Abu Ghraib in Hannover

Skandal Zwei Flüchtlinge wurden in einer Zelle schwer misshandelt. Das zeigt: Wir brauchen dringend eine Institution, die die Polizei kontrolliert
Ausgabe 21/2015
Schutz können Flüchtlinge hierzulande offenbar nicht selbstverständlich erwarten
Schutz können Flüchtlinge hierzulande offenbar nicht selbstverständlich erwarten

Foto: Alexander Körner/Getty Images

Der Vorfall erinnert an den Folterskandal von Abu Ghraib. An die Bilder der irakischen Inhaftierten, die von US-Wachpersonal gefoltert wurden. Was sich genau in den Gewahrsamszellen der Bundespolizei in Hannover abgespielt hat, werden wir wohl nie erfahren. Aber schon das darüber Bekannte ist schockierend. In mindestens zwei Fällen wurden junge Männer, die von der Bundespolizei wegen läppischer Delikte in Gewahrsam genommen worden waren, gedemütigt und misshandelt. Ein afghanischer Flüchtling wird an Fußfesseln durch die Wache geschleift, gewürgt, geschlagen; ein junger Marokkaner, ebenfalls gefesselt, misshandelt und gezwungen, vergammeltes rohes Schweinefleisch vom Boden zu essen.

Und als wäre das alles nicht schlimm genug, filmt der Peiniger im ersten Fall die Szene und stellt sie mit zynischen Kommentaren versehen ins Netz. Der zweite Fall ist belegt durch ein Handy-Foto des mutmaßlich beteiligten Polizisten, der offenbar nicht alleine war. Ekel und Scham steigen auf angesichts des Herrenmenschen-gestus, der sich in den Zeugnissen der polizeilichen Übergriffe ausspricht.

Es ist gerade ein halbes Jahr her, dass Notunterkünfte von Asylbewerbern in Nordrhein-Westfalen in die Schlagzeilen gerieten, weil die dort lebenden Menschen vom privaten Sicherheitspersonal misshandelt worden waren. Damals wurde die schlechte Ausbildung, die Überfüllung der Heime und die Überforderung der Wachleute entlastend ins Spiel gebracht. Mag sein, dass sich auch Polizisten im Bundesdienst gelegentlich überfordert fühlen, schlecht bezahlt und nicht anerkannt. Doch sie durchlaufen eine relativ anspruchsvolle Ausbildung, und jeder Einzelne weiß selbstverständlich, dass das, was in Hannover passiert ist, ein „No-Go“ ist, wie Ulf Küch vom Bund Deutscher Kriminalbeamter sagt. „Der Auftrag lautet Schutz und nicht Folter.“

Aber Schutz, das zeigt der Fall, der wohl nur die Spitze des Eisbergs polizeilicher Vollzugsrealität darstellt, können Flüchtlinge hierzulande nicht selbstverständlich erwarten. Ohne gesicherten Aufenthaltsstatus sind sie rechtlos und der Willkür von Polizisten ausgeliefert. Schon auf ihrem Fluchtweg wie Freiwild gejagt, müssen sie hier erleben, wie sich deutsche Zivilisation für die anfühlt, die nicht dazugehören.

Ermöglicht wird das durch institutionelle Strukturen. Wie bei der US-Army oder der katholische Kirche im Hinblick auf die Missbrauchsskandale handelt es sich auch bei der Polizei um eine hermetische Institution: nach innen geschlossen, nach außen abgeschottet wie eine Wagenburg. Nichts soll nach außen dringen. Mitwissern, die trotz des sozialen Drucks auspacken wollen, drohen Mobbing, Karriereblockade und sozialer Ausschluss. Dass erst journalistische Recherchen die Geschehnisse in Hannover ans Tageslicht brachten, zeigt, dass es mit der Aufklärungsbereitschaft bei der zweiten Gewalt im Staat nicht sehr weit her ist.

Seit Jahren schon fordert die grüne Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic, von Beruf selbst Polizistin, eine unabhängige Beschwerdestelle für die Beamten einzurichten, ähnlich dem Wehrbeauftragten des Parlaments. Es wäre ein erster Schritt, die Institution Polizei transparenter zu machen und mutige Beamte, die sich gegen Missstände stellen wollen, zu schützen. Noch mehr aber muss es um den Schutz derer gehen, die verzweifelt in unser Land kommen. Wo ist ihre Anlaufstelle, die ihre Beschwerden ernst nimmt?

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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