Manche Sätze des Phillipp Hebersang wirken wie eine Tonkopie seines Charakters. Gefragt, warum es ihn aus Darmstadt ausgerechnet nach Berlin, Prenzlauer Berg, verschlug, antwortet er erst nach einer Pause. Zwei, drei Atemzüge lang. "Vielleicht war es so, dass ich mit der westdeutschen Sozialisation ein Problem hatte, mit den braven Vorgärten, den Zäunen und so weiter." Vielleicht war es so? "Es ist nicht die ganze Wahrheit, aber ein Teil des Ganzen." Sätze wie Puzzleteile. Jeder ist verwinkelt, keiner offenbart ein ganzes Bild. Er studiert Philosophie gleichzeitig in Berlin und New York, das kommt vor. Ein ausgeprägter Hang zur Selbstanalyse, das passt zu den Eltern, der Vater ist Psychoanalytiker und die Mutter Familientherapeutin. Das Teilchen, welches nicht zum normalen Leben passt, ist sein Reichtum. 200.000 Euro fließen jedes Jahr auf das Girokonto des Philosophiestudenten Hebersang, 25, ohne dass er etwas dafür tut, und er will damit nichts Geringeres erreichen als eine gerechtere Welt.
Phillipp Hebersang heißt in Wirklichkeit anders. Ein Foto geht in Ordnung, seine Bekannten wissen Bescheid. Aber seine Familie will er nicht outen. Hochaufgeschossen, ein schmales Gesicht mit Dreitagebart, darüber dunkle Locken, so sitzt er da vor seinem Kakao und erzählt. Von seiner Idee einer guten Gesellschaft, der man am besten mit einem Gedankenspiel auf die Spur kommt: Ein obdachloser Punk, der Bundeskanzler, die übrigen 82 Millionen Deutschen und Hebersang selbst sitzen zusammen. Unter besonderen Bedingungen: Keiner weiß, wer er selbst und der jeweils andere ist. Niemand weiß, wo er später in der Hackordnung landet, Lobbyismus gibt es nicht, es liegt ein "Schleier des Unwissens" über ihnen. Sie würden dann besprechen, wie ihre Gesellschaft idealerweise funktionieren soll. Das Ergebnis wäre eine wahrhaft gerechte Ordnung, findet der amerikanische Philosoph John Rawls. Der Student Hebersang findet das auch und versucht danach zu leben. "Ich fühle mich dem Punk näher als dem Beamten oder Manager. Nur dass ich das Glück hatte, in einer anderen Familie geboren zu werden. Ich finde es wichtig, Fragen von einem unparteiischen Standpunkt aus zu beurteilen. In der Wirtschaft zum Beispiel wird man als verrückt dargestellt, wenn man nicht die eigenen Interessen vertritt." Das mag sich pathetisch lesen. Aber: Es ist ehrlich gemeint. Man nimmt Hebersang das Gesagte ab, ebenso die Beiläufigkeit, mit der er dem Straßenzeitungsverkäufer 30 Cent zu viel gibt. Ohne sich Gedanken zu machen, ob es mehr sein müsste. Er spendet 2.000 Euro für die Flutopfer in Sachsen oder unterstützt ein Kunsthaus um die Ecke mit einem Darlehen. Doch das reicht ihm nicht.
Ein Bekannter hat eine Initiative gestartet und bat ihn um Unterstützung. Hebersang hat einen offenen Brief an den Bundeskanzler unterschrieben, in dem er die Wiedereinführung der Vermögensteuer fordert. Siebzehn Vermögende taten es ihm gleich, die Erklärungen gehen am 31. Dezember per Express ans Bundeskanzleramt. Achtzehn, mehr nicht. Auf 500 Unterzeichner hatten sie gehofft. 365.000 Millionäre leben in Deutschland. Es wäre sowieso zu spät gewesen. Der Kanzler hat die Vermögensteuer kassiert. Stattdessen will er alle Zinserträge pauschal mit 25 Prozent besteuern. Eine Zinsabgabe, die genau das Gegenteil will: Den Reichen Steuern erlassen, damit sie ehrlicher zahlen. Hebersangs Vermögensteuerfreunde wollen eine weitere Erklärung aufsetzen, die das kritisiert und einen scharfen Kampf gegen Steuerflüchtlinge fordert. 2.500 Euro im Jahr wird ihm diese Abgeltungssteuer sparen, mit steigender Tendenz. "Diese Zinssteuer ist für vermögende Leute zu niedrig angesetzt. Ich glaube auch nicht, dass viel Geld aus dem Ausland zurückfließen wird. Auf den Konkurrenzkampf um die niedrigsten Steuern dürfen wir uns gar nicht einlassen - da können wir eh nicht konkurrieren." Sätze, über die Vermögenskollegen den Kopf schütteln würden, ebenso wie über seinen Strickpulli mit Zopfmuster und den Parka. Noch fremder wäre den meisten, dass Hebersang seine Einkünfte aus Firmenbeteiligung und Kapitalanlagen zum Spitzensteuersatz in der Bundesrepublik versteuert. Pro Jahr der Wert einer Eigentumswohnung, etwa 100.000 Euro. "Die Firma ist fest verbunden mit diesem Land. Ohne die Mitarbeiter, ohne das Staatswesen wäre es nichts geworden. Neoliberale und Gegner der Vermögensteuer sehen es als selbstverständlich an, in einem solchen Staat ein Geschäft aufziehen zu dürfen. Das ist es aber nicht." Scheinheiligkeit macht er bei seinen Einkommenskollegen aus, fehlendes Rechtsempfinden beim Thema Steuern. Reiche Menschen müssten mehr Verantwortung übernehmen, findet er. In Hebersangs Welt hätten Großherzigkeit und Mildtätigkeit eine festen Platz.
Er kann sich das leisten. Großvater Hebersang gründete in der Wirtschaftswunderzeit eine Firma in Norddeutschland. Chemiebranche, mehr soll nicht in der Zeitung stehen. Er lebte für die Arbeit, manchmal setzte er sich auf einen Gabelstapler, nahm Enkel Phillipp auf den Schoß, und sie kurvten über das Betriebsgelände. Heute sitzt der zweite familienfremde Geschäftsführer im Chefsessel. Eine Erfolgsgeschichte, die für die ganze Familie reicht. Für die Großeltern, ihre drei Kinder und neun Enkel. Phillipp muss eine beschauliche Kindheit gehabt haben im Einfamilienhaus mit großem Garten am Stadtrand, irgendwo in Hessen. Vor der Tür steht ein Volvo, bloß keinen übertriebenen Reichtum zeigen, "auch zu Weihnachten gab es keine Supernummern". Die Eltern achten auf Normalität. Als Kind denkt er sich nichts bei den Fernreisen nach Venezuela oder Indonesien, die sich die Hebersangs in den Sommerferien gönnen. Die anderen fliegen ja auch nach Mallorca. Nach der Schule jobbt Hebersang am Staatstheater Darmstadt in der Tonabteilung und verdient zum ersten Mal eigenes Geld. Dann scheitert er an der Aufnahmeprüfung für ein Tonmeisterstudium an der Hochschule der Künste. Will Physik studieren, dann Theaterwissenschaft und Mathematik. Bleibt schließlich bei der Philosophie hängen. Es fehlt der endgültige Plan, wie bei vielen mit Anfang zwanzig.
Der Großvater, sein Lieblingsopa, stirbt 1996. Plötzlich ist der Reichtum konkret. Tausende Mark gehen auf dem Girokonto ein, einfach so, ein erster Teil der Erbschaft. Die offizielle Beteiligung an der Firma folgt 1998. Erst will Enkel Hebersang wenig mit dem Geld zu tun haben, möchte ein möglichst normales Studentenleben führen. Ein weißes Standklavier, Marke "Europa" aus Polen, ist ein erster Luxus. Das Studium an der Graduate School of Arts and Sciences, 10.000 Dollar Gebühren pro Semester, ein weiterer. In der Zukunft wird die Mutter ihr Erbteil auf ihn und den älteren Bruder übertragen, das Geld wird mehr werden. Phillipp Hebersang stellt eine Marzipantorte in Cellophanfolie auf den Küchentisch. Das Werbegeschenk ist so ähnlich wie sein Leben - immer geschützt durch eine glitzernde, nicht gleich sichtbare Hülle.
Einerseits. Andererseits verpflichtet Eigentum, da ist sich Hebersang sicher. Wozu, ist schwerer zu beantworten. Reichen 2.000 Euro für Überschwemmungsopfer, wenn jeden Monat das Vielfache auf dem Konto eingeht? Beschämt man die Freunde, wenn man sie zu Paella mit frischen Gambas und Cocktails einlädt, wissend, dass sie sich die Gegeneinladung nicht leisten können? "Mein Ziel ist es, das Geld als Teil meiner Persönlichkeit zu akzeptieren. Es wäre doch schizophren, es ständig abzulehnen und wie eine Art Über-Ich abzuspalten." Gedankenspiel Nummer zwei, eine alte Überlegung. Zweckethiker, im speziellen Utilitaristen, bewerten die moralische Qualität einer Handlung nur nach ihren Folgen. Gut ist, was vielen nützt. Besser ist, was den meisten nützt. Wiedereinführung der Vermögenssteuer schön und gut, aber komplett in einer Stiftung angelegt, könnte Hebersangs Vermögen Leben retten. Obdachlose in Berlin, Kinder in Äthiopien. "Soweit bin ich noch nicht, das wäre gelogen. Vorstellen könnte ich mir so etwas, wenn ich alt bin und keine Kinder habe, zum Beispiel. Eine Stiftung würde nicht mit mir sterben." Die Freimütigkeit, mit der er das sagt, macht ihn sympathisch. Utilitaristen sind keine glücklichen Menschen. Sie müssen ständig die Folgen ihres Handelns abwägen. Hebersang denkt viel über sein Geld nach, will aber normal bleiben. Die kleine Wohnung am Zionskirchplatz halten, montags im Studentenchor mitsingen. Ab und zu genießt er die Freiheit, die ihm das Geld gibt. Fliegt mit der Freundin nach Taiwan in ihre Heimat. Zahlt 1.500 Dollar für ein WG-Zimmer an der Fifth Avenue, oder 150 Dollar für einen Abend in der Metropolitan Opera.
Seine Idee der Zukunft ist konventionell. Bald hat er das Studium abgeschlossen, in den USA studiert es sich schneller. Hebersang will promovieren, die kantische Ethik hat ihren Reiz. Dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer deutschen Universität arbeiten. Er will verdienen, wovon er lebt. "Als Zweitjob" möchte er das geerbte Vermögen verwalten. Die Spenden breiter streuen, mehr Entwicklungshilfe leisten. Den anderen Teil so anlegen, dass er nicht nur ihm, sondern auch der Gesellschaft nutzt. Nicht bei diesem "ätzenden Verein", der Deutschen Bank, lieber bei der Ökobank. Die Rücklagen eher in Windenergie-Aktien investieren, in soziale oder kulturelle Initiativen, die "nicht an öffentliche Förderung rankommen" oder vermehrt Zwischenstellen wie Stiftungen einschalten. Noch fehlt der endgültige Plan.
Auf dem Weg aus dem Café zurück in seine Wohnung hat er den Kopf zwischen die Parkaschultern gezogen - es wird bald schneien in Berlin - und meint dann fast entschuldigend: "Ach ja, was ich beim Thema Luxus vielleicht noch vergessen habe - meine Stereoanlage ist ziemlich teuer." Eine Rechtfertigung, die nicht nötig ist und von etwas übertriebener Selbstbeobachtung zeugt. Vielleicht ist das der Preis, wenn man reich ist und das Fragen nicht verlernt hat.
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