Schule Schloss Salem: "Insel der Verdammten"?

Eliteinternate: Die Schule "ist zum Erfolg mit mir verdammt" sagt der neue Gesamtleiter der Schule Schloss Salem im Zeitungsinterview. Letzte Chance für das "berühmte Eliteinternat"?

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Der Begriff Insel ist überwiegend positiv besetzt. Es gibt die "Inseln der Seligen", gar der "Glückseligen", das "Inselparadies", die Insel der Träume, Inseln der Reichen und Schönen. Ihren Ursprung haben diese Metaphern in der griechischen Mythologie. Das griechische Elysion (lateinisch Elysium) ist der Ort, an den ausgewählte Helden der Antike "entrückt" wurden, um dort ein glückliches Leben in Unsterblichkeit zu führen. Passt irgendwie zum Thema Eliteinternat, wo eine "Auswahl der (angeblich) Besten" exzellente Entwicklungsbedingungen vorfindet und das "Glück der Anstrengung" erfährt, um sich durch "Charakter-Building" auf Führungspositionen vorzubereiten.

Allerdings besitzen Inseln bisweilen auch den Charakter des Unheimlichen und Unentrinnbaren, sie können zur Hölle und zum Horrortrip werden. Inseln sind Orte von Isolation und Verbannung, von finsteren Geheimnissen, ruchlosen Taten oder tragischen Unglücksfällen. Man findet "verbotene Inseln", von Wellen umtost und dem Untergang geweiht, sowie "Inseln der Verdammten". Ein preisgekrönter Internatsroman aus neuerer Zeit wird unter dem Titel "Insel der Verzweiflung" rezensiert.

Salemer Inselgeflüster

Doch mit solchem Insel-Horror wollten insbesondere die teuren Luxuswohnschulen Deutschlands nie in Zusammenhang gebracht werden, obwohl durchaus eindeutige Hinweise vorliegen, dass nicht jeder "Eliteschüler" mit Begeisterung und Dankbarkeit auf die dort verlebten Jugendjahre zurückblickt. Sehr gezielt verlagerten Salem & Co. alle denkbaren Schreckensszenarien in den Raum des öffentlichen Schulwesens. "Albdruck Schule" nannte sich ein bereits 1969 erschienenes Kompendium reformpädagogischer Schulmodelle aus dem List-Verlag, das zahlreiche Leidensgeschichten von "Staatsschülern" enthielt, darunter auch die Schul-Biografien von Landerziehungsheim-Gründern. Der Züricher Bildungsforscher Prof. Jürgen Oelkers identifiziert dies als eine gängige Verkaufsstrategie der Landerziehungsheime: Zunächst würden gesellschaftliche Krisen und Katastrophen beschworen, in denen Kinder und Jugendliche seelischen Schaden zu nehmen drohten oder zumindest unzureichend auf die Anforderungen der Zukunft vorbereitet würden. Diesen Szenarien werde sodann die idealisierte Welt reformpädagogischer Heimschulgründungen als rettende Alternative gegenüber gestellt.

Belege für die beschriebene Selbstvermarktung privater Bildungsunternehmen finden sich nicht nur in der kulturkritisch motivierten Gründungsphase der Landerziehungsheime während des ausgehenden 19. und heraufziehenden 20. Jahrhunderts. Mitte der 1960er Jahre sorgte ein undurchsichtiges Netzwerk (so genannter "George-Kreis", auch als "protestantische Mafia" bezeichnet) um den ehemaligen Salem-Schüler Hellmut Becker, den Altphilologen Georg Picht (seinerzeit Leiter der Salemer Nebengründung Birklehof im Schwarzwald) und einflussreiche Förderer aus der politischen Führungsschicht dafür, dass unter dem Menetekel einer angeblich drohenden Bildungskatastrophe das Ideengut der Landerziehungsheimbewegung, das eigentlich in den 1920er Jahren bereits seine Überzeugungskraft weitgehend eingebüßt hatte und durch die Nähe vieler ihrer Repräsentanten zu den braunen Machthabern in Misskredit geraten war, maßgeblichen Einfluss auf den bildungspolitischen Diskurs und die Lehrerbildung in der Bundesrepublik gewinnen konnte.

In der Reform-Krise Ende der 1970er Jahre, einer Gegenreaktion des Bildungsbürgertums auf die Ausweitung der Bildungsbeteiligung weiter Bevölkerungskreise (Großbauten, volle Klassen), hektische Korrekturen staatlicher Lehrpläne (Rahmenrichtlinien) und Schulstrukturen (Gesamtschule, Oberstufenreform), die zugleich auch als Unbehagen gegenüber der "antiautoritären" Verbindung von reformpädagogischer Schülerorientierung und "kritischer" Gesellschaftstheorie gedeutet werden kann, setzten sich die Landerziehungsheime geschickt an die Spitze einer "Fluchtbewegung" von Eltern und Schülern aus der "Staatsschule". Bildungsbürgerliche Besorgnisse gegenüber dem dort herrschenden Massenbetrieb und einer Ideologisierung der traditionellen Bildungsinhalte wurden ausgeschlachtet, um Privatschulen und Internate nun als letzte Rückzugsgebiete einer "humanen" (= konservativ-wertorientierten und in idyllischen Kleinstrukturen "individuell fördernden") Pädagogik zu profilieren.

Zuletzt diente die PISA-Diskussion zur Jahrtausendwende Salem & Co. als Vorwand, um das unter ihrem Einfluss zuvor "humanisierte" und seiner Auslesefunktion beraubte staatliche Bildungssystem nun plötzlich als zu wenig leistungsorientiert und zu wenig auf "Zucht und Ordnung" bedacht zu denunzieren (siehe die Streitschrift "Lob der Disziplin" des ehemaligen Leiters der Schule Schloss Salem, Bernhard Bueb). Wie in der Fabel von Hase und Igel erschienen private (Internats-)Schulen jetzt als "alternativ" in einem völlig entgegengesetzten Verständnis. Man versuchte, geschäftlich von den Abstiegsängsten der Mittelschicht zu profitieren, die die Zukunft ihrer Töchter und Söhne durch den Besuch vermeintlich "schlechter" öffentlicher Schulen gefährdet sah und nun die "Flucht in die [private] Nische" antrat. Statt als reformpädagogisch-idyllische Reservate des Humanen präsentierten sich Landerziehungsheime wie Salem, Birklehof, Louisenlund und viele andere Lehranstalten freier Träger nun plötzlich als leistungsorientierte "Lernschulen", die aufgrund kleinerer Klassen und engagierterer Lehrkräfte für eine "bessere Bildung" garantierten.

"Das Krisenpotential der öffentlichen Schulen – Gewalt, demotivierte Lehrer und randvolle Klassenzimmer – läßt vielen die private Konkurrenz wie eine Insel der Lern-Seligen erscheinen", fabulierte analog hierzu das FOCUS Magazin Nr. 6 (1999) unter dem Titel: "Die Internatselite". Und passend zur emsig verbreiteten Insel-Metapher nannte die Werbegemeinschaft der Landerziehungsheime ihre Überlinger Verkaufsstelle kurz und in Großbuchstaben nun ebenfalls "INSEL". Zitat Focus:

>> Individuelle Förderung in einer engen Gemeinschaft gelte noch heute als Credo, sagt Hartmut Ferenschild von der Überlinger INSEL-Internatsberatung: „Pädagogische Resignation ist das Schlimmste.“ <<

Fürwahr. Doch aus dem Dunstkreis der Schule Schloss Salem tauchen auch immer wieder Berichte auf, die nicht die Mär von der "Lern-Seligkeit" bestätigen, sondern genau diese - manchmal nur notdürftig hinter Zweckoptimismus verborgene - pädagogische Resignation beschreiben , die laut obigem Statement das größte Übel darstellt. Damit werden die medialen Fabulierkünste dorthin verwiesen, wo sie hingehören, eben ins Reich der Fabel. Eine Ehemalige der Schule Schloss Salem erinnert sich (ZEIT vom 28.09.2006):

"Ich fand Salem schrecklich. Es war eine irgendwie hohle Disziplin. Der ganze Tag war strukturiert, aber der eigentliche Unterricht war chaotisch. Es gab wenig Hausaufgaben. Die Oberstufe gefiel mir besser, weil man näher an einer Stadt gewohnt hat und alles viel wohnlicher war. Aber dort haben viele Schule geschwänzt. Ich bin am Ende nur noch in jede zweite Stunde gegangen. Daran waren die Lehrer aber auch selbst Schuld. Oft wurde in den Stunden Kaffee getrunken oder man wurde in die Bibliothek geschickt. Die Lehrer waren eigentlich schon alle sehr engagiert, aber sie haben in Salem wohl so viel zu tun, dass sie den Unterricht nicht mehr richtig vorbereiten können. Es ging eigentlich die ganze Zeit nur um Party und saufen."

"Es gibt in jedem Internat [...] auch strukturelle Gründe", klagt der ehemalige Leiter des Salem-International-College, Otto Seydel, "die dieAbwertung des Unterrichts erheblich verstärken: das primäre Lebensthema der Jugendlichen sind die Beziehungen zu den Gleichaltrigen. Und für dessen Entfaltung bietet das Internat (mit seinen offiziellen wie inoffiziellen Aktionsfeldern) einen geradezu idealen Ort. Nicht aber der Unterricht."

Mathias Horx sah Mitte der 1980er Jahre in den seligen Salemer Lern-Insulanern eine "Elite im Abseits", im Internat einen "Simultanbegriff für Himmel und Hölle", wo man "die humanistischen Ideale vor dem Schmutz der Realität" bewahre, sprich: den Kontakt zur Wirklichkeit weitgehend verloren habe. Und natürlich spuke es im Wehrturm der Unterstufe Schloss Hohenfels.

Ein Vierteljahrhundert später scheint sich da übrigens nicht viel verändert zu haben. Die WELT schreibt: "'Die Lehrer sind von einem anderen Stern', sagt ein Elftklässler, der lieber anonym bleiben will." Und Dorothee Schön, Autorin der Tatort-Folge "Herz aus Eis", die in einem Eliteinternat am Bodensee spielt, ist aufgrund privater Recherchen in der Schule Schloss Salem überzeugt,

"...dass Internatslehrer überdurchschnittlich engagierte Lehrer sind. Sie haben zu ihrem Beruf ein anderes Verhältnis, weil sie ihre Schüler nicht nur unterrichten, sondern auch mit ihnen zusammenleben. Ich glaube, dass es für sie trotzdem schwierig ist, an die Jugendlichen heranzukommen, weil deren eigene Peergroup einfach viel wichtiger für sie ist. Es bleibt ein geschlossener Zirkel, der stärker ist als in einer normalen Schule, weil natürlich auch die Außenkontakte beschränkt sind. [...] Dadurch gibt es weniger Korrektive. Die kochen in ihrem eigenen Saft."

Und die im eigenen Saft Ausgekochten produzieren natürlich fortwährend filmreife Internatsgeschichten - ob mit oder ohne Spuk im Wehrturm. Die Abgeschlossenheit der Lern-Insel lässt Gerüchte, Mythen und Legenden üppig wuchern und bisweilen sogar ins Kraut schießen. Klaus Johanns spricht in seiner gleichnamigen Studie zur deutschen Internatsliteratur von "Nachrichten aus den Treibhäusern". Der SPIEGEL stellt in einer eigenen Literatur-Übersicht mit dem Titel "Menschen im Versuchslabor" fest: "Diese burgähnlichen Institute sind genau das, was sie so gefährlich macht: eine Welt für sich." Aber wieviel kann man geben auf das "Inselgeflüster", das von den Gefahren dieser abgeschlossenen Welten handelt?

>> Vielleicht würden solche "Vorurteile" oder Gerüchte gar nicht erst entstehen", bemerkt ein Leserkommentar in der ZEIT, "wenn sich die Schüler nicht so verhalten würden wie sie es eben tun. Nicht nur, dass man sie echt aufgrund ihres Kleidung auf der Straße dem College zuordnen kann, sondern sie geben sich auch wie Neureiche und kleine verwöhnte Gören. Ganz nach dem Motto: "Ich bin wer. Meine Eltern haben Geld. Ich geh auf das College. Und wer bitte bist du?! Du gehst doch nur auf eine dieser staatlichen Schulen. [...] Aber es gehen auch einige Gerüchte rum. Wie zum Beispiel, dass ein Schüler mal das Abitur fast nicht geschafft hätte. Da hat dann der Vater kurzer Hand einen neuen Hallenboden gezahlt und plötzlich hatte er das Abi in der Tasche. Naja und da die Schüler mit ihrem Geld nicht wissen wohin, blüht der Drogenkonsum... Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen, aber das erzählt man sich in der Stadt, wenn man dann mal einen Platz im 'Galgen' [gemeint ist das "Galgenhölzle", die leicht verrufene Stammkneipe der Salemer Oberstufe] bekommt und nebenbei abschätzig von den Salemern angestarrt wird!"

"Was ich sonst so gehört habe", postet ein "Hayakiri" auf der Seite "Gentlemen's Club" (Motto: hier unterhalten sich die neuen Gentlemen), "ist dass die mentoren in salem koks verkaufen sollen... Weiss aber nicht wie wahr das ist."

Die Freiburger Nachrichtenseite "fudder" veröffentlichte nachfolgenden Chat zum Thema "Drogentest in Salem":

moskito, Freitag, 20.06.08 08:44

Urintests? Also, wenn's noch halbwegs so ist wie früher, dann dürften dadurch ca. ein Viertel der Internen von Birklehof, Kolleg St. Blasien und Salem von der Schule fliegen!

Eigenurin, Freitag, 20.06.08 09:03

@moskito

>>Also, wenn's noch halbwegs so ist wie früher, dann dürften dadurch ca. ein Viertel der Internen von Birklehof, Kolleg St. Blasien und Salem von der Schule fliegen!<<

Und ein Viertel des Kollegiums!

moskito, Freitag, 20.06.08

Und ein Viertel des Kollegiums? Bei konsequenten Alkoholtests wahrscheinlich über dreiviertel des Kollegiums!

In dem Forum "Die besten Internate Deutschlands" auf uni-protokolle.de postet ein "Cetacea":

"Wenn ich höre, was für Drogen z.B. in Salem rumgehen (nach einer Bekannten) und was dort wohl für "Penner" (sorry an die, die drauf gehen) draufgehen, die viel Geld haben, aber mehr auch nicht... Ich habe noch nie etwas positives über Salem gehört und das wäre ganz sicher die letzte Schule wo ich mein kind hinschicken würde. Ich besuche zur zeit auch ein internat und glaubt mir, das war die schlechteste Entscheidung, die ich getroffen habe! Es ist einfach nur sauteuer und die meisten, die hier draufgehen, haben kaum etwas drauf. Viele hier hatten nach der 4. 'ne Empfehlung für die Haupt[schule], aber weil die Eltern viel Geld haben, können sie sich jetzt ganz stolz Gymnasiast nennen. Ihr ABI kriegen sie ja sowieso, egal wie die Noten sind..."

Solcherlei Urteile können den "guten Ruf" und damit den Geschäftserfolg einer privaten Bezahlschule auf Dauer erheblich beeinträchtigen. Damit möglichst nur gute Nachrichten in Umlauf geraten, beschäftigt die Schule Schloss Salem eigens eine dreiköpfige PR-Crew, die bemüht ist, die eigene Sicht der Dinge unters Volk zu bringen und üble Nachrede in einem Trommelfeuer selbst produzierter oder kolportierter guter Nachrichten zu ersticken. Diese werden dann von freundlichen Lohnschreibern - vielleicht zuweilen ermuntert durch netzwerkende Verlags- oder Redaktionsleitungen - gebetsmühlenartig reproduziert. Da offensichtlich einer von dem anderen abschreibt, erscheint kaum ein Beitrag, der die Schule Schloss Salem nicht mit Prädikaten wie "wohl berühmtestes deutsches Internat" (FOCUS), "Schule der deutschen Elite" (Die Welt), "eine der besten Schulen Deutschlands" (Pressetext Friedrich-Naumann-Stiftung) etc. pp aufwertet.

Die Salemer Öffentlichkeitsarbeiter sorgen durch steuernde Maßnahmen für ein "möglichst idealisiertes Bild der Schule" (vgl. „Schwäbische Zeitung“ vom 14.06.2012, S.4) - vornehmlich indem sie nicht akkreditierten Medienschaffenden, die grundsätzlich dem Verdacht der "Sensationsgier" ausgesetzt sind, Drehgenehmigungen oder Interviews versagen. Potenzielle Informanten, z.B. unzufriedene Eltern, die wegen "Schlechtleistungen des Internats" prozessieren, lässt die Verwaltung prophylaktisch "Schweigevereinbarungen" unterzeichnen.

Und sogar die Schüler werden instrumentalisiert, um das (Trug)-Bild einer makellosen Internatsidylle im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. So tauchen in regelmäßigen Abständen "Vorzeige-Salemer" in Presse, Funk und Fernsehen auf: Eine hochgradig identifizierte Postbeamten-Tochter etwa, die "Das Vorurteil" (Artikelüberschrift) widerlegt, Salem sei (k)ein "Bonzenbunker", eine Leistungsträgerin aus dem Zahnärztemilieu, die das Abitur an einem Eliteinternat als "perfekte Vorbereitung" für das Studium an einer Spitzenhochschule empfiehlt, oder ein mittelloser Südosteuropäer, der sich "unter all den Reichen" pudelwohl fühlt und demnächst seinen "internationalen Abschluss" machen wird.

Verdächtig viele dieser Salemer Erfolgsgeschichten findet man in der Hamburger Wochenzeitung "DIE ZEIT". Kunststück, denn der jetzige Vorstand der Schulträger-GmbH, Robert Leicht, Spross einer schwäbischen Brauerdynastie und Salem-Schüler von 1954 bis 1963, war langjähriger Chefredakteur des Blattes. Fragt man nach den Gründen, warum skandalöse Missstände in reformpädagogischen Internaten - bestes Beispiel der sexuelle Missbrauch an der Odenwaldschule, Salem und manch anderem Landerziehungsheim - über Jahrzehnte vertuscht werden konnten, so stößt man auf ein mediales Schweigekartell, ein Beziehungsnetzwerk der pädokriminellen Täter und ihrer Freunde. So berichten Jana Simon und Stefan Willeke auf "ZEIT-Online":

"Auch unter Reformpädagogen wurde vermutet, dass weitere Enthüllungen auf »hoher journalistischer Ebene verhindert wurden«. Becker und vor allem Hentig hatten einflussreiche Bekannte in vielen Redaktionen, auch bei der ZEIT . Die langjährige Herausgeberin, die verstorbene Marion Gräfin Dönhoff, war mit Hentig befreundet. Sein Reformwerk, auch die Odenwaldschule, wurde in ZEIT- Artikeln wohlwollend besprochen."

Wohl aufgrund des Wirkens solcher Unterstützerkreise mutet die Salem-Berichterstattung in den Medien oft wie bestellt an oder wie von der PR-Abteilung der Nobelschule gegengelesen.

Nicola ging - wie "ein Großteil ihrer Familie - in Salem zur Schule, lernte dort auch ihren Mann kennen und ließ sich durch einen Unterrichtsfilm über Mutter Theresa sowie den verpflichtenden Sozialdienst der Schule zum Engagement für die Dritte Welt inspirieren. Weiß die Süddeutsche Zeitung zu berichten. Oberstufen-Schulsprecher Dustin, der im antiautoritären Elternhaus alles durfte, zeigt in einem Beitrag der ZEIT Verständnis für das von Leiterlegende Bernhard Bueb verbreitete "Lob der Disziplin". Oliver und sein bester Freund Philipp sind laut WDR-Story stolz auf das, was berühmte Salemer vor ihnen geleistet haben, definieren sich als "Verantwortungselite" und wollen später einmal Wirtschaftsführer oder Lobbyist werden, weil man dort schließlich mehr Einfluss habe als in einem arbeitsintensiven und mäßig bezahlten Politikerjob. Georg und Kolja haben in Salem nicht nur eine deutsch-russische Schülerfreundschaft geschlossen, sondern nach dem Motto "Verbindungen fürs Leben" (Wirtschaftsblatt) gleich auch karrieremäßig die Brocken zusammengeschmissen. "Heute ist Kolja Geschäftsführer des Maschinenbau-Unternehmens, für das Georg im Gesellschafterkreis die Interessen der Familie vertritt". Theresa und Julius sind "Flügelhelfer" und machen sich - ganz "Verantwortungs-elite" - Sorgen wegen der Missbrauchsschlagzeilen in der Presse. Sie stehen selbstverständlich voll hinter ihrem Internat, denn - so die Botschaft des von dem Hörfunk-Sender SWR1 ausgestrahlten Gefälligkeitsbeitrags: "Salem ist auf der Hut!" Der 17-jährige Shannon indes lässt das hessische Fernsehen an seinen Seelenqualen als Scheidungskind teilhaben und spricht darüber, was es bedeutet, Sohn eines erfolgreichen Unternehmers zu sein, in dessen großes Logistikunternehmen er nach dem Salemer Abitur einsteigen wird.

Äußerst befremdlich erscheint die publizistische Ausschlachtung eines nächtlichen Rettungseinsatzes der Salemer Schülerfeuerwehr während der Überlinger Flugzeugkatastrophe vom 1. Juli 2002 unter dem Schlagwort "Erlebnispädagogik", der mit Rücksicht auf das jugendliche Alter der Beteiligten nie hätte stattfinden dürfen. Der Leiter der Betriebsfeuerwehr der Schule berichtete in den "Badischen Neuesten Nachrichten" vom 28.06.2012 über Details dieses Einsatzes:

>>Zwölf Schüler der schuleigenen Feuerwehr wurden in dieser Nacht in Suchketten eingeteilt: „Mit der Polizei durchkämmten sie bis 6 Uhr morgens Maisfelder“, erzählt er. „Der Auftrag war, Überlebende zu suchen. Stattdessen fanden dieSuchmannschaften in dieser Nacht 16 Leichen. Auch persönliche Gegenstände der Opfer lagen in den Feldern: „Sie stießen auf Teddybären oder Kosmetikbeutel, das machte das abstrakte Unglück dann plötzlich sehr real.“<<

"Es regnete tote Kinder vom Himmel" heißt es anlässlich der zehnjährigen Wiederkehr der Unglücksnacht im Reutlinger Generalanzeiger. Bis zum Zusammenstoß der beiden Maschinen um 23.35 Uhr hatten die jugendlichen Feuerwehrleute noch auf einer Schul-Party gefeiert (wochentags!?). Vermutlich alkoholisiert und noch in Feierstimmung ließ man sie bedenkenlos ausrücken. Die in Einsatz befindlichen Polizei- und Feuerwehrkräfte im gestandenen Alter waren zum Teil noch zehn Jahre nach dem Unglück schwer traumatisiert. Doch ein Salemer "Pädagoge" brüstete sich geltungssüchtig im Bericht einer Schülerzeitung:

>>„Leichenteile Einsammeln ist was anderes, als wenn ich das in der Zeitung lese und denke: Oh, ist das schlimm“, sagt Peter Wimmer, Unterrichtsleiter. Ein hartes Beispiel, jedoch grundlegendes Prinzip der Erlebnispädagogik Kurt Hahns.<<

Der damalige Schulleiter Bernhard Bueb gegenüber SWR2 : "Das war eine unglaubliche psychische Leistung." Pädagogisch und psychologisch wohl eher eine unprofessionelle Fehlleistung, denn laut Feuerwehrgesetz dürfen unter 18-Jährige an Einsätzen grundsätzlich nicht teilnehmen. Und die "Beschränkungen für Jugendfeuerwehrangehörige" der Feuerwehr-Unfallkasse bestimmen:

"Aufgrund der hohen psychischen Belastungen sollen
Jugendfeuerwehrangehörige grundsätzlich nicht zu Verkehrsunfällen oder Schadensfällen mit schwerverletzten oder toten Personen eingesetzt werden."

Gegenpropaganda

Verirrt sich dennoch einmal Salem-Kritisches in die Organe der veröffentlichten Meinung, heißt es frei nach Reichspropaganda-Minister Joseph Goebbels: "Nun Volk steh auf und Shitstorm brich los!" Berufsschreiber jeglicher Couleur fühlen sich plötzlich aufgerufen oder werden genötigt, die Partei der oberschwäbischen Edelpenne zu ergreifen.

Ein Artikel der Illustrierten "Stern" aus dem Jahr 2001 über ausländerfeindliche Umtriebe in dem gerade erst eröffneten "Salem International College" konnte wohl nicht ohne ein abwiegelndes Editorial veröffentlicht werden, in dem der Chefredakteur Thomas Osterkorn den brisanten Stoff mit entschuldigender Geste anmoderierte. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die Begründung für die Zuerkennung des Egon-Erwin-Kisch-Preises an den Autor Jan-Christoph Wiechmann.

"Beeindruckt war die Jury vor allem von der Haltung des Autors, der sich bei seiner Recherche der nationalistisch gefärbten Protestbewegung in einem Elite-Internat nicht vom Erwartungsdruck der »political correctness« beeinflussen ließ, sondern in seiner Reportage deutlich macht, dass es bei der Bewertung dieser neuen Jugendbewegung mehr als nur eine einfache Wahrheit gibt."

Das Gesellschaftsmagazin "Vanity Fair" brachte mit einem Skandalbericht, der Salemer Eliteschüler beim "Stalingrad-Saufen" in Wehrmachtsuniformen, beim Geschlechtsverkehr im Beichtstuhl des Salemer Münsters oder als Cabriofahrer vorführte, die Passanten im Vorbeifahren mit Pizza bewarfen (Friedrich von Trotha: "Segeln, Saufen, Sex." In: Vanity Fair, Ausg. 35/2007, S. 54-59), nicht nur die Lokalzeitung "Südkurier" gegen sich auf. [Anmerkung: Die Salemer Heimatpostille pflegt schon jeden unfreundlichen Leserbrief bei der Schulleitung zu melden, um dieser Gelegenheit zu geben, den hierdurch erweckten "falschen Eindruck in der Öffentlichkeit" per "Gastkommentar" (vgl. Robert Leicht: Für uns störende Zuschreibung. In: Südkurier vom 21.10.2011) zu neutralisieren!] Sogar die "Frankfurter Allgemeine" fühlte sich angesichts des skandalisierenden Fehltritts einer "Vanity Fair" bemüßigt, fremdschämend auf die Gefahr einer "verzerrten Wahrnehmung" hinzuweisen, der Außenstehende "ohne Kenntnis des Insidercodes" von Erzählungen ehemaliger Internatsschüler leicht erlägen. Will sagen: Alles heillos übertrieben. "Mit der Wirklichkeit des Jahres 2007" habe "das nicht viel zu tun." Wirklich nicht? Um einem möglichen Imageschaden für die Salemer Elite vorzubeugen, verpackt FAZ-Autor Tilmann Lahme seine qualitätsjournalistische Interpretationshilfe vorsichtshalber in eine Geschichte mit dem Titel "Boom der Privatschulen - Welt und Weltflucht im Internat", die so richtig Appetit auf kostspielige Internatserziehung machen soll. Auszug:

"Immer mehr Eltern suchen für ihre Kinder eine private Alternative und sind dabei auch bereit, viel Geld auszugeben. Wöchentlich werden neue Privatschulen gegründet, und selbst die teuren Internate haben einen nie gekannten Zulauf."

Eine dreiste PR-Lüge, wie wir noch sehen werden.

Sekundiert wird die professionelle Gegenpropaganda häufig durch einen Shitstorm aus dem Internet, mit dessen Hilfe ehrpusselige Salemer und Altsalemer freche Kritikaster in die Schranken weisen. Hier zeigt sich, dass die Schülerschaft und insbesondere die "Altsalemer-Vereinigung" eine "verschworene Gemeinschaft" (Bueb) bilden, "die einen erstaunlichen Zusammenhalt besitzen." Wer sich erdreistet, den Mythos vom "Eliteinternat schlechthin" in Frage zu stellen, wird bisweilen von schnöseligen Youngstern zu einer Entschuldigung aufgefordert, so als gäbe es den Straftatbestand der Majestätsbeleidigung oder die gute alte Satisfaktion noch. Auf der Ratgeberplattform gutefrage.net beschwert sich zum Beispiel "eine in Salem glückliche Schülerin" (Unterschrift) naserümpfend:

"Ich finde ihre Ausdrucksweise unmöglich und vor allem unpassend. In einem gewissen Sinne schäme ich mich durch ihren Beitrag für meine Schule und für allem für sie.
Wie können sie nur Dinge behaupten, die einfach nicht der Wahrheit entsprechen und nebenbei andere Leute zutiefst beleidigen? Ich finde es unverschämt uns in so einer Weise niederzumachen und fühle mich fast gekränkt. ("Lazaretten für die armen Kinder reicher Leute", "Wohlstandsverwahr-losten" und "Bootcamp für Schwererziehbare"). Ich bitte Sie darum sich für diese Vorwürfe und Beleidigungen zu entschuldigen."

Altsalemer neigen zudem - vermutlich aufgrund der exzellenten Bildung und Erziehung, die sie in dem Institut genossen haben - zu wüsten Beschimpfungen vermeintlicher Gegner, dabei nicht selten in unterirdischer Grammatik und Rechtschreibung, wie nachfolgende Textprobe von der Seite "denta!ife" (schon wieder Zahnärztemilieu!?) zeigt:

moi sagt: September 13, 2007 um 5:32 nachmittags | Antwort Salem hat in der Tat siene Tücken und Lücken, aber der Artikel in Vanity Fair war eine echte frechheit! Sowohl Schüler als auch Lehrer finden den Artikel unglaublcih.

Hier mal zum mitschreiben seit der neuen Assteigeregel ist das Aussteigen im allgemeinen eher ungewöhnlich, und der Teng somit leer. Das Münster in dem es angeblich der Sohn eines Imobielienmarklers mit seiner Freundin im Beicht-stuhlk getrieben hat ist immer abgeschlossen und saufen ist nur den Schülern der 11 klasse bis 0,5 Promille erlaubt ………. Also was lernen wir daraus Vanity Fair ist peinlich und arm und nicht wert zu lesen…

phia sagt:
September 13, 2007 um 5:40 nachmittags | Antwort
dieses kommentar geht an die beschi***ne vanity fair:
beinahe alles, was in diesem stalingrad- saufen-artikel steht ist voll kommenener schwachsinn und gelogen! ich kann das sagen, da ich ein salemer bin (und stolz darauf). lieber mal echte skandale aufdecken, als welche zu erfinden!!! wir sind weder sonderlich arrogant, noch notgeil und süchtig nach sex in einer katholischen kirche!! wir sind keine alkoholiker und steigen auch nicht bei aller kälte aus um uns auf irgend einem blöden hügel zu besaufen!! wir sind zivilisiert (ganz im gegensatz zu vanity fair).
und an herrn friedmann persönlich:
lieber mal weniger selbstbräuner trinken und nicht so viel koksen, dann kämen sie auch nicht auf solche schwachsinnsideen, vonwegen stalingrad-saufen und einen solchen mist!! und glauben sie ja nicht, dass sie hier in salem noch einmal erwünscht sind!!!
alle anderen autoren bei normalen zeitungen laden wir herzlich auf eine nettes und WAHRES interview ein.

Peinlich und arm und nicht wert zu lesen? Nur um der Wahrheit die Ehre zu geben: Eine verschlossene Tür oder ein fehlender Schlüssel haben noch zu keiner Zeit den "Club der smarten Jugend" von Missetaten abgehalten. "Ich habe damals heimlich geraucht, häufig die Schule geschwänzt, das Schulgelände nachts verlassen, Schulbusse 'ausgeliehen'", berichtet ein Salemer Abiturient, Jahrgang 2000, in der ZEIT. In der Welt am Sonntag vom 21.02.1988 erfährt man auf Seite 25:

„In der Verhandlung berichtete die Schülerin W., dass Jungen mindestens zwei- bis dreimal wöchentlich in ihren Mädchentrakt 'eingestiegen' seien. Sie sei in ihrem Internatszimmer auf Schloß Spetzgart von einem Mitschüler beinahe vergewaltigt worden. Es seien Ketten an den Fenstern angebracht worden, was aber nicht viel geholfen habe. [...] Der Schüler B. sagte aus, er habe als >Feuerwehrkapitän< einen sogenannten Zehnerschlüssel gehabt, passend für den Mädchenbau und für den Jungenbau. Es hätten illegal auch andere solche Schlüssel existiert, die verkauft oder vermietet worden seien."

Und dass die vermeintlich strenge Internatsordnung auch heute noch keinen Pfifferling wert ist, verrät uns unvorsichtigerweise nicht nur der aktuell amtierende Salemer "Feuerwehrkapitän" auf "Regio-TV" unter dem deutlich verfehlten Titel: "Dienste statt Dummheiten". Man findet dies sogar auf der offiziellen Schulseite bestätigt, wo fiktive Schüler in plump-vertraulichem Jugend-Sprech dafür sorgen sollen, dass die angeblich "strengen Regeln" nicht als Spaßbremse missverstanden werden und womöglich wertvolle Zahlkundschaft abschrecken:

"Aber keine Angst, die Regeln sind gar nicht so streng, wie sie sich anhören, und im Prinzip sind sie ganz einfach. Man darf in Salem kein Alkohol trinken und auch nicht rauchen. Wenn man erwischt wird, bekommt man eine angemessene Strafe und wenn man gegen diese Regeln weitere Male verstößt, muss man die Schule leider verlassen. Klingt knallhart, aber jeder halbwegs intelligente Mensch weiß, dass wir Schüler doch immer Wege finden die Regeln zu umgehen."

Ein Leserbriefschreiber der ZEIT bestätigt aufgrund eigenen Augenscheins sowohl die Unverbindlichkeit der Salemer Internatsordnung als auch die (vermutete) Kumpanei zwischen Schulleitung und Zöglingen:

"Ich denke aber auch der Artikel zeichnet ein z.T. falsches Bild der Schule, denn so prüde und asketisch lebt es sich auf dem Internat auch nicht. Es gibt zwar strikte Regeln, aber diese können, vor allem durch den unglaublich guten Zusammmenhalt der Schüler, umgangen werden. Und ich unterstelle der Schulleitung einfach mal, dass dies sogar gewollt wird."

Bingo. Und deshalb ist die Aussage der wegen eines Bades in Mousse au chocolat bereits als "prominente Salem-Absolventin" gehandelten Ariane Sommer in der WDR-Fernsehtalkshow „B. trifft...“ vom 08.02.2002 sicherlich für bare Münze zu nehmen:

„Man durfte [in Salem] alles machen, man durfte sich nur nicht erwischen lassen!“

Gehirnwäsche

Wie bringt man die Schüler eines Internats, die es eigentlich besser wissen sollten, und selbst dessen Absolventen, die als Reaktion auf die Preisgabe von Interna keinerlei Repressalien mehr zu fürchten hätten, nur dazu, Ruf und Ehre des von ihnen besuchten Instituts mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, wann und wodurch immer diese in Frage gestellt werden? Das Zauberwort heißt "Korps-Geist", was Kenner der Internatsszene auch mit "erzwungener Komplizenschaft" übersetzen. Ähnlich wie religiöse Sekten erzeugt die Schule Schloss Salem "in enger Gemeinschaft" das Gefühl der Auserwähltheit und das Bewusstsein, privilegiert zu sein. Hierbei wirken auch zwei Hausgeistliche mit, die den auserwählten Privilegierten in besinnlichen "Morgensprachen" regelmäßig einimpfen, "was uns eigentlich als Salemer ausmacht" (O-Ton SWR1).

"Die Gefahr solcher deklarierten Eliteschulen ist", schreibt die Neue Zürcher Zeitung, "dass es nicht primär um Begabungen und Fähigkeiten geht, sondern um das Heranbilden eines elitären Selbstverständnisses. Sie sind darauf spezialisiert, durchschnittlich begabten Jugendlichen ein überhöhtes Selbstwertgefühl zu vermitteln. "

Das verpflichtet die mit elitärem Selbstverständnis Ausgestatteten offensichtlich zu besonderer Loyalität und schweißt zusammen. Privilegien muss man sich erhalten, indem man sie geifernd gegen böse Neider mit investigativem Ehrgeiz verteidigt. Und wer von den gesellschaftlichen und beruflichen Vorteilen einer "Netzwerkelite" und dem "Spitzen-Renommee" der Schule profitieren will, darf nichts auf "sein Salem" kommen lassen. "Nestbeschmutzer" aus den eigenen Reihen werden zur "persona non grata", sprich gemieden und ausgegrenzt. Bei Angriffen derer, die nicht dazu gehören, formieren sich Alt- und Jungsalemer zur waffenstarrenden Wagenburg.

Für die Mitglieder dieser im "Salemer Geist" verbundenen Wertegemeinschaft zahlt es sich auf mancherlei Weise aus, treu zur Fahne zu stehen. Wer den Namen der Schule und damit die Reputation seiner Mitschüler hoch hält, wird von der Gemeinschaft der "Alumni" mit beruflichen Vorteilen belohnt: Ausbildungs- und Praktikumsstellen, Teilhaberschaften, Managerposten, Mandaten und Aufträgen. Und je höher die Schule Schloss Salem im Kurs der öffentlichen Meinung steht, um so höher steigen auch der Wert des eigenen bzw. elterlichen Investments in die "Salemer Erziehung" und das Prestige als Absolvent einer "Elite-Schule". Negative Schlagzeilen dagegen bedrohen diese Rendite. Deutlich zeigen lässt sich dieser Zusammenhang an einer Diskussion über die Darstellung der Schule Schloss Salem bei Wikipedia und dem bereits verlinkten Hörfunkbeitrag von SWR1 zum Thema "Sexueller Missbrauch". Einspieler O-Ton Julius (Sprecher: "Er hat sich mit seinen Eltern ganz bewusst für das Eliteinternat am Bodensee entschieden"):

"Man macht sich ja Gedanken über die Schule, auf der man jetzt ist und wie die Vergangenheit ist und ob das auch Auswirkungen für einen selbst hat, wenn die Schule wegen sowas in den Schlagzeilen steht."

"Wegen sowas" - was immer es auch sei - lässt ein Salemer seinen emblemgeschmückten Schulpulover nicht besudeln und ist immer dabei, wenn es gilt, Missstände oder Skandalfälle zu vertuschen und zu beschönigen. So lernt man an dem Institut, das sich durch seine "hoch gesteckte[n] Charakterziele", also dadurch von gewöhnlichen Lehranstalten zu unterscheiden glaubt, dass es seine Eleven zu "Mut, Verantwortung und Wahrheitsliebe" erziehe, vor allem eines: nämlich zu lügen.

Genau das kritisierte bereits vor Jahrzehnten Hartmut von Hentig an den Salemer Erziehungsgrundsätzen:

"Die Schule hat Regeln, von denen sie weiß, dass sie nicht gehalten werden; die Schüler wissen, dass die Schule das weiß, und übertreten sie; die einen haben sich mit der Regel, die anderen mit der Übertretung abgefunden - und fahren gut dabei. Ist es das, was Kurt Hahn will? Warum muss just in der Pädagogik so viel gelogen und kaschiert werden?

Wer lügt, braucht ein gutes Gedächtnis. Um die zahllosen Widersprüche ihres Erziehungskonzepts zu überspielen, lässt die Schule Schloss Salem sich auf verbindliche Aussagen nicht festnageln (siehe z.B. das "Konjunktur-Rittertum" des langjährigen Salemer Schulleiters Bernhard Bueb und das Herumeiern um die Begriffe "Elite" und "Elite-Internat"!). Die "starken Prinzipien", aufgrund deren das Institut die Krisen seiner über 90-jährigen Geschichte angeblich hat meistern können, beruhen auf einer Legendenbildung "ohne materiellen Bezug zur Praxis" (Jürgen Oelkers).

Dementsprechend wechseln in der (Selbst-)Darstellung von Salem & Co. die Sprachbilder nach Belieben. So schreibt Birgitta vom Lehn im Rheinischen Merkur: "Hartmut Ferenschild, Geschäftsführer der Internatsberatung der 21 Landerziehungsheim-Internate [Anm.: Inzwischen gehören dem Verband nur noch 15 Einrichtungen an und Ferenschild vertritt - wie schon früher - allein die Schule Schloss Salem], spricht lieber von „Oasen in der deutschen Erziehungswüste“ [...]. Neuerdings wird gern auf maritime Vergleiche wie den "Leuchtturm" oder das "Flaggschiff" zurückgegriffen.

Inseln oder Oasen, Leuchtturm oder Flaggschiff - gleichviel. Für Schiffbrüchige wie für im Wüstensand Schmachtende (wie treffend wird hier doch die Situation vieler Eltern und Schüler "auf den Begriff" gebracht, die auf eine letzte Chance im Internat hoffen!) verwandeln sich derartige Sinnbilder schnell in Trugbilder, denn sie beruhen auf Autosuggestion und Übertragungsphänomenen wie die sprichwörtliche Fata Morgana auf Luftspiegelungen. Eltern, die mit dem Rücken zur Wand stehen, entwickeln eine Erwartungshaltung gegenüber Internaten, die alles andere als vernünftig ist. Und die Eigenwerbung der Privatinstitute greift diese übersteigerte Erwartungshaltung aus reinem Eigennutz "sehr stark" auf (vgl. Michael Ley und Herbert Fitzek: Alltag im Wunschformat - Über Internatserziehung im Blick der Eltern). Zumindest in der Anfangssphase der Landerziehungsheime überwog die Idealisierung des Internatslebens auch bei den Gründervätern, deren realitätsferne Erziehungskonzepte allerdings schnell von der harten Wirklichkeit eingeholt wurden. Die unausweichliche Desillusionierung der Salemer Schulgründer dokumentiert Poensgen:

"Prinz Max und Hahn strebten an, 'eine geistig-sittliche, körperlich gesunde Führungsschicht' heranzuziehen, 'die einmal im Staate als Aristokratie [der Gesinnung] Führungsaufgaben übernehmen sollte'. Den hohen Anspruch in die Wirklichkeit umzusetzen, war jedoch schwierig, wie auch Hahn zugestand: 'Es ist, als ob aus verheißungsvollen Quellen starke Ströme sich in Bewegung setzen, die irgendwie versickern, ehe sie in das Leben der Nation einmünden.'"

Was die heutige "Pädago-Polis am Bodensee" (kreative Selbstbe-schreibung anlässlich der Expo 2000 in Hannover, wo übrigens ein weiterer prominenter Ex-Schüler, Georg-August von Hannover, genannt Pinkelprinz, gegen den türkischen Ausstellungspavillon urinierte) nicht hindert, Hahns anfänglichen pädagogischen Optimismus bis heute als "modern" und "weitsichtig" zu vermarkten. Und unverdrossen setzt man sich als Alternative zur gezielt schlecht geredeten "Staatsschule" in Szene, auch wenn diese Werbestrategie angesichts zahlreicher Enthüllungen über die eigenen Schwächen der Edelinternate kaum noch überzeugen kann. Das Magazin "FOCUS" berichtet:

>> Mangelndes Lehrerengagement, Gewalt und Drogen, so eine Umfrage der Vereinigung Deutscher Landerziehungs-heime, sind die Hauptkritikpunkte an öffentlichen Schulen. „Die Eltern bringen ihre Kinder in Sicherheit“, bestätigt auch Hartmut Ferenschild vom Nobel-Internat Salem am Bodensee. <<

Noch vier Jahre später entlarvte Ferenschild elterliche „Hinweise auf die öffentliche Schulmisere“ in einem Anfall von Ehrlichkeit nüchtern als „Tarnmotive“, hinter denen sich die „Erosion der Erziehungsinstitution Familie“ verberge (vgl. „Welt am Sonntag“ vom 27./28. 05.2000, S. B 19). Und dass gerade Salem & Co. alles andere sind als sichere Inseln oder Oasen, weiß man nicht erst seit dem "annus horribilis" 2010, das Zyniker und Spaßvögel aus Anzüglichkeit auch mal mit nur einem "N" schreiben. Vor allem die Behauptungen, Salem habe durch den Einsatz von Alko-Testern und ein paar Urinstichproben das Drogenproblem besiegt, unterbinde erfolgreich das internatstypische Bullying oder biete im Vergleich zur staatlichen Konkurrenz "die bessere Bildung", erscheinen - zumindest im Rückblick auf die Vergangenheit - als schlechter Witz.

Was sind "schwarze Schafe"?

Ein paar Vorzeigeschüler mit Kostenermäßigung ändern an dem peinlichen Widerspruch zwischen Schein und Sein, Anspruch und Wirklichkeit nur wenig, vielleicht überhaupt nichts. Vor allem deshalb, weil das Salemer Credo, die Minderheit der Musterkinder könne die Mehrheit der verwöhnten Reichen im Sinne der Salemer Tugenden "erziehen", ein Kinderglaube ist. Salems Ex-Schulleiter Bernhard Bueb irrt, wenn er in einem Vortrag die These aufstellt, man könne in einem Internat wie Salem "den Faktor Gleichaltrige" zur "Charakterbildung in einer unmoralischen Zeit" nutzen.Wenn seine These zutrifft, dass der "Einfluss der Erwachsenen auf 15-jährige [...] gegen Null" tendiere, nützt es auch nichts, "Gemeinschaften [zu] schaffen, in denen Jugendliche unter Führung von Erwachsenen die richtigen Werte lernen und in denen sie Selbstvertrauen entwickeln können". Dies um so weniger, als gerade die inneren Widersprüche einer Einrichtung, die Kinder reicher Eltern so erziehen will, "als ob sie nicht reich wären" (siehe ein Interview mit Bueb in der Zeitschrift "Impulse"), ein doppelbödiges und damit erzieherisch kontraproduktives Milieu erzeugen.

Indem die irrationale Fiktion einer Gemeinschaft, die durch bestimmte Werte - den Salemer Geist - verbunden ist, wieder und wieder beschworen wird, verändert sich die Wahrnehmung der Edukanden schleichend im Sinne dieses Schulmythos. Sie lernen die Realität, die sie sehen, entgegen dem gesunden Menschenverstand so zu interpretieren, wie die Schule gesehen werden will.

Dies lässt sich an dem Bericht eines Stipendiaten der Dornier-Stiftung sehr anschaulich nachweisen. Zunächt nimmt er die Mehrheit der Mitbewohner seines "Flügels" (Wohntrakts) sehr distanziert als "viele Chaoten" wahr. Er müsste sich damit im "Elite-Internat" eigentlich reichlich deplaziert fühlen. Doch dank der Gehirnwäsche einer totalen Institution - und sicherlich auch mit Rücksicht auf die Fortgewährung seines Stipendiums - nimmt er die eher "schwierigen" Mitschüler im Sinne der Schulideologie als "ungeschliffene Edelsteine" wahr:

"Inzwischen habe ich aber gemerkt, dass viele Mitschüler, mit denen ich früher wahrscheinlich nichts zu tun gehabt hätte, mehr positive Seiten haben als angenommen."

Das Bild von den ungeschliffenen Edelsteinen, das hier aus Gründen der Kundenpflege ein hohes Entwicklungspotenzial der Salemer Eleven unterstellt (siehe das Schulmotto: "Plus est en vous"), kann allerdings auch ganz anders interpretiert werden. Ungeschliffene Edelsteine sind - wie Mineralogen wissen - vor allem eines: undurchsichtig! Nicht zufällig wurden das fiktive Internat "Schloss Hamberg" des ARD-Tatorts "Herz aus Eis" von Zuschauern wie von TV-Kritikern spontan als "Schule Schloss Salem" und die gezeigten "Kaschmir-Bubis und -Barbies" alias "eiskalten Bengel" ("taz") als typische Salemer Eliteschüler identifiziert, die sich schließlich auch realiter, nämlich beim Leichenteile-Aufsammeln in den Überlinger Maisfeldern, als die Abgebrühten im eigenen Saft empfohlen hatten. "Wenn das, was da an Elite nachwächst, wirklich so ist wie in diesem Film, verheißt die Zukunft wenig Gutes", urteilt die Berliner Zeitung und fährt fort:

"Doch dieser Krimi ist kein gewöhnlicher Krimi. Neben und recht eigentlich noch vor dem Fall verhandelt der Film hochmoralische Dinge. Fragen nach der Umkehrung vieler Werte nicht nur in den unteren Schichten, sondern auch dort, wo es an nichts mangelt, zumindest nicht an Materiellem."

Derlei Erkenntnisse müssen natürlich verdrängt und abgewehrt werden, denn eine Schule, die vor allem von den "schwarzen Schafen" wohlsituierter Familien lebt, muss eine Sichtweise entwickeln, die nicht die Realität abbildet, sondern die der Kundschaft schmeichelt. Die NZZ bringt dies in aller Schärfe auf den Punkt:

"In den Beschreibungen von Eliteschulen erkennt man die Rhetorik der Selbstlegitimation elitärer Kreise. Es wird eine hochkarätige Ausbildung versprochen, meist in einem internationalen Setting und einem geschützten Raum. Eliteschulen passen sich dem Selbstbild elitärer Kreise an. Oft wird behauptet, dass sie ausserordentliche Begabungen erkennen und adäquat fördern können."

Kinder reicher Leute sind nicht etwa unbegabt, drogenlabil oder kriminell, sondern "interessant". So äußert der langjährige Salemer Schulleiter Bernhard Bueb im Interview mit "Die Welt":

Bueb: Wir sind keine Reparaturanstalt für die Produkte gescheiterter Erziehung.

WELT: Und kein Auffangbecken für schwarze Schafe?

Bueb: Was sind schwarze Schafe? Das sind oft nur schwierige Kinder, und die können hoch interessant sein. Mich interessiert ein solches Kind mehr als ein langweiliger Klassenprimus. Was wir allerdings nicht wollen, sind wohlstandsverwahrloste Kinder. Die bekommen wir natürlich auch, aber da sorgen ihre Mitschüler schnell für die nötige Korrektur.

Dass infolge der Gehirnwäsche durch Schulmythos und Gemeinschaftsideologie der "totalen Institution Internat" selbst die "schwazen Schafe" eine geradezu pathologische Über-Identifikation mit "ihrer Schule" entwickeln, lässt sich an dem Beispiel des Vorsitzenden des Vereins "Glasbrechen", Adrian Koerffer, studieren, der die Missbrauchsgeschädigten der Odenwaldschule vertritt. Obwohl selbst Missbrauchsopfer, meldete er die eigene Tochter am Ort seiner - allerdings wohl höchst ambivalent erlebten - Leiden an. Der Schweizer Tagesanzeiger beschreibt seine Motive:

Interessant ist, dass Adrian Koerfer seine Tochter wieder an der Odenwaldschule angemeldet hat. Sie macht zurzeit Abitur. Weshalb er das gemacht habe, will die «Frankfurter Rundschau» wissen. Koerfer sagt: «Als ich Andreas von Weizsäcker davon erzählte, der mein bester Freund war, bevor er gestorben ist, hat er mich gefragt, ob ich wahnsinnig geworden sei. Ich habe gesagt, nein, ich glaube nach wie vor an die Schule. Ich glaube an die Selbstreinigung und ihre Ideale. Ich habe meiner Tochter vom Missbrauch erzählt und ihr meine Freunde von damals vorgestellt. Sie wollte danach hin.»

Solche Beispiele geben einen Eindruck davon, mit welcher Art Dekadenz es Oberschichtinternate zu tun haben, und man kann die nachfolgende Einschätzung eines Externen aus einem weiteren hessischen Landerziehungsheim nachvollziehen:

"Die Schule ist gleichzeitig ein Internat, wo die krankeste Scheiße abläuft / ablief... ich war bis vor kurzem noch ein externer Schüler, d.h. nicht auf diesem Internat, aber auf
der Schule, die dranhängt. Was ich da al[le]s von meinen Internatskollegen mitbekommen habe, war nicht mehr feierlich."

Ähnlich äußert sich ein ehemaliger Landheim-Mitarbeiter in einer anonymen Email:

"Sehr geehrter Herr Lange,
wenn ich von mir selbst spreche, verwende ich immer das generische Genus „er“. Ich spreche also von mir zum Beispiel als Lehr“er“. Mein wirkliches Geschlecht und meine persönlichen Daten müssen anonym bleiben. [...]Warum dieser Aufwand? Ich selbst habe nach einer Karriere von acht Jahren auf einem LSH den Berufsweg als Gymnasiallehrer an einer Staatsschule eingeschlagen und jeglicher Verlust meiner Anonymität könnte mich schlicht meinen Beruf oder meine Reputation kosten. LSHs sind sehr mächtige und finanzkräftige Gegner. Aber das wissen Sie wahrscheinlich selbst am besten.
Wieso ich Sie anschreibe? Schon kurz nach meiner LSH-Karriere meinten Freunde zu mir: „Wenn du all die Geschichten, die du dort erlebt hast, in einem Buch aufschreibst, wird das ein Bestseller – bei so vielen Skandalen und Skandälchen.“ Lange Zeit tat ich das Erlebte als Kindheitspossen ab. Doch die jüngsten Skandale an LSHs haben mich zu eigenen Recherchen und zur Vergangenheitsbewältigung meiner eigenen LSH-Zeit bewogen. [...] Ich habe nun alle meine negativen Erlebnisse aus 8 Jahren auf diesem LSH niedergeschrieben. Anonymisiert. Diese bieten tiefe Einblicke in die gesamte Schieflage des Systems „LEHs“ und können Eltern eventuell helfen, ihre Kinder nicht leichtfertig solchen „Bildungssümpfen“ anzuvertrauen.[...] Was ich nicht möchte? Auch wenn einige Schilderungen in dem Bericht starker Tobak sind, möchte ich keine Anklage gegen das betroffene LSH erheben. Viel Zeit ist seitdem vergangen und ich möchte mir mein glückliches Leben als Staatsschullehrer nicht von den hochdotierten Anwälten der korrupten LSH-Lobby verderben lassen. Der Bericht soll nur als Mahnung und Warnung für zukünftige Eltern und Schüler gedacht sein. Ich möchte die Geister meiner eigenen Vergangenheit ruhen lassen."

Erlebnistherapie für Wohlstandskranke

"Besonders die Jugend", schreibt Poensgen (a.a.O.), " wollten Prinz Max und Hahn vor einem Zeitgeist bewahren, der ihrer Auffassung nach durch eine Dekadenz der sittlichen Werte bestimmt war. Sie sahen sich dabei mit anderen Landschulheimen in einer Bewegung vereint, denen es aufgegeben war, 'gegen den reißend fortschreitenden Verfall unseres Volkes einen Damm aufzurichten'. Salem war also eine zutiefst politische Gründung, eine als pädagogische Antwort auf die gesellschaftlichen Probleme der Zeit gedachte Schule. [...] Aus der Erkenntnis Hahns, die Wirklichkeit habe heute nicht die Menschen, die sie brauche, stellte sich Salem für ihn geradezu als eine Notwendigkeit dar."

Etwa zehn Jahre nach Eröffnung der Schule Schloss Salem musste Kurt Hahn erkennen, dass seine "pädagogische Provinz" gerade durch die Adels- und Großbürgersprösslinge, die das Gros seiner Eleven stellten, mit der Dekadenz infiziert wurde, von der er diese eigentlich befreien wollte. Es bedurfte bereits durch Verzicht und Gehorsam geprägter Hilfstruppen aus dem Prekariat, um die Kinder der Reichen und Einflussreichen so weit zu bändigen, dass sie "lebenstüchtig" wurden. "Keine Schule kann eine Tradition von Selbstdisziplin und tatkräftiger, freudiger Anstrengung aufbauen", schreibt Hahn 1930 im Kommentar zu dem 7. Salemer Gesetz, "wenn nicht mindestens 30 Prozent der Kinder aus Elternhäusern kommen, in denen das Leben nicht nur einfach, sondern sogar hart ist."

Eine Quote von mindestens 30 Prozent Kindern der "Working Class", wie man in England sagen würde, konnte jedoch nie erreicht werden. Derzeit spricht man in Salem von 20 bis 25 Prozent Stipendiaten, deren Eltern aber überwiegend aus der bürgerlichen Bildungsschicht stammen und einen relativ hohen Eigenanteil an den Schulkosten tragen müssen. Unter diesem Gesichtspunkt war und ist die Schule Schloss Salem als vom Geld der Reichen abhängige "Privatschule" eine Fehlkonstruktion. Als höchst problematisch erwies sich auch ihre Ausrichtung am Vorbild der englischen Eliteinternate, deren zynische Erziehungsmethoden darin bestehen, die Disziplinierung und Überwachung der Jüngeren an ausgewählte Schüler-Präfekten zu delegieren, zu deren Privilegien es gehört, die ihnen Unterstellten zu schikanieren. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen trägt die Salemer "Erziehung zur Verantwortung" bis heute die Züge englischer Eliteinternate. Die Übertragung von Kontrollfunktionen an Jugendliche ist eben nicht schon "demokratische Mitbestimmung", ebensowenig wie die Ausübung von Aufseherfunktionen durch Funktionshäftlinge "demokratisch" ist oder sein soll. Viel eher führt die Übertragung von erzieherischer Autorität auf Gleichaltrige oder Ältere unweigerlich zu Loyalitätskonflikten und bewirkt charakterliche Deformationen, auch wenn man die "Funktionsschüler" von den Mitschülern wählen lässt und das "Ämterwesen" theroretisch in den Dienst des Erwerbs "sozialer Tugenden" (Charakterbildung!) stellt. In Wirklichkeit handelt es sich um ein System der Konditionierung und Indoktrinierung innerhalb einer totalen Institution.

Letztlich bestand der Sinn des Salemer Ämterwesens darin, einer Herkommenselite verwöhnter und "wohlstandverwahrloster" Adelssprosse und Großbürgerkinder unter den Bedingungen eines gemäßigten Bootcamps "Zucht und Ordnung" beizubringen. Und die viel gepriesene Elebnispädagogik, als deren "Erfinder" Kurt Hahn fälschlich bezeichnet wird und die heute eher unter "Event-Pädagogik" vermarktet wird, hieß anfänglich Erlebnis-Therapie, was den tatsächlichen Intentionen Hahns sicherlich näher kommt!

"Eine zutiefst politische Gründung" war Salem auf gar keinen Fall, denn ihrem Spiritus Rector ging der realistische Sinn für die Natur des Menschen und die Gesetzmäßigkeiten, nach denen individuelle Interessen sich in gesellschaftlichen Machtstrukturen organisieren, völlig ab. "Das Leben", für das Hahn ertüchtigen wollte, und schon gar nicht das der Reichen und Einflussreichen, funktionierte zu keiner Zeit nach den Regeln sportlicher Fairness. Das hätte Hahn schon bei dem französischen Romancier Honoré de Balzac lernen können, von dem die aphoristische Lebensweisheit stammt, dass hinter jedem großen Vermögen ein Verbrechen stecke.

Der jüdische Fabrikantensohn täuschte sich gründlich in der Einschätzung, in einer isolierten Erziehungsstätte, also praktisch unter gesellschaftlicher Quarantäne, so starken Einfluss auf die ihm anvertrauten Kinder der Reichen gewinnen zu könnten, dass diese eine quasi selbstlose, die eigenen Interessen über diejenigen einer tugendhaften Gemeinschaft stellende - "aristokratische" - Grundhaltung entwickelten. Ein pädagogischer Größenwahn, der nur aus Hahns psychotischer und manisch-depressiver Persönlichkeit erklärbar ist.

Hätte Kurt Hahn "die Wirklichkeit" politisch und damit realistisch verstanden, wäre ihm klar gewesen, dass sich Menschen, die durch eine bestimmte Wirklichkeit geprägt sind, nicht einfach nach dem Muster irgendwelcher Erziehungsideale umkrempeln lassen, zumal nach 14 oder mehr Lebensjahren. Er hätte wissen können, dass die Zahlkundschaft seine Schule zum eigenen Nutzen in Besitz nehmen würde.

"Eliten", stellt die Neue Zürcher Zeitung fest, " haben ein Interesse an der Weitergabe ihrer Position an die Nachkommen. [...] Die eigenen Söhne und Töchter sollen auch der Elite angehören. Wichtig sind darum Institutionen, die den eigenen Kindern den Einstieg in elitäre Kreise ermöglichen. [...] Eliteschulen kommen diesem Bedürfnis entgegen."

Zumindest so lange Salem "den Einstieg in elitäre Kreise" gewährleistet, was keine allzu großen Anforderungen an die Pädagogik stellt, spielt die Kundschaft jedes Spiel mit. Die in der Oberklasse ohnehin bestens eingeübte Devise lautet immer und überall: "So tun als ob". Da mögen die Internatsrituale auchnoch so bizarr oder die Lebensbedingungen noch so unkomfortabel sein: "Stimmt das Image, darf es auch ein Bett im spartanischen Viererzimmer oder die olle Dusche sein", schreibt FOCUS unter dem Titel "Salem: Der Club der smarten Jugend".

Was dann in der Subkultur des Internats geschieht, quasi den unter der Wasseroberfläche verborgenen sechs Siebteln des sprichwörtlichen "Eisbergs", steht auf einem ganz anderen Blatt. Dies ist heute nicht anders als zu den Gründungszeiten Salems. Auszuhalten ist diese systembedingte Doppelbödigkeit wohl nur durch Verleugnen der Wirklichkeit und die Konstruktion einer Fassade grandioser Rhetorik bzw. konspirativen Stillschweigens, hinter der der enttäuschende, banale oder hässliche Internats-alltag verschwindet.

Kleinere Brötchen

Zurück zur Insel-Metapher. Werden Salemer Pädagogen auf Missstände angesprochen, die sich beim besten Willen nicht mehr vertuschen, leugnen oder klein reden lassen, beeilt man sich zu versichern, dass auch Salem eben "keine Insel" sei.

Zitat aus dem NDR-Feature "Internate - Alternative oder Auslaufmodell" von Susanne Merkle und Hans Rubinich:

„Es ist doch auffällig, dass doch - glaube ich - heutzutage, als Reflex auf die soziale Mobilität, aber auch als Widerspiegelung von inneren Veränderungen, die Verweildauer in Internaten kürzer ist. Schüler kommen und gehen. Es kommt auch vor, dass Schüler sagen , das ist der falsche Ort, oder ich komme hier nicht rein. Oder dass man auch sagen muss wir müssen uns trennen, der passt nicht rein, das ist auch in Klasse 12 nicht zu leisten, erzieherisch. Oder wir können das medizinisch nicht leisten im Falle einer Sucht. Am schlimmsten ist Magersucht, es kommt vor, dass man magersüchtige Mädchen wegschicken muss, weil wir halt kein Sanatorium sind, keine Heilanstalt. Ich denke das hat sich leider doch gesteigert, aber auch da sind Internate keine Inseln.“

Dies gilt, vor dem Hintergrund zahlreicher Fälle von sexuellem Missbrauch und Gewalt, die immer noch nicht aufgearbeitet sind, auch in wirtschaftlicher Hinsicht:

"Denn Internate sind mehr als reformpädagogische Inseln, auf denen Schule als echter Lebensort ganz neu definiert werden sollte;" schreibt am 31.03.2010 Jeanette Otto in der ZEIT, "sie sind vor allem Wirtschaftsunternehmen, die sich einen Ansehensverlust, wie er ihnen in diesen Wochen droht, schlicht nicht leisten können."

Bereits bevor im Frühjahr 2010 die Missbrauchsbombe platzte, war es um die wirtschaftliche Situation von Salem & Co. übrigens nicht gerade gut bestellt. Zwar versuchte der SPIEGEL 2009 einen "Boom der Internate" herbei zu schreiben; Zitat:

"Pisa-Studien, Unterrichtsausfall, achtjähriges Gymnasium und Lehrermangel trieben besorgte Eltern scharenweise in seine Beratung, berichtet der frühere Salem-Lehrer Hartmut Ferenschild, der heute Eltern bei der Suche nach dem richtigen Internat berät."

Doch derselbe Hartmut Ferenschild, der hier als Kronzeuge für den regen Zulauf der Internatskundschaft bemüht wird, äußert in einem ebenfalls 2009 veröffentlichten Redebeitrag vor internem (!) Publikum genau die gegenteilige Einschätzung:

"Wie sieht der Markt für uns LEH-Internate aus? Da ist zunächst vom Privatschulboom zu reden. Es gibt ihn nicht! [...] Wo kein Boom ist, können auch Internate nicht an ihm teilhaben. Nein: Die Nachfrage nach Internatsplätzen in Deutschland hat sich in den letzten Jahren kaum bewegt. [...] Zugleich sind uns neue Konkurrenten erwachsen, etwa die englischen Internate, denen sich immer mehr Eltern auf der Suche nach überzeugenden Angeboten zuwenden, und die Ganztagsschulen, die zwar einen großen bildungspolitischen Etikettenschwindel darstellen, die aber im einen oder anderen Fall die Gründe hinfällig machen, aus denen Familien früher eine umfassende Internatserziehung gewählt haben. Hinzu kommt die quantitative Bedrohung durch das 8-jährige Gymnasium – ein ganzer Schülerjahrgang wird uns in Zukunft fehlen – und durch zurückgehende Schülerzahlen insgesamt.

Im Bereich der LEH-Internate kommen ein paar strukturelle Entwicklungen hinzu, die optimistische Anwandlungen auch nicht befördern. Sie berühren den Kern unserer Markenidentität – wennSie mir diese verbale Entgleisung ins Marketing-Deutsch erlauben. Es geht um die Gefährdung der
Einheit von Schule und Internat. Das alte LEH-Personal-modell des Lehrer-Erziehers, also des Internatslehrers, der im Unterricht seine Fächer vermittelt und zugleich auch seinen Lebensalltag mit einer Gruppe von Schülern teilt, hat an Verbindlichkeit verloren. Solche Lehrer-Erzieher machen anunseren Internaten nur noch ca. 70% der pädagogischen Mitarbeiter aus, Tendenz abnehmend. Auffallend ist ferner eine stärkere Fluktuation. Für immer mehr Pädagogen sind die Landerziehungsheime keine Lebensform mehr, auf die man sich dauerhaft einlässt, eher eine berufliche Durch-gangsstation. Dem entspricht auf Schülerseite zweierlei: erstens auch hier eine abnehmende Verweildauer; zweitens die Metamorphose zum Tagesschüler. Die Zahl derer, die bei uns keine Internen sind,sondern nur noch tagsüber als Externe oder „Tagheimer“ an einem Teil unseres Programms teilnehmen, nimmt rapide zu, derzeit macht sie rund 50% aus, mit allerdings großen Unterschieden zwischen den einzelnen LEH-Internaten.
Unsere Idee von Internat als zweitem Zuhause, als Lebens- und Lernort für Lehrende und Lernende,ist zurzeit nicht besonders attraktiv. Wir halten uns zahlenmäßig so gerade eben auf Niveau. Es gibtin der LEH-Szene wohl niemanden, der die oben skizzierte Gesamtlage nicht mit gemischten Gefühlen betrachtet."

Nach dem Image-Gau der Missbrauchsskandale gab man sich zunächst zerknirscht. Die ZEIT vom 03.02.2012:

"Man backe jetzt kleinere Brötchen, sagt Hartmut Ferenschild, Leiter der Internatsberatung der Vereinigung Deutscher Landerziehungheime (LEH). Kein Internat könne mehr sagen: Schau mal her, wie toll wir sind. 'Wir müssen uns unseren Ruf erst wieder erarbeiten.'"

Doch schnell lernten die Verantwortlichen der Schule Schloss Salem, dass man auch mit kleineren Brötchen den Mund voll nehmen kann. Zunächst aber musste man den durch Missbrauchsfälle und jahrelange Personalkrisen angeschlagenen Ruf los werden, um wieder "in ruhigeres Fahrwasser" zu gelangen. Das Thema sexueller Missbrauch und Gewalt wurde - ungeachtet der eigenen Verstrickung - zu einem "Fall Odenwaldschule" stilisiert, einst neben Salem das zweite Vorzeigeinternat der Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime (LEH). Weil Letztere angeblich nicht klar genug gegen die an der "OSO" aufgedeckte Pädokriminalität Position bezogen habe, setzte sich die Schule Schloss Salem von dem LEH-Verband ab und betonte die "Besonderheit" des Salemer Modells, das nicht dem Paradigma der "großen Familie" folge, sondern dem des "Schulstaats"; Intimität versus "Agora". Will sagen: weniger Gelegenheit zu sexuellen Übergriffen. Und dann folgte das, was man von der Schule Schloss Salem bereits gewohnt ist: Jeder Vorwurf wird zunächst einmal reflexartig abgewehrt. Anschließend wird dann in zähen Rückzugsgefechten sukzessive immer gerade das eingeräumt, was bereits eindeutig nachgewiesen ist.

Abgesehen davon, dass zahlreichen kirchlichen Eliteinternaten wie Kloster Ettal oder dem Aloisius-Kolleg in Bonn-Bad Godesberg systematischer sexueller Missbrauch nachgewiesen wurde, obwohl diese Institute nicht familienmäßig strukturiert sind, sondern ein ähnliches Betreuungskonzept wie Salem praktizieren, und abgesehen davon, dass das Gefährdungspotential in Einrichtungen mit einem Schülerpräfekten-System (in Salem "Helfer") aktuell sogar besonders hoch ist, weil die Täter laut DJI-Studie mittlerweile weit überwiegend unter den Mitschülern zu finden sind, hatte gerade die Schule Schloss Salem besonders viele Leichen im Keller. Denn das Institut stand zu Hochzeiten der Übergriffe 30 Jahre lang unter der Leitung Bernhard Buebs, der vor Übernahme des Schulleiterpostens in Salem zwei Jahre Lehrer an der Odenwaldschule war und mit dem Haupttäter Gerold Becker, dem Schulleiter der OSO, sogar eng befreundet gewesen ist. Buebs Behauptung, seinerzeit nicht das Geringste von dem inflationären Missbrauch bemerkt zu haben, den an der "OSO" die Spatzen von den Dächern pfiffen und von dem laut FAZ "jeder gewusst" haben musste, kann in keiner Weise überzeugen. Bueb war Teil des Netzwerkes, das eine "Schutzmauer" um "seinen Freund Gerold Becker" und die Odenwaldschule gebildet hatte. Selbst wenn es zutrifft, dass "in allen bekannt gewordenen Fällen" die Salemer Schulleitung "sofort reagiert" hat, wie die Frankfurter Rundschau den Internatssprecher Michael Meister zitiert, so weiß doch jeder Kenner der Internatsszene, dass gerade an Internaten wie der Schule Schloss Salem auf dem einzelnen Schüler ein derart hoher (Gruppen-)Druck lastet, "dem guten Ruf der Schule" nicht zu schaden und über das Treiben in der Schüler-Subkultur Stillschweigen zu bewahren, dass eben nur ein Bruchteil der Opfer überhaupt den Mut hat, Übergriffe von Lehrer- oder Schülerseite öffentlich zu machen. Ähnliches gilt für Fälle von Mobbing und Bullying, Drogenkonsum und dergleichen mehr.

Zusätzlich hat die Schulleitung ein vitales Interesse daran, die Fallzahlen von Regelverstößen zu manipulieren, um den Eindruck erwecken zu können, dass man hinsichtlich der seit Jahrzehnten bekannten Nachteile der Internatserziehung "alles im Griff" habe. Wie überall, wo sexueller Missbrauch, Gewalt, Drogenkonsum usw. vertuscht und verharmlost werden sollen, sprechen die Repräsentanten von Einrichtungen oder die für deren Beaufsichtigung verantwortlichen Politiker stets von "Einzelfällen", um die Öffentlichkeit über das wahre Ausmaß der Probleme zu täuschen. Nur selten wird das gezielte Fälschen der Fallzahlen in Internaten so schonungslos offengelegt, wie in diesem Erfahrungsbericht eines Schülers des Landschulheims Schloss Ising:

"Jeder Isinger weiß, dass ca. alle 3 Monate irgendein Schüler wegen irgendwelchen Banalen Sachen von der Schule fliegt, doch wirft man einen Blick in die Akten von Frau B., so stellt man fest dass angeblich noch kein einzigster Schüler geflogen ist. Denn in Ising ist es scheinbar sehr wichtig diese perfekte Fassade aufrecht zu erhalten. Anstatt einen Schüler dem Internat zu verweisen, droht Frau B. mit einem Schulsrauswurf in der Schulakte, wenn die Eltern nicht bereit wären, ihr Kind freiwillig von der Schule zu nehmen."

Man kann also davon ausgehen, dass Aussagen von Salemer Repräsentanten, dank ihrer Kontrollmaßnahmen müsse pro Jahr nur noch ein Schüler wegen Drogenkonsums das Internat verlassen (Bernhard Bueb in der Weltwoche: "Die Schüler wissen ganz klar: Das hat keinen Sinn. ") oder es habe noch nie ein Schüler wegen Mobbings von der Schule gewiesen werden müssen (vgl. Ferenschild unter www.20min.ch) eine gezielte Desinformation der Öffentlichkeit darstellen.

Den Indizienbeweis liefert ein Vergleich mit Jugendstrafvoll-zugsanstalten, die als totale Institutionen gelten wie Salem & Co. auch. Obwohl durch einschlägige Untersuchungen zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass bereits mindestens die Hälfte der Insassen gegenüber Mithäftlingen gewalttätig geworden seien, bezeichneten die Innenminister etlicher Bundesländer Berichte über Gewalttaten unter Häftlingen im Interview unisono als "Einzelfälle".

Neue Kundschaft?

Eine Lösung seiner (aktuell regelmäßig vertuschten und bestenfalls im historischen Rückblick eingeräumten) Probleme schien die Schule Schloss Salem zunächst in der Erschließung neuer Kundenkreise zu suchen. Setzte bereits Kurt Hahn alle Hoffnungen auf die Kinder der "Working Poor", so sollten es auch jetzt wieder "Stipendiaten" und leistungsbereite Mittelschichtkinder richten. Hauptzielgruppe der Salem-Werbung waren jene abstiegshysterischen "Beinahe-Reichen", die in ihrem Bemühen, sich "von denen da unten" abzugrenzen, fast jedes Opfer bringen. Doch dieses Elternklientel ist extrem leistungsfixiert. Dementsprechend wollte der 2012 ins Amt gehobene neue Schulleiter Bernd Westermeyer das "Flaggschiff der deutschen Privatschulen" - ehedem nach eigener Einschätzung "kein besonders schweres Gymnasium" - auf "geistige Elite" trimmen. "Reiche Problemkinder" würden nicht mehr aufgenommen, verbreitete man über dpa. "Qualität vor Quantität" sei jetzt das Motto der Schule, auch wenn hierdurch ein paar Plätze frei blieben. Als erstes sollte einmal die Zahl der (leistungsbereiten und sich vorbildlich verhaltenden) Stipendiaten erhöht werden.

Doch Westermeyer, abgeworben von einem staatlichen Internatsgymnasium für Hochbegabte in Sachsen-Anhalt, schien damit einer Fehleinschätzung unterlegen zu sein. Mehr als 20 bis 25 Prozent Schüler mit Kostenermäßigungen - das zeigt auch die Erfahrung anderer Landerziehungsheime - waren und sind realistischerweise nicht zu finanzieren. Außerdem verringert sich auf diese Weise die Attraktivität einer hochpreisigen Internatsschule für die reiche Stammkundschaft, die vor allem soziale Exklusivität sucht. Ganz schnell wurde deshalb zurückgerudert, um die angestammten Financiers der Schule Schloss Salem nicht zu verprellen. Als "für uns störende Bezeichnung" wies Schulvorstand Robert Leicht die Zuschreibung Eliteschule zurück (vgl. im Südkurier vom 21.10.2011). Denn ein solcher Hinweis auf höchste schulische Anforderungen könne Kundschaft abschrecken, deren Nachwuchs keine Spitzenleistungen erbringe oder sich diese nicht zutraue.

Die Salemer Millionärskundschaft, sofern sie aus Imagegründen nicht längst nach England abgewandert ist, will keine weitere "Akademisierung" ihrer sozial exklusiven Sonderschule und auch keinen allzu harten Leistungswettbewerb mit sozialen Aufsteigern, sprich: begabten Stipendiaten . "So klischeeträchtig es klingt", verrät Christian Rickens in einem Bericht des SPIEGEL ("Wie die deutschen Millionäre wirklich ticken") aus dem Jahr 2011, "ihr ganzes Leben organisieren Reiche am liebsten in Netzwerken, in denen sie unter sich sind. Neben dem Schutz vor Schnorrern lassen sich in solch informellen Zirkeln des Vertrauens vortrefflich Geschäfte anbahnen." Der deutsche Durchschnittsmillionär sei Familienunternehmer, der den selbst erworbenen, häufig aber auch selbst schon ererbten oder von den Schwiegereltern übernommenen Reichtum einst an die eigenen Kinder weitergeben wolle. Dieses dynastische Denken bewirke zwar einen hohen Stellenwert von Bildung. Doch sei hierunter nicht ein "Streben nach akademischen Meriten" zu verstehen. Dies entspreche eher dem "Herzenswunsch jener gehobenen Angestelltenkreise", in denen man sich sorge, dass das eigene Kind das richtige Rüstzeug für den harten Daseinskampf erhalte - weil "für dieses Dasein eben noch nicht von Geburt an gesorgt" sei. Millionäre dagegen bevorzugten Internate vom "Typ Louisenlund" (ein Schwester-Institut von Salem), wo ungeachtet zwischenzeitlicher Akademisierungs-Versuche vor allem Führungsqualitäten vermittelt würden. Mit anderen Worten: Die etablierten Reichen fahren - anders als die sozialen Aufsteiger - auf Begriffe wie "Charakterbildung" oder "Verantwortungselite" ganz besonders ab, denn es handelt sich um einen geheimen Sprachcode, der Zahlungskräftigen und Spendierfreudigen signalisiert, dass an dem betreffenden Institut auch weniger brilliante Sprösslinge in Pflege genommen und erfolgreich zum Abschluss geführt werden. Die Entdeckung schlummernder Potenziale ("Plus est en vous") ist im All-Inklusive-Paket einer Luxuspenne natürlich ebenso enthalten wie eine Versicherungspolice gegen allzu rigide Exekution der Internatsordnung. Die NZZ beschreibt daher den Auftrag eines Eliteschul-Pädagogen folgendermaßen:

"Für die Lehrpersonen wird es schwierig, wenn sie diesen Auftrag nicht annehmen und das Verhalten und das Leistungsprofil der Schüler zu sehr hinterfragen. Ihre Existenz wird bedroht, und sie verlieren vielleicht wegen eines kritischen Vaters und Sponsors ihre Stelle."

Denn wer mit dem "goldenen Löffel" im Mund geboren ist, glaubt - so können wir in Anlehnung an Rickens feststellen - dass er nicht nur den ererbten Reichtum oder Chefsessel verdient habe, sondern auch einen prestigeträchtigen Schulabschluss, einen Studienplatz an einer angesehenen Hochschule und einen Doktortitel. All dies ist käuflich, wie man weiß, oder auch mit sehr geringem Aufwand erreichbar, wenn genügend Rückenwind vorhanden ist, den man nicht nur in Apothekerkreisen "Vitamin B" nennt. Die einstige "Elite-Ministerin", Frau Dr. a.D. Annette Schavan, die an der Schule Schloss Salem einst mit einer Festrede zum 125. Geburtstag Kurt Hahns brillierte, liefert den anschaulichsten Beleg. Ein Leser des Handelsblatts kommentiert einen Beitrag mit dem Titel: "Wo Manager ihre Top-Ausbildung erhalten":

"Dass die jetzige Krise von den Elite-Absolventen hauptsächlich verursacht wurde: kein Problem!
Dass Mr Bush jun., dem selbst seine besten Freunde keine überragende intellektuelle Leistungsfähigkeit nachsagen, während seines Studiums in erster Lnie gesoffen hat und Partys feierte. Und trotzdem an der "Elite-Uni" Harvard ein Diplom bekam (an jeder mittelmäßigen deutschen Uni wäre er durchgefallen): kein Problem
Ich selbst war an der "Elite-Uni" Oxford. Die Studenten zeichnet aus, dass sie dort sind, nicht dass sie etwas besonderes leisten. In meinem Fach hätte ich Absolventen von jeder deutscher Uni als besser ausgebildet vorgezogen! Elite wird dort einfach definiert: mein Papa war schon Elite, also bin ich es auch. Und dann lerne ich hier all die Leute kennen, die die tollen Jobs vergeben. Und ich kriege einen, selbst ohne (!) Abschluss - ich habs erlebt.
Die "Elite"-Unis sind keine Lösung der Probleme sondern ihre Ursache. Aber so lange damit reiche Eltern ihren Sprösslingen gute Jobs erkaufen können werden sie uns erhalten bleiben."

Bernd Westermeyers Sympathiewerbung für seinen neuen Salemer Arbeitgeber unter der Parole "Bildung ist nicht käuflich!" verfehlt - naiv oder hintersinnig - den Kern des Geschäftsmodells der Schule Schloss Salem. Denn Bildung will die Millionärskundschaft in einem Institut wie Salem ja gar nicht kaufen, sondern nur das Reifezeugnis. Und auch dieses soll nicht vulgär gegen ein Bündel Geldscheine eingetauscht werden. Der Deal mit der noblen Kundschaft läuft wesentlich vornehmer und diskreter ab. Das muss Herr Westermeyer, der ein staatliches Hochbegabtengymnasium geleitet hat bevor er im Herbst 2012 das "Flaggschiff der deutschen Privatschulen" als "neuer Kapitän" übernahm, vielleicht erst noch lernen.

Das Abitur gibt es in reformpädagogischen Landheimen nämlich traditionell als Gimmick-Beigabe wie die Plastikfiguren, die den Absatz des "Happy Meal" einer bekannten Fastfood-Kette ankurbeln. Landheimgründer wie Lietz, Geheeb oder Hahn achteten die rein intellektuelle Bildung und die formalen Qualifikationen gering, auf die die "Staatsschule" so große Stücke hielt. Ein Landerziehungsheim qualifizierte nicht bloß, es vermittelte eine das ganze Leben umfassende und damit die "bessere", wenn nicht sogar eine "exzellente" und damit kaum noch zu übertreffende Bildung. Jürgen Oelkers ("Schulbildung ist profan, ihre Leistungen zu erfassen, ist kein magischer Begriff von Bildung nötig.") hat die Problematik dieses Bildungsmythos in aller Schärfe herausgearbeitet.

Zwar behaupten Salem & Co., den Bildungs-Auftrag der Schule wesentlich besser erfüllen zu können als etwa die öffentlichen Gymnasien, indem sie ein breites außerunterrichtliches Angebot machten und somit durch das (Internats-)Leben für "das Leben" als solches ertüchtigten. Ignoriert wird hierbei allerdings geflissentlich, dass das "Happy Meal" einer Landheimerziehung im Vergleich zu einer Kombination aus öffentlicher Schule und einer halbwegs intakten Familie zwar ein Mehr an bestimmten Lebenserfahrungen vermittelt. Dieses "Mehr" muss aber weder für ein normales Leben repräsentativ noch für die Zöglinge besonders zuträglich sein. Eine Altsalemerin, die in den 1990er Jahren das Institut besuchte, berichtet:

"Ich war 9 Jahre auf der Schule Schloss Salem - es war der Horror und ich habe alles von Begrabschen durch meinen ersten Schulleiter auf Hohenfels über Mobbing und Drogen usw. miterlebt. Ich glaube, das hat mich permanent geschädigt, und ich war immer sehr wütend, das keiner über das, was da abgeht, den Mund auf macht."

Landheimerziehung schränkt die Lebenserfahrung durch die Abgeschlossenheit des "Heimlebens", die Indoktrination mit der jeweiligen Heimideologie sowie die Konditionierung nach den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen der Heimgemeinschaft unter Umständen auch stark ein. Zumindest die heutigen Landerziehungsheime sind durchrationalisierte Versorgungsbetriebe, die eher hospitalisieren als auf die "Lebensrealität" vorzubereiten. Und natürlich sind die "Vorteile des Internatslebens" keinesfalls so exklusiv wie behauptet. Auch derjenige, der ganz konventionell bei den Eltern wohnt, kann einen großen Freundeskreis haben, Mannschaftssportarten betreiben, Mitglied bei Jugendfeuerwehr, THW-Jugend oder Pfadfindern sein, freiwillg im Altenheim helfen u.a.m., um auf diese Weise Sozialkompetenz und Verantwortungsbewusstsein zu erlernen.

Die hochtrabende Rhetorik um das "Mehr an Bildung", die Charakterformung in der Gemeinschaft, das "asketisches" Leben in Mehrbettzimmern, die "sportlichen Herausforderungen", die Förderung der Verantwortungsbereitschaft durch Übernahme irgendwelcher Aufsichtsfunktionen oder Samariterdienste etc. pp stellt im Grunde nur eine Überhöhung von Banalitäten dar, die dem Ziel dient, einen "Mehrwerts" gegenüber der reinen Qualifikationsvermittlung einer staatlichen Lehranstalt vorzutäuschen, die dafür allerdings auch nicht den Gegenwert einer luxuriösen Eigentumswohnung verschlingt.

Der hauptsächliche Nutzen der Fiktion von einer "besseren Bildung" liegt aus Salemer Sicht darin, der "Elite-Kundschaft" die Glaubensgewissheit zu vermitteln, ihr Nachwuchs habe im außerunterrichtlichen Bereich eine gleichwertige Qualifikation erworben und durch "großen Einsatz" gezeigt, dass er im Grunde auch das Reifezeugnis irgendwie verdiene, selbst wenn es an Begabung und Motivation gefehlt haben sollte. Das nagende Gefühl einer vielleicht zu großzügigen Benotung oder gar des "hinterher geschmissenen Abiturs" wird dadurch beschwichtigt. Und erst recht lässt sich damit der "kleine Vorsprung" recht- fertigen, im Wettbewerb um einen Studienplatz in Harvard oder Oxford bzw. einen lukrativen Job in der Wirtschaft bevorzugt zu werden - trotz eines vielleicht deutlich schlechteren Notendurchschnitts. Denn schließlich hat man gegen exklusive Schulgebühren (vermeintlich) bestimmte Eigenschaften wie "Charakter", "Verantwortungsbereitschaft" oder "Leadership-Qualitäten" erworben, die im "späteren Leben" wichtiger sind als das Einser-Abitur eines Habenichts von einem staatlichen Gymnasium.

Das Durchschnittliche gibt der Welt Bestand...

Also Kommando zurück. "Qualität statt Quantität" war gestern. Inzwischen wirbt die Schule Schloss Salem wieder massiv um Unternehmerkinder, auch die der Transformationsgewinnler und "Businessmeny" aus Russland oder der "Neuen Eliten" aus China und Korea. Erziehungsziel Chefsessel. Wie es um den Charakter dieser Kundschaft bestellt ist oder ob sie die hehren "Charakterziele" der Schule teilt, hinterfragt man dabei besser nicht. Pecunia non olet.

Für den akademischen Glanz dürfen natürlich weiterhin ein paar geltungssüchtige Hochleister aus dem akademischen Prekariat oder dem Milieu leitender Angestellter und Freiberufler sorgen, deren späterer Lebensstandard noch nicht durch ein Millionenvermögen abgesichert ist. Solche Möchtegerne findet man immer noch ausreichend in der "Generation Optimismus" (Institut Rheingold), die sich für das Gelingen ihrer Karrierepläne verantwortlich fühlten und an den Satz glaubten: "Wer es schaffen will, der schafft es." Dass sie nicht mehr mit am Tisch sitzen werden, wenn die satten Pfründen nach "Stallgeruch" und "Habitus" aufgeteilt werden, muss man weder diesen Strebertypen noch deren Eltern, die für den Elitetrip von Sohn oder Tochter mehrere Jahre auf das neue Luxusauto oder den teuren Urlaub verzichtet haben, vorzeitig auf die Nase binden.

Und natürlich setzt man weiterhin das Märchen in Umlauf , es sei an eine Erhöhung der Stipendiatenzahl gedacht. Dies ist einfach notwendig, um von der Verfassungswidrigkeit des Geschäfts mit der sozialen Exklusion abzulenken. Da kommt auch der naive grüne Landesvater Winfried Kretschmann gerade recht, der aus Anlass seiner Wahl zum Ministerpräsidenten eben mal ganz "keck" in die Schule Schloss Salem eingeladen wurde. Dort tut der dann vor der anwesenden Presse die unbedachte Äußerung, dass er auch private Reichenschulen wie Salem als "Teil des öffentliche Schulwesens" ansehe. Und anschließend freut er sich noch werbeträchtig darüber, dass es den Schülern in Salem so gut gehe. Wie viele der ca. 650 Internen wird er außer ein paar gut gebrieften Funktionsschülern hierzu wohl befragt haben?

Die Begeisterung des grünen Ministerpräsidenten war vielleicht dadurch bedingt, dass die Schule Schloss Salem aufgrund ihrer buntgewürfelten Schülerschaft eigentlich den Prototyp einer Inklusionsschule mit hohem Ausländeranteil darstellt. Und wo wird wohl häufiger von Gemeinschaft geredet als im Palazzo Prozzo am Bodensee? Den hat übrigens Kretschmanns Amts-Vorvorgänger Günter Oettinger dem badischen Adelshaus 2008 für satte 60 Steuermillionen abkaufen müssen, um zu verhindern, dass sich am Ende noch irgendwelche Scheichs das Kulturgut unter den Nagel rissen. Da passt doch einfach wieder alles zusammen: Inklusion, Gemeinschaftsschule und Verstaatlichung der finanziellen Engpässe blaublütiger Plutokraten.

Sieht die Schule Schloss Salem ihre Aufgabe erklärtermaßen bereits wieder in der Defizit-Pädagogik für eine Herkommens-elite? Erlebnis-Therapie, verpackt als Erlebnis-Event nach dem Motto "Schöner lernen im Schloss"? Dieser Verdacht bestätigt sich nicht nur durch die Umwandlung des nach zwölfjähriger Betriebsdauer gescheiterten "Salem International College" in eine Einrichtung zur Vorbereitung noch nicht hochschulreifer Abiturienten auf die Massenuniversität. Verlautbarungen aus der Leitungsetage anlässlich der Abiturfeier des Jahres 2013 liefern weitere sachdienliche Hinweise:

"Studienleiterin Brigitte Mergenthaler-Walter zog die akademische Bilanz und verwies auf das breite Leistungsspektrum dieses Jahrganges, der die pädagogischen Anstrengungen des Kollegiums diesmal besonders herausgefordert hat. Immerhin gab es einen Notendurchschnitt von 2,3 zu vermelden. Durchaus vorzeigbar, wenn man bedenkt, dass rund ein Drittel der Abiturienten ausländischer Herkunft ist und seinen Salemer Weg einst nicht als deutsche Muttersprachler angetreten hatten."

Die stark codierte Botschaft von dem "breiten Leistungsspektrum" der Eliteschüler, das dem Salemer Kollegium so große Anstrengungen abgefordert habe (an staatlichen Schulen würde man als Reaktion auf ein "breites Leistungsspektrum" wohl eher den Schülern größere Anstrengungen abfordern!), übersetzt Karl-Heinz Heinemann in seinem SWR2-Feature "Der feine Unterschied und seine Folgen" in Klartext:

"Etwa ein Drittel der Schüler bekommt ein Stipendium. Sie werden sorgfältig ausgewählt. Wer jedoch voll zahlt, wird unbesehen genommen. Man wirbt um die „Vollzahler“, denn
sie sichern den Bestand der Schule, und mit ihren Gebühren bringen sie auch die Kosten für die Stipendiaten auf.In puncto Leistungsverteilung ist es in Salem genau umgekehrt wie an anderen Schulen: Hier gibt es nicht die üblicheNormalverteilung mit viel Durchschnitt, wenigen Spitzen und ein paar Versagern, sondern mehr Extreme: Hohe Leistungen und diejenigen, die durchgeschleppt werden müssen."

Wie dem auch sei; in Salem könnte der Ministerpräsident des Ländles sicherlich lernen, wie man eine Inklusions-Gemeinschafts-Schule mit vielen Ausländerkindern schön redet oder sich von hochrangigen Politikern schön reden lässt. Prominentestes Beispiel, frei nach Marius Müller-Westernhagen: Die Kapelle humptata, und der (Bundespräsident) Rau war auch schon da. Der hat im Jahr 2000 nämlich das "Salem International College" eingeweiht, das nun gerade mal so lange Bestand gehabt hat wie die tausendjährige Bauherrengemeinschaft des auf dem Terrain einst angesiedelten KZ-Außenlagers Überlingen-Aufkirch.

Das führt zurück zur "Insel der (zum Erfolg) Verdammten", nicht nur wegen der fatalen Ähnlichkeit von Funktionshäftlingen einst und Funktionsschülern, pardon "Helfern", heute. Gerade erst ist das schwedisches Eliteinternat Lundsberg, das der Schule Schloss Salem in vielerlei Hinsicht frappierend ähnelt, wegen menschverachtender Aufnahmerituale als "Schule des Schreckens" in die Schlagzeilen geraten. Die Insel-Häuptlinge, Flaggschiff-Kapitäne oder Leuchtturmwärter solcher Einrichtungen sitzen immer auf einem Pulverfass. Zu jeder Zeit kann ein Skandal-Sprengsatz hochgehen oder der Luxusdampfer vor der Insel der Schönen und Reichen kentern wie die Costa Concordia vor Giglio. Und ist nicht erst kürzlich das Projekt Nordsee-College auf Sylt schon in der Planungsphase gescheitert? Auch der Erfolg des "Salem Kolleg" als Nachsorge-Klinik für Abiturienten ohne Hochschulreife, das zunächst als "Akademie" angekündigt war, ist noch keineswegs gesichert. Rektor Gerhard Teufel in der ZEIT: "Wir sind offen für alle, aber die Kosten sind ein kritischer Punkt."

Teure Luxusinternate in "freier Trägerschaft" haben eben einen gewaltigen "Haken". "Kunst geht nach Brot", heißt es in Lessings Trauerspiel Emilia Galotti. Und ein Trauerspiel scheinen auch die Salemer Finanzen zu sein. Erst kürzlich veröffentlichte die Schwäbische Zeitung einen von der Schule Schloss Salem inspirierten Jubelbericht, der die Misere wie üblich hinter einer Pseudo-Erfolgsmeldung zu verstecken suchte. Eine nur 10%ige Auslastung des "Salem-Kolleg" und 230 Neuschüler ("deutlich mehr als im Vorjahr") im Bereich der Internatsschule werden hier als Zeichen für Stabilität "in einem für Internate insgesamt nicht einfachen Marktumfeld" schön geredet. Von der im Vorjahr ausgegebenen Parole, der neue Schulleiter Bernd Westermeyer wolle die geistige Elite nach Salem holen, ist selbstverständlich keine Rede mehr. Stattdessen steigt der Ausländeranteil unter den Schülern - der für "ein breites Leistungsspektrum" (in Klartext: erhebliche Leistungsunter-schiede) verantwortlich ist - erneut an. Unter den Ausländern sind kaum Stipendiaten. Und Chinesen, Russen, Koreaner usw. müssen für ein Schuljahr im voraus bezahlen.

Schulleiter Westermeyer hat jedenfall als Ersatz für "Qualität statt Quantität"schon mal ein neues Motto fürs Poesiealbum ausgegraben, das realistischer abbildet, welche Kundschaft von je her den Elite-Hut auf hatte und für den Erhalt der Schule Schloss Salem sorgte:

„Das Durchschnittliche gibt der Welt Bestand, das Außergewöhnliche verleiht den Dingen einen Wert.“

(Oscar Wilde)

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