Wer sind die Täter?

Mordanschlag Tschetschenen und Ultranationalisten stehen in Verdacht. Die Ermittlungen im Mordfall Makelow werden wieder eine Gratwanderung zwischen Gesetz und Interessenpolitik

Der Tschetschenien-Krieg ist seit 2003 offiziell beendet, doch er tötet noch immer. Noch immer sterben Menschen, die sich für die Aufklärung von Kriegsverbrechen und die Verteidigung von Kriegsopfern einsetzen. Gestern traf es auf offener Straße in Moskau den Rechtsanwalt Stanislaw Markelow. Ein Mann, den das Erbe der Kaukasus-Kriege des postsowjetischen Zeitalters nicht ruhen ließ und der auch russische und tschetschenische Oppositionelle verteidigte.

Was heißt es, wenn der Leiter der russischer Generalstaatsanwaltschaft, die Aufklärung des Mordes unter seine persönliche Kontrolle stellt, liegt auf der Hand. Es bedeutet zunächst einmal, das Attentat ist vermutlich von der beruflichen Tätigkeit und politischen Aura des Anwalts nicht zu trennen. Aber es soll wohl auch andeurten, dass die Ermittlungen in diesem Fall genau beobachtet werden und dabei Interessenabwägungen nicht auszuschließen sind. Besonders gegenüber der Armee. Wieder einmal zeichnet sich in einem brisanten Fall eine Gratwanderung zwischen Justiz und Exekutive ab – oder, um es präziser zu sagen, zwischen Recht und Gesetz einerseits, politischen Interessen und kriminellen Energien andererseits.

Der 34-jährige Stanislaw Markelow vertrat schließlich seit Jahren die tschetschenische Familie Kungajew, deren Tochter Elsa Kungajewa von Juri Budanow, dem Kommandeur des 160. russischen Panzer-Regiments, im März 2000 in dem tschetschenischen Dorf Tangi-Tschu vergewaltigt und erdrosselt wurde. Budanow erklärte damals, das Mädchen habe als Scharfschützin seine Soldaten attackiert und deshalb ausgeschaltet werden müssen. Der Oberst wurde in einem ersten Strafverfahren zunächst freigesprochen, aber zugleich einer psychiatrischen Zwangsbehandlung unterworfen worden. Das Urteil wurde 2003 vom Obersten Gericht aufgehoben und Budanow zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt.

Vor einer Woche nun wurde der Oberst nach achteinhalb Jahren Haft auf Bewährung entlassen. In Tschetschenien gab es deshalb öffentliche Proteste, in Russland interessiert sich kaum jemand. Davon ungerührt hatte Stanislaw Markelow auf einer Pressekonferenz in Moskau, Stunden bevor er dem Attentat zum Opfer fiel, bekannt gegeben, dass er gegen die Freilassung von Budanow beim Bezirksgericht der Stadt Uljanowsk Widerspruch eingelegt habe. Auch dass ihn bereits Morddrohungen erreicht hatten, wollte er nicht verhehlen. Möglicherweise stehen hinter dem Anschlag ultranationalistische und teilweise der Armee nahestehende Kreise. Der Mord könnte jedoch noch mit einem anderen Hintergrund zusammenhängen. Markelow verteidigte den Journalisten Michail Beketow, der eine Bürger-Initiative im Moskauer Vorort Chimki leitete. Die Bürger-Initiative wehrte sich gegen den Bau einer neuen Autobahn durch den Chimki-Wald, ein Moskauer Naherholungsgebiet. Parallel zum Auto-Bahn-Bau sollten riesige Gewerbe-Flächen entstehen. Im November 2008 war Beketow überfallen und halb tot geschlagen worden. Ihm musste ein Bein abgenommen werden.

Für die Ermuttler der Generalstaatsanwaltschaft kann es eine Prestige- oder Ermessensfrage sein, wie und gegen wen sie vorgehen und recherchieren. Der Fall der Tschetschenien-Reporterin Anna Politkowskaja, die im Oktober 2006 vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen wurde, und deren Mörder bis auf eine Ausnahme auf ihren Prozess warten, verbietet es freiuich, von vornherein anzunehmen, eine Aufklärung werde im Sande verlaufen oder nur zum Schein stattfinden.


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