1957: Rezeptfreies Gift

Zeitgeschichte Das Schlafmittel Contergan wird für den Handel zugelassen und führt zu einer Katastrophe. Um seine Gewinne zu halten, greift der Hersteller nicht rechtzeitig ein
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 40/2017
Deutsche Zäsur: Oberkörper-Prothese für ein „Contergan-Kind“ (1963)
Deutsche Zäsur: Oberkörper-Prothese für ein „Contergan-Kind“ (1963)

Foto: Science & Society Picture Library/Getty Images

Es galt als das Schlafmittel des Jahrhunderts. Den gestressten Zeitgenossen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, die mit Tunnelblick den Aufbau vorantrieben und mithalten wollten, versprach das am 1. Oktober 1957 auf den Markt gebrachte Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan Ruhe und Entspannung. Doch am Ende entpuppte sich die Pille als „Schreckgespenst“, wie der Spiegel 1963 schrieb. Zu diesem Zeitpunkt war klar geworden, dass der Wirkstoff Thalidomid keineswegs so unbedenklich war, wie auf der Packung vermerkt, sondern – an Schwangere verabreicht – zu embryonalen Fehlentwicklungen führte, zu verkürzten Gliedmaßen, aber auch fehlenden Fingern oder Ohren.

Die 4.000 bis 5.000 so genannten „Contergan-Kinder“, so Willibald Steinmetz, de