Privatschulen: Run auf PR-Honorare

PR-Journalismus. Mitarbeiter öffentlich-rechtlicher Sender verschaffen sich ein Zubrot als PR-Berater der privaten Bildungsindustrie

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Wissensdurstige sind bei ARD und ZDF gut aufgehoben. Sollte man jedenfalls meinen. Unterhalten die Öffentlich-Rechtlichen doch eine Flut von Bildungsprogrammen und sogar spezielle Bildungskanäle wie "arte" und BR-Alpha. Die Schlauberger-Programme bilden mittlerweile ein ganzes Wissensuniversum vom Lexi-TV des Mitteldeutschen Rundfunks bis zum "Planet Wissen", den WDR, Südwestrundfunk und Bayrischer Rundfunk gemeinsam bevölkern. "Wissen macht Ah!" heißt ein spezielles Klugscheißer-Format beim WDR. Ergänzt werden die zahlreichen TV- und Hörfunksendungen durch eine Vielzahl von Online-Diensten. Dort kann man Themen noch einmal nachlesen, in Mediatheken verpasste Filmbeiträge aufrufen oder Hörfunk-Podcasts abonnieren, um rund um die eigenen Interessengebiete nichts mehr zu versäumen.

Beim Bayrischen Rundfunk gibt's die Webseite "BR-Wissen". Hier fand ich neulich einen Beitrag unter dem Titel "Der Run auf die privaten Schulen" von Roland Münzel, Stand: 23.04.2013. "Privatschulen werden immer beliebter", behauptet der Vorspann und belegt dies mit einer Zahl, die vom Verband Deutscher Privatschulverbände (VDP) übernommen wurde: Bereits jeder siebte bayerische Schüler besuche eine Bildungsstätte in freier Trägerschaft. Anlass genug für die kritische Fragestellung: "Was ist dran an den Privaten?"

Was ist dran an den Privaten?

Ärgerlich: Autor Roland Münzel scheint diese Frage lediglich als Aufforderung zu verstehen, ungefiltert das Selbstbild privater Bildungsanbieter zu verbreiten (Merke: Pseudo-kritische Adjektive wie "vermeintlich" werden zumeist bei der redaktionellen Abnahme eines Beitrags noch routinemäßig eingefügt, damit die unverhohlene Schleichwerbung nicht so auffällt!):

"Nicht allein die vermeintlich besseren Chancen für ihre Kinder machen die Privaten so attraktiv für Eltern: Nach Angaben der Schulen sind es ebenso die Ganztagsangebote, kleinere Klassen, motivierte Lehrer, bessere Ausstattung, individuelle Betreuung und ein an der Begabung des Kindes ausgerichteter Unterricht. Hinzu kämen ein Mitspracherecht der Eltern, ein gutes Schulklima und vor allem überzeugende pädagogische Konzepte, die das Kind in den Mittelpunkt stellen oder alternative Lernmethoden, die sich an Erkenntnissen der modernen Lernforschung ausrichten. Das Schulgeld kann allerdings - je nach privatem Schultyp - monatlich einen zwei- bis vierstelligen Eurobetrag kosten."

Ja, allerdings. Und spätestens angesichts vierstelliger Euro-Beträge würde sich dann die Frage nach Artikel 7 Abs. 4 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland aufdrängen, der die Zulassung privater Schulen davon abhängig macht, dass eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert werde. Für Münzel sind Bedenken dieser Art aber nur das verschrobene Minderheitenvotum "mancher Bildungsforscher", die von "Klassenschulen" redeten , die den "Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsabschlüssen" verfestigten. Hiergegen führt Münzel - ganz im Sinne der privaten Bildungsindustrie - das wenig stichhaltige Argument ins Feld, dass "der Staat hierzulande keine besonderen Erfolge bei der Beseitigung der Bildungsbenachteiligung bestimmter sozialer Schichten" vorzuweisen habe, attestierten doch "mehrere OECD-Studien" dem deutschen Schulsystem "einen auffälligen Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft". Aber sind private Ersatzschulen nicht Teil dieses von der OECD kritisierten Schulsystems und damit für dessen Mängel mit in Haftung zu nehmen?

Schulbashing ohne historische Perspektive

Da fehlt Herrn Münzel wohl die historische Perspektive, war doch das deutsche Bildungssystem noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts ein reines Standes-Schulwesen und die weiterführende Schule überwiegend in (kirchlicher) Privathand. Adelige hatten freien Zugang zu den Universitäten, und zwar auch ohne Hochschulreife, sprich: Abiturzeugnis. Volksbildung hieß überwiegend einklassige Dorfschule mit teilweise mehr als 100 Kindern der Jahrgänge 1 bis 8 und einem Lehrer, der Sonntags zusätzlich die Kirchenorgel zu spielen und die Gesangbücher bereitzulegen hatte. Die bessere Gesellschaft schickte Grundschulkinder in putzige kleine Vorbereitungsanstalten, mit denen Pfarrer sich einen Nebenerwerb verschafften, oder ließ sie gleich auf dem eigenen Rittergut durch Hauslehrer unterrichten. Der Fortschritt bestand - wie der Bildungsforscher Jürgen Oelkers überzeugend nachgewiesen hat - im Auf- und Ausbau eines qualifizierten staatlichen Schulwesens sowie der Verwissenschaftlichung der Lehrerbildung und nicht in irgendwelchen reformpädagogischen Experimentierschulchen. Die Bildungsbeteiligung weiter Bevölkerungskreise verbesserte sich bis in die 1980er Jahre in erheblichem Maße. Privatschulen, insbesondere die mit Internaten verbundenen, starben mit dem Ausbau des weiterführenden Schulwesens auf dem Lande "wie die Fliegen". All dies scheint heute vergessen zu sein.

Gesellschaftliche Umbrüche und Zeitenwenden stellen das Bildungswesen vor die Aufgabe des Nachjustierens oder gar eines radikalen Umsteuerns. Krisen und Irrtümer sind dabei offensichtlich unvermeidlich. Angesichts der hierdurch bedingten, aber mit geeigneten Maßnahmen zumeist durchaus noch korrigierbaren Verwerfungen (etwa Disziplin- und Leistungsproblemen an Schulen infolge einer Erosion der Institution Familie oder chaotischer Zuwanderung in die Sozialsysteme und damit verbundener Ghettoisierung ganzer Großstadtbezirke) schaut man in Deutschland entweder neidisch auf die Bildungssysteme anderer Länder (siehe die unsägliche PISA-Diskussion oder der England-Boom bei den Internaten), die man sich allerdings zumeist realitätsblind schön träumt, während das heimatliche Schulwesen schlecht geredet wird. Oder man flüchtet escapistisch in die Gegenwelt der privaten Schulidylle, statt die Fehler des bestehenden und durchaus immer noch vorzeigbaren staatlichen Systems zu korrigieren. Das dies funktioniert, zeigte vor Jahren das Beispiel der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln. Notwendig wäre nur ein gesellschaftlicher Konsens, der den gesellschaftlichen Reichtum in die Sanierung von Stadtteilen bzw. ihrer öffentlichen Einrichtungen lenkt, statt mit kaum noch vorstellbaren Milliardensummen die Fehlspekulationen von offensichtlich weit überschätzten und überbezahlten "Nieten in Nadelstreifen" auszubügeln. Auch Bildung ist "eine Bank" und vor allen Dingen systemrelevant. Wie wäre es also mal mit einer "Banken"-Rettung der anderen Art? Zum Beispiel indem man endlich die Steuervermeidung von Großkonzernen europaweit unterbindet?

Irrationaler Privatschulboom

Zeiten tiefgreifender gesellschaftlicher Umbrüche rufen häufig irrationale Reaktionen, ja regelrechten Massenwahn, hervor. Insbesondere Bevölkerungsgruppen, die sich von einschneidenden Veränderungen in ihrer Existenz bedroht sehen, laufen falschen Propheten hinterher wie die sprichwörtlichen Lemminge. Als nichts anderes stellt sich mir der so genannte Run von Mittelschichteltern auf die Privatschulen dar. Ähnliche Entwicklungen waren am Ausgang des 19. Jahrhunderts zu beobachten, als obscure Lebensreformer, Weltverbesserer oder größenwahnsinnige Psychopathen wie Hermann Lietz, Paul Geheeb oder Kurt Hahn "Landerziehungsheime" gründeten, die sich anheischig machten, eine "neue Jugend" heranzuziehen, die wiederum als neue Elite eine bessere Welt errichten sollte. Dieses Denkmodell endete im Großen bei Adolf Hitler und der Barbarei von Vernichtungskrieg und Völkermord, im Kleinen bei der Degeneration ursprünglich als elitär gedachter Erziehungsstätten zu "Rütli-Schulen für Reiche". Auch die Renaissance der "Reformpädagogik" in den 1980er Jahren vollzog sich parallel zu der Ausbreitung des "Vulgär-Konstruktivismus", einer subjektivistischen "Erkenntnistheorie" ohne Wahrheitsbegriff. Und der heutige Privatschulboom kann nur im Zusammenhang mit neuem Irrationalismus und Neoliberalismus verstanden werden, der auf einem quasi-religiösen Glauben an das Wirken obskurer Marktgesetze beruht und auch das Bildungswesen auf Kosten der Allgemeinheit "marktkonform" organisiert sehen will. Die Bereitschaft der diese Gesellschaft tragenden Mittelschicht, sich "bessere Bildung" lieber privat zu kaufen, anstatt auf kontinuierlichen Reformen des staatlich organisierten Schulwesens im Sinne einer besseren Bildung für alle zu bestehen, ist Ausdruck einer neoliberalen Gehirnwäsche (siehe hierzu das ausgezeichnete Buch von Ulrike Herrmann: "Hurra, wir dürfen zahlen!"), die durch gesteuerte Medienkampagnen im Interesse einer Refeudalisierung der Bundesrepublik und einer im Weltmaßstab betriebenen Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben bewirkt wurde und deren Werkzeug die private Bildungsindustrie zweifellos ist.

Das Zubrot des Herrn Münzel

Und das führt uns zurück zu Herrn Münzel und seinen affirmativen Ausführungen zum "Run auf die privaten Schulen". Versucht man einmal herauszufinden, wo dieser Herr Münzel eigentlich so verortet ist, stößt man dank "Google" sehr schnell auf die Internet-Repräsentanz einer Firma "Fit für Medien". Dort präsentiert sich Roland Münzel u.a. als freier Journalist, tätig für die Münchner Online-Redaktion des Bayerischen Rundfunks. Und als PR-Berater. Zitat:

"Ihr Produkt ist klasse, nur weiß das keiner außer Ihnen und dem geneigten Fachpublikum. Wie kommen Sie damit in die Zeitung? Wie sieht eine Pressemitteilung aus, die nicht sofort im Ordner mit dem Schmierpapier landet? Wie strukturieren Sie das Telefongespräch mit dem Fachredakteur und verhungern nicht schon im Vorzimmer der Assistentin?"

Allem Anschein nach verhält es sich wohl so: Damit auch Herr Münzel nicht verhungert, nutzt er sein Knowhow und seine Kontakte, um die Produkte der privaten Bildungsindustrie gleich selbst mal in einer öffentlich-rechtliche Sendeanstalt zur Geltung zu bringen. Statt kritisch aufbereitetem Material für Wissensdurstige eine Schleichwerbeveranstaltung zur Volksverdummung unter http://www.br.de/themen/wissen/privatschule-privatschulen-schulen-100.html.

Apendix:

Weil mich das ärgerte, nutzte ich die Kommentarfunktion und hinterließ (stark verkürzt) folgende Anmerkungen:

"Was soll diese unverhohlene Privatschulpropaganda auf der Seite eines öffentlich-rechtlichen Senders? Muss man sich für teure Gebühren nun auch noch ständig diese unverschämte Schleichwerbung zu Gunsten der privaten Bildungsindustrie gefallen lassen?

Es wird höchste Zeit, dass das undifferenzierte Bashing öffentlicher Schulen, das durch einen von der privaten Bildungsindustrie finanzierten Kampagnenjournalismus auch in die öffentlich-rechtlichen Medien hineingetragen wurde, einer faireren Betrachtung weicht. Wo es Missstände der "Staatsschule" gibt, sollten Eltern sich dort nicht "herauskaufen", sondern Druck auf die Politik machen, um diese abzustellen!"

Dies wiederum veranlasste einen Herrn Thomas Gädeke am Donnerstag, dem 02.Mai 2013 zu folgender Replik:

"Schade Herr Lange,

ein gute Diskussion über Vor- und Nachteile verschiedener Schulangebote wäre ja was Feines. Indem Sie so undifferneziert, wie Sie es den Medien vorwerfen, pauschal von einem "von der privaten Bildungsindustrie finanzierten Kampagnejournalismus" schreiben, disqualifizieren Sie sich höchstens selbst. Bei den rd 230 deutschen Waldorfschulen beispielsweise in jeweils selbständiger, mit viel Elternengagement getragenen Trägerschaft von "Bldungsindustrie" zu sprechen zeigt nur Ihre Ahnungslosigkeit. In diesem Bereich weiß ich wovon ich rede, bei anderen Freien Trägern ist es m.E. kaum anders, was einzelnen Eliteinstitute nicht ausschließt.

Und bevor Sie behaupten, dass die Qualität der freien Schulen wissenschaftlich nicht bewiesen sei, sollten Sie sich einen Überblick über den differenzierten wissenschaftlichen Diskussionsstand verschaffen.
Im übrigen darf ich Sie darauf hinweisen: Hauptpreiträger des "renomierte(n) Deutsche Schulpreis(es)" war 2012 die freie Evangelische Schule in Neuruppin.
MFG
Gädeke"

Nein, Herr Gädeke. Ich wollte hier nicht "eine gute Diskussion über Vor- und Nachteile verschiedener Schulangebote" führen. Ich beschwere mich über Schleichwerbung im Auftrag oder zu Gunsten privater Bildungsanbieter und das gleichzeitige Bashing öffentlicher Schulen im öffentlich-rechtlichen TV und Hörfunk, dessen Unabhängigkeit ich mit meinen Gebühren finanziere!

Und im Übrigen:

Wie einer Übersicht der Robert-Bosch-Stiftung über sämtliche Preisträger des Wettbewerbs "Deutscher Schulpreis" von 2006 bis 2013 zu entnehmen ist, waren die Hauptpreisträger mit Ausnahme des Jahres 2012 sämtlich öffentliche Schulen.

Den Begriff "private Bildungsindustrie" habe nicht ich geprägt (siehe der luzide Artikel von Oliver Trenkamp: "Der Schüler als Kunde - die Bildungsindustrie entdeckt ihre Chance"). Hier wäre Herrn Gädeke auch der mir angeblich fehlende "Überblick über den differenzierten wissenschaftliche Diskussionsstand" zur Qualität von Privatschulen referiert worden. Ergebnis: Erst die Differenzierung führt eben zu einer Relativierung der angeblichen Privatschulüberlegenheit! Auszug:

"In kaum einem Industrieland hängt der Bildungserfolg so sehr von der sozialen Herkunft ab wie in Deutschland. Aber können es die Privaten tatsächlich besser? Genau weiß es niemand, jedenfalls nicht, was die Leistungen angeht. Die ersten Pisa-Zahlen sprachen noch dafür. Demnach lagen in 14 von untersuchten 17 Ländern die Leistungen von Privatschülern deutlich über denen von Schülern öffentlicher Schulen. Besonders groß war die Leistungslücke in Deutschland, und zwar vor allem beim Lesen. Wirtschaftsverbände und Privatschulen jubelten.

Der Frankfurter Bildungsforscher Manfred Weiß hält das für eine Fehleinschätzung. Er hat die Leistungen von 15-Jährigen an 14 privaten Realschulen und 18 privaten Gymnasien mit der staatlichen Konkurrenz verglichen. Ergebnis: Die Privatschulen sind keinesfalls überlegen. Das gute Abschneiden bei der Pisa-Studie lasse sich leicht erklären: mit der Zusammensetzung der Schülerschaft. Die Schüler stammten oft aus Familien gehobener sozialer Schichten; zudem sei der Anteil der Mädchen traditionell höher, was sich in besseren Leistungen niederschlage.

Auch andere Bildungsforscher sehen keine signifikanten Leistungsvorsprünge der Privaten. Allerdings scheinen Privatschüler zufriedener mit dem Schulklima zu sein und bewerten die Beziehungen zu ihren Lehrern besser. In Sachen Gerechtigkeit ist das Urteil eindeutiger: Der Anteil an Kindern aus bildungsfernen Schichten ist an Privatschulen deutlich geringer, ebenso der Ausländeranteil."

Dass es Kampagnenjournalismus tatsächlich gibt, dürfte kein vernünftiger Mensch heute noch bestreiten. "Wirtschaftsverbände und Privatschulen jubelten", schreibt Oliver Trenkamp angesichts der ersten PISA-Ergebnisse, die Schüler von Privatschulen international vorn sahen. Aber wo war dieser Jubel denn zu vernehmen, wenn nicht in den Medien? Und wer transportierte diesen Jubel als "veröffentlichte Meinung" in das allgemeine Bewusstsein? Beispiele der Medienkampagne zu Gunsten privater Internatsschulen habe ich einmal auf einer eigenen Webseite gesammelt. Die mediale Privatschulkampagne insgesamt belegt Regina Mönch auf Faz.net in dem Beitrag "Das Beste für's Kind":

"Die staatliche deutsche Schule wird schlechter geredet, als sie ist, und es fehlt ihr an glaubwürdigen Verteidigern. Bedrohte Apfelsorten und Auerhähne hätten es leichter."

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