Nachtcafe vom 6.12.2013: Heute schon gebuebt?

SWR-Freitags-Talk | Das Erfolgsrezept des Gebrauchspublizisten Bernhard Bueb inspiriert auch die TV-Talker vom SWR: Erfinde ein(e) Problem(gruppe) und verbreite hierzu provokante Thesen

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Passend zum Sendetermin am Abend des 6. Dezember, wo früheren Kindergenerationen ("Nun sprecht, wie ich's herinnen find: Sind's gute Kind, sind's böse Kind?") die Abrechnung des gestrengen St. Nikolaus bzw. die Handgreiflichkeiten eines Knecht Ruprecht drohten, machte sich der altväterliche TV-Schwadronator Dr. Wieland Backes im SWR-Freitagstalk "Nachtcafe" Sorgen um die Zukunft einer Jugend, die vor derlei rustikalen Erziehungsmethoden dank ihrer überfürsorglichen Eltern heute zumeist bewahrt bleiben. Titel der Sendung: "Die verhätschelte Generation - was wird nur aus unseren Kindern?"

Warum aus denen nun aber auch wirklich nichts werden kann, beschreibt ein alarmisierender Lagebericht der Redaktion:

"Mama trägt den Schulranzen des Siebtklässlers, Papa macht abends die Hausaufgaben für den Junior, bei Streitigkeiten im Sandkasten greifen sofort die Eltern ein - sehr viele Kinder wachsen heutzutage mit einem elterlichen Airbag auf, der sie vor jedem Schmerz und Kummer bewahrt."

Selbstredend darf in diesem Zusammenhang auch das neue Modewort einer seit Jahren geführten und mittlerweile nur noch nervenden Erziehungsdebatte nicht fehlen, die "Helikopter- Eltern". Vom mitleidig belächelten Einzelphänomen werden die erstmal durch die Wortschöpfung "sogenannte Helikopter-Elternkreise" zur bedrohlichen Massenbewegung hochskandalisiert. Diese uns alle einkreisenden Kreise nämlich, so warnt uns der SWR eindringlich, nähmen dem Kind - in (meistens) guter Absicht - so gut wie alles ab. Dahinter stehe der Gedanke: "Mein Kind soll es mal besser haben". Und so entbrenne - angetrieben von Angst und Ehrgeiz - der Kampf um die idealen Startbedingungen für das "Projekt Kind", der in einen Akademisierungswahn und letztlich in Verirrungen wie Japanisch als Zweitsprache im Kindergarten münde. Die unausweichliche Folge:

"Zusehends wächst eine Generation heran, die sich zwischen elterlichem Förderwahn und Verwöhnung zurechtfinden muss. Auch die Wirtschaft spürt bereits Konsequenzen: Jedes zweite Unternehmen moniert bei Azubis zu wenig Leistungswille, Belastbarkeit und Disziplin. Wohin führt dieser Erziehungsstil? Ist die Kuschelpädagogik am Ende? Wie streng müssen Eltern sein?"

Das sind sehr viele Fragen auf einmal, die unter dem Generalthema der Verhätschelung von Kind und Kegel zudem nicht stringent abgehandelt werden könnten. Dem Kind alles abzunehmen ist eben etwas gänzlich anderes als es von einem bizarren Förderprogramm zum anderen zu hetzen. Wohin "dieser Erziehungsstil" führe, lässt sich somit wohl kaum schlüssig beantworten. Und auch die Schlussfrage, wie streng denn nun Eltern sein müssten, drängt sich vor dem Hintergrund des präsentierten Problemwirrwars nicht gerade auf.

Doch wehte da nicht - von draus vom Walde - der Kampflärm längst ausgestandener Redeschlachten herüber? Hatte man sich bei Wieland weiland nicht schon einmal am Maß der elterlichen Strenge die Zungen wund geschwafelt? Ein Blick ins SWR-Archiv gibt schreckliche Gewissheit. "Generation Weichei - wie viel Disziplin ist richtig?" hieß es in der Nachtcafe-Sendung vom 11.02.2011. Die Frage war in erster Linie an Bernhard Bueb gerichtet, der damals als neoliberaler Erziehungsmissionar durch die Talkrunden tingelte, um sich für seine Bücher "Lob der Disziplin" und "Von der Pflicht zu führen - 9 Gebote der Erziehung" zu entschuldigen. Der schal gewordene Kamillentee, den Bueb als Allheilmittel gegen den Untergang des Abendlandes und der Leistungsgesellschaft anpries, sollte der TV-Gemeinde wohl - aufgegossen mit einem Gewürzbeutel aller gängigen Erziehungssünden - erneut als feuriger Glühwein verabfolgt werden. Welch abscheuliche Tat!

Das Strickmuster all dieser "Sind Eltern, Kinder, Lehrer, die Gesellschaft oder das ganze Universum am Ende?"-Sendungen besteht darin, irgendwelche krassen Typen mit extremen Ansichten zu casten, die irgendwas zu einem möglichst polarisierenden Thema sagen. Am Ende der Sendung verrührt ein nachdenklich-kritisch auftretender Moderator, der rein zufällig auch noch "Backes" (mundartlich für "Backhaus") heißt, dann alles in einer großen Teigschüssel und führt der von einer kontroversen Diskussion noch schnappatmenden Runde mittels eines humorig-versöhnlichen Schlussworts vor, dass es eigentlich ziemlich schnurz sei, zu welcher Beurteilung man aufgrund des argumentativen Schlagabtausches gelangt sei.

Und damit sich Problemcharaktere und komische Vögel in solchen Talkrunden auch unterhaltsam exhibitionieren, gibt man ihnen Gelegenheit, ein gerade erschienenes oder schwer verkäufliches Buch, eine CD, DVD oder eine sonstwie vermarktbare menschliche Lebensäußerung zu promoten. Ex-Internatsleiter Bernhard Bueb entging nach einem Leben als schlechter Schüler, schlechter Lehrer und schlechter Herbergsvater einer dekadenten Reichenschule der völligen Bedeutungslosigkeit vor allem dadurch, dass er nach seiner Pensionierung mit schlecht durchdachten Stammtischparolen provozierte. Während die Fachwelt angewidert reagierte, wurde die stets um reißerische Themen verlegene Talkindustrie auf den blass und blutleer wirkenden Pensionär aufmerksam. Gleich ihm war im "Generation Weichei"-Aufguss der Vorgänger-Sendung auch die als Tigermutter verkleidete Dr. Astrid Nelke auf Promotiontour und machte - wie auch bei Anne Will und diversen Presse-Interviews - ungehindert Reklame für die amerikanische Privatschulkette "FasttracKids", für die sie eine zeitlang beruflich tätig war.

Nach diesem Muster bot auch die aktuelle Verhätschel-Variante des ausgelutschten Themas wieder Schleichwerbung pur, indem auf die Publikationen der Teilnehmer Josef Kraus (Lehrer-Funktionär) und Dr. Stephan Valentin (Kinderpsychologe) hingewiesen sowie die Consulting-Firma des Jungunternehmers Philipp Riederle per Einspieler vorgestellt wurde. Selbst Jürgen-Sebastian Franke (einst Problemkind, heute Erzieher), der kein Buch vorzuweisen hatte, wurde noch als gutes Beispiel für ein (noch zu schreibendes) "Resilienz-Buch" präsentiert.

Jeder dieser Protagonisten hätte sicherlich eine Nachtcafe-Sendung allein bestreiten können, sei es zum Thema "Helikopter-Eltern" (Kraus), "Ichlinge" (Valentin) oder "Generation Y" (Riederle). Doch zum eigentlichen Thema waren weder Verhätschelte noch Verhätschelnde, weder Gegener noch Befürworter des Verhätschelns oder sonstwie von der Verhätschelungsproblematik Betroffene aufgeboten. Kein Wunder, dass von der Verhätschelung der heutigen Jugendgeneration und deren katastrophalen Folgen auch kaum die Rede war.

Das muss auch Moderator Wieland Backes gespürt haben. Und so fragte der Altmeister besinnlicher Gesprächskreise gegen Ende des Talks denn auch konsterniert in die Runde, ob es die "verhätschelte Generation" überhaupt gebe oder es sich vielleicht nur um ein Phantom handele.

Bingo. Thema verfehlt? Die falschen Gäste eingeladen? Um diesen Eindruck zu verwischen, versuchte Backes am Schluss wenigstens noch die Frage zu lancieren, was sich am heutigen Umgang mit Kindern - aber aus welchem Grund eigentlich? - ändern müsse. Antwort von Talk-Gast Josef Kraus: "Da machen wir 'ne neue Sendung."

Bitte nicht!

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