Abschied von Bismarck?

kassenstreit Preisdumping, Leistungsabbau und eine Fusionswelle könnten folgen

Sie war die erste Säule jener Sozialreformen, die Bismarck am 15. Juni 1883 vom Reichstag absegnen ließ, um das "Gespenst des Kommunismus" abzuwehren. Für maximal sechs Prozent Beitragssatz wurde den Arbeitern im Krankheitsfall ärztliche Leistung und Krankengeld garantiert. Mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verteilte der gewitzte Kanzler aber nicht nur soziale Risiken, sondern schuf auch das Fundament für die künftige "Zweiklassenmedizin", die Trennung von gesetzlicher und privater Krankenversorgung. Dieses Modell scheint nun, 125 Jahre später, endgültig ins Wanken zu kommen.

Erstaunlicherweise nagt die Erosion von beiden Seiten. Wenn im November erstmals der Beitragssatz vom Gesundheitsministerium festgesetzt wird und im Januar 2009 der Gesundheitsfonds in Kraft tritt, sind die Voraussetzungen geschaffen, um die gesetzliche Versicherungslandschaft zu "bereinigen". Zum gleichen Termin müssen die Privaten Krankenversicherungen (PKV) erstmals einen der GKV vergleichbaren Basistarif anbieten. Die Karenzzeit von drei Jahren - so lange dauert künftig der Wechsel in die PKV - erschwert den Privaten außerdem die Rekrutierung von Neukunden. Mit nur 60.000 Policen hat sich der Neuzugang im Jahre 2007 halbiert.

Die politischen Widerstände, die es derzeit noch gegen den Gesundheitsfonds gibt, sind vor allem verteilungspolitischer Natur: Bayern und Baden-Württemberg fürchten, mehr als gerechtfertigt in den Fonds zahlen zu müssen. Ob dieser dann "auf Probe" kommt, wie es nun eine Abgeordnetengruppe fordert, oder gleich Ernstfall wird, ist sekundär. "Am Fonds wird keiner mehr ein Schräubchen drehen", ließ AOK-Chef Hans Jürgen Ahrens kürzlich auf dem Hauptstadtkongress Gesundheit verlauten, da würden sogar "handwerkliche Fehler in Kauf genommen".

Bemerkenswerter ist, dass nun seitens der Privatwirtschaft Vorstöße kommen, die bislang getrennten Geschäfte auf ein gemeinsames Gleis zu setzen. Schub in diese Richtung brachte kürzlich ein internes Papier der Arbeitsgruppe "Soziale Sicherung 2020", in dem das bisherige System der PKV völlig revolutioniert wird. Alle bisherigen Versicherungen der GKV und PKV, so der Vorschlag, sollen abgelöst werden durch eine verpflichtende Grundversorgung mittels Einheitsprämie, dann aber müssten auch die Privaten alle Kunden aufnehmen. Private Zusatzersicherungen sollen weitere Leistungen abdecken. Mittelfristig, so hoffen die Autoren - die Vorstände großer Versicherer - müssten auch die gesetzlichen Kassen ihre Rechtsform ändern. Das zielt - wie in den Niederlanden geschehen - auf eine neue Fusionswelle, diesmal zwischen den großen privaten und gesetzlichen Kassen. Die kleineren Privaten blieben ohnehin auf der Strecke.

Das Papier provozierte Streit in den eigenen Reihen, so dass sich PKV-Verbandschef Reinhold Schulte bemühte, den aufrührerischen "Masterplan" in die Wiedervorlagemappe zurückzuschieben. Doch wer sich wie Karl Lauterbach (SPD) oder die Linkspartei nun laut über den absehbaren Zusammenbruch der PKV freut und die Bürgerversicherung nahen sieht, freut sich zu früh. Denn die Rede von der "Grundversorgung" ist unmissverständlich im Hinblick auf die immer unverfrorener vorgetragene Forderung nach Rationierung von Gesundheitsleistungen, über die, so der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Rainer Hess, in Deutschland endlich offen gesprochen werden dürfe.

Mag schon sein, dass beide Systeme unter Konkurrenzdruck nivelliert werden und am Ende nur noch ein paar dicke Fische das Terrain verteilen. Nivelliert werden aber auch die Grundleistungen auf möglichst niedrigem Niveau: "Das läuft darauf hinaus", so Joachim Odenbach vom Bundesverband der IKK, "dass die Konzerne für einen möglichst niedrigen Basistarif kämpfen, der vielleicht noch die Krankenhausleistung und den Hausarztbesuch umfasst." Am Gesundheitsfonds wollten sich die Privatversicherer bekanntlich nicht beteiligen; jetzt, wo ihnen die Felle wegschwimmen, würden sie ihre Risiken gerne der Mehrheit aufbürden: Was ist daran solidarisch, Herr Lauterbach?

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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