Überlebenskampf im Odenwald: Totgesagte...

OSO-Pleite Rettung in letzter Minute oder langsames Sterben auf der Intensivstation? 2,5 Mio. Spenden- und Kreditzusagen verhindern vorerst das Ende der Skandalschule im Odenwald.

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"Totgesagte sterben länger", betitelte das Magazin Focus im Oktober 2010 einen Beitrag über Firmenabwicklungen. Zur damaligen Zeit erregten immer neue Enthüllungen über jahrzehntelange Päderastie in dem reformpädagogischen Vorzeigeinternat Odenwaldschule bereits seit Monaten die deutsche Öffentlichkeit. "Der Tod eines Unternehmens ist in den Medien kurz und schmerzhaft", schrieb Focus, "doch in Wahrheit lang und leise." Doch Pleite geht offensichtlich auch anders, wie man am Beispiel der "OSO" (= Odenwaldschule Ober Hambach) lernen kann: Lang und schmerzhaft ja, leise nein. Nach immer neuen Aufreger-Meldungen über Vertuschungsversuche der Schulleitung, die Brüskierung des Opferverbands "Glasbrechen", aktuelle Verdachtsfälle, nicht eingehaltene Zusagen bzgl. der geforderten Reorganisation u.a.m. wurde immer wieder die endgültige Schließung des Skandalinternats gefordert (u.a. von Adrian Koerfer, dem Vorsitzenden des Verbands der OSO-Geschädigten). Es hieß: "An diesem Ort wird nie wieder Normalität herrschen" (vgl. Thomas Kerstan auf ZEIT online vom 24. April 2014 ). Die taz urteilte unter dem Titel "Zeit, das Licht auszumachen":

"Die Odenwaldschule muss geschlossen werden. Sie ist zum Symbol der institutionalisierten sexualisierten Gewalt geworden."

Die Hand ständig am Lichtschalter, konnte sich die Internatsleitung jedoch noch bis ins fünfte Jahr des Medienhypes um die Missbrauchsfälle der 1970er und 1980er Jahre durchwursteln. Das mittlerweile dritte oder vierte Leitungsgremium seit 2010 erklärte zum Endes des Schuljahrs 2014/2015 das bevorstehende Aus. Die Schülerbelegung hatte sich zuletzt halbiert, die finanziellen Reserven waren erschöpft und reichten für einen gesicherten Betrieb von Schule und Internat nicht mehr aus. Die Schulaufsicht verweigerte vor diesem Hintergrund die Erneuerung der Betriebserlaubnis.

Chronik eines angekündigten Todes

Mit Verkündung des Todesurteils brach noch einmal ein Shitstorm über die OSO herein. Viele quittierten das bevorstehende Ende mit Erleichterung, ja sogar mit unverhohlener Häme. Aber auch ein paar Bewunderer des einstigen reformpädagogischen Walfahrtsorts meldeten sich mit salbungsvollen Nachrufen zu Wort, was wiederum den massiven Widerspruch von OSO-Geschädigten provozierte. So erregte sich der Schreiber "Ex-Odenwaldschüler":

"Als Betroffener kann ich Ihre Schwärmerei für die Odenwald-'Schule' nicht nachvollziehen. Es scheint als lebten Sie noch in einer anderen Zeit - nämlich der vor 1998 bevor die tatsächliche Wahrheit über die 'ehrbare' Odenwaldschule endlich offiziell (bekannt war das alles schon viel länger - siehe z. B. Klaus Mann) ruchbar wurde. Ich bin mit vielen anderen sehr froh, wenn diese sog. 'Schule' endlich geschlossen wird…wenigstens ein kleines Stück Gerechtigkeit…"

Im hitzigen Meinungsstreit der Kommentatoren bekamen aber auch Schließungsbefürworter und Missbrauchsopfer ihr Fett ab. Ein "Sitiwati" polterte unter der Überschrift "Jammer - Jammer!":

"Ich war selber in ähnlicher Situation - hab mir das ein bischen angeschaut, dann hab' ich zu meinen Vater gesagt: Also, endweder holst du mich hier rauss oder ich hau ab. Zwei Tage später war's vorbei. Der Prior sagte zum Abschied: Sag du nichst von uns und wir erzählen nichts von dir! Was er von mir erzählen wollte, war mir allerdings schleierhaft. Wie gesagt: eine schöne Elite zieh'n die da im Odenwald groß!"

Dies wird den Missbrauchsopfern der OSO, die die dortigen Vorgänge nach langen Jahren des Schweigens, aber auch nach mehrfachen vergeblichen Versuchen dann schlussendlich doch ans Licht der Öffentlichkeit brachten, sicherlich nicht gerecht. Doch enthält diese Leserzuschrift einerseits deutliche Hinweise auf die Ausübung erpresserischen Drucks, mit dessen Hilfe auch in vielen anderen Internaten versucht wurde, einschlägige Enthüllungen zu verhindern. Zum anderen sind hier verschiedene Kategorien von Missbrauchsopfern zu erkennen: Solche mit elterlichem Rückhalt und solche, denen dieser Rückhalt fehlte. Und hierzu zählten an der Odenwaldschule nicht nur die Schwächsten, "Stipendiaten" und "Jugendamtskinder", sondern durchaus auch die Sprösslinge der Reichen und Einflussreichen (siehe die Beiträge "Einsame Spitze" von Birgitta vom Lehn sowie "Die Kälte der Eltern" von Johannes von Donanyi). Und es scheint sogar betuchte OSO-Schüler gegeben zu haben, deren schichtspezifische Dekadenz so ausgeprägt war, dass sie den Missbrauch förmlich genossen haben müssen. So scheint das Missbrauchserleben des heutigen Vorsitzenden des Opfervereins Glasbrechen, Adrian Koerfer, recht zwiespältig. Brüstete er sich doch 1999, bei Aufkommen der ersten Insiderberichte, noch mit seinen sexuellen Abenteuern. Zitat Baseler Zeitung:

>> Der heutige Kunstsammler Adrian Koerfer erzählt: "Ich war im Zentrum des Taifuns. Dort wo es ganz still war, im Bett nämlich. Ich glaube, dass ich alles mitgemacht habe, was auf dieser Schule gut und schlecht war." [...] Im Gespräch mit der Zeitung wird offensichtlich, dass Koerfer eine gute Zeit hatte – aber auch Opfer war, wie er sagt. Das wolle er einfach so stehenlassen. [...] Und Koerfer erwähnt eine Episode, die ihm scheinbar gefallen hat: "Ich war dann auch der 17-Jährige, der mit der Englischlehrerin geschlafen hat. Ich sah damals auch nicht ganz schlecht aus und war einfach mittendrin." <<

"Einfach mittendrin..."

Alles mitmachen, eine gute Zeit haben, "einfach mittendrin" sein. Die erstaunliche Verbundenheit selbst ehemals missbrauchter Odenwaldschüler mit "ihrem" Internat hat genau hier ihre "erlebnispädagogische" Ursache. Und noch ein anderes Motiv findet sich in vielen Biografien anhänglicher Ehemaliger. Die Basler Zeitung schreibt:

>> Der Verleger Joachim Unseld fügt jedoch hinzu, dass ihn diese Schule "gerettet" habe: "Ich kam in einer Blitzaktion auf die Odenwaldschule, eine Schule mit hervorragendem Ruf, passend zur liberalen Strömung der Zeit. Und ich muss sagen, dass mich diese Schule gerettet hat. Ich hätte mich sonst vollständig verweigert. Ich wurde an der OSO von einem dahinvegetierenden Schüler, der mitgeschleift wurde, zu einem sehr interessierten Schüler. Ich habe dort gelernt, zu lernen."<<

Kurt Hahn, der Mitbegründer der Schule Schloss Salem, sprach von seinen Schüler(inne)n als den "armen Mädchen und Jungen der Reichen", die "keine Möglichkeit" hätten, "sich zu Männern und Frauen zu entwickeln, die überleben können", so lange sie auf "ihre Kreise beschränkt" (= ihre Gesellschaftsschicht) seien. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb über Eliteschulen:

>> Die Gefahr jeder Elite ist die Überheblichkeit. Das Interesse und die persönliche Energie gelten mit der Zeit nicht mehr den Herausforderungen, für die der Elitestatus geschaffen wurde, sondern dienen der Selbsterhaltung. [...] Elitäre Kreise entwickeln oft ein Selbstbild, das sich nicht mit ihren Leistungen und Fähigkeiten deckt. [...] Eliten haben ein Interesse an der Weitergabe ihrer Position an die Nachkommen. Viele Mitglieder der Elite träumen davon, eine Dynastie zu gründen. Die eigenen Söhne und Töchter sollen auch der Elite angehören. Wichtig sind darum Institutionen, die den eigenen Kindern den Einstieg in elitäre Kreise ermöglichen. [...] Eliteschulen kommen diesem Bedürfnis entgegen. Es wird suggeriert, dass dank einem hochprofessionellen Unterricht und Top-Lehrern aus dem Nachwuchs künftige Führungspersönlichkeiten geschmiedet werden können. In den Beschreibungen von Eliteschulen erkennt man die Rhetorik der Selbstlegitimation elitärer Kreise. [...] Die Gefahr solcher deklarierten Eliteschulen ist, dass es nicht primär um Begabungen und Fähigkeiten geht, sondern um das Heranbilden eines elitären Selbstverständnisses. Sie sind darauf spezialisiert, durchschnittlich begabten Jugendlichen ein überhöhtes Selbstwertgefühl zu vermitteln.<<

Teure Internatsschulen, zu denen auch die Odenwaldschule gehört, haben im gnadenlosen und inzwischen globalisierten Konkurrenzkampf um eine betuchte Privatkundschaft ein perfides System der Kundenbindung entwickelt. Dieses basiert weitgehend auf der Vorspiegelung eines Idealbildes, das zwar den völlig entgegengesetzten Erwartungen der zahlenden Eltern einerseits und der die Internatsauswahl beeinflussenden Kinder andererseits auf den ersten Blick zu entsprechen scheint. Doch ein solcher Spagat liegt außerhalb des kunstturnerisch Möglichen.

Die "OSO-Elite"

Zur Beruhigung der Eltern oder der belegenden Jugendämter werden schulische und erzieherische Erfolge daher lediglich vorgetäuscht. In Wahrheit sind weder die institutionellen Rahmenbedingungen gegeben noch entsprechen die individuellen Voraussetzungen der Schüler den ambitionierten Zielen. Der Kieler Erziehungswissenschaftler Prof. Heinrich Kupffer, selbst Salem-Schüler und langjähriger Internatsleiter am Landschulheim am Solling, hat schon frühzeitig auf die strukturellen Schwächen teurer Internatsschulen hingewiesen. In seinem Aufasatz "Fürsorge Erster Klasse?" (Pädagogische Rundschau 27. Jahrg., SS 168-182) schrieb er 1973:

>> Trotzdem sind die Landerziehungsheime ökonomisch nicht so potent, dass sie im Hinblick auf personelle und materielle Ausstattung den Typus einer zeitgemäßen Erziehungsstätte repräsentieren könnten. Sie bieten vielmehr trotz der nominell hohen Kosten vielfach nur ein pädagogisches Existenzminimum an Aufwand und äußerer Leistung. Dies ist nicht verwunderlich, denn der Satz in modernen heilpädagogischen Kinderheimen liegt heute bereits drei- bis viermal so hoch , in normalen FE-Heimen etwa doppelt so hoch wie in den Landerziehungsheimen.<<

Der Ex-Leiter der Schule Schloss Salem, Bernhard Bueb, und der ehemalige Oberstufenleiter des Instituts, Otto Seydel, beschreiben unabhängig voneinander das pädagogische Dilemma, in dem die Erziehungsarbeit privater Internatsschulen wie der OSO, der Schule Schloss Salem und vergleichbarer Einrichtungen gefangen ist:

Bueb: >> Deutsche Eltern wollen natürlich auch eine gute Erziehung, aber vor allem soll sich das Kind wohlfühlen. Strenge Maßnahmen werden nur so lange akzeptiert, wie sie das Wohlgefühl des Kindes nicht stören. Deutsche Eltern geben schneller dem Drängen des Kindes nach, das Internat verlassen zu dürfen, wenn ihm zu viel Disziplin abverlangt wird.“

Seydel: >> Es gibt in jedem Internat neben [...] ”ideologischen” auch strukturellem Gründe, die die Abwertung des Unterrichts erheblich verstärken: das primäre Lebensthema der Jugendlichen sind die Beziehungen zu den Gleichaltrigen. Und für dessen Entfaltung bietet das Internat (mit seinen offiziellen wie inoffiziellen Aktionsfeldern) einen geradezu idealen Ort. Nicht aber der Unterricht. <<

Auf eine ausgeprägte Überschätzung der pädagogischen Möglichkeiten des Internats und die Schizophrenie der elterlichen Erwartungen angesichts der für Internatsschüler typischen Erziehungsprobleme weisen auch Michael Ley und Herbert Fitzek (Alltag im Wunschformat - Über Internatserziehung im Blick der Eltern, Bonn 2005) hin:

>> Was die Eltern äußern, das sind offenbar alles andere als vernünftige Überlegungen oder Erwartungen. Statt dessen stellen wir fest, dass die Eltern den Internaten sehr wirkmächtige Einflussnahmen zutrauen. [...] Die psychologische Realität der Internate, wie sie sich aus Sicht der Eltern darstellt, dreht sich [...] um eine Konstruktion, die ausgesprochen widersprüchliche Züge vereinen soll: Aus Sicht der Eltern stehen die Internate vor der (unmöglichen) Aufgabe, die Familien zu entlasten, ohne sie zu enteignen, abzuhelfen, ohne anzustrengen und eine Wiederkehr der Kinder zu garantieren, ohne eine Wiederkehr der zugrunde liegenden Entwicklungsproblematik zu unterstützen. <<

Um nun weder die Eltern noch die jugendliche Kundschaft zu verprellen, bedienen sich Odenwaldschule, Salem & Co. einer Doppelstrategie. Die "Jugendhilfe-Funktion" der Internate wird verdrängt und möglichst nicht thematisiert. Man gibt sich "Elitär" und verhilft damit der Kundschaft zu einer Selbstaufwertung. Natürlich können unter dieser Voraussetzung anspruchsvolle schulische und erzieherische Zielsetzungen zwar lautstark propagiert, in der Internatsrealität aber nicht eingelöst werden. Damit die Diskrepanz zwischen Schein und Sein nicht zu offenkundig wird, sucht man den Zusammenprall von Anspruch und Realität in stillschweigender Übereinkunft abzufedern. Dies geschieht "vor Ort" in einer Kumpanei zwischen Pädagogen und Zöglingen oder deren Eltern, deren äußere Zeichen das Schweigen und Verschweigen selbst gravierender Defizite des Schülers oder bestimmte Sprachregelungen oder Codewörter sind, die den Grad der pädagogischen Korruption verschleiern. "Hier werde ich besser gefördert" meint "Notenkosmetik". In ähnlicher Weise ist der Satz zu verstehen: "Hier traf ich einen Lehrer, der an mich glaubte!"

Mythos Eliteschule

Sehr wichtig ist die Konstruktion eines Schulmythos ("Eliteschule", außergewöhnliches Schulkonzept etc.), der dem einzelnen das Gefühl das Gefühl vermitteln soll, trotz aller persönlichen Defizite privilegiert, ja als Schüler einer besonderen und besonders "guten" Schule selbst auch etwas Besonderes zu sein und zu den Guten (der Elite) zu gehören. Hierbei wird die Kausalität zwischen Leistung und Elitezugehörigkeit in ihr Gegenteil verkehrt. Sehr typisch in dem Aufsatz des Ex-Salem-Leiters Bernhard Bueb: "Elitedenken als Erziehungsmittel". Auszug:

>> Das Aufwachsen in einer Gemeinschaft, die höhere Ziele verfolgt, steigert die Leistungsfähigkeit, die Selbstdisziplin und die Bereitschaft zu moralisch vorbildlichem Verhalten auch bei durchschnittlich Begabten. Es kann sich einer zu seinen besten Möglichkeiten steigern, wenn er in einer fordernden Umgebung lebt. Junge Menschen lassen sich anstecken - zum Guten wie zum Schlechten. Vor allem die Gleichaltrigen sind der Haupterziehungsfaktor in der Mittelstufe. Hochbegabte können verkümmern, mäßig Begabte über sich hinauswachsen. [...] Nicht jeder in einer Führungsposition oder den man zur Elite zählt, ist als Hochbegabter oder überdurchschnittlicher Jugendlicher angetreten. Mancher hat eine Führungsposition erreicht, weil er seine durchschnittliche Begabung bis zum äußersten ausreizen konnte oder weil er verschiedene Begabungen glücklich kombinieren konnte. Mancher Hochbegabte dagegen hat seine Chancen verschlafen. <<

Leider gibt es keinerlei wissenschaftlichen Beleg für diese steilen Thesen. Es ist auch weder an der Odenwaldschule noch in Salem oder sonstwo eine spezielle Didaktik des äußersten Ausreizens durchschnittlicher Begabungen oder des glücklichen Kombinierens verschiedener Begabungen entwickelt worden. Für die überdurchschnittlichen Karrieren der bestenfall durchschnittlichen Kinder aus reichem Haus gibt es indessen sehr simple Erklärungen: Den Eintritt in das väterliche Unternehmen oder das Anknüpfen von Beziehungen im Internat. So stellt Birgitta vom Lehn in ihrem Beitrag "Einsame Spitze" lapidar fest:

>> Vernachlässigte Kinder aus reichen Verhältnissen landen im Internat. Gegen das Vorurteil, Verwahranstalt für Problemfälle zu sein, haben die Internate seit je kämpfen müssen. Auch deshalb sind sie verlässliche Werbepartner. Hartmut Ferenschild, Geschäftsführer der Internatsberatung der 21 Landerziehungsheim-Internate, spricht lieber von „Oasen in der deutschen Erziehungswüste“ und „zu Ende gedachten Ganztagsschulen“. Gerade zu Zeiten von G8 könne man punkten.

Doch so sehr auch Leistung ins Rampenlicht rücken sollen, so sicher ist: Weniger die Institution als der prominente Familienname garantiert dem Internatszögling seinen späteren Aufstieg oder zumindest Klassenerhalt. <<

Die Schule Schloss Salem wie auch andere Reichekinderverwahranstalten werben mittlerweile unverholen mit dem Vorteil der Anbahnung karrierefördernder Beziehungen im "Elite-Internat". Sogar arme, aber begabte Mittelschichtkinder versucht man so als Stipendiaten anzulocken. Doch mancher, der sich mit Kostenermäßigung in der Hautevolee hochschlafen wollte, landet dank der Faszination des Bösen im Sumpf der Dekadenz oder wird durch das Mobbing statusbewusster kleiner Sadisten in den Selbstmord getrieben. Eine Salemer Stipendiatin schrieb:

>> Wärend meiner Zeit auf Mittel und Obestufe sah ich mehrere Schüler, die mit mir auf der untersten Hierarchiestufe waren, weil entweder Stipendium, Pickel oder sonst was - die Selbstmordversuche begingen. Magersucht und andere psychische Störungen waren auch ziemlich häufig. Und als Kommentar zu den späteren Errungenschaften von Salemern: Natürlich werden die fast alle was. Denn ganz egal, ob sie in der Schule oder auf der Uni was taugen, Papi hat ja schon ein erfogreiches Business, da kann man einfach als Chef einsteigen und alles ist super. Leisten muss man dafür nichts. Einige brauchen sowieso nicht zu arbeiten. Da ist schon so viel Geld, dass sie den Rest ihres Lebens damit verbringen können, um den Globus zu jetten und sich groß vorzukommen. [...] Fast nur aus den Unbeliebten, den Strebern, Hässlichen und Stipendiaten - also den Aussätzigen der Salem-Elite, ist nachher durch Leistung was geworden - ob sie allerdings psychisch in Ordnung sind, wage ich zu bezweifeln. <<

Und weil Salem & Co. wie auch deren Stammkundschaft wissen, dass man als tumber Besserverdiener-Sprössling seinen Status gegen karrieregeile Besserwisser aus der Mittelschicht nur verteidigen kann, wenn man sich rechtzeitig in eigene Sonderschulen absondert und sich die Pfründen später in geheimbündlerischen Seilschaften mit entsprechendem Stallgeruch gegenseitig zuschanzt, wird das Geheimbündeln zum heimlichen Lehrplan der Reichenschulen. Der diskrete Charme der Bourgeoisie wird zur uncharmanten Diskretion einer neuen Aristokratie der Bankauszüge. Wo ein Vermögen ist, ist zumeist auch ein Verbrechen. Da zahlt Diskretion sich immer aus. Und die lernt man eben am besten bereits im Elite-Internat. Man nennt das dort Korpsgeist, hervorragend dargestellt in dem ARD-Spielfilm "Die Auserwählten".

Hohe emotionale Identifikation

Pitt von Bebenburg, hessischer Landeskorrespondent der Frankfurter Rundschau, spricht in diesem Zusammenhang von einer "hohen emotionalen Identifikation", die die Odenwaldschule immer gestiftet und die letztlich zu einer massiven Behinderung der Missbrauchsbewältigung nach 2010 geführt habe:

"Es gab also dieses Phänomen, das jeder, der etwas Böses über die Schule berichtet hat, als Nestbeschmutzer gegolten hat."

Noch rigider wird der Korpsgeist innerhalb der Schüler-Subkultur eingeimpft. Wer deren Geheimnisse preisgibt, ist im Internat praktisch "gesellschaftlich" erledigt. Stattet man überdies die "Gemeinschaft", "Wohngruppe" etc. seitens der Schulleitung noch mit bestimmten administrativen Machtbefugnissen aus, wie das für die OSO geradezu kennzeichnend ist, entsteht ein perfektes Kontrollsystem, das mit den Gepflogenheiten des organisierten Verbrechens durchaus vergleichbar ist. Ein Beispiel aus der Praxis der Odenwaldschule (Interview Pitt von Bebenburg):

>> ...gab es zum Beispiel bis 2011 die Regel in der Schule, dass ein Kind, wenn es aus einer Wohngruppe raus geflogen ist, es nicht automatisch eine neue Wohngruppe bekommen hat, sondern in den Speiseraum gehen musste und sich hinstellen musste und sagen: Bitte, bitte, wer nimmt mich auf? Das ist eine Art von Umgang miteinander, der gerade für eine Institution, die hohe emotionale Bindung weckt, nicht geht. <<

Praktisch: Durch diese doppelte Absicherung gelangt nichts zu den Ohren der Eltern, was diese nicht wissen sollen; nichts über Drogen, nichts über Mobbing, nichts über sexuellen Missbrauch oder Verfehlungen des eigenen Nachwuchses, nichts über schlechten Unterricht und fehlende Hausaufgabenbetreuung. Zwischen Lehrern/Erziehern und den Zöglingen herrscht ein "Gentlemen's Agreement" nach dem oben bereits zitierten Muster: "Sag du nichst von uns und wir erzählen nichts von dir!"

Ein Problem, das die Eltern beunruhigen und misstrauisch machen könnte, wären natürlich die am Ende eines teuren Schuljahres ausbleibende Lernerfolge. Doch hierfür gibt es die elegante Lösung der "nachsichtigen Zensurengebung" und der dubioser "Fördermethoden" wie Nachhilfe beim eigenen Fachlehrer oder den Text der Klassenarbeit als "Hausaufgabe" am Vortag. Ein ehemaliger Schüler der Schule Schloss Salem plaudert aus dem Nähkästchen:

>> Als ich nach der 10. Gymnasialklasse einer Deutschen Auslandsschule in das Salemer Internat kam, verbesserte sich mein Notendurchschnitt ebenfalls leicht. Einen besonders guten Unterricht habe ich jedoch nicht erlebt. Der Untrrichtsstoff war relativ einfach, und genau auf die Prüfungen abgestimmt; so bekamen Schüler teilweise Hausaufgaben, die später mit den Prüfungsaufgaben bis auf wenige Details übereinstimmten. Als ich später für das Abitur in der 12. Klasse wieder wechselte, sackte mein Notendurchschnitt in der neuen Schule sofort wieder ab, so dass ich die 12. Klasse freiwillig wiederholte, um nicht meine Hochschulreife zu gefährden. Wer nun in Salem alles ein Stipendium bekam, und wer nicht, hat mich damals nicht interessiert (ich bekam keines), und kann ich daher heute auch nicht bestätigen. Allerdings fiel mir damals schon auf, dass Schüler aus besonders wohlhabenden Familien "freiwillig" Geld spendeten, um der Schule die Vergabe von Stipendien zu ermöglichen. Diese Schüler wurden im Ausgleich dazu indirekt von der Schulleitung bevorzugt. Ein ansonsten durchweg streng geregeltes Internatsleben wurde in der Praxis auf solche Schüler nicht angewandt, sie genossen somit Privilegien. Mobbing, Diebstahl, Vandalismus, das Prahlen mit dem Väterlichen Einkommen oder dessen adeliger Stellung, sowie Bevorzugung und Diskriminierung bringe ich mit Salem in erster Linie in Verbindung. So gesehen findet in Salem zwar keine Schulausbildung auf besonders hohem Niveau statt, aber eine Vorbereitung auf das spätere Leben bekommt man auf alle Fälle, wenn auch auf eine andere Art und Weise, als es die von Arroganz und Überheblichkeit geprägte Schulleitung proklamiert. <<

"...wieder schön gesungen."

Die Odenwaldschule ist von den Schülerleistungen her ihrer Rolle als Unesco-Modellschule (das Prädikat wurde ihr erst 2014 vorübergehend aberkannt) nie gerecht geworden. Der ehemalige OSO-Lehrer Salman Ansari berichtete in der ZEIT über Desorganisation nach innen und systematische Desinformation nach außen. Einige Auszüge:

>> Unzählige Reden und Abhandlungen sind über ihre [der Odenwaldschule] besondere Pädagogik verfasst worden. In Ansaris Beschreibungen entpuppen sie sich alle als reine Dichtung. [...] Während dieses OSO-Universum jeder Vorliebe eine Heimat gibt, arbeitet Becker am Glanz der Schule nach außen. Einmal begleitet Ansari ihn zu einem seiner vielen Vorträge. Es geht um Leistung in einer demokratischen Schule. Nach dem Referat fragt der Chemielehrer seinen Schulleiter, ob er nicht in die beschriebene Schule wechseln dürfe – sie erscheine ihm traumhaft. Becker lächelt ihn an und entgegnet: 'Dann habe ich also wieder schön gesungen.' Zu diesem Zeitpunkt hat sich Ansari in Ober-Hambach bereits den Ruf eines konservativen Querulanten eingehandelt. Er ist einer, der es nicht hinnehmen will, wenn Schüler Drogen nehmen oder Lehrer ein Verhältnis mit ihren Schülerinnen pflegen. Der Zeitgeist, der in Ober-Hambach heftiger weht als anderswo, ist offensichtlich nicht seiner. [...] Ansari ist nicht der einzige Kritiker der Laisser-faire-Atmosphäre an der Odenwaldschule, aber der sichtbarste. [...] Während andere Lehrer schon eine Drei unter der Klassenarbeit als Menschenrechtsverletzung betrachten, gibt es in Chemie auch mal Fünfen. Nie sieht man Ansari einen Schüler umarmen. »Er war kein Kumpel-Typ, mit dem man saufen konnte. Als Schüler fand ich das ganz seltsam«, erinnert sich Jürgen Dehmers, der seine Erlebnisse als Missbrauchsopfer gerade als Buch veröffentlicht hat. <<

Kein Wunder, dass die OSO bei Leistungsvergleichen wie dem Mathematikwettbewerb der Mittelstufe auf dem letzten Platz im Kreis Bergstraße landet. Eine "Tar Miriel" berichtete auf einem Internetportal zum Ranking der 100 besten Schulen Deutschlands, das 2005 im Auftrag der Zeitschrift "Capital" erstellt wurde und die Odenwaldschule auf Platz 5 in Deutschland (höchste Platzierung einer hessischen Schule mit gymnasialer Oberstufe) sah:

>> Heute morgen las ich in unserer Tageszeitung einen
Bericht über diesen Vergleich, und es wurde eine Schule hier in der Nähe hervorgehoben, die unter den ersten 5 zu finden ist. Es ist eine Privatschule mit Internat und es werden 2000 Euro monatliche Gebühren pro Schüler
angegeben. Die Ausstattung ist hier wohl wirklich
vom Feinsten. Aber zum Schluss des Artikels wird angegeben, dass die Schule im diesjährigen Mathewettbewerb der 8. Klassen den letzten Platz im Landkreis belegt hätte. Da nutzt wohl die teuerste
Ausstattung nichts.<<

"Hessens beste Schule ist privat!" jubelte das öffentlich-rechtliche Nachrichtenportal hr-online ungerührt. "Gütesiegel für die Odenwaldschule in Heppenheim!" Allerdings vergaß man dabei zu erwähnen, dass das Capitalranking lediglich das "Angebot" der Schulen verglichen hatte, nicht aber die von den Schülern erbrachten Leistungen. Und selbst beim Vergleich von Schulausstattung, Vielfalt des Kursangebots und der Arbeitsgemeinschaften, räumlichen Möglichkeiten etc. hatten insgesamt staatliche Lehranstalten die Nase vorn.

Dankbarkeit, die Früchte trägt

Bei so viel Lebenshilfe für den Elite-Nachwuchs, sei es durch "Förderung" ohne entsprechende Leistungsanforderungen, den Duft von Freiheit und Abenteuer inklusive Beischläfchen mit der Englischlehrerin oder gemeinsamer Drogenparty mit dem Schulleiter, versteht man natürlich die Dankbarkeit ahnungsloser Eltern und die Identifikation der "geretteten" Schüler, die in einer letzten Kraftanstrengung noch den letzten verdammten Spenden-Euro gestemmt haben, um ihr Sonderschul-Biotop vor dem Untergang zu bewahren. Vorläufig scheinen also nun diejenigen richtig zu liegen, die die Flinte noch nicht ins Korn werfen wollten und sich zumindest eine zeitnahe Wiedergeburt einstiger Unesco-Modellschul-Herrlichkeit durchaus vorstellen konnten. Textbeispiel:

"Die dunklen Jahre in der Odenwaldschule können die Strahlkraft, die diese Bildungsstätte in ihrer 105-jährigen Geschichte entfaltet hat, nicht gänzlich zu Nichte machen. Deshalb wünschte ich mir, dass die Odenwaldschule, wenn sie denn wirklich im Sommer 2015 geschlossen wird, nach einer Phase der Neubesinnung mit einem neuen Konzept und einem frischen Lehrer- und Schulleitungsteam den Neustart wagt. Ein Investor, dem dieses 'Kulturgut' Odenwaldschule am Herzen liegt, müsste sich finden lassen."

Wie nicht anders zu erwarten löste der nunmehr verkündete "Aufschub der Hinrichtung" ein sehr gespaltenes Echo aus. So pöbelte ein "EliteVater" in der WELT:

"Im Internat meiner beiden Kinder kostet es doppelt so viel und dies pro Kind. Bei dem Betrag von 2.200 Euro spielt diese Schule ja in der untersten Liga der Privatschulen. Aber wahrscheinlich ist es wegen der Vergangenheit so preiswert. Ich würde meine Kinder nicht in dieses Armenhaus schicken, schon gar nicht mit dieser Vita."

Auch wenn die großkotzige Attitüde, die Qualität einer pädagogischen Einrichtung lediglich an ihrem Preis festzumachen, sich wie ein missglückter Versuch liest, teure Privatschulen und deren Kundschaft satirisch vorzuführen ("Vorsicht: Ironie!"), verdient die sich nun eröffnende "letzte Chance" der Odenwaldschule doch eine ernsthafte Erörterung. Dabei geht es nicht um das übliche Relativieren der unseligen Vergangenheit nach dem Motto "Es war doch nicht alles schlecht!" oder um die Lamoyanz der ewig Dankbaren und (Über-)Identifizierten, die auf "ihre Schule" - right or wrong - einfach nichts kommen lassen wollen.

Die Rettung - Akt der Gerechtigkeit?

Also seien wir fair - trotz aller Abneigung gegen die Eliteförderung "nach Art des Hauses" und die unappetitliche Vergangenheit der OSO. Entspricht nicht die Tatsache, dass die Odenwaldschule dank zahlreicher Spender und Bürgen dem Insolvenzverwalter in allerletzter Minute noch einmal vom Aktendeckel gesprungen ist, in gewisser Weise einem abstrakten Gerechtigkeitsempfinden? Bei nüchterner Betrachtung und kritischer Würdigung ihrer pädokriminellen Vergangenheit und deren ungeschickter Aufarbeitung seitens der Beziehungsklüngel, die an dieser Schule über Jahrzehnte tonangebend waren, ist die Odenwaldschule in ihrer aktuellen Verfassung nicht besser und nicht schlechter als die meisten anderen Einrichtungen derselben Preiskategorie. Ähnliche Systeme von Missbrauch und Gewalt gab es auch am Aloisiuskolleg Bonn Bad Godesberg oder in Kloster Ettal. Deren Aufarbeitungsbemühungen waren mindestens so unbefriedigend wie die der OSO. Und trotzdem fordert niemand heute die Schließung dieser katholischen Einrichtungen.

Indem man ausgerechnet die Odenwaldschule zum Symbol eines umfassenden Skandals und damit zum Sündenbock machte für die falsche Alt68er-Libertinage und die Verschleierung von pädagogischer Amtsautorität durch ein "Augenhöhe" lediglich vortäuschendes, "freundschaftliches" Lehrer-Schüler-Verhältnis, konnten viele Einrichtungen sich wegducken, die selbst genug Leichen im Keller hatten. Ohne diesen Hintergrund - an dessen recht verbreitete Auswüchse so mancher heute nicht mehr gern erinnert wird - wäre das "Der-Becker-findet-kleine-Jungen-lecker" von "Gerold" nie so lange verdrängt oder sogar toleriert worden!

Und niemand spricht heute von den einst in der Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime so innig verbandelten Heimschulen, die sich in Lietz'scher Tradition dem Gedankengut des Militarismus und Rassismus verschrieben hatten und nach 45 Altnazis und Kriegsverbrechern ein warmes Plätzchen zum Überwintern boten. Die Geschichte dieser Beinahe-Napolas und gefühlten Adolf-Hitler-Schulen (neben einigen wenigen "echten") ist bis heute nicht hinreichend aufgearbeitet und hat sich in irgendwelchen Mythen vom inneren Widerstand verflüchtigt. Auch diese durften "weitermachen", selbst nach dem Supergau einer humanitären Katastrophe, zu der neben dem Holocaust auch eine Unzahl unter dem Deckmantel von Kriegshandlungen verübter schmutziger Einzeltaten gegenüber Frauen und Kindern zählen, die in ihrem wahren Umfang niemals mehr dokumentiert werden können.

Chance für einen echten Neuanfang - eine Utopie?

Deshalb mein Appell: Gebt der Odenwaldschule die echte Chance eines Neuanfangs am historisch kontaminierten "Tatort". Dies allein ist vielleicht der beste Schutz gegen eine Wiederholung systematischen sexuellen Missbrauchs an diesem Ort. Leicht wird die OSO es unter den aktuellen Bedingungen sinkender Internatsnachfrage (in Salem überlegt man die Zusammenlegung von vier Zweigschulen an einem einzigen Standort!) nicht haben.

Aber ich sehe auch Chancen! Die Rettungsaktionen von ehemaligen Schülern, Schülereltern und sogar Schüler(inne)n, die die Schule zur Zeit besuchen, könnte den Anstoß geben zu einer Elterngenossenschaft als Schulträger und damit einer neuen Qualität von "Privatschule". Die OSO könnte sich - gerade wegen ihrer Vergangenheit - sogar zu einem wissenschaftlichen Zentrum entwickeln, in dem die Probleme des Internats als "totaler Institution" einmal grundlegend unter organisationspsychologischen Aspekten aufgearbeitet werden. Das Fehlen von "Internatsforschung" wird allgemein beklagt. Warum lädt man nicht einmal Hochschulen ein, dem Entstehen von Internatssubkulturen "am lebenden Objekt" nachzugehen. Dies könnte einen weiteren Schritt in Richtung Missbrauchsprophylaxe bedeuten, denn wie die DJI-Studie von 2011 beweist, bilden aktuell nicht übergriffige Pädagogen, sondern übergriffige Mitschüler das hauptsächliche Gefährdungspotential. Es nützt also überhaupt nichts, sich Kontrollmaßnahmen für Lehrer und Erzieher und ein "Nein-Sagen-Training" für die Kinder und Jugendlichen auszudenken, während sich in der Subkultur der "Zöglinge" die "kleinen Tyrannen" ausleben, die ein "Nein" grundsätzlich nicht mehr akzepzieren. Ein weites Feld der Forschungsaufgaben ergibt sich auch aus den unter Internatsschülern am meisten verbreiteten Defiziten: Suchtproblemen und Störungen des Lern- und Sozialverhaltens. Da verlassen sich die Internate wie vor 100 Jahren immer noch auf "kleinere Klassen" oder ein durch "engagiertere Pädagogen" hergestelltes "freundlicheres Lernklima". Hinter diesen Formeln verbergen sich aber scheinplausible Küchenweisheiten, die wissenschaftlich als längst wiederlegt gelten. Es bleiben dann oft nur ein Fünf-Sterne-Lern-Service für eine komfortorientierte Kundschaft, eine an Korruption grenzende Nachsicht bei der Zensurengebung sowie ein Mitschleppen von Problemschülern im Vertrauen auf die heilsame Wirkung eines Milieuwechsels übrig, weil man der Probleme zwar nicht Herr wird, aber dennoch Erfolge vorweisen muss, für die die Privatkundschaft schließlich genug bezahlt. Warum also nicht einmal Qualitätssicherung für Internatsschulen unter selbstkritischer Fragestellung und wissenschaftlicher Begleitung?

Und schließlich: Gesamtschulen haben sich mittlerweile zu der bei Schülern und Eltern beliebtesten Schulform nach dem Gymnasium entwickelt. Vielerorts bestehen Wartelisten wie an katholischen Privatinstituten. Integrierte Gesamtschulen mit angeschlossenem Internat sind eine Seltenheit in der Bundesrepublik. Auch daraus ließe sich was machen.

Sind das jetzt zu viele fromme Wünsche? Oder gar reine Utopie? Qui vivra, verra.

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Letzte Meldung (Juni 2016): "Die Odenwaldschule kommt unter den Hammer!"

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