Es fängt schon an. Politik und Verwaltung lassen das Volk wissen, dass es den Gürtel enger schnallen muss wegen der Flüchtlinge. Ende August verkündete der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, „dass wir wegen der großen Flüchtlingsbelastung keine Zugeständnisse machen“ bei den Gehältern der Kita-Beschäftigten. Und er warnt vorsorglich: Auch Streiks seien nicht mehr aufzufangen. Einige Tage zuvor hatte der rot-schwarze Stadtrat von Wanne-Eickel – und es mag noch mehr Ansinnen dieser Art gegeben haben – die Verhandlungsführer aufgefordert, „alle Verhandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen, um erneute Streiks in den Kitas zu verhindern“. Das war bevor sich die deutschen Grenzen für die Flüchtlinge öffneten.
Am 28. September steht die nächste Verhandlungsrunde für den Sozial- und Erziehungsdienst an, doch die Sozialpartner sind noch keinen Schritt weiter. Der Schlichterspruch vom Juni liege „ohnehin schon an den Grenzen der Belastbarkeit“, erklären die kommunalen Arbeitgeber und lehnen alles, was darüber hinausgeht, ab. Das Ergebnis – 2 bis 4,5 Prozent mehr Einkommen über fünf Jahre – lag weit hinter den Forderungen. Dennoch hatten ihm die Gewerkschaften in krasser Verkennung der Lage zugestimmt und dafür die Quittung bekommen: Über zwei Drittel der 240.000 organisierten Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst empfand das Angebot nach vier Wochen unbefristetem Streik als Hohn. Dann kamen die Ferien.
Nun aber, im Herbst, steht der Streik wieder auf der Agenda, und er wird mancherorts wie in Dortmund bereits seit längerem im Stillen vorbereitet. Anfang der Woche fand nach langem Schweigen endlich auch Verdi-Chef Frank Bsirske deutliche Worte, warnte vor einer „massiven Eskalation mit hohen Belastungen für alle Beteiligten“.
Diese Ansage war überfällig. Denn im Sommer durften sich die Kita-Beschäftigten noch der Solidarität der Eltern sicher sein. Ihr Anliegen, die Aufwertung eines Berufs, der – familiennah und frauenzentriert – traditionell wenig anerkannt und schlecht bezahlt wird, fand ebenso wie der Ausstand des Pflegepersonals breite Unterstützung. Die Forderung nach Erhöhung des Personalschlüssels berührte außerdem unmittelbare Interessen von Eltern oder Patienten und brachte den Streikenden zusätzliche Sympathien ein.
Angesichts der vielen Flüchtlinge, die jetzt im Land ankommen und die versorgt und gepflegt, deren Kinder betreut und beschult werden müssen, drohen die Beschäftigten nun jedoch in die Defensive zu geraten. Händeringend suchen Verbände derzeit nach Sozialarbeitern für die Notunterkünfte, andere einschlägige Berufe werden folgen. Jeder Euro, der demnächst in eine angemessene Bezahlung fließt, fehlt dann bei Neueinstellungen.
Doch eben das sollte kein Grund für die Gewerkschaften sein, von berechtigten und lange ignorierten Forderungen abzulassen. Haben nicht Gewerkschaftszwerge wie GdL und Cockpit gezeigt, wie sich Forderungen, die weit über das Tarifliche hinausgehen und Arbeitsqualität, Altersversorgung oder Outscourcing betreffen, durchsetzen lassen? Gerade weil der Bedarf an Profis in der Sozialarbeit stetig steigt, hätten die Beschäftigten eigentlich gute Karten: Sie sind es, die auch einen Großteil der Arbeit mit den Flüchtlingen übernehmen werden.
Unüberhörbare Freude
Doch schwerfällige Großgewerkschaften und insbesondere das Kunstprodukt Verdi, unter dessen Dach zu viele Branchen und Interessen um Aufmerksamkeit buhlen, werden Probleme haben, sich auf diese neue Situation einzustellen. Die offenkundige Freude der Arbeitgeber über die unerwarteten Arbeitsreserven ist unüberhörbar, ebenso die Lobhudeleien über die vielen Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit.
Es wird in den nächsten Jahren deshalb nicht nur zu harten Verteilungskämpfen kommen, sondern auch zu neuen Aushandlungen des Arbeitsbegriffs und der Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Die Gewerkschaften haben sich in der Vergangenheit für solche Ideen wenig offen gezeigt. Die Bedeutung des Kita-Streiks liegt gerade darin, dass plötzlich eine Tätigkeit, ob bezahlt oder nicht, in den gesellschaftlichen Fokus rückt, die in Zukunft eine zentrale Rolle spielen wird. Und zwar nicht nur in Bezug auf den „Standort“, sondern auch im Hinblick auf Integration und sozialen Frieden. Von einem Erfolg des kommenden Streiks könnten wir also alle profitieren.
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