Wir wollen den Geist finden und stoßen doch immer wieder nur auf das Fleisch. So könnte man Novalis’ berühmten Spruch vom Unbedingten, das wir suchen, und den Dingen, die es genauso aufscheinen lassen, wie sie es verhindern, abändern und auf den jüngsten Wurf des „Individualanarchisten“ Franzobel anwenden. Nur geht es in dessen Historiendrama Die Viehmännin, das sich auf Ereignisse aus dem Jahre 1665 bezieht, um einen bösen Geist, nämlich den Teufel. Mit ihm soll die von Schicksal und Gesellschaft arg geprüfte Anna Viehmann im Bunde stehen, heißt es im fränkischen Hof. Die Stadt ist mehr oder weniger in Unruhe begriffen, die Ansprüche von Landesherrscher, Stadtvogt, Klerus, aufstrebenden Bürgern und Bauern g
und Bauern gehen weit auseinander, da kommt die Gelegenheit gerade recht, durch ein Opfer einen Befreiungsschlag zu unternehmen. Im Schatten der Reformation – oder besser: der Gegenreformation, die der Österreicher Franzobel weitaus genauer kennt – werden die niederen Instinkte, der Alltagssadismus der kleinen Leute, mit den Machtambitionen der mittleren Ebene und dem Allmachtsnarzissmus der Herrschenden verschaltet.Die Hexereianklage gegen Anna ist erdichtet, das wissen der Vogt, der Pfarrer – der das Passepartout seiner scholastischen Logik prüft – und die Angeklagte selbst. Obgleich: Da ihre Worte immer schon ein wenig lebensjenseitig klingen, poetisch und versponnen, weil sie die Gefühle der Steine ernst nimmt und auch sonst in einer Art pantheistischem Animismus lebt, ist sie vielleicht wirklich nicht ganz von dieser Welt. „Die Nacht macht alle Dinge anders. Man hat meine Seele an das Herz eines Vogels gebunden“, sagt sie kurz vor ihrer „peinlichen Befragung“.Anna Viehmann trägt übrigens denselben Nachnamen wie jene Frau, die fast zwei Jahrhunderte später den Gebrüdern Grimm einen Großteil der deutschen Hausmärchen erzählen wird. Auch wenn die Geschichte um die letzte Hexe von Hof einer wahren Begebenheit entspringt, legt die Protagonistin augenscheinlich noch eine andere Spur. Nicht nur ihr Name, sondern ihr fortgesetzter Verweis auf ihren „Hänselfinger“ verdeutlichen ihre Position im Kampf um die Versöhnung von Wunsch und Wirklichkeit. Psychoanalytiker sehen in Hänsel und Gretel eine Geschichte noch nicht gelungener Sublimierung, den Adoloeszenzkampf per se. Auch der Adoleszenzkampf der Aufklärung, der in der Auseinandersetzung mit Hexen und Hexereianklagen Gestalt annimmt, vollzieht sich im mythischen Gewand.Der 1967 in Vöcklabruck geborene Romancier, Lyriker, Essayist und Dramatiker Franzobel, Träger des Bachmann- sowie des Nestroy-Preises, macht das in seinem Text recht deutlich. Deshalb ist das kurze Stück interessanter, als es ein ambitioniertes Drama über die menschlichen Abgründe in der Kleinstadtidylle, eine österreichische Paradedisziplin, je sein könnte. Die Hexereianklage ist selbst nicht ohne Hexerei zu haben. Sie mobilisiert die abgründigen Kräfte und Fantasien, die dem Anderen zugeschlagen werden. Trotzdem gehört die Hexereianklage bereits zur Aufklärung: Sie begrenzt den Bereich der Magie, macht ihn als böse geltend und trennt ihn von sich ab. In dem Sinn ist auch die vermeintlich unter dämonischem Einfluss stehende Anna Viehmann ein Motor der Modernisierung.Es wird spannend sein, die Viehmännin auf der Bühne zu erleben. „Zeck: Ist die Hexe mager, brennt sie schlecht. / Keplingerin: Sie ist unschuldig. / Pfarrer: Es ist der Teufel, der da brennt, hörst Du, der Teufel. / Markgraf: Die Deutung muss eine Richtung haben, sonst verliert man sich. Spürst Du beim Anblick von so etwas Entsetzlichem auch manchmal etwas Lust?“ Sätze in hohem Tempo, ohne Pardon. Und siehe, der Geist – der unterstellte Teufel – erweist sich nur als Instrument, um ungestraft den Körper in seiner Blöße in Besitz zu nehmen, sich an ihm zu delektieren, ja zu vergehen. Der impotente Markgraf, der das Urteil gutgeheißen hat, und der Arzt namens Feuerbach, der Gott und Teufel für eine Illusion hält, an Leichen forscht und Anna sogar geheiratet hätte, sind zwei Seiten einer Münze, die man der „Aufklärung“ oder dem „Mythos“ zuschlagen kann. Immerhin, Zeck, der Folterer, ist ganz bei sich, als man ihm vorab gestattet, Annas frisches Blut aufzufangen und es Fallsüchtigen zu verkaufen. Hexereianklagen stehen eben auch dafür, knappe Güter in Zirkulation zu bringen. Nur eine Gesellschaft, die bei Bedarf zum Äußersten schreitet, ist auch liquide.Der Wiener Passagen-Verlag hat sich hohe Verdienste um die Verbreitung der Werke französischer Poststrukturalisten und Postmarxisten erworben, von Alain Badiou über Jaques Derrida bis Slavoj Žižek. Indem es zeigt, dass es beim Kampf um die Wahrheit des Geistes immer auch um die Ökonomie des Fleisches geht, fügt sich das jüngste Werk Franzobels also durchaus passend ins Programm.Placeholder infobox-1