Bob hilf

Linksbündig Äthiopien sucht den Anschluss an die Mediengesellschaft

Bob Marley, die Reggae-Legende, die Pop-Ikone, dessen Kompositionen seit langem Klassiker sind, starb mit 39 Jahren an Krebs - am 6. Februar wäre er 60 Jahre alt geworden. Dem Kulturleben in Deutschland war es kaum mehr als eine Randnotiz wert. In Äthiopien dagegen begannen die Feierlichkeiten zu diesem Geburtstag Mitte Januar, und sie werden noch bis Ende Februar fortdauern. Wie bei Staatsakten gaben sich afrikanische Politgrößen aus dem In- und Ausland die Klinke in die Hand. Eine dreitägige Konferenz fand Marley zu Ehren in der Economic Commission on Africa, der (weltweit zweitgrößten) Außenstelle der UN in Addis Abeba statt; es kamen Marleys Frau, Negritude-Vorkämpfer aus aller Welt, Afrikas bekannteste Popsängerin Angélique Kidjo, es kamen Künstler, Wissenschaftler, auch Politiker, für die Jugend wurde ein Drittel der Podiumsplätze freigehalten, und die Tochter des Ministerpräsidenten verlas eine Botschaft.

Am Geburtstag selbst fand auf dem Mesquel-Square, dem zentralen Platz und Verkehrsknotenpunkt von Addis, ein riesiges Konzert unter freiem Himmel statt. Der Platz selbst wurde zuvor für 1,5 Millionen Dollar, einer für Äthiopische Verhältnisse gigantischen Summe, geliftet.

Auf einem der Berge um Addis wird ein Denkmal für Marley errichtet. Seine Frau wurde zur Ehrenbürgerin ernannt. Bald schon sollen seine sterblichen Überreste nach Äthiopien überführt werden. Auf allen öffentlichen Plätzen und aus den Radios schallt Reggae-Musik, ein Bildungszentrum wird nach ihm benannt: Mehr ließe sich für Bob Marley wahrlich nicht tun.

Warum in Äthiopien soviel Ehre für einen Mann aus Jamaica? Und warum dies, obwohl sich die Bevölkerung keineswegs in Marley-Trance versetzen ließ, sondern eher nüchtern darauf reagierte? Mehrere plausible Erklärungen sind im Umlauf.

Eine ist naheliegend und konventionell. Bob Marley wird gefeiert, weil er der Sohn Afrikas ist, nicht nur der schwarzen Abstammung nach, sondern seiner politischen Haltung wegen. Africa unite heißt der Song, der den Feierlichkeiten den Namen gab. No women nuh cry befördert die Emanzipation der afrikanischen Frauen. Get up, stand up... ruft auf zum Kampf gegen Unterdrückung und Rassendiskriminierung. Söhne und Töchter Afrikas, die wie Marley Kreativität und Erfolg verkörpern, sollen nach Afrika heimgeholt werden. Zweitens haben die Rastafaris um Bob Marley den letzten äthiopischen Kaiser Haile Selassie hoch verehrt, zeitweise gar als Gott: dafür zeugten nach deren Ansicht Bibelstellen. Doch die äthiopische Dynastie, die Ende des 19. Jahrhunderts bei Adwa die Italiener besiegte und sich - abgesehen von sechs italienischen Jahren - nie einer Kolonialmacht geschlagen gab, bietet auch gute politische Gründe. Marley gilt hier als "Sohn" von Haile Selassie, und als einer der wichtigsten Vorkämpfer afrikanischer Einheit und Selbstbestimmung.

Eine andere Erklärung entspricht eher unserem Medienzeitalter. Äthiopien hat durch mehrere Hungerkatastrophen, die autoritäre Ära unter Mengistu und Stillstand in der Entwicklung seinen Glanz verloren. Addis, Sitz der Afrikanischen Union und deswegen oft als Hauptstadt Afrikas bezeichnet, wurde dieser Rang zunehmend streitig gemacht, die Afrikanische Union hegte wegen ewig ungelöster Infrastrukturprobleme schon Abwanderungsgedanken. Dem einfallsreichen Bürgermeister ist es in den letzten drei Jahren jedoch gelungen, durch einfache, aber effektvolle Maßnahmen, etwa den Bau einer Umgehungsstraße, Wohnungsbau zu Niedrigkosten und die massenhafte Beschäftigung von jungen Leuten - als Parkwächter! - solche Gedanken zu zerstreuen. Marley ist für ihn ein Eintrittsticket zur Galerie der Mediengesellschaft.

Dass die Welle der Globalisierung an der äthiopischen Gesellschaft vorbeirollt, wird nicht etwa begrüßt, sondern mit Ranküne zur Kenntnis genommen. Fernseher sind in äthiopischen Häusern selbst in der Hauptstadt Addis noch immer eine Rarität. Das Radioprogramm besteht überwiegend aus Ethnomusik. Zwar ist Pressefreiheit seit über zehn Jahren Realität, aber Zeitungen sind ein Luxusgut; von der "Gesellschaft des Spektakels" ist Äthiopien meilenweit entfernt. Doch für das Konzert zu Marleys Geburtstag wurden Fernsehrechte in 130 Länder vergeben, es trägt nach Meinung der Regierenden in Stadt und Republik so viel zum Renommee des Landes bei, dass auch 1,5 Millionen Dollar für die Kulisse nicht übertrieben sind.

Ein Medienevent für die Randständigen der Mediengesellschaft: Afrika spielt mit.


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