Demokratie-Lektion für Hans-Ulrich Jörges

Lanz-Petition | Ja, es ist wahr: Mit Lanz schlägt man den Sack, obwohl man den Esel Hans-Ulrich meint. Also Sack beiseite und druff auf den Jörges? Wie gefährlich sind Online-Petitionen?

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"Vox populi = vox Rindvieh." Dieser zynische Aphorismus, der dem gemeinen Volke die Urteilskraft in den wichtigen und darum leider oft komplizierten Fragen abspricht und als dessen Erfinder fälschlich Superstaatsmann Franz Josef Strauß ("Ja, haben Sie denn überhaupt Abitur?") gehandelt wird1, tauchte jüngst im Zusammenhang einer Online-Petition auf, deren Ziel es ist, den Moderator und Showmaster Markus Lanz wegen einer augenscheinlich sorgfältig inszenierten Kreuzverhör-Attacke auf die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht der öffentlich-rechtlichen Kanäle zu verweisen. Das wiederum rief (zum wiederholten Mal) die Bedenkenträger gegen derartige Plebiszite auf den Plan. Vor allem natürlich die in eigener Sache streitenden. So erhob der mitangeklagte Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges (noch in Erinnerung: "Raus aus Facebook, Angela Merkel") in einem Video-Zwischenruf mit dem Titel "Shitstorm von links" (Entlarvendes Zitat: "Im Internet und den sozialen Netzwerken ist der Teufel los, besser gesagt: Die Linke!") den Vorwurf, es gehe "um die Tabuisierung einer kritischen Auseinandersetzung mit Sarah Wagenknecht" und darum, Ungläubige in die Schranken zu weisen, die es wagten, die "linke Ikone Sahra Wagenknecht" zu berühren. Um dies zukünftig zu verhindern, werde ein "abschreckendes Beispiel für andere Talkshow-Moderatoren" inszeniert. Nee, Herr Jörges. Darum ging es eben gerade nicht. Und selbst wenn: Heul doch!

Vox populi, vox dei

"Vox Rindvieh" stellt eine Verballhornung der im Mittelalter geläufigen Sentenz "vox populi, vox dei" dar. "Weil es Volkes Stimme ist, ist es Gottes Stimme", pflegte man zu sagen. Allerdings galt das nur für Huldigungen und Akklamationen der Menge nach Wahlen geistlicher und weltlicher Würdenträger, von denen die Untertanen bekanntlich mehrheitlich ausgeschlossen waren. Der Jubel des Volkes bedeutete lediglich eine Unterwerfungsgeste gegenüber den Herrschenden und wurde nur deshalb zu einer Art stellvertretendem Urnengang der himmlischen Heerscharen aufgewertet.

Wenn allerdings die Gefahr bestand, dass Volkes Stimme dem Unmut über die Herrschenden oder über die herrschenden Zustände Ausdruck verlieh, waren diese und ihre Parteigänger schnell "not amused". So schreibt der angelsächsische Gelehrte Albinus Flaccus um das Jahr 798 an Karl den Großen:

„Auf diejenigen muss man nicht hören, die zu sagen pflegen, ‚Volkes Stimme, Gottes Stimme‘, da die Lärmsucht des Pöbels immer dem Wahnsinn sehr nahe kommt“.

Anders der Theologe Petrus von Blois (1135–1204). Um die Geistlichkeit zur Demut gegenüber dem Urteil der Gemeinde anzuhalten, ließ er diese wissen:

"Scriptum est: quia vox populi, vox dei." Zu Deutsch: "Geschrieben steht: Weil es Volkes Stimme ist, ist es Gottes Stimme."

Zwischen Wahnsinn und Demut

Die richtige Einschätzung liegt wohl irgendwo zwischen den Extremen. Gern werden für die "Lärmsucht des Pöbels" die üblichen Beispiele ins Feld geführt: Der lynchrünstige Ruf der NPD nach der Todesstrafe für Kinderschänder etwa oder die Schweizer Initiative gegen Minarette. Also: Bitte keine Plebiszite? Petitionen raus aus dem Internet?

"Die Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten", schrieb einst der Mitherausgeber der FAZ , Paul Sethe. Und Journalisten, die deren Meinung teilten, fänden sich immer.

Der Einfluss der Medien und der sie beherrschenden Interessengruppen ist das beste Argument gegen direkte Demokratie. Und zugleich das stärkste Argument dafür! Meinungsfreiheit braucht eben nicht nur die Vielfalt der Stimmen, sondern im Sinne von Waffengleichheit möglichst viele Stimmen von gleichem Gewicht. Und das Internet ist nun mal das einzige noch (!!!) verbliebene Medium, das der Stimme einzelner mit Hilfe möglichst vieler Unterstützer-Likes gebührende Aufmerksamkeit verschafft und hiedurch einer sonst schweigenden Mehrheit erlaubt, den Mainstream zu kommunizieren. Ist das gefährlicher als die Macht von ZDF-Lanz oder STERN-Jörges, ihre Privatmeinungen öffentlich zu verbreiten oder gar irgendwelche narzisstischen Hahnenkämpfe auszutragen? Doch wohl nicht!

Petitionen durchdachter formulieren!

Also nicht weg mit den Petitionen aus dem Internet. Was da jetzt in (vermeintlicher oder vorgeschobener) Besorgnis um eine möglichst sachgerechte Urteilsbildung der Öffentlichkeit und den Fortbestand der Demokratie eingewandt wird, sind auch nur wieder populäre Irrtümer. Selbst das aufgeregteste Geschrei für Todesstrafe oder gegen Minarette ist nicht eine Gefahr für die, sondern ein Ausdruck von Demokratie. Die in diesem Zusammenhang gern bemühten Fabeln von den Fröschen, denen man nicht die Entscheidung über die Trockenlegung der Sümpfe überlassen sollte, oder den sieben Wölfen und zwei Schafen, die darüber abstimmen sollen, was zur nächsten Hauptmahlzeit serviert wird, beziehen ihre Schein- Plausibilität aus der unausgesprochenen Prämisse, dass die Voten von Fröschen und Wölfen ohne Zwischenschaltung weiterer Instanzen umgesetzt würden. Doch genau das wird in einer funktionierenden Demokratie wirksam verhindert. Es ist nicht verboten, seinen Interessen Ausdruck zu verleihen. Aber diese Interessen müssen am Prüfstein des Gemeinwohls gemessen werden. Und im Extremfall greift der Schutz der Minderheiten.

Jörges und Co. sollten also keine Krokodilstränen weinen, wenn ein Shitstorm aus dem Internet sie an die auch im Meinungskampf geltenden Regeln für den fairen Umgang mit Andersdenkenden erinnert. Gerade eitle Edel-Federn wie Herr Jörges, der sich im Internet mit stahlblauem Blick gern als der mutige Tabubrecher inszeniert und bei schlechten Kritiken dann memmenhaft selbst bemitleidet, sollten mindestens so viel einstecken können wie sie austeilen. Und bitte: Es droht nicht gleich der Untergang der öffentlich-rechtlichen Abendunterhaltung, wenn Markus Sack und der Esel Hans-Ulrich die Prügel beziehen, die sie - Medienprofis, die sie sein sollten - wissentlich herausgefordert haben.

Aber auch den Initiatoren von Internet-Petitionen muss man zu reflektierteren (und nach Möglichkeit weniger verbissenen) Formulierungen raten. Schluss mit diesen "Raus aus...", "Weg mit..." und "Rübe runter..."-Appellen. Warum raus mit Lanz? Wenn diese infantil-insistierenden "Hilfe, ich habe die erste Trotzphase nicht bewältigt"-Warum-Frageschleifen des Talk-und Wettkönigs aus Tirol, die Jörges als "spitz und drängend" verharmlost, niemand mehr sehen will, wird's ohnehin einen Quoten-Toten mehr geben. Gefühlt steht auch für Lanz die Ampel bereits auf grün-gelb. Harald Schmidt wurde in dieser Phase Kodderschnauze Pocher zur Seite gestellt, der runzelnde Gottschalk mit der Hunziker aufgehübscht. Jörges war wohl der Ersatz für Cindy aus Marzahn, musste aber erst noch in der falschen Sendung aushelfen, weil Lanz beim letzten Auftritt von Wagenknecht keinen Stich bekommen hatte und diese Scharte nun mit fremder Hilfe auswetzen wollte.

Mein Vorschlag für eine neue Petition: Lanz und Jörges mit einer gemeinsamen Talksendung ins Nachmittagsprogramm. Sendungs-Titel und Forderung des Aufrufs: "Trübe Tasse" statt "Volle Kanne"! Vorgeschriebene Dienstkleidung für das Duo infantile, äh infernale: Natürlich Feinrippunterhemd und Jogginghose.

P.S.: Von wegen "Ikone Sahra Wagenknecht berühren", Herr Jörges! Freud'sche Fehlleistung! Schon das Dirndl-Gate von FDP-Nase Rainer Brüderle vergessen?. Wenn da das Gehirn wenigstens den Kopf ausgefüllt hätte.

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(1) Der Satz Vox populi, vox Rindvieh wurde 1918 durch den Reichstagsabgeordneten Elard von Oldenburg-Januschau bekannt gemacht. Dieser behauptete allerdings 1936 in seiner Autobiographie, nicht er habe die abfällige Bemerkung geprägt, sondern Friedrich von Wrangel. Quelle: Wikipedia
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