Sensation! Impfstoff gegen Aids gefunden!

Aids Oder doch bloß Augenwischerei? Eine Kritik

Wenn jemand eine Behauptung als wissenschaftliche Tatsache ausgibt, so kann das zwei ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Meist ist damit nicht mehr gemeint als: Jemand hat das Behauptete beobachtet – die Behauptung sei „empirisch wahr“. Menschen haben aber schon unglaublich viel beobachtet, einschließlich Hunderttausender UFOS und Loch-Ness-Monster. In einem strengeren Sinn heißt „Wissenschaftlichkeit“ deshalb: Zwar darf die wissenschaftliche Behauptung den bekannten Beobachtungen nicht widersprechen, aber sie muss zusätzlich auch aus anerkannten wissenschaftlichen Theorien erklärbar sein. Eine wissenschaftliche Tatsache muss sich in das vorhandene wissenschaftliche Wissen einbetten lassen; man braucht ein glaubwürdiges Modell, wie sich die in Frage stehende Behauptung aus den bekannten Theorien ableitet.

Für die gerade veröffentlichte Behauptung, eine wirksame Impfung gegen Aids gefunden zu haben, gibt es keine wissenschaftliche Erklärung. Ganz im Gegenteil: Der neue Impfstoff, der in Thailand getestet wurde, war in Wirklichkeit einfach die Kombination aus zwei altbekannten Impfstoffen, die sich bei früheren Tests einzeln als wirkungslos erwiesen hatten. Die früheren Tests fanden aber auch unter härteren Bedingungen statt: Damals bestand die Testgruppe aus Heroinsüchtigen. Diesmal waren es Testpersonen „ohne besondere Risikofaktoren“ – eine Testgruppe, die damit anfälliger für Zufallsvariationen ist. Eine Erklärung, warum aus der Kombination zweier Ursachen nicht bloß die Addition der Wirkungen stattfindet (also Null plus Null gleich Null), sondern eine gänzlich neue, „emergente“ Wirksamkeit entstehen soll, lässt sich nirgendwo entdecken.

Um trotz des Fehlens einer wissenschaftlichen Erklärung an die bloße empirische Tatsache glauben zu können, müsste sie schon sehr deutlich ins Auge stechen. In Thailand haben sich von 8.000 Geimpften 51 mit Aids angesteckt. Von 8.000 Versuchspersonen, die eine unwirksame Placebo-Impfung bekamen, waren es 74. Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Impfung habe das Risiko um 31 Prozent reduziert – von 74 auf 51 Fälle.

Ein geradezu klassischer Fall für die Augenwischerei mit Statistik. Angesichts der nachgewiesenen Wirkungslosigkeit der Impfbestandteile wäre es seriös, erst einmal so zu rechnen: Wenn sich 125 Versuchspersonen aus der Gruppe von 16.000 angesteckt haben, dann sollte man in einer Teilgruppe von 8.000 Versuchspersonen also durchschnittlich 62,5 Infizierte erwarten. Und wenn dann in einer zufällig ausgewählten Teilgruppe nur 51 statt 62,5 erwarteten Infizierten gefunden wurden, dann fällt diese Abweichung von 11,5 völlig in den Bereich des zufällig Erwartbaren. Erst bei weniger als 40 Infizierten in der Gruppe der Geimpften hätte die Studie die für wissenschaftliche Befunde dieser Art notwendige Signifikanz von „drei Standardabweichungen“. Zum Vergleich: Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Aids zu infizieren, sinkt, wenn man nur auf Sex ohne Kondome, Mehrwegspritzen und unkontrollierte Bluttransfusionen verzichtet, auf nahezu Null.

Frage: Sollten wir Geld ausgeben, um eine Massenimpfung mit diesem Kombinationspräparat zu bezahlen?

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