst du ins Geschäft gehen und kaufen was du willst, wenn das Geld dafür reicht."

Hinter dem Manege-Platz in der Boutique Perechod treffe ich Irina Kontajewa. Die 29-jährige Designerin beliefert den Laden mit ausgefallenen Kopfbedeckungen. Gerade hat sie wieder einen Schwung rot-weißer Lederkappen mit Hammer und Sichel abgeliefert. "Neulich kaufte einer bei mir fünf ›Maikas‹, einmal mit Putin, einmal mit dem ›Rossija‹-Aufdruck, einmal mit ›KGB‹ und zweimal mit der CCCP-Schrift", erzählt die Verkäuferin. "Das ist keine Nostalgie, das ist Würde, das ist unser Vaterland", ist sie überzeugt. In ihrem Geschäft würden sich viele Auslandsrussen eindecken. "Besonders beliebt sind die CCCP-Maikas bei Russen aus der Ukraine und aus Amerika."

Russkoje Radio - einer der marktführenden Sender in Moskau und spezialisiert auf sowjetische Pop-Musik - startete jüngst eine Werbekampagne unter dem Motto Unsere Heimat - CCCP. Der Video-Clip der Rap-Gruppe Sixtynine "Im weißen Ghetto", gesponsert von der KP Russlands, kam in die MTV-Charts.

Zweifellos hat der Kreml seinen Anteil an der grassierenden Sowjet-Nostalgie - Wladimir Putin gab Russland die Sowjethymne zurück (allerdings mit neuem Text), die Armee kann wieder ihr rotes Banner aufziehen, die sowjetische Raumfahrt wird hofiert. Auch wollte der Fernsehkanal NTW in seinem Programm Namedni ("Neulich") die Serie Made in CCCP nicht missen. Sie erinnert an erfolgreiche Sowjet-Kombinate, die sich bis heute in der Marktwirtschaft behaupten wie ein moldawisches Weinunternehmen etwa oder eine baltische Sprotten-Fabrik. Auch der Produzent von Ryschski Balsam, dem begehrten Kräuterschnaps aus Riga, fand seine Würdigung.

Der Sowjet-Kult lässt auch St. Petersburg, die Heimat Wladimir Putins und die "Kulturhauptstadt" der Russischen Föderation, nicht unberührt. Im Gegenteil, an der Fontanka im Keller-Club Purga (Schneesturm) verkehren Studenten, Geschäftsleute und ehemalige Zuchthäusler. Auf einem Bildschirm läuft der sowjetische Kinderfilm Blick in die Zukunft. Die Bedienung - im weißen Häschen-Kostüm - trägt das Essen durch die aufgekratzte Menge. Jede Nacht um Null Uhr steigt eine Silvester-Party mit Böllern und Wunderkerzen, die Kreml-Glocken läuten hingebungsvoll, auf Monitoren im Lokal erscheint Leonid Breschnew und hält seine Neujahrsansprache, mit den so obligatorischen wie legendären Versprechern.

In Rufweite von Purga am Newski-Prospekt residiert das Café CCCP, ein in Rot-Schwarz gehaltenes Etablissement, in dem es gedämpft und stilvoll zugeht. Die Gäste sitzen an Glastischen, man spielt Hipp-House und trinkt Wodka aus "Gen-Sek"-Gläsern, die mit den Porträts von Stalin, Breschnew und Andropow verziert sind. Diskjockey Wasja meint, es gehe hier nicht um Politik, sondern um Stil. "Man verehrt alte Gegenstände, wie man auch alten Wein zu schätzen weiß." Vorzugsweise die Kinder der Mittelschicht zelebrieren die Genüsse des Kults. Mit Vorliebe im Che hinter dem Moskauer Bahnhof von St.-Petersburg trifft sich die "Goldene Jugend", antichambriert zwischen tiefroten Wänden und raucht Zigarren für 1.200 Rubel (35 Euro) das Stück. Wem es zuviel wird, der findet McDonalds gleich um die Ecke.

Um die neue Moskauer Stadtautobahn entsteht derzeit ein Ring aus 100 Wohnhochhäusern, darunter das Triumph Palace, "Europas höchstes Wohnhaus" im Bezirk Sokol, wie es heißt, das sich bei genauerem Hinsehen als freimütige Kopie der berühmten Moskauer "Stalin-Hochhäuser" zu erkennen gibt. Der Quadratmeterpreis in dem 264 Meter hohen Gebäude mit dem spitz zulaufenden Turm liegt bei 2.700 Dollar. Wer es sich leisten kann, der erwirbt in der Regel gleich mehrere Appartements. So leben neureiche armenische Händler mit ihren Familien-Clans neben tatarischen Ölbaronen und russischen Rüstungslobbyisten, eine ausgesuchte nationale Mischung, fast wie zu Sowjetzeiten. Ein Makler der auf Elite-Wohnungen spezialisierten Baugesellschaft Konti meint, "die Wohlhabenden finden hier wie überall schnell eine gemeinsame Sprache untereinander."


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