Im Fußball, im Ferrari, im Fernreisen, wir Deutschen sind ja hie und da immer mal wieder Weltmeister. Ende der sieziger Jahre waren wir Weltmeister im Feminismus, einer Modedisziplin, die damals weltweit Kreise zog und sogar die Männer erfasste. Einer räumte in einer Bologneser Frauen-WG nach dem Essen das Geschirr weg. "Lascia stare!, Lass' stehen", sagte die italienische Gastgeberin. Darauf er (triumphierend und verschmitzt): "Bist du nun Feministin oder nicht?" Und sie (ungerührt): "Klar. Aber ich bin auch freundlich."
Im Aushalten solcher Widersprüche tun wir uns immer noch schwer, sind dafür aber - gleichsam ersatzweise - Weltmeister im Donna-Leon-Lesen geworden. Achtmal mehr als in jedem anderen Land verschlingen wir die Fälle des Commisario Brunetti, die doch in über 20 Sprachen übersetzt sind. Nur noch in England hat es die Wahl-Venezianerin sonst in die Rankings geschafft. In den USA ist ihr der Verleger abgesprungen. In Italien, wo die Amerikanerin unbehelligt bleiben will, hat sie Übersetzungen untersagt.
Nun also hat das Erste zwei der Erfolgsbücher ins Fernsehen geholt. Im ersten Film, dem chronologisch dritten Brunetti-Fall, sind ein verunglückter Mädchenhandeltransport und mehrere Tote aus dem angesehenen Anwaltsmilieu miteinander verquickt. Im zweiten Film, dem folgenden vierten Fall, wird ein Bankdirektor ermordet und sein Ruf beschmutzt, weil er hinter die korrupten Machenschaften eines angeblich hochanständigen Vereins gekommen war. Beides sind klug gestrickte Stories, glaubhaft recherchiert, die sich ruhig und langsam entrollen und kongenial inszeniert sind. Die - deutschen - Drehbuchautoren sind dabei den Plots penibel gefolgt. So gibt es keine Verfolgungsjagden und wilde Schießereien, dafür realistische, zugleich verhalten komische Szenen - der Commissario wird kutschiert von anfängerhaft nervösen Fahrern, ein überraschter Übeltäter entkommt gleich sechs Uniformierten; ansonsten die gewohnten Versatzstücke menschlicher Übel, wie in hundert anderen Thrillern auch.
Dass die beiden Filme trotzdem aus dem Meer der Gleichen herausragen, liegt ein wenig an der golden schimmernden, übrigens nie geschmacklosen Venedigkulisse und ist vor allem ein Verdienst der Darsteller. Alle sind deutsche Fernsehgrößen, die in ihren edlen italienischen Tüchern um so vertrauter wirken. Kommissar Brunetti ermittelt schnörkellos und ernst, erstaunlich glaubwürdig gespielt von Joachim Król, der sich erstmals nicht ironisch-naiv gibt. Michael Degen als sein Vorgesetzter Patta, Barbara Auer als herzenswarm-resolute Gattin Paola, Heinz Hönig als argwöhnender Polizistenkollege und Michael Gwisdek als Mörder im Nadelstreif wachsen über ihre normale Fernsehpräsenz hinaus. Auch Brunettis Kinder Chiara und Raffi, die ihre Eltern ehrlich und direkt herausfordern: sie alle machen etwas von der Farbigkeit lebendig, die das Buch durch Leons genau hinschauendes Erzählen gewinnt.
So weit, so gut. Wetten aber, dass die Filme nicht die Popularität der Vorlagen erreichen werden? Denn was bei Leon insgeheim begeistert, was das Frische in den Charakteren ausmacht, holen die Filme doch nicht ein. Das formiert sich erst in den Nebenfiguren, die teils filmgerecht geglättet, teils ganz der Filmlogik geopfert sind. Vice-Questore Patta etwa, ein eitler Gockel, der seine Hauptaufgabe im Sich-Aufplustern und im Zurückpfeifen sieht und seinen Commissario fast slapstickhaft am Arbeiten hindert, passte mit diesem Zuschnitt nicht ins Drehbuch. So wird aus ihm im Film der gewohnt gute Chef, der Druck macht, nach oben beschwichtigt und sich im Zweifelsfall vor seine Leute stellt. Sein kriecherischer Tenente Scarpa fehlt ganz, ebenso der erhabene Conte, der die Ehe seiner Tochter Paola mit Brunetti seinerzeit leise knurrend akzeptierte, ebenso des Contes Vertrauensärztin, eine Kommunistin in Jeans. Diese, ihre heimlichen Protagonisten skizziert Donna Leon karikaturhaft grob wie Soapfiguren, aber nur, um sie dann in einem zusammen zu bringen: Alle haben sie einen untrüglichen buon senso, der vom senso commune, dem Stammtischverstand säuberlich zu trennen ist. Dieser "gute" Sinn lässt sie, wenn es drauf ankommt, genau das Richtige tun, und sei es noch so sehr gegen Regel und Benimm. Signorina Elettra etwa, Nebenrolle und doch Schlüsselfigur, ist die Sekretärin des Vice-Questore, ein Glamourgirl als Fee, die Datengeschütztes nach Gutdünken aus dem Computer zaubert. Im Film tut sie das offenbar, weil sie mit Brunetti flirtet. Im Buch verbindet sie - mit ihm wie mit den anderen Nebenfiguren, die an der Oberfläche noch so unterschiedlich sein mögen - ein unerschütterlicher Komplizengeist. Vergewaltigung und Mord, zumal zur Befriedigung von perversen Triebgelüsten, ist natürlich inakzeptabel. Und traurig ist es, dass die sogenannte gute Gesellschaft die Augen verschließt. Aber die Erfahrung hat gelehrt: Es kommt vor, und weder Politik, noch Justiz und Polizei werden das grundlegend ändern. Nun könnte der hilflose Ruf nach dem Staat umso lauter werden. Statt dessen mobilisiert sich eine tief verwurzelte Lebenshaltung: Fünfe grade sein zu lassen, gewitzt, moralinfrei, ja wenn's sein muss, unmoralisch zu agieren, aber eben darin zutiefst moralisch zu handeln. Wenig reflektiert, aber instinktsicher weiß Elettra, wann sie die Dienstvorschrift, weiß die Ärztin, wann sie das Patientengeheimnis verletzen, und der Graf, wann er blaublütigen Gerüchten ein aushorchendes Ohr leihen muss. Kommt auch der wahre Schuldige letztlich davon, dieses Alltagsethos muss überleben. Das passt natürlich nicht zu rechtsstaatlich gefestigtem Rechtsbewusstsein. Brunetti, gleichsam das deutsche Alter Ego, leidet denn auch immer wieder darunter. Sei es, dass er die fast perfekte Mörderin dreier vielfach mordender Hintermänner nicht laufen lassen kann, die erst durch seine Gründlichkeit gestellt wurde; sei es, dass Gattin Paola die Scheiben eines Reisebüros einwirft, das fernöstliche Kinderprostitution organisiert: Brunetti greift ein, geduldig, nachsichtig, jedes Mal innerlich zerrissen, schließlich aber pflichtbewusst und juristisch konsequent - eindeutig. Die Anderen, ohne die Brunetti übrigens keinen einzigen Fall je gelöst hätte, feiern indes stellvertretend für uns dies befreiende Quäntchen Anarchie, mit dem sie dem Teufel hin und wieder ein Schnippchen schlagen.
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