Abschied vom Anfang

Revolution in der Retorte Während sich hier zu Lande gerade die neue Ethik-Kommission des Bundestages konstituierte, wurden in Amerika erstmals Eizellen auf technologischer Basis hergestellt

Es gebe keinerlei Bedarf mehr, sich zu Fragen der Stammzellforschung oder des Klonens von menschlichen Zellen zu äußern, ließ René Röspel vergangene Woche anlässlich der Neukonstituierung der Enquete-Kommission »Ethik und Recht in der modernen Medizin« wissen. Offenbar hatte den 38-jährigen SPD-Abgeordneten, der sich in der letzten Legislaturperiode durch seine eher forschungskritischen Beiträge zur Stammzelldebatte profiliert hatte und der als Kommissions-Vorsitzender die Nachfolge von Margot von Renesse antritt, die Nachricht aus Pennsylvania noch nicht erreicht - oder er hat deren Tragweite nicht erkannt. An der University of Pennsylvania nämlich waren kurz zuvor der deutsche Forscher Hans Schöler und seine Mitarbeiterin Karin Hübner mit einer sensationellen Nachricht an die Öffentlichkeit getreten: Es sei ihnen gelungen, aus embryonalen Stammzellen künstliche Eier herzustellen. Zwar handelte es sich bei diesem Experiment, das grundlegende Annahmen der Molekularbiologie völlig auf den Kopf stellt, »nur« um Mäusezellen, aber grundsätzlich, setzte das Team nach, sei dies auch bei menschlichen Zellen denkbar.

Eier aus Zellabfall

Das Wissenschaftsereignis, das nach der gelungenen Klonzüchtung Dolly getrost als die ultimativste Entwicklung in der Reproduktionstechnologie gewertet werden kann, erinnert ein weiteres Mal daran, wie schnell die Politik von der wissenschaftlichen Entwicklung überholt und ihre Vorgaben von dieser kompromittiert werden können. Keine Ruhe an der Stammzell-Front, nirgends. Sollte das mühsam ausgehandelte Stammzell-Importgesetz ethische Bedenken besänftigen, ohne die wissenschaftlichen Aktivitäten im Lande zu hemmen, zeichnet sich schon nach einem Jahr ab, dass die Annahmen, die dem Gesetz zugrunde lagen, obsolet geworden sind. Die Konsequenzen, die sich aus der Entdeckung in den USA abzeichnen, sind jedenfalls noch unübersehbar. Was ist passiert?

Die Geschichte lässt sich nachlesen im renommierten Wissenschaftsmagazin Science, und sie stammt nicht etwa aus der Feder des leitenden Forschers Schöler, sondern aus der der medizinisch-technischen Assistentin Hübner, der es in jahrelanger geduldiger Laborarbeit gelungen war, einen künstlichen Eisprung zu provozieren. Statt Eileiter, Eierstock und Samen dienten ihr als Ausgangsmaterial die berühmten embryonalen Stammzellen, jenes goldene Kalb der Molekularbiologie, denen die Fähigkeit nachgesagt wird, dass sich aus ihnen jede Art von Zellen und Organen züchten ließen: Von der Haut- über die Nervenzelle bis hin zum Herzen. Nur sogenannte Keimzellen - also Eizellen und Spermien - schienen bislang entwicklungsbiologisch »vorgängig«, das heißt nicht ersetzbar zu sein. Ein molekularbiologischer Irrtum, der nun widerlegt ist.

Denn nicht nur gelang es dem Team, aus den Stammzellen - genau genommen, aus dem anfallenden »Zellabfall« - genau die Zellen (das Gen Oct4) zu isolieren, die in der Lage sind, Keimzellen zu entwickeln. In der Retorte spielten sich außerdem nun all die bei einem natürlichen Eisprung üblichen Ereignisse ab: Die Follikel übernahmen die Hormonproduktion und setzten, nachdem ihnen ein Schwangerschaftshormon zugesetzt wurde, Eizellen frei. Diese wiederum waren in der Lage, sich zu teilen und - ähnlich wie bei den Klonexperimenten der Firma ACT im Jahre 2001 - einen frühen, nicht auf dem Wege der Befruchtung entsatndenen Embryo hervorzubringen, der allerdings kurz danach abstarb.

Dass diese Entdeckung das theoretische Wissen der Molekularbiologie unterminiert, ist das eine; sie wirft aber auch eine Menge praktischer Fragen auf. Was passiert beispielsweise, wenn die künstliche Eizelle befruchtet wird? Was für ein Wesen entsteht dabei? Ist es gesund? Welchen Status haben die »Frühembryonen«, sind sie »Material« oder schon »Leben«? Und wenn embryonale Stammzellen prinzipiell die Fähigkeit haben, Keimzellen hervorzubringen, lässt sich perspektivisch dann jede Körperzelle reprogrammieren, um Keimzellen herzustellen?

Mäusewunder in der Menschenzelle?

Noch, sagen die Forscher, sei man weit davon entfernt, diese Fragen erschöpfend zu beantworten, und auf keinen Fall wolle man in eine »ethische Schieflage« geraten, indem man das Mäuseexperiment an Menschenzellen wiederholt - auch wenn dies grundsätzlich möglich ist. Doch wenn wir uns an die Diskussionen um die Stammzellforschung erinnern, in der die Gegner unter anderem den hohen Verbrauch von weiblichen Eiern und deren höchst problematische Gewinnung in Anschlag gebracht hatten, dann lässt sich schon jetzt absehen, wohin die Reise gehen könnte. Denn wenn sich das Mäusewunder an Menschen wiederholen ließe und auf diese Weise Eizellen en masse hergestellt werden könnten, dann erübrigte sich die »Ernte« (so der Forscherjargon) bei Frauen.

»Therapeutischen« Klonexperimenten stünde dann nicht mehr der bislang noch gravierende »Materialmangel« entgegen, und die Eier könnten ohne moralische Bedenken verbraucht werden. Völlig unklar ist der juristische Status dieser »Produkte«, die ja nicht von einer Frau stammen und nicht, wie es etwa das Embryonenschutzgesetz verlangt, zu einer Schwangerschaft führen, sondern Forschungszwecken dienen würden. Sind sie ebenfalls schützenswert wie natürliche Eizellen, die in Deutschland beispielsweise nicht gespendet werden dürfen? Und wären sie eine Alternative für Frauen, die selbst keine Eizellen produzieren können?

Vor dem Hintergrund solcher Fragen stimmt es schon merkwürdig, wenn Reproduktionsmediziner hier zu Lande behaupten, die künstliche Herstellung von Eizellen habe keinerlei juristische Auswirkungen. Wenn sich aus embryonalen Stammzellen Keimzellen gewinnen lassen, dann sind sie zweifelsfrei »totipotent« und dürfen nach dem Embryonenschutzgesetz nicht verbraucht werden. Stammzellforscher Oliver Brüstle allerdings glaubt, es sei erst noch der Beweis zu erbringen, dass aus ihnen tatsächlich ein Organismus entstehen kann. Im trial-and-error-Verfahren? Soweit es sich um menschliche Stammzellen handelt, ist das wohl eine zynische Forderung.

Berechtigt allerdings ist die Frage, inwieweit die Unterscheidung »totipotent«/ »pluripotent« überhaupt noch trägt, wenn das, was ursprünglich vorgängig gedacht war, nun künstlich hergestellt werden kann - sprich, wenn sich prinzipiell aus jeder Körperzelle am Ende Keimzellen entwickeln ließen.

Die Union hat nun angekündigt, das Thema künstliche Eizellen auf die Tagesordnung der Enquete zu setzen - schließlich hat sie Hans Schöler als Sachverständigen benannt. Maria Böhmer, die mitverantwortlich für das Stammzell-Gesetz zeichnete, scheint - mehr als ihr Kollege Röspel - die Brisanz der Lage zu erkennen und will, statt nur zu reagieren, »vorausschauend agieren.«

Enquete für Orientierungshilfe

Wie schon in der letzten Legislaturperiode besteht ein Hauptproblem darin, die vielen miteinander verknüpften Themenkomplexe in säuberliche Päckchen zu schnüren und per Stellungnahme politisch handhabbar abzuarbeiten: Waren es damals Stammzell-Import, Präimplantationsdiagnostik und Gentests, werden sich die Kommissionsmitglieder nun nicht nur mit künstlichen Eizellen, sondern auch mit Organspende (Verteilungsgerechtigkeit, Lebendspende ect.), Sterbehilfe und dem Arzt-Patienten-Verhältnis zu befassen haben. Dabei liegt auf der Hand, dass, wer etwa über Eizellspende verhandelt, die Organspende mitdenken muss und dort wiederum der Komplex »Lebensende« hineinspielt.

Hier inhaltlich und ethisch konsistente Angebote zu machen in einer Gesellschaft, die wenn nicht moralisch obdachlos, so doch orientierungslos geworden ist und keine allgemein verbindlichen Normen mehr bereithält, ist fraglos eine Herausforderung. Um so mehr im parteipolitischen Alltagsgeschäft und unter dem permanenten Druck von Lobbyistengruppen, die - weil es sich im Falle Schöler um einen ins Ausland abgewanderten Forscher handelt - nun wieder das Credo der Forschungsfreiheit und des Standorts anstimmen werden.

Dass die Gesellschaft von vielfältigen Fragen über Leben und Tod umgetrieben wird, erhellt ein Blick auf die website von »Aktion Mensch« (www.1000fragen.de). Deutlich wird dort die Diskrepanz zwischen dem, was sich in den weltweiten Forschungslabors abspielt und dem, was im Alltag ankommt, zwischen dem, was Debattierrunden an- und dem, was die Leute umtreibt. Die angebliche Freiheit der Wahl - sei es nun per Gen-Check im Reagenzglas oder per Patientenverfügung - wird als eine Bürde empfunden, die immer neue Fragen nach sich zieht. Die Verunsicherung ist groß, und sie potenziert sich mit jedem sogenannten »Forschungsdurchbruch«.

Den künstlichen Eizellen allerdings wohnt, - neben ihrer anwendungsorientierten Seite als biologischem »Material« - auch ein symbolischer Gehalt inne, der weniger, obwohl das ziemlich nahe liegt, um die (männlichen) Allmachtsphantasien der Selbsterzeugung (im Wissenschaftsjargon: Parthenogenese) kreist, sondern eher im Gegenteil um deren Verfall. Das Ei aus der Stammzelle nämlich widerlegt unsere ursprungsmythischen Vorstellungen, nach denen Leben allein aus Keimzellen gespeist wird - weshalb in Deutschland und vielen anderen Ländern Manipulationen an der Keimbahn untersagt sind. Für die Molekularbiologie mag nun ein Dogma erschüttert sein; wie wir in der Lebenswelt mit den mentalen Folgen fertig werden, die der Verlust von »Herkunft« hat, ist eine andere Frage.

Internationales Klonverbot

Anfang des Jahres, unter dem Eindruck des angeblich ersten Klonbabys der Welt, hatte der Bundestag die Bundesregierung beauftragt, sich für ein internationales Klonverbot, das auch das reproduktive Klonen einschließt, einzusetzen. Doch weder Bundeskanzler Schröder, noch Außenminister Fischer und am wenigsten Forschungsministerin Bulmahn sind seither in dieser Hinsicht aktiv geworden. Im Gegenteil organisiert das Forschungsministerium seit Mittwoch in Berlin einen internationalen Kongress zum Thema »Klonen in biomedizinischer Forschung und Reproduktion«, wo, wie Kritiker monieren, vor allem Befürworter des therapeutischen Klonens auftreten. Dass von ihm Impulse für den im nächsten Herbst in der UN anstehenden Anlauf, das Klonen weltweit zu ächten, ausgehen, halten Beobachter für unwahrscheinlich.


Embryonenschutzgesetz: Am 24. 10. 1990 verabschiedeter, 12 Paragraphen umfassender Verbotskatalog, der den Umgang mit der In vitro Fertilisation (IVF) regelt. Einziger Zweck der IVF ist die Herbeiführung einer Schwangerschaft; das Gesetz verbietet die verbrauchende Embryonenforschung, die Eizellspende und Leihmutterschaft

Stammzell-Importgesetz: Seit 1. Juli 2002 in Kraft, regelt unter strikten Bedingungen den Import embryonaler Stammzellen nach Deutschland

Keimbahn: Die im Dienste der direkten Weitergabe des Keimplasmas stehende Zellfolge im Laufe der Individualentwicklung. Beginnt mit der befruchteten Eizelle und führt über die Bildung von Urkeimzellen zur Bildung des im Dienste der Fortpflanzung stehenden (= generativen) Gewebes der Keimdrüsen und der Gameten

Embryonale Stammzellen (ES-Zellen) werden im frühen embryonalen Stadium aus Blastozysten (16-32-Zellen) im Rahmen der IVF isoliert; aus ES-Zellen soll Gewebe für Transplantate gezüchtet werden, sie sind unbegrenzt vermehrbar.

totipotent: Zwei- bis Achtzell-Stadium nach der Befruchtung, in dem sich die Zellen noch zu einem vollständigen Menschen entwickeln können

pluripotent: Nach spätestens acht Teilungen (16-Zell-Stadium) sind die Zellen so differenziert, dass sich aus ihnen nur noch bestimmte Geweberypen entwickeln lassen (z.B. Haut-, Muskel- oder Nervenzellen)

therapeutisches Klonen: Körperzelle wird in eine gespendete, entkernte Eizelle transferiert, es wächst embryonales Gewebe heran, aus dem möglicherweise irgendwann das benötigte Organ hergestellt wird; technische Nähe zum reproduktiven Klonen

Für Sie oder Ihren Hasen

6 Monate den Freitag mit Oster-Rabatt schenken und Wunschprämie aussuchen

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden