Blind

linksbündig Ted Honderich und die Verlagspolitik

Debatten in Zeitungen sind notwendig, aber weil sie hitzig und schnell geführt werden, hinterlassen sie oft einen unangenehmen Nachgeschmack: Ist das Thema angerissen, gehen aus - nicht immer offen zutage liegenden Gründen - manche Bruchstücke in sie ein, andere nicht. Im Fall des umstrittenen Buchs von Ted Honderich Nach dem Terror, das der Suhrkamp-Verlag jetzt nicht mehr auflegt, hatte Micha Brumlik die Aussage als "hahnebüchen" bezeichnet, dass "zwischen 1989 und 1991 (!) ... 250.000 bis 400.000 sowjetische Juden auf arabischem (!) Land angesiedelt" worden seien. Keiner kannte sich mit diesen "faktischen Unrichtigkeiten" aus einem World Guide 2001/ 2002 aus. Warum hat bislang kein Publikationsorgan sich darum bemüht, Licht in diese Zahlen zu bringen?

Doch es geht um Wichtigeres. Wie Habermas in seiner Stellungnahme andeutet, hat er dem Verlag das Buch empfohlen, weil es sich um eine moralisch unterlegte Deutung des 11. September bemüht, die für dieses "Ereignis" nicht nur auf eine Achse des Bösen zeigt. Vielmehr verweist es auf fundamentale Ungerechtigkeiten in der Teilhabe an dem, was Honderich "gutes Leben" nennt. Der Name Suhrkamp stand immer für Debatten, gerade für kontroverse - und weil der 11. September, weiterhin von Dunkel umgeben, Erklärungen fordert, hätte das Buch in der Jubiläums-Reihe selbst dann seine Berechtigung, wenn es, statt ein Klassiker zu werden, nur an "die Missgriffe in der 40-jährigen Editions-Geschichte erinnert", wie ein Kommentator gehöhnt hat.

Der Verlag hätte natürlich auch von vorne herein auf das Buch verzichten können. Doch jetzt, nachdem es post festum aus dem Raum des Öffentlichen verbannt wurde, hinterlässt es in der Debatte einen blinden Fleck. Nun kann nicht mehr überprüft werden, um was es wirklich geht. Das ist umso gravierender, als noch nirgends in dieser aufgewühlten Debatte geleistet wurde, die von Honderich vertretene Moraltheorie angemessen zu referieren. Zeit oder Sachkenntnis - mindestens einer der beiden Faktoren wäre notwendig gewesen, offenbar war keiner verfügbar: Auch dieser Kommentar wird das nicht leisten. Soviel jedoch: "Politische Bewertung" und "moralische Rechtfertigung" nicht unterschieden zu haben, wie Habermas und Suhrkamp-Verlagsleiter Berg bei Honderich bemängeln, ist, als würde man einem Vegetarier Fleischverachtung vorhalten. Honderichs Anliegen ist gerade die Überwindung des Dilemmas, dass hohe Moral folgenlos bleibt, weil ihre Gesetze in der Politik nicht greifen, und Politik schmutzig, weil sie diesseits von gut und böse steht. Grundlage ist sein "Humanitätsprinzip": Richtig und rational ist ein Handeln, das konsequent auf das Ziel hin ausgerichtet ist, Menschen vor schlechtem Leben zu retten - schon weil deren Lage sonst auf uns, siehe Terrorismus, zurückschlägt. Dazu entwickelt er einen Katalog, zu dem unter anderem gehört, Mittel umzuverteilen, auf die zu verzichten den Wohlhabenden nicht weh tut.

Der Israel-Palästina-Konflikt ist, als Weltkrisenherd, für ihn nur ein Beispiel, aber ein zentrales. Nach Honderich, der es übrigens als ungerecht ansieht, dass der jüdische Staat nach dem zweiten Weltkrieg nicht aus deutschem Territorium "herausgeschnitten" wurde, gibt es eine Symmetrie zwischen palästinensischem Terrorismus und Israels "Staatsterrorismus", wobei Terrorismus allgemein definiert ist als ein gewaltsames Vorgehen ohne Legitimation durch nationales oder internationales Recht. Beide handeln im Sinne des Ziels "gutes Leben", denn dieses besteht wesentlich in der "Freiheit und Macht im Heimatland". Wer aber dies Ziel gutheißt, muss auch die Mittel der Verwirklichung zulassen: "Es ist mit Sicherheit inkonsistent, einem Volk das moralische Recht auf Freiheit und Macht in einem Heimatland zuzugestehen und ihm dann das Recht auf die einzig möglichen Mittel abzusprechen, dieses zu erlangen."

Ob Honderich ein "antisemitischer Zionist" sei, könne offenbleiben, denn "auf die Wirkung kommt es an", hieß es in der Debatte. Doch arbeiten Bücher aus der Philosophie nicht immer mit Begriffen, die gegenüber denen des gesunden Menschenverstands verschoben sind? Sie, statt ihnen mit Vorurteilen zu begegnen, durch "Selbstdenken" auszuleuchten, das Früchte trägt, auch und gerade wenn zur Diskussion stehende Theorien dann verworfen wurden, wie gesagt - dafür bot Suhrkamp in 40 Jahren lang ein Podium. So kann es bleiben.

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