Salem und die Folgen: Lug und Bueb

Streitschrift | Der Ex-Leiter des Internats Salem nervt mit einer neuen Streitschrift. Das Buch "Die Macht der Ehrlichen" soll den Verfasser als "mutigen Fürsprecher" der Wahrheit adeln.

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Am 15.10.2013 erschien in der "Rheinischen Post" eine sehr wohlwollende Rezension von Bernhard Buebs neuestem Buch "Die Macht der Ehrlichen" (vgl. Dorothee Krings: "Bernhard Buebs Kampf der Lüge"). "Eine Provokation" nennt der Verfasser dieses Werk. Und tatsächlich fühlt man sich provoziert: Zu einer geharnischten Erwiderung nämlich. Wo sich einer im Rahmen der noch immer virulenten neoliberalen Volksverdummung penetrant zum Hüter traditioneller Werte aufschwingt, muss er es sich gefallen lassen, kritisch an den eigenen Maßstäben gemessen zu werden. Ein Blick auf den Hintergrund des Bueb'schen Œwres sowie (ungern, aber gezwungenermaßen) auf die Person seines Urhebers weckt Zweifel an der Seriosität seines Eintretens für die Tugend der Wahrhaftigkeit.

Die Wahrheit setze sich "keineswegs immer von selbst durch", behauptet Bernhard Bueb. Das will man angesichts gesellschaft- licher Zustände unbesehen glauben, die sogar Heiner Geißler, den militanten Verfechter der "geistig-moralischen Erneuerung" von einst, die - wie man weiß - im "System Kohl" und der "Bimbes-Republik Deutschland" endete, nach einer "Zweiten Aufklärung" rufen lassen. Interessante Parallele: Geißler war wie Bueb einst Schüler des Jesuiteninternats St. Blasien, ist aber, ganz anders als der Letztgenannte - mit einer klaren Verurteilung der dortigen Missbrauchsfälle öffentlich hervorgetreten, während Bueb das Ausmaß der Pädokriminalität stets beschönigte und die Internate gegen einen angeblich ungerechtfertigten "Generalverdacht" in Schutz nahm.

Das wirft um so dringender die Frage auf, ob ausgerechnet der eher schillernden Figur des langjährigen Leiters eines ebenso schillernden reformpädagogischen Luxusinternats die Rolle eines berufenen Aufklärers zukommt, der den Ehrlichen zur Macht verhelfen könnte. Die Reformpädagogik und insbesondere die Landerziehungsheimbewegung, der Bueb sein gesamtes Berufsleben widmete und die er nach wie vor glorifiziert, stellen selbst ein Krisengebiet dar, in dem sich die Wahrheit nur sehr mühsam gegen die "extrem günstige Geschichtsschreibung" (Jürgen Oelkers) der Vergangenheit durchsetzt. Dies macht eine "Mythenbeseitigung durch Realgeschichte" dringend erforderlich. Weiterer Aufklärungsbedarf besteht zudem aufgrund der massiven Medienpropaganda zu Gunsten von Privatschulen und sozial exklusiven Internaten im Zuge der neoliberalen Bestrebungen zur Transformation des Bildungswesens, die letztlich auf die Zerstörung des öffentlichen Eigentums und eine Selbstvernichtung der Mittelschicht (vgl. Ulrike Herrmann: "Hurra, wir dürfen zahlen!") hinaus läuft. Hier ginge es darum, den falschen Propheten der Refeudalisierung unserer Gesellschaft die Maske vom Gesicht zu reißen! Diese Maske trägt auch Bernhard Bueb als langjähriger Repräsentant einer der teuersten Wohnschulen Deutschlands.

Ehrlichkeit ist eine Zier...

…doch weiter kommt man ohne ihr. Das dürfte auch Bernhard Bueb in krisen- und konfliktreichen Berufsjahren als Leiter der Schule Schloss Salem (1974 bis 2005) tief verinnerlicht haben.

Da spricht die Rezensentin der "Rheinischen Post" - Bueb paraphrasierend - von "tragischen Gestalten, die sich falsch oder auch nur fragwürdig verhalten, dazu aber öffentlich nicht stehen wollen." Und, Fluch der ruchlosen Tat:

"Die verfallen dann ins Lavieren, lügen aus Scham, beharren auf einer Version der Wirklichkeit, die ihnen kein Schuldeinge- ständnis abverlangt – und verstärken nur den Eindruck, dass in Wahrheit die Lüge regiert, die Unehrlichen an den entscheiden- den Strippen ziehen."

Was soll das sein? Eine versteckte Selbstbezichtigung des Buchautors? Ein spätes Eingeständnis früherer Sünden? Bereits bei Veröffentlichung der ersten "Streitschrift" Buebs unter dem Titel "Lob der Disziplin" hatte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus, dessen Ruf nach Gehorsam oder Abschaffung einer demokratisch gewählten Schülervertretung als "Projektion eigener jahrelang praktizierter Disziplinlosigkeit" entlarvt.

Eine Bestätigung hierfür bietet das Statement eines ehemaligen Salemer Oberstufenleiters, des nachmaligen Gründungsrektors der Sächsischen Landesschule für Hochbegabte St. Afra in Meissen und derzeitigen Leiters des Landerziehungsheims Louisenlund, Werner Esser. Der verriet im Interview mit der "WELT":

"Salem habe ich verlassen, weil ich fünfzig Prozent meiner Zeit mit disziplinarischen Problemen zugebracht habe und mir dabei das Geistige zu kurz kam. "

Unter den Reminiszenzen ehemaliger Bueb-Schüler ("Unser Lehrer Dr. Bueb"), die in der ZEIT veröffentlicht wurden, finden sich Zeugnisse einer schier unglaublichen Desorganisation der Schule Schloss Salem während der Amtszeit Bernhard Buebs. Zwei Beispiele:

"Ich war ziemlich renitent und musste unbedingt von zu Hause weg. Herrn Bueb habe ich die meiste Zeit aus der Ferne erlebt; er war eine graue Eminenz. Nur als ich zum Schulsprecher gewählt wurde, hatten wir ein Problem miteinander. Jemand wie ich könne nicht Schulsprecher werden, sagte er, mit meinen andauernden Regelverstößen sei ich kein Vorbild. Ich habe damals heimlich geraucht, häufig die Schule geschwänzt, das Schulgelände nachts verlassen, Schulbusse »ausgeliehen«. Obwohl eine große Mehrheit der Schüler mich wählte, habe ich dann das Amt nicht angenommen – eine »diplomatische Lösung«."

"Die Oberstufe gefiel mir besser, weil man näher an einer Stadt gewohnt hat und alles viel wohnlicher war. Aber dort haben viele Schule geschwänzt. Ich bin am Ende nur noch in jede zweite Stunde gegangen. Daran waren die Lehrer aber auch selbst Schuld. Oft wurde in den Stunden Kaffee getrunken oder man wurde in die Bibliothek geschickt. Die Lehrer waren eigentlich schon alle sehr engagiert, aber sie haben in Salem wohl so viel zu tun, dass sie den Unterricht nicht mehr richtig vorbereiten können. Es ging eigentlich die ganze Zeit nur um Party und saufen."

Der erste Leiter des im Jahr 2000 auf der Weltausstellung in Hannover als "weltweites Projekt" vorgestellten und inzwischen wegen Schülermangels zur Vorschule für orientierungslose Abiturienten abgewerteten "Salem International College", Dr. Otto Seydel, bekräftigt die vorstehenden Beobachtungen in markigen Worten:

"Der reale Stellenwert des Unterrichts in der Oberstufe ist bei großen Gruppen unserer Schüler von Jahr zu Jahr immer stärker gesunken. [...] Trotz schulischer Gefährdung, trotz bevorstehender Examina wurde die Nacht zum Tag gemacht, wurde geredet, gefeiert, als wären ewig Ferien: das Landerziehungsheim als exklusiver Club Mediterrané."

Ein Jahr nach dem Start des "Salem International College", als dessen Spiritus rector Bernhard Bueb in der Eröffnungs-rede von Bundespräsident Johannes Rau gerühmt wurde, machte die Schülermehrheit alle Blütenträume von einem "internationalen Geist" der Schule zunichte, indem sie einen Aufstand gegen die ausländischen Mitschüler und damit indirekt auch gegen die Schulleitung inszenierte. Ein Beteiligter in der ZEIT:

»Wir hissten die deutsche Fahne«
Im Jahr 2001 hatten wir als Schüler den Eindruck, dass die alten Werte, die wir schätzten, ein wenig verloren gingen. Die Ausbildung wurde mehr und mehr verweichlicht. Viele neue Schüler haben von Anstand und Disziplin wenig mitbekommen. Wir haben uns dagegen aufgelehnt, haben deutsche Fahnen gehisst und uns bewusst zu alten Traditionen und Werten bekannt. Es war eine Gegenbewegung zur antiautoritären Erziehung. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Disziplin von der Schule vorgegeben wird. Ich bin mir sicher, dass alles viel strenger wäre, wenn die Schüler das Sagen hätten."
Brian Schlede, 25, Geschäftsführer Xstatic-Systems GmbH, Bayreuth, Abitur 2001

Ist also Bueb selbst eine jener "tragischen Gestalten", die zu ihren Fehlern öffentlich nicht stehen wollen und auf einer "Version der Wirklichkeit" beharren, "die ihnen kein Schuldeingeständnis abverlangt"?

Buebs Realitätsverständnis im Faktencheck:

1974, bei Bernhard Buebs Amtsantritt, war Salem nach Einschätzung des SPIEGEL (vgl. Heft 29/2005) "nur noch ein Trümmerhaufen. Die Schuluniformen waren abgeschafft, die Rituale ebenso, Alkohol, Drogen überall, die Stelle des Internatsleiters seit Jahren nur kommissarisch besetzt..." Hat man Bueb damals als den "mutigen Fürsprecher der Wahrheit" erlebt, der Eltern von der Anmeldung wohlgeratener Kinder abriet, um diese nicht einem gefährdenden sozialen Umfeld auszusetzen? Offensichtlich nicht.

Zeitsprung: Im Jahr 1986 propagierte Bernhard Bueb in der Hauszeitschrift der Vereinigung Deutscher Landerziehungs- heime ("Konzepte und Erfahrungen" 1986, S. 46 ff.) eine "Neue Stipendienpolitik", die darin bestehen sollte, Kostenermäßi- gungen nur noch an besonders leistungsbereite und sozial engagierte Bewerber zu vergeben. "Gegenwärtig", so hieß es da zur Begründung,

"verstärken viele Landerziehungsheime durch ihre Aufnahme- praxis das Image der Internate, vor allem schwierige, konsumorientierte, verwahrloste, abgeschobene Kinder aufzunehmen. Dieses Image und die entsprechende Wirklichkeit schrecken potentielle Eltern und Jugendliche ab, ein Internat zu besuchen - Jugendliche, für die ein Internat ein Segen wäre und die für Internate ein Segen wären. [...]

Buebs Problemlösung:

Die Forderung nach einer qualifizierten Schülerzusammen- setzung stelle ich jenseits der gegenwärtig stattfindenden Elitediskussion. Sie ist pädagogisch begründet: Jugendliche werden vor allem durch Gleichaltrige erzogen. Gerade schwierige Jugendliche werden eher eine Chance haben, ihrer Schwierigkeite Herr zu werden, wenn sie von Gleichaltrigen mitgetragen werden, die aufgrund einer glücklichen Biographie ausgeglichen, wissbegierig, kameradschaftlich, lebensoffen und zukunftsorientiert leben und lernen."

Doch wie sah es über ein Jahrzehnt nach dem Dienstantritt Buebs an der Schule Schloss Salem tatsächlich aus? Lag man nicht mit dem Hausherrn des Schlosses, dem Enkel des einstigen Mitbegründers der Schule, Markgraf Max von Baden, in erbitterter Fehde? 1986 versuchte der adelige Schulpatron das Institut, das mit seiner Mittelstufe lediglich Mieter im markgräflichen Schloss war, durch einen formellen Rausschmiss los zu werden, weil ihm der liberale Führungsstil Buebs und das öffentliche Auftreten der Internatsschüler allzu sehr missfielen. Zwar wehrten sich Bueb und seine Mitstreiter öffentlich gegen den Vorwurf des Verfalls der guten Sitten, doch bestätigen Presseberichte ein derartiges Ausmaß der von dem Markgrafen angeprangerten "Sittenlosigkeit", dass man an ein zuträgliches Erziehungsmilieu kaum glauben mag. Der Hausherr Max scheiterte zwar im Rechtsstreit mit der Schule durch sämtliche Instanzen, doch war es seit 1988 beschlossene Sache, dass der 1999 auslaufende Mietvertrag mit der Schule nicht verlängert werden sollte. Bueb war zur Planung eines Neubaus für die Mittelstufe gezwungen, der oberhalb der Stadt Überlingen, auf dem histrorisch hochgradig kontaminierten Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Überlingen-Aufkirch, entstehen sollte.

Im Grunde hatten sämtliche Vorgänger Buebs vor der Schwierigkeit gestanden, dass das "Schülermaterial" den Zielen einer "Eliteschule" in keiner Weise entsprach. Bereits von dem als pädagogisches Genie überhöhten Schul(mitbe)gründer Kurt Hahn ist dies überliefert. 1930, zehn Jahre nach Eröffnung Salems, stellte dieser resigniert fest:

"Keine Schule kann eine Tradition von Selbstdisziplin und tatkräftiger, freudiger Anstrengung aufbauen, wenn nicht mindestens 30 Prozent der Kinder aus Elternhäusern kommen, in denen das Leben nicht nur einfach, sondern sogar hart ist."

Hahns Plan, Musterkinder aus "einfachen Verhältnissen" zwecks Förderung der Lebenstüchtigkeit verweichlichter Adels- und Großbürgersprösslinge als pädagogische Hilfstruppe zu instrumentalisieren, gelangte über Ansätze nie hinaus. Doch auch so hätte Bernhard Bueb bei der Vorstellung seiner schon damals gar nicht mehr so neuen Stipendienpolitik auf eigene ernüchternde Erfahrungen mit der wohlhabenden Stammkundschaft zurückgreifen und zu dem Schluss gelangen müssen, dass sich die "dekadente" Mehrheit der Reichenkinder wohl kaum am Vorbild einer Minderheit leistungsbereiter und sozial engagierter Stipendiaten orientieren würde, deren Aufnahme von der großzügigen Spendenbereitschaft der Bessergestellten abhängig war und über deren fehlenden "Background" diese heimlich die Nasen rümpften. Und er hätte sich - ehrlich, wie er zu sein vorgibt - eingestehen müssen, dass die subkulturellen Verhaltensnormen der "Coolen", wie die jugendliche Schickeria in Salem seit Generationen genannt wird, in der Pubertät selbst auf die Wohlerzogensten eine so große Faszination ausüben, dass eher die Frömmsten verdorben als die Sünder geläutert werden . So schreibt ein Neuschüler auf dem Ratgeber-Portal "gutefrage.de":

"Die Schule ist toll, ich werde jetzt absichtlich nicht sagen auf welcher ich bin und es gibt wirklich auch normale Leute sprich Stipendiaten aus normalen Verhältnissen aber diese Leute sind halt nur nett aber mehr auch nicht und die "Anderen" sind interessant aber auch hinterfotzig aber die schmeißen die coolen Partys und auf die will ich auch nicht verzichten."

Sogar in der eigenen Familie konnte Bueb studieren, dass die Ratio seiner Stipendienpolitik auf falschen Prämissen beruhte. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung nämlich verriet Valerie Bueb, eine der beiden Töchter von "Deutschlands strengstem Lehrer" (BILD) über ihre Salemer Schulzeit:

"...ich war auch nie die brave Einserschülerin, die viele erwartet hätten.

Hätte dein Vaer sich das nicht gewünscht?

Doch, er hat auch manchmal darüber geklagt, dass ich nur mit „den Coolen“, wie er sagt, befreundet bin. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn ich mir die guten Schüler als Vorbild genommen hätte. "

Ein "WELT"-Interview aus dem Jahr 2000 offenbart eine bis zur Schizophrenie widersprüchliche Einstellung Buebs gegenüber besagten "Coolen" unter den Salemer Schülern. "Ein großer Teil unserer Schüler" prahlt Bueb zunächst grob wahrheitswidrig, "kommt nach Salem mit einem Stipendium, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Diese Stipendien sind Auszeichnungen, keine Almosen. Auch was die normal zahlenden Schüler angeht: Wir sind keine Reparaturanstalt für die Produkte gescheiterter Erziehung." Die WELT fragt nach: "Und kein Auffangbecken für schwarze Schafe?"

Und jetzt kommt eine hochseilartistische Unterscheidung zwischen "Produkten einer gescheiterten Erziehung" und "schwarzen Schafen"! Bueb:

"Was sind schwarze Schafe? Das sind oft nur schwierige Kinder, und die können hoch interessant sein. Mich interessiert ein solches Kind mehr als ein langweiliger Klassenprimus. Was wir allerdings nicht wollen, sind wohlstandsverwahrloste Kinder. Die bekommen wir natürlich auch, aber da sorgen ihre Mitschüler schnell für die nötige Korrektur."

Ach, "wohlstandsverwahrloste Kinder", die man gar nicht haben will, "bekommt" man einfach so wie eine seit drei Wochen überfällige Hochschwangere. Und das Problem wird dann aber so "einfach" gelöst, nämlich durch "nötige Korrekturen" der Mitschüler (eine Umschreibung für das aus englischen Internaten bekannte Bullying?), dass es wiederum nicht einleuchten will, warum man sich gegenüber der Aufnahme wohlstandsverwahrloster Schüler derart ziert. Hier verstrickt sich der Baron Münchhausen wohl in seine gewohnt abenteuerlichen Geschichten!

Tatsächlich führte Buebs "neue Stipendienpolitik" nie zu der erwarteten "qualifizierteren Schülerauswahl" oder einer Dominanz der offiziell gebilligten Wertvorstellungen. Wie auch - bei den oben demonstrierten megaknallharten und ultraselektiven Auswahlkriterien dieser "Eliteschule". Den LeserInnen der Unternehmer-Zeitschrift "Impulse" erklärt Baron Bernhard von Buebshausen hinwiederum noch 2010 in heuchlerischer Selbstgewissheit :

"Wer glaubt, durch Angeberei oder bestimmte Accessoires, etwa eine Rolex-Uhr, sich Ansehen kaufen zu können, gerät in die Kritik. Aber leider machen solche Statussymbole auf manche Mitschüler Eindruck. Deshalb müssen bewusst Gegengewichte geschaffen werden, etwa durch unsere Stipendienpolitik. Jeder vierte Schüler wird gefördert. Auch intern gibt es, unabhängig vom Einkommen der Eltern, Stipendien für begabte Schüler. Das höchste Ansehen genießt der, der etwas aus sich selbst macht. Dieser Gedanke kommt aus Amerika, ist inzwischen aber auch in Deutschland akzeptiert. Dass die persönliche Leistung höher angesehen ist als eine fremd-bestimmte, etwa durch ein Erbe, dagegen kann auch niemand etwas sagen. "

Dagegen vielleicht nicht, aber vielleicht dazu. Denn jedem kritischen Beobachter der gesellschaftlichen Entwicklung müsste - außer vielleicht dem lebenslangen Internats-Insassen Bueb - aufgefallen sein, dass inzwischen ein deutlicher Wertewandel eingesetzt hat. So weist der Wiener Soziologe Sighard Neckel auf eine aktuell stattfindende "Entwertung von Arbeit und Leistung als Quelle von gesellschaftlicher Anerkennung" hin. Während von normalen Arbeitnehmern bis hin zu den Empfängern von Sozialhilfe immer höhere Leistungen gefordert und solche rigiden Leistungsanforderungen geradezu als Mittel zur Disziplinierung der unteren Sozialschichten benutzt würden, hätte ein Teil der Oberschicht in den letzten Jahren enorme Reichtumsgewinne verzeichnet, die nicht auf eigener Leistung beruhten, sondern auf der historisch einmaligen Situation einer Erbschaftswelle nach einer langen Friedensepoche bzw. auf der Möglichkeit, durch Spekulation und Selbstbereicherung in Führungsposi-tionen zu astronomischen Einkünften zu gelangen, die in keinem Verhältnis mehr zu irgendeiner Form persönlicher Leistung stünden. Neckel spricht hier von „Gelegenheits-ökonomie“ als einer Form des Glücksrittertums. Hierdurch sei es zu einer Refeudalisierung der Gesellschaft gekommen, zur Etablierung einer neuen Aristokratie des Geldes, die für sich in Anspruch nehme, Elite zu sein, auch wenn sie nichts geleistet habe.

Dementsprechend hatten Stipendiaten in der Schule Schloss Salem immer einen schweren Stand. Dies zeigt auch ein aktueller Beitrag auf dem Ratgeber-Portal gutefrage.de:

"Ich hab einiges gehört über Salem von mehreren Leuten, die seit diesem Jahr dorthin gehen (Sie haben alle ein Stipendium). Dort soll es nicht so toll sein wie es alle immer behaupten. Angeblich spielt Geld eine sehr wichtige Rolle dort bei der Integration, sodass stipendiaten von den "Vollzahlern" nicht sehr gern gemocht werden und sich dort eigentlich zwei Gruppen gebildet haben. Außerdem sind dort recht viele Schüler im Vergleich zu anderen private internaten. Und du kommst nur nach Salem wenn du in der Mittelstufe bist. Für die Unterstufe gibt es das Schloss Hohenfels und für die Oberstufe Spetzgart. [...] Ich hab mich auch erst für Salem beworben, bin aber froh, dass ich nicht genommen wurde, weil die, die genommen wurden es nicht so gut finden wie sie es sich gedacht haben."

Fehleinschätzungen im Großen wie im Kleinen. "Sie haben Salem 'einen weltlichen Orden auf Zeit' genannt", wird Bueb in dem bereits zitierten "Impulse"-Interview gefragt. "Die Zimmer sind spartanisch eingerichtet, das Essen ist einfach. Die Eltern zahlen viel Geld für wenig Komfort." Buebs Antwort:

"Ich habe praktisch nie erlebt, dass Eltern den Anspruch erhoben haben, dass ihr Kind ein besonderes Zimmer kriegt. Einige Schüler haben sehr wohl aufbegehrt, aber die Eltern haben in der Regel gesagt, das musst du mit der Schule ausmachen, wir werden keinen Einfluss nehmen. An der Art und Weise, wie Eltern ihr Kind der Normalität ausgesetzt haben, konnte man viel ablesen."

Doch das genaue Gegenteil berichtet die Schülerin "Silke" in einer Reportage des Zeitgeistmagazins "Tempo" ("Ganz oben", Heft 9/1987, S. 42):

„Ob du adelig bist oder nicht, ist in Salem egal“, sagt Silke. „Hier kommt’s nur auf die Kohle an. [...] Da rufen dann die Mütter an: ‚Ja, sagen Sie mal, jetzt zahlen wir extra so viel, und mein Bubi ist in dem und dem Zimmer und bababababa’, und schon ist er in einem größeren. Vorm Geld muss die Schulleitung kuschen, das braucht sie eben.“

Was weiß dieser "Schulleiter" nach über 30-jähriger "Erfahrung", auf deren Erklärungsmacht und Beweiskraft er sich in seinen Büchern immer wieder naiv beruft, eigentlich tatsächlich über die Lebensrealität seiner Wirkungsstätte? Verkennt er die Realitäten einer sozial exklusiven "Eliteschule" nur aufgrund ideologischer Verblendung oder führt er die Öffentlichkeit mit voller Absicht hinter die Fichte? Sorgt er - in der Maske des Streiters für die Ehrlichkeit - durch gezielte Desinformation dafür, dass "die Lüge regiert" und ist er einer von den Unehrlichen, die "an den entscheidenden Strippen ziehen"?

Zumindest eine dieser Alternativen muss zutreffen. Denn über ein Vierteljahrhundert nach Buebs Verkündung der "neuen Stipendienpolitik", im Herbst 2012, sah sich der derzeitige Salemer Schulleiter Bernd Westermeyer herausgefordert, einen ähnlichen Versuch zur Hebung des Niveaus in der Schule Schloss Salem zu unternehmen. "Eliteschule Salem nimmt keine reichen Problemkinder mehr auf ", titelte das Hamburger Abendblatt vom 17.09.2012. "Qualität statt Quantität" sei das Motto des neuen Leiters. Doch es kam auch diesmal, wie es kommen musste. Bereits binnen Jahresfrist ruderte der Schulvorstand ostentativ zurück. Im Überlinger Südkurier bezeichnete dessen Vorsitzender, Robert Leicht, das "der Schule aufgedrückte" Elite-Label als "störende Zuschreibung". Es schrecke Eltern ab, "die denken, wir würden unser Kind gerne nach Salem geben – aber Elite, das schafft es vielleicht nicht. "

Charakterbildung? Vom Schicksal der Tugend in einer "totalen Institution"

Schein oder Sein... In einem 2008 im "Kölner Stadtanzeiger" veröffentlichten PR-Artikel mit Reminiszenzen einer Salemer Absolventin wird deutlich, dass die angeblich seit Kurt Hahns Zeiten gültigen "Fixsterne" der Salemer Erziehung, allen voran die Wahrheitsliebe, keinerlei Wirkung im Hinblick auf das Verhalten der Edukanden haben:

"Willkommen im Internat Schloß Salem in Baden-Württemberg, wo man schon um 22.15 Uhr auf den so genannten „Flügeln“ sein muss, was aber die meisten Schüler - auch mich - nicht daran hindert, ein Stündchen später noch „auszusteigen“ und in einen nahe gelegenen Club zu gehen."

Dies betrifft offensichtlich bereits die Jüngsten, wie ein Bericht der "WELT" ("Schöner lernen im Schloss", DIE WELT vom 30.04.2010) bestätigt:

"Um 22.30 Uhr gehen in den Flügeln im Schloss die Lichter aus, da liegen die Jüngeren auf Burg Hohenfels schon seit fast zwei Stunden in ihrem Bett. Ganz Hohenfels? Nein, nicht alle. Im Mädchen-Flügel dringt aus einem Zimmer noch glucksendes Kichern. Ida, Stefanie und Sofia haben ein paar Kuchenreste vom letzten Geburtstag gefunden. Die verputzen sie nun im Schein der Taschenlampen: 'Man darf sich nur nicht erwischen lassen', erklärt lässig die elfjährige Stefanie, 'aber wir haben da so unsere Methoden.' Dagegen hätte sogar Kurt Hahn, der hier in Salem so verehrt wird, nichts gehabt. Denn Streiche, hat er mal gesagt, sind gut: Sie wecken Fantasie, Initiative und Organisationstalent."

Hatten wir nicht erst vor wenigen Jahren unter der Überschrift "Salem zieht die Zügel an!" in derselben "WELT" gelesen, dass "in dem Internat am Bodensee [...] deutlich mehr Wert auf Disziplin gelegt" werde und die Schulleitung sich dergleichen nicht mehr bieten lasse? Da hatten wohl die neue Schulleiterin Ingrid Sund und ihr wackerer britischer Oberstufenleiter Pelham Lindfield-Roberts die erste Streitschrift Bernhard Buebs, "Lob der Disziplin", tatsächlich für bare Münze genommen - und verloren zum Ende der einjährigen Probezeit ihre Jobs. Sie hatten eben eines nicht begriffen: Eherne Erziehungsgrundsätze haben in Salem nur die Funktion, einen bestimmten Eindruck nach außen zu vermitteln, der dem "guten Ruf" dient. Dementsprechend war Buebs "Lob der Disziplin" auch keineswegs als Dienstanweisung für Salemer Leitungspersonal gedacht.

Konsequenterweise (der Begriff Konsequenz erscheint im Zusammenhang mit der Salemer Pädagogik allerdings reichlich unpassend) findet sich auf der offiziellen Webseite des Instituts unter dem Stichwort "Regeln" folgende, in anbiederndem Schülersprech gehaltene Interpretation der medienöffentlich gern als "streng" bezeichneten Internatsordnung:

"Aber keine Angst, die Regeln sind gar nicht so streng, wie sie sich anhören, und im Prinzip sind sie ganz einfach. Man darf in Salem kein Alkohol trinken und auch nicht rauchen. Wenn man erwischt wird, bekommt man eine angemessene Strafe und wenn man gegen diese Regeln weitere Male verstößt, muss man die Schule leider verlassen.

Klingt knallhart, aber jeder halbwegs intelligente Mensch weiß, dass wir Schüler doch immer Wege finden die Regeln zu umgehen. Und ich muss sagen, manche unter uns entwickeln dabei wirklich beneidenswerte Masterpläne. [...] Dies war jetzt natürlich nur ein Beispiel, aber ich könnte noch unendlich viele Seiten schreiben, um euch die Salemer Regeln zu verdeutlichen."

Das lässt sich aber vielleicht auch abkürzen. Da schreibt z.B. ein "SalemCollegeGirl" am 21.08.2003 auf dem Portal ciao:

„Jedoch sollte man jetzt nicht denken, dass Salem sehr konservativ oder gar steif ist! Konsequenz in der Erziehung: JA! Übertriebene Strenge: DEFINITIV NEIN!!! Ich sage euch, ich habe noch nie, noch NIE vorher eine so große Gemeinschaft kennengelernt, die es schafft, so gut Feste zu organisieren und diese so intensiv zu feiern (und ich komme aus einer totalen Partystadt!)!! Feten stehen fast auf der Tagesordnung! Wenn die Schule eine Feier organisiert, dann kommt es schon mal vor, dass diese bis um halb 2 morgens geht. Wenn jedoch nichts ansteht, dann machen die Salemer ihre "Privatpartys": Auf den Zimmern treffen sich ein paar Schüler und es wird ordentlich getrunken, gegessen, gelacht...! WOW, schon beim Gedanken daran erfüllt mich dieses besondere Feeling! Ich könnte stundenlang von den grandiosen Partys erzählen! Natürlich gibt es auch Regeln in diesem Internat, und diese gelten immer und für alle, aber oft schafft man es, diese zu umgehen!

Und es geht sogar noch kürzer. In der WDR-Talk-Sendung "B(öttinger): trifft..." vom 08.02.2002 , in der als zweiter Gast bezeichnenderweise der als Hochstapler verurteilte ehemalige Postzusteller und falsche Facharzt für Psychiatrie, Gerd Postel, auftrat, verriet die Altsalemerin Ariane Sommer:

„Man durfte [in Salem] alles machen, man durfte sich nur nicht erwischen lassen!"

Bingo. Das haben wir doch schon mal gehört. Und dass dies nicht nur für die Schüler gilt, sondern auch für die Schulleitung, verraten diese beiden Chat-Beiträge von Salem-Absolventen:

"Die meisten Gerüchte die über Salem im Umlauf sind, stimmen nicht! Wissen Sie, mir liegt sehr viel daran Salem gut zu präsentieren und wieder ins rechte Licht zu rücken. Erst einmal, ich bin von einer Realschule mit notendurchschnitt 3,4 nach Salem gewechselt. Ich habe kein Stipendium bekommen, da ich nicht den Erforderun-gen nachkommen konnte. Nun, im nächsten Zeugnis auf Salem, einem staatlich anerkannten Gymnasium, habe ich einen Durchshnitt von ca 2,3 gehabt! So geht es vielen Schühlern und Schülerinnen hier , da wir pedagogisch sehr gut betreut sind! Die Klassen sind viel kleiner (manchmal sogar nur 13 Schüler in einer Klasse!!) und dadurch können die Lehrer viel besser auf jeden Einzelnen eingehen und dessen Schwächen fördern! So kommt es auch, dass viele ein Stipendium bekommen da sie wirklich den Notendurchschnitt im Zeugniss vorweisen können!"

Antwort auf diesen Beitrag:

"Die Tatsache, dass dein Notendurchschnitt von 3,4 auf 2,3 gestiegen ist, beweist nicht dass der Unterricht in Salem qualitativ so viel höher liegt, sondern lediglich, dass Deine Bewertung an der einen Schule anders vergeben wird als an einer anderen. Wie man, mit verlaub gesagt, an Deiner Schreibweise erkennt.

Ich bin ebenfalls ein "Ehemaliger", und kann ganz andere Erfahrungen beisteuern. Als ich nach der 10. Gymnasial-klasse einer Deutschen Auslandsschule in das Salemer Internat kam, verbesserte sich mein Notendurchschnitt ebenfalls leicht. Einen besonders guten Unterricht habe ich jedoch nicht erlebt. Der Unterrichtsstoff war relativ einfach, und genau auf die Prüfungen abgestimmt; so bekamen Schüler teilweise Hausaufgaben, die später mit den Prüfungsaufgaben bis auf wenige Details übereinstimmten. Als ich später für das Abitur in der 12. Klasse wieder wechselte, sackte mein Notendurchschnitt in der neuen Schule sofort wieder ab, sodass ich die 12. Klasse freiwillig wiederholte, um nicht meine Hochschul-reife zu gefährden. Wer nun in Salem alles ein Stipendium bekam, und wer nicht, hat mich damals nicht interessiert (ich bekam keines), und kann ich daher heute auch nicht bestätigen. Allerdings fiel mir damals schon auf, dass Schüler aus besonders wohlhabenden Familien "freiwillig" Geld spendeten, um der schule die Vergabe von stipendien zu ermöglichen. Diese Schüler wurden im Ausgleich dazu indirekt von der Schulleitung bevorzugt. Ein ansonsten durchweg streng geregeltes Internatsleben wurde in der Praxis auf solche Schüler nicht angewandt, sie genossen somit Privilegien. Mobbing, Diebstahl, Vandalismus, das Prahlen mit dem väterlichen Einkommen oder dessen adeliger Stellung sowie Bevorzugung und Diskriminie-rung bringe ich mit Salem in erster Linie in Verbindung. So gesehen findet in Salem zwar keine Schulausbildung auf besonders hohem Niveau statt, aber eine Vorbereitung auf das spätere Leben bekommt man auf alle Fälle, wenn auch auf eine andere Art und Weise, als es die von Arroganz und Überheblichkeit geprägte Schulleitung proklamiert."

Man muss nicht lange überlegen, um zu sehen, dass sich eine Reichenschule wie Salem offensichtlich selbstherrlich über die staatlichen Aufnahme- und Versetzungsbestimmungen sowie die staatliche Schulordnung hinwegsetzt, obwohl deren Einhaltung die Voraussetzung darstellt für die staatliche Anerkennung und die Bezuschussung nach dem Ersatzschulfinanzierungsgesetz. Da wird also ein Realschüler mit Notendurchschnitt 3,4 ins private Gymnasium aufgenommen, was an einer entsprechenden staatlichen Lehranstalt undenkbar wäre. Und zusätzlich verbessern sich die Leistungen dennoch sprunghaft. Durch "nachsichtige Zensurengebung" und Hausaufgaben, die mit der späteren Klassenarbeit identisch sind, wie man dann von dem Salemer Mitschüler erfährt. Übrigens ist in Salem auch "Nachhilfeunterricht" beim eigenen Fachlehrer erlaubt, ein absolutes No Go an öffentlichen Schulen!

Da schwant einem doch, was es bedeutet, wenn ein Bernhard Bueb "freimütig" einräumt, "kein sehr schweres Gymnasium zu führen", sondern der "Chrakterbildung" den Vorrang einzuräumen, damit die Schüler "ihr Potential entdecken“ könnten.

Vielleicht noch ein weiteres Schlaglicht auf die Sozialisationswirkungen des Salemer Milieus. Hier ergeben sich zwischen dem ehemaligen Schulleiter Bernhard Bueb und seiner Schülerin , der oben zitierten Ariane Sommer (Abitur 1995), durchaus interessante Parallelen. Sommer scheint bei Bueb nicht nur gelernt zu haben, sich nicht erwischen zu lassen. Sie teilt auch seine Neigung, sich mit doppel-moralischen Publikationen in die Öffentlichkeit zu drängen, die zwar die Welt nicht braucht, die aber zumindest der eigenen Popularität nützen. Im Hinblick auf den Erscheinungstermin ihres Erstlingswerks, bezeichnenderweise eine "Benimm-Bibel"(erschienen 2001), hatte Sommer im Wettbewerb mit ihrem einstigen Schulleiter sogar die Nase vorn. Und ganz wie dieser verschreibt sie sich sehr gern (bei) moralischen Themen, wie vor einiger Zeit auf N24 im lockeren Talk mit dem Kapuzinerpater Bruder Paulus zu erfahren war (Sendungs-Titel: "Um Gottes Willen". Inhalt: "Ethische Fragen in Wirtschaft und Gesellschaft"). Es folgte dann allerdings eine Tätigkeit als Kolumnistin des Gesellschaftsmagazins "Gala" - (Arbeitsprobe: "Geschichten mit falschem Bart sind das Ding in Hollywood") sowie das Werk "Foreign Affairs", das Kurzprosa über One-Night-Stands enthält und auf diese Weise "einen literarischen (wenn nicht sogar eigene Erfahrungen reflektierenden) Einblick hinter die Party-Kulissen" von Hollywood bietet. Daneben wirkte die "Alt-Salemerin" zudem noch als (mehr gefeuerte als gefeierte) n-tv-Moderatorin, sowie als nackte Tierschützerin und Schauspielerin. Neuerdings setzt sie sich als "Green Lifestyle-Aktivistin" für vegane Ernährung ein und verrät - auch eine Interpretationsmöglichkeit des "blauen Engels" - einschlägige Lieblingsrezepte wie "chremegekrönte Törtchen".

Nun ja. Auch "unser Lehrer Dr. Bueb" wird von eigenen Erfahrungen zur Buchproduktion getrieben und auch ihn zieht es - anders als die moralinsauren Thesen seiner Bücher es vermuten lassen und ganz wie die im UFA-Klassiker "Der Blaue Engel" besungenen Motten - ans Licht des Medienboulevards und damit in eher flache Gewässer, wo es leicht ist, mit allerlei Rezepten und falschen Bärten zu beeindrucken. Aber davon noch später.

Was sich hier bereits als Verdacht andeutet und durch die weitere Darstellung noch erhärtet werden dürfte: In "Die Macht der Ehrlichen" gibt sich ein wahrer Münchhausen der Pädagogik als aufrechter Kämpfer gegen die Lüge aus. Doch er hat geschwiegen und beschönigt, wo er hätte warnen müssen. Und er verbreitet nach wie vor und - wie man annehmen muss, wider besseres Wissen - fortgesetzt gute Nachrichten über das Salemer Erziehungsmilieu, die jeder Kenner der Verhältnisse kopfschüttelnd als hartnäckige Realitätsverleugnung zurückweisen würde.

Bedarf es eines schlagenderen Beweises für die Richtigkeit zumindest einer der Kampfparolen des schmalen Bändchens über die "Macht der Ehrlichen", dass nämlich "Zynismus der wahre Feind der Ehrlichkeit" sei?

Wer wäre während der mittlerweile fast 100-jährigen Geschichte der „angesehenen Internatsschule Schloss Salem am Bodensee“ (Krings) wohl länger in des Kaisers neuen Kleidern herumstolziert als der wendige Bernhard Bueb? Hielt er sich doch hartnäckiger an der Spitze dieses "mittelständi- schen Unternehmens" als selbst sein berühmtester Vorgänger Kurt Hahn, der es - bedingt durch die erzwungene Emigration - lediglich auf die Hälfte der Bueb'schen Dienstjahre brachte.

Die Erziehungsideologie Hahns, auf deren angebliche "Modernität" die Schule Schloss Salem sich immer mal wieder beruft, wenn man um Alleinstellungsmerkmale verlegen ist oder (keineswegs plausible) Gründe für im Vergleich zur Konkurrenz geringere Missbrauchsgefahren vorgebracht werden sollen, gilt heute allgemein als größter anzunehmender Unsinn in der Pädagogik. Dies betrifft vor allem seinen weltfremden ethischen Rigorismus. "Hahn wird als Vordenker und 'Label' der Schule[n] ausgestellt", schreibt Tilmann Lahme in der FAZ. "Dabei ist das theoretische Fundament von Hahns Pädagogik kaum tragfähig für ein modernes Internat. "

Die Wahrheitsliebe war seit Gründungszeiten die edelste der drei "Salemer Tugenden" und wird daher vor Mut und Gemeinsinn stets als erste genannt. " Im persönlichen Tugendkatalog des "bedeutenden Pädagogen" Kurt Hahn stand die Wahrheitsliebe allerdings wohl nicht ganz so weit oben.

Als "reich an Ideen", aber auch "reich an Energien und List, um sie zur Wirklichkeit zu bringen", beschreibt Golo Mann [zitiert nach Knoll] seinen einstigen Erzieher und späteren Freund. Mit anderen Worten: Für Hahn heiligte im Zweifelsfall der Zweck die Mittel. Und auch politisches Ränkespiel war ihm, der sich recht spät - nach gescheiterter Mission als eine Art selbst ernannter Politikberater - der Pädagogik zuwandte, nicht fremd.

Trotz seiner Herkunft als Spross einer großbürgerlichen jüdischen Familie, war Hahn - entgegen der auch von ihm selbst stets reichlich genährten Legende - kein ganz so aufrechter Kämpfer gegen die NS-Diktatur, wie er selbst und seine Bewunderer es im Schulmythos gern verankert hätten. Denn 1934 riet er "ohne Zögern" seinen Schülern zum Eintritt in SA und SS, weil er noch hoffte, von den braunen Machthabern als „guter Hofjude“ geduldet und dank der Fürsprache einflussreicher Gönner nach kurzer Schutzhaft wieder als Leiter der Schule Schloss Salem eingesetzt zu werden.

Während Hahn sich ins sichere englische Exil absetzte, wurden seine jüdischen Schüler aus Salem vertrieben. Das führte zu einer ersten Existenzkrise der „Eliteschule", denn die lebte - nach dem inflationsbedingten Verlust des Gründungskapitals, das Schulpatron Prinz Max von Baden eingebracht hatte - weitgehend von den jüdischen "Vollzahlern", die mit ihrem Geld auch die Kostenermäßigungen für die nach 1918 vieler Privilegien und Einkommensquellen verlustig gegangene und vielfach ausgesprochen antisemitisch eingestellte Adelskundschaft aufbrachten.

Seither ist die „Pädago-Polis am Bodensee“ (Selbstbe-schreibung) aus den Kalamitäten nie wieder heraus gekommen und stolpert zuverlässig von einer Krise und einem Skandal zur/zum nächsten, weil dort "Hinter goldenen Gittern... die Widersprüche nur so aufeinander krachten" (der Altsalemer Jochen Senf im Berliner "Tagesspiegel"). Kann man das zu einer fast 100-jährigen Erfolgsgeschichte umdichten?

Die Doppelbödigkeit des Salemer Erziehungsmilieus war zwar zu einem hohen Grad schon in der Persönlichkeit ihres Spiritus rector sowie den Charaktereigenschaften der Salemer Oberschichtklientel angelegt, muss aber vom Prinzip her den organisationstheoretischen Gesetzmäßigkeiten einer totalen Institution angelastet werden, die mit der Gründung eines Internats der Salemer Prägung zwangsläufig in Erscheinung traten.

Hahn litt nach zuverlässiger Auskunft seines Freundes und Biographen Jocelin Winthrop-Young an einer bipolaren Störung und einer Psychose, die durch die Legende von einem angeblichen Sonnenstich und hierdurch verursachte chronische Kopfschmerzen camoufliert wurde. Bipolare Störungen sind oft mit weiteren Persönlichkeitsstörungen als Begleiterkrankungen verbunden, so dass die Beschreibung Hahns als eines genialen "Menschenfängers" die Vermutung zulässt, dass wir es hier mit dem Oberflächencharme eines Psychopathen zu tun haben.

Ein Wesensmerkmal totaler Institutionen (als solche gelten z.B. Gefängnisse, Arbeitslager, psychiatrische Kliniken und Internate) besteht in der Herausbildung einer Insassen-Subkultur, die eine weitgehende Parallelwelt zu der "offiziellen" Kultur des Wach-, Pflege-, Lehr- oder Betreuungspersonals darstellt. Die Reaktionen der Insassen auf die Lebensbedingungen totaler Institutionen variieren zwischen Regression (resignatives Abstumpfen, Passivität), Auflehnung (offene Rebellion oder permanenter Kleinkrieg gegen die Institution), Kolonisierung (gemütliches Sich-Einrichten) oder Konversion (Identifikation mit der Einrichtung, Übernahme von Hilfsaufseherfunktionen, Entwicklung zum Muster-Insassen).

Weil das Zusammenwirken der Gesetzmäßigkeiten totaler Institutionen mit der für Luxusinternate typischen Konzentration problematischer Schüler(innen) einen besonders fruchtbaren Nährboden für Krisen und Skandale darstellte und dies den Geschäftserfolg natürlich erheblich beeinträchtigte, hieß die wichtigste Ausführungsbestimmung zur Tugend der Wahrheitsliebe offiziell wie subkulturell in Salem immer: "So tun als ob".

Hartmut von Hentig hat diesen "heimlichen Lehrplan" der Salemer "Charakterbildung" klar herausgearbeitet [vgl. den Aufsatz "Kurt Hahn und die Pädagogik". In: Röhrs, H. (Hrsg.): Bildung als Wagnis und Bewährung. Heidelberg, 1966, S. 41-82]:

"Die Schule hat Regeln, von denen sie weiß, dass sie nicht gehalten werden; die Schüler wissen, dass die Schule das weiß, und übertreten sie; die einen haben sich mit der Regel, die anderen mit der Übertretung abgefunden - und fahren gut dabei. Ist es das, was Kurt Hahn will? Warum muss just in der Pädagogik so viel gelogen und kaschiert werden?"

Die Frage kann nur rhetorisch gemeint sein. Wo Wasser gepredigt, aber Wein gesoffen wird, eine Metapher, die in Salem - wie bereits oben angedeutet - absolut wörtlich zu nehmen ist, kann man sich Aufrichtigkeit kaum leisten. Hier noch einmal eine besonders drastische Bestätigung aus dem Bericht einer ehemaligen Salemer Stipendiatin:

"Komasaufen und anderer Blödsinn war auf der Mittelstufe schon an der Tagesordung - auf der Oberstufe verkam alles zu einem Sodom-und-Gomorrha-ähnlichen Zustand. Jeder schlief mit jedem, zum Alkohol kamen jetzt noch Drogen."

Vom Pädagogen zum Pseudologen?

Wieviel Doppelbödiges hat Dr. Bueb wohl während seiner Lehr- und Leiterjahre als fast lebenslanger Repräsentant einer Internatsschule ertragen und vertreten müssen, die weder je wurde, was sie nach dem Willen ihrer Gründer sein sollte, nämlich Erziehungsstätte einer durch besondere Charakterstärke ausgewiesenen Führungsschicht, noch je wusste, wie sie der Erwartungshaltung einer Kundschaft gerecht werden sollte, die ihren Nachwuchs vor allem des Zugangs zur gesellschaftlichen Elite wegen nach Salem schickte?

Menschen lernen aus zwei Gründen schon früh zu lügen: aus Angst vor Bestrafung und aus Überforderung. Das erklärt uns das Buch "Wahrheit und Lüge - Eine Gradwanderung zwischen dem Alltagsverhalten einerseits und dem ethisch-biblischen Verständnis andererseits" von Günter-Manfred Pracher. Was für überforderte Kinder zutrifft, gilt auch für die späteren Erwachsenen und auch für Pädagogen. Wer ständig überfordert ist und übrigens auch wer ständig überschätzt, zu viel gelobt oder "gefördert" wird ("Plus est en vous!"), entwickelt eine pseudologische Persönlichkeit. "Die Pseudologen", schreibt Claudia Schmidt auf der Webseite "Psychologie-Portal", "steigern sich oft so sehr in ihr Lügengebäude hinein, dass sie selbst anfangen, an die erfundenen Ereignisse zu glauben. [...] Den Betroffenen geht es darum, sich dramatisch vor Publikum in Szene zu setzen und große Aufmerksamkeit zu erzielen. Nicht selten wird dafür bewusst ein besonders gutgläubiges 'Publikum' ausgewählt."

Das mit dem Publikum findet man bei unserem Protagonisten sofort bestätigt. Wie die gesamte "Bueb-Debatte" gezeigt hat, vermögen die Weisheiten der Salemer Leiterlegende die sog. "Fachwelt" nicht zu beeindrucken. Die sind ihr - offen gesprochen - sogar ziemlich zuwider. So sucht sich ihr Urheber die erhoffte Resonanz beim Boulevard, der BILDzeitung oder dem Studio-Publikum des Talk-TV, irgendwo zwischen dem englischen Zwirn bildungsbürgerlicher Starmoderatoren und dem Feinripp des Unterschichtenfernsehens.

Und so konnte es geschehen, dass der peinliche "Volks-Philosoph" Bueb sogar im mindestens ebenso peinlichen "Philosophischen Quartett" des "Philosophie-Scharlatans" (DIE ZEIT, zitiert nach taz) Peter Sloterdijk auftrat (Thema: Lernen lernen - Das Elend der deutschen Schule). Sloterdijks Tochter Mona besuchte aktuell dasselbe Jesuiten-Internat im Schwarzwald wie einst der Talkgast Bueb, so dass keine internatskritischen oder sonstwie despektierlichen Fragen aus Philosophenmund zu gewärtigen waren. Im Gegenteil: Selten ist an diesem Philosophenstammtisch für Stammtisch-Philosophen ein solches Trommelfeuer kurz greifender Binsenweisheiten abgefeuert worden, die - unter dem Beifall der nach einfachen Wahrheiten dürstenden Zuschauer - bei jedem nur angedeuteten Einspruch eines Gesprächspartners zudem sofort wieder relativiert wurden. Die Gastgeber Sloterdijk und Safranski agierten dabei nach einem aus anderen Quatsch-mich-tot-Sendungen bewährten Rezept als Stichwortgeber, die dem meist gegen Ende der Sendung eingeplanten Kabarettisten oder Comedian Gelegenheit geben, vermeintlich spontan seine bekanntesten Pointen abzuschießen. Auch der zumeist dröge und gehemmt wirkende Bueb machte von dieser Möglichkeit dankbar Gebrauch und vermochte auf diese Weise aus einer vernuschelten Kultur-Talkshow noch einmal eine humorige Veranstaltung für Liebhaber lehrerfeindlicher Sottisen zu machen, bevor man ihn - umjubelter Höhepunkt des Abends - per Handstreich zum Vorsitzenden der Herzen einer mit utopischen Kompetenzen ausgestatteten Bundes-Kultusministerkonferenz ermächtigte. Wer dies erlebt hat, kann nur dankbar konstatieren, dass dieses Format des Schreckens (übrigens genial parodiert von Buebs Bruder, dem Schauspieler Klaus Bueb!) unter dem Sendetitel "Die Kunst des Aufhörens" nach 11-jähriger Ausstrahlung endlich abgesetzt wurde.

Der Volksphilosoph und Auch-Theologe Bueb indessen talkt ungerührt weiter - frei nach Korinther 13 :

Die Liebe höret nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.

Da Üben übt und Bueben buebt, dürfte sich der Karl May unter Deutschlands Pädagogen in seiner Eigenschaft als Gesamtleiter der Schule Schloss Salem mit den Jahren zu einem wahren Routinier entwickelt haben, um Stückwerk als das Vollkommene auszugeben und damit wider besseres Wissen ein trügerisches Idealbild seines Instituts zu zeichnen. Und wie oft wird er - der größten Wert darauf legte, von den Schülern ehrerbietig mit "Guten Tag, Herr Dr. Bueb" gegrüßt zu werden, wohl die eigene Überforderung oder Abhängigkeit (etwa von der Macht des Geldes der zahlenden Kundschaft) durch die Selbstinszenierung als führungsstarke Leiterpersönlichkeit überspielt haben?

Doch vielleicht liegen die Gründe für das schwierige Verhältnis Buebs zur Realität und deren wahrheitsgemäßer Widerspiegelung gar nicht so sehr in der "Deformation professionelle" eines Salemer Gesamtleiters als vielmehr in der eigenen Biographie. Entspricht nicht bereits Buebs frühe und erst recht seine spätere (berufliche) Sozialisation aufs Genaueste dem Prototyp des "Kümmerers" aus der Oberschicht, der zunächst mit Hilfe eines Internats mühsam zum Schulabschluss geführt wird und dann mit Hilfe eines Netzwerks von Förderern und Gönnern in irgendein einigermaßen respektables Amt gehoben wird?

In seinem Aufsatz "Schillers Schule - Das Spiel als Ernstfall der Elitenbildung" (vgl. FAZ vom 10. Mai 2005 - Nr. 46/Seite 40) beschreibt Bueb mutmaßlich den eigenen Lebensweg vom "schlechten Schüler" (gibt er zu) über den "schlechten Lehrer" (gibt er ebenfalls zu) bis zum "schlechten Schulleiter" (wird teils eingeräumt - "Ich war zu rücksichtsvoll!"- teils aber auch beschönigt: „Als Schulleiter war ich deutlich besser.“). Fehlt am Ende nur noch der "schlechte Buchautor" in seiner "tragisch anmutenden Weltfremdheit" (das sieht Bueb vermutlich ganz anders).

Auch ein "normal Begabter", heißt es in dem erwähnten Aufsatz Buebs aus der FAZ, " kann es zu großem Ansehen bringen und führend tätig werden". Das hat er in einem Jesuiteninternat im Schwarzwald und wohl auch in seiner beruflichen Entwicklung selbst erfahren. Und so definiert er die Aufgabe des "Eliteinternats" oder auch "Kein-Elite-Internats" (je nachdem) Schule Schloss Salem auch ganz im Sinne einer vom harten Wettbewerb einer demokratischen Leistungsgesellschaft abgekoppelten Sonderpädagogik für Mittelmäßige und Schulversager, die die neue Züricher Zeitung in dem Beitrag "Anspruch und Realität der Besten" als typisch für sozial exklusive Eliteschulen beschreibt. Bei Bueb liest sich das so:

"Das ist das Geheimnis aller Pädagogik, junge Menschen in ihrer Persönlichkeit so zu stärken, daß sie Mut zu sich selbst finden, an ihre eigene Begabung glauben, überhaupt an sich glauben und dieser Glaube, dieses Gefühl, etwas zu können und etwas bewegen zu können, sie über sich hinauswachsen läßt und zu Taten befähigt, die einem Begabteren, der nicht an sich glaubt, nicht möglich wären. Das Spiel ist einer der großen pädagogischen Wege zu sich selbst und berührt den Kern der Elitebildung. "

Buebs berufliches Erfolgsgeheimnis war es wohl, auf dem "Weg zu sich selbst" überall dort mitzuspielen, wo sich - nicht zuletzt dank der materiellen Unterstützung seiner wohlhabenden Verwandtschaft und deren Beziehungsnetzwerke - Karrierechancen dergestalt eröffneten, dass man an den leistungsschwachen Kandidaten "glaubte" und ihm hierdurch den "großen pädagogischen Weg" in die Elite ebnete.

"Plus est en vous!" (Leitspruch Salems) bedeutet in diesem Zusammenhang wohl eher "Vitamin B". Und das führte den studierten Theologen und Philosophen zunächst zu Hartmut von Hentig, dessen Hochschulassistent er wurde und an dessen Bielefelder Laborschule sich der ungelernte "Pädagoge" in die Praxis des Lehrbetriebs einarbeitete. Anschließend ging es als "Mitarbeiter" nach Ober Hambach, zu von Hentigs Lebensgefährten Gerold Becker. Der charismatische Leiter der Odenwaldschule und "gute Freund" Buebs wurde Jahre später als Kinderschänder entlarvt. Und trotz gegenteiliger Beteuerungen war Bueb in die reform-pädophilen Netzwerke seiner Förderer wohl stärker verstrickt als es dem Ruf eines aufrechten Kämpfers gegen Lug und Trug zuträglich erscheint.

Buebs Glaube an sich selbst war dank des zweijährigen Volontariats im pädokriminellen Milieu der Odenwaldschule jedenfalls mutmaßlich derart erstarkt, dass er sich um die Stelle des Gesamtleiters der Schule Schloss Salem bewarb, jenes "Trümmerhaufens", der zu dieser Zeit kurz vor dem Konkurs stand und von daher für qualifiziertere Mitbewerber uninteressant gewesen sein dürfte.

Es gelang dem jungen und wahrscheinlich mit einer solchen Aufgabe objektiv überforderten Leiter auch sehr lange oder vielleicht überhaupt nicht, das Steuer wirklich herum zu werfen. Die Forderung des Schulpatrons Max von Baden (siehe oben), der 1986 Buebs sofortige Ablösung verlangte, mag als Indiz hierfür ausreichen.

Unter dem Eindruck der durch den Konflikt mit dem Haus Baden ausgelösten Krise mutierte Bueb offenbar insgeheim vom links-liberalen Theoretiker zum praktischen Verfechter einer durch Gehorsam und Verzicht geprägten strengen Erziehung. Und kaum im Ruhestand - aber eben auch erst nach seiner aktiven Zeit -, wagte er sich vollends aus der Deckung der Political Correctness heraus und landete - nun plötzlich ganz d'accord mit den lange als reaktionär bekämpften Thesen seines einstigen Widersachers Max von Baden - mit der "Streitschrift" Lob der Disziplin zum großen Erstaunen der Fachwelt auch noch einen Bestseller.

Der früh verstorbene Wolfgang Bergmann fühlte sich an die Courths-Mahler-Romane im Bücherschrank seiner Eltern erinnert. Was freilich die Bildzeitung nicht hinderte, den Autor erst zum „strengsten Lehrer Deutschlands" und anschließend gar zu "einem der "führenden Pädagogen" der Republik zu küren.

Wie man sich nachträglich als erfolgreicher Schulleiter inszeniert

Die „Verführbarkeit zur Lüge“, fühlt sich Rezensentin Krings in die Gedankenwelt des Lügen-Bekämpfers Bueb ein, ist „im Bildungssystem, in dem Bueb gearbeitet hat“, besonders groß. Und oft genug, so muss man leider feststellen, ist der Oberlehrer der Nation ihr selbst erlegen. Dabei geht es allerdings nicht ums Abschreiben oder andere lässliche Schülersünden aus Buebs wenig heroischer Schulzeit, sondern darum, sich durch die vielen Krisen und Niederlagen seiner Schulleiterkarriere einigermaßen "erfolgreich" hindurchzumogeln oder wenigstens im Amt zu halten. Und als Pensionär strickt man an der eigenen Legende und erringt durch Eigenlob in selbst verfassten Büchern die Deutungsmacht über die eigene Geschichte, bevor kritische Biographen das geschönte Selbstbild beschädigen können.

Wo eine private Internatsschule sich trotz aller inneren und äußeren Widrigkeiten auf einem „Markt“ behaupten und Kundschaft gewinnen muss, die vermutlich anderswo fast immer besser und billiger bedient wäre als ausgerechnet in der ständig von Drogen- und Disziplinproblemen sowie mäßiger Unterrichtsqualität gebeutelten "berühmtesten Internatsschule Deutschlands", und wo man aufgrund einer dreißigjährigen Leitertätigkeit Gefahr läuft, für alle Widrigkeiten und Missstände verantwortlich gemacht zu werden, wird Ehrlichkeit natürlich zu einem „naiven Zustand“, wie es in Buebs "Macht der Ehrlichen" so schön heißt. Also lässt Bueb ("Ich bin zweifellos ein moralischer Mensch!"), dem eine eher unreflektierte Moralisierung sozialer Probleme angelastet wird, eine „reflektierte Haltung entstehen“ und stilisiert sich nachträglich als der tatkräftige Macher, der etwa stichprobenartige Alkohol- und Urintests anordnete und so den Drogenkonsum in Salem (eben nicht) unterband, der seine Lehrer (angeblich) beherzt führte und die Rechte der Schülervertretung beschnitt, um Salem "unter Kontrolle" zu bringen, die Schule aber keinen Deut „regierbarer“ hinterließ als er sie einst betreten hatte.

Nun lässt sich die Zeit aber nicht zurückdrehen. Also schreibt man mit dem "missionarischen Eifer des bekehrten Sünders" (Joachim Güntner in der Neuen Zürcher Zeitung) an dem eigenen Nachruf. Und selbiges in der Hoffnung, dass das Erinnerungsvermögen der Zeitgenossen genügend Lücken lässt, um es mit nachträglichen eigenen Deutungen aufzufüllen, die peinliche Zeitdokumente vergessen lassen. Und so erringt der eher etwas blutleer wirkende Pensionär - in eigener Rückschau "feurig" kämpfend wie ein Wiedergänger des Ritters von der traurigen Gestalt - auf dem Papier die Siege, die ihm tatsächlich nie gelungen waren; gegen disziplinlose Schüler, führungslose Lehrer, konfliktscheue Eltern sowie den (vermeintlichen) Unsinn einer demokratischen Schülervertretung. Und in "Die Macht der Ehrlichen" ringt er nun auch noch Gegner nieder, die mit seiner Salemer Zeit nur sehr bedingt zu tun haben: prominente Steuerhinterzieher etwa , labile Ex-Bundespräsidenten oder die Träger unredlich erworbener Doktortitel.

Ob er bei Letzteren auch an Ex-Eliteministerin Annette Schavan gedacht hat, die einst zum 125. Geburtstag Kurt Hahns die Festrede (Titel: "Vom Staatsbürger zum Weltbürger – das Erbe Kurt Hahns und die Erziehung für das 21. Jahrhundert") hielt und kurz darauf wegen Plagiats- vorwürfen "entpromoviert" werden musste? Oder denkt er an sich selbst, dem im Laufe harter Dienstjahre die naive Tugendhaftigkeit wohl ausgetrieben wurde, der aber am Ende trotzdem nicht als Baron Münchhausen geoutet werden will. Bruder Klaus hätte in diesem Zusammenhang einen lehrreichen Sketch über persönliche Imagepflege anzubieten.

Wie die zahllosen TV-Auftritte, Presse-Interviews und öffentliche Vorträge zu belegen scheinen, hat Bueb seit seinem Abschied vom Salemer Chefsessel immerhin nun endlich die "klare Linie" für sich selbst gefunden, die ihm in seiner aktiven Dienstzeit - beruflich wie privat - versagt war. Und wie in Panik, dass ihn die vielen Beweise eigener Schwäche nachträglich einholen und die eigene Legende beschädigen könnten, inszeniert er sich in (fast) jeder Talkrunde und bei vielen seiner sonstigen Auftritte geradezu berserkerisch als "Fundamentalkritiker", "Provokateur", "Tabubrecher" oder "als moralisches Gewissen der Nation". Da unterläuft auch schon mal ein megalomanischer (Unter-)Titel wie "Die zehn Gebote der Bildung" (siehe Einband des Buches "Von der Pflicht zu führen"), wenn der Verfasser auch ausdrücklich beteuert, sich im Manuskript des als "autoritärer Kitsch" und "Allmachtsphantasien aus der Mottenkiste" recht unfreundlich besprochenen Werks ganz bewusst auf neun Gebote beschränkt zu haben, da er schließlich nicht Moses sei.

Bei all seiner vom Eifer des Konvertiten befeuerten Missionsarbeit und all seinen spiegelfechterischen Kreuzzügen wirkt Bueb allerdings auf den kritischen Biographen so überzeugend wie der sprichwörtliche Wegweiser am Straßenrand, der die Richtung, in die er zeigt, selbst niemals einschlägt.

Wenn tatsächlich beim erstaunten Publikum ein gegenteiliger Eindruck entstehen konnte, etwa der, dass während der Amtszeit Buebs eine "Rückkehr zu Zucht und Ordnung" stattgefunden habe, so ist dies wohl überwiegend der Salemer Abteilung für Agitation und Propaganda zuzuschreiben, die das Märchen von einem Imagewandel des Internats erfand, alle Register des Kampagnenjournalismus zog, um dieses zu verbreiten, und schließlich mit allen zur Verfügung stehenden juristischen Mitteln rigoros gegen jeden einzelnen Ehrlichen vorging, die versuchten, „das Gebäude der Lüge zu sprengen“ und „die Heuchelei der anderen unmöglich“ zu machen.

Und so steht auch Bernhard Bueb heute "besser da als die anderen" und ganz sicher "besser als er es verdient".

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