Alles für das eigene Kind

Familienplanung Bei der ersten Kinderwunschmesse in Deutschland wurde für Methoden geworben, die hierzulande verboten sind
Ausgabe 08/2017

Schwebende weiße Samenwölkchen am Himmel des Ausstellungsraums. Eine männliche Turbo-Keimzelle, die auf ein Fahrrad gespannt mal richtig auf Tour durch die risikoreiche „Vagina dentata“ gebracht werden soll. „We give Life to your Choice“, lautet das Motto auf der Stellwand von European Sperm Bank. Vor dem Hotel posiert zur gleichen Zeit ein pinker Hase mit einer jungen Ärztin im Arm und verteilt bunte Ostereier an die Besucher. „Woher die Eier kommen“, steht auf einem Schild, „ist nicht egal!“ Damit protestieren die Aktivistinnen gegen ausländische Reproduktionskliniken – die oft unter intransparenten Bedingungen Frauen zur Eizellspende animieren.

Die Fantasien, die sich ums Kinderkriegen drehen, sind so farbig und alt wie die Menschheit: der Eier legende Osterhase, der Storch, der die Kinder bringt. Wenn beide versagen, kann aus der schönen Erzählung für viele ungewollt kinderlose Paare ein lebensbestimmender Albtraum werden. Die erfolglosen Versuche, die traumatischen Erfahrungen mit gescheiterten Kinderwunschbehandlungen und die gesellschaftlich genährte Vorstellung, dass ein eigenes Kind zu einem gelungenen Leben gehört, bringen die Betroffenen oft an die Grenze ihrer psychischen und finanziellen Belastung. Sie suchen nach Möglichkeiten und Auswegen, die ihnen in Deutschland rechtlich verstellt sind, fahren ins Ausland, um dort einzukaufen, was es hier nicht gibt.

Deshalb wurden die „Kinderwunsch-Tage“, die am Wochenende in Berlin stattfanden, schon im Vorfeld heftig kritisiert. Nicht nur der Bundesverband der Frauenärzte distanzierte sich von der nach britischem Vorbild ausgerichteten Publikumsmesse, weil er bezweifelt, dass medizinische Information und Werbung für Kinderwunschbehandlungen säuberlich zu trennen seien. Da die Aussteller außerdem Produkte in ihrem Portfolio haben, die hierzulande verboten sind – von der Eizell- oder Embryonenspende über die selbstverständliche Präimplantationsdiagnostik nach künstlicher Befruchtung bis hin zur Leihmutterschaft –, sah sich der Berliner Senat aufgefordert, die Rechtmäßigkeit der Veranstaltung zu prüfen. Doch Eizellenspende ist hierzulande zwar verboten, ein Werbeverbot gibt es aber nicht.

Der verantwortliche Event-Direktor der Veranstaltungsagentur F2F, David McAllister, versteht die ganze Aufregung nicht. Man habe sich auch um Aussteller bemüht, sagt er, die den Kinderwunsch auf natürlichem Wege zu erfüllen versprächen. Tatsächlich quetschen sich zwischen den großen ausländischen Klinikanbietern kleine Stände, die Kinderwunsch-Yoga anbieten, unterstützende Nahrungsergänzungsmittel, die dem Hormonhaushalt auf die Sprünge helfen sollen, oder wo darauf aufmerksam gemacht wird, dass es vielleicht auch ein Pflegekind sein könnte. Viele Vereine, aber auch deutsche Kinderwunschzentren haben auf ihre Teilnahme verzichtet.

Wohin man schaut: Paare

Man tritt hier fast ausnahmslos paarweise auf, hetero oder homo, hat, soweit es sich um Frauen handelt, die 50 noch nicht überschritten und trägt so gut wie nie ein Kopftuch. Eine ältere weißhaarige Dame sticht hervor. Später erzählt sie, dass sie öfters angesprochen worden sei, was sie hierher verschlagen habe. Denn alle verbindet ein unsichtbares Band: der Wunsch nach einem Kind und bewegende Gefühle: Enttäuschung, Niedergeschlagenheit, oft auch Verzweiflung, die öffentlich Tränen hervortreibt.

Kristine und Christian aus Leipzig bemühen sich schon seit drei Jahren vergeblich. Die Eileiter der 32-Jährigen sind verklebt, sie produzieren kaum Eier. Während einer früheren Beziehung hat sie schon zwei ICSI-Behandlungen hinter sich gebracht – dabei wird die Samenzelle gezielt injiziert – und eine dramatisch verlaufene Eileiterschwangerschaft. Die Eingriffe empfand sie als extrem belastend, nicht nur wegen der Hormongaben, sondern auch psychisch: „,Negativ‘, wurde mir kurz mitgeteilt, ‚tut uns leid. Sie können noch mal vorbeikommen.‘ Da sitzt du dann da und bist einfach fertig.“ Kristines Ehe hat das nicht überstanden.

Mit ihrem neuen um drei Jahre älteren Freund Christian, der selbst schon zwei Kinder von zwei Frauen hat, will sie es nun noch einmal versuchen. Die Vorbereitungen für eine künstliche Befruchtung in Tschechien laufen schon, „denn hierzulande“, sagt Kristine, „bekommen wir die Behandlung, weil wir nicht verheiratet sind, von der Kasse nicht bezahlt“. Christian unterstützt sie, obwohl sein Kinderwunsch „nicht so extrem ist“, haben sie dafür gespart. Kristine will unbedingt ein eigenes Kind haben, möglichst ohne fremde Eizellen. „Denn wenn da einer in den Kinderwagen gucken würde und sagt, es sieht aus wie die Mutti, ich weiß nicht, ob ichdamit zurechtkäme“, erklärt sie in weichem Sächsisch. „Es wäre irgendwie nur meinhalbes Kind.“

Am Stand von Karlsbad Fertility, einer tschechischen Fruchtbarkeitsklinik, die auch in Berlin eine Beratungsstelle unterhält, will man über Preise nicht sprechen. Dafür schenkt man Wodka aus. Intersono im ukrainischen Lviv wirbt mit besonders preisgünstigen Dienstleistungen und „100-prozentig garantierter Schwangerschaft“. Im Prospekt erscheinen die tatsächlichen Geburtenraten dann etwas bescheidener, doch im Vergleich zu den in Deutschland erlaubten IVF-Behandlungen immer noch imposant. Während sich an den ausländischen Beratungstischen Schlangen bilden und man bei Oregon Reproduktive Medicine die Leihmutter sogar sofort buchen kann, wirken die wenigen Stände deutscher Reproduktionsmediziner verwaist. Die Kundschaft wird anderswo abgeschöpft.

Die Spitzenposition im Berliner Fruchtbarkeitsmekka hat Spanien, und das ist kein Zufall. 50 Prozent aller Eizellenspenden in Europa werden in Spanien durchgeführt. Von einer einzigen Eizellspenderin dürfen sechs Kinder – inklusive ihrer eigenen – abstammen.

In Spanien, erklärt Jon Aizpurua von IVF Spain diese Vorreiterrolle, sei nach dem Fall der Franco-Diktatur eine extrem liberale Ära angebrochen, die zusammen mit der katholischen Grundhaltung die Basis dafür bilde, weshalb dort nicht nur die meisten Organ-, sondern auch die meisten Eizellspenden generiert würden. Der in Freiburg geborene und dort ausgebildete Mediziner ist ein glühender Verteidiger der Möglichkeiten, die die Reproduktionsmedizin bereithält. „Zu uns kommen Patientinnen, die anderswo schon fünf, sieben oder neun Behandlungen gemacht haben.“ Schwierige Fälle, die kosten. Für eine Behandlung mit fremden Eizellen müssen in seiner Klinik zwischen 6.000 und 12.000 Euro aufgebracht werden. „Die Frauen“, wettert Aizpurua gegen seine Kollegen, „kommen viel zu spät zu uns“, sie seien Opfer einer „zurückgebliebenen Technologie und des Protektionismus der Ärzte.“ Bei ihnen erwarteten sie, sekundiert seine aus Polen stammende Kollegin Natalia Sklarb, ein deutschsprachiges Team und „bildschöne Eier“.

Am Scheideweg stehen auch Markus und Simone aus Bayern. Die 42-Jährige hat ebenfalls schon einiges unternommen, um schwanger zu werden, natürliche Methoden, Zyklusoptimierung, eine natürliche künstliche Befruchtung, bei der nicht hormonell stimuliert wird. Alles vergebens. Schließlich entschied sich das Paar für eine klassische Kinderwunschbehandlung, doch beide Versuche waren „so niederschmetternd“, dass sie nun nach anderen Lösungen suchen. Markus steht der in Deutschland nicht erlaubten Eizellenspende offener gegenüber als seine Frau: „Ich habe Angst davor, wie ich, wie das Kind damit umgeht“, gibt Simone zu bedenken. „Darf ich ein Kind mit zwei biologischen Müttern belasten, wo wir noch gar nichts über die Langzeitfolgen wissen. Und soll man es dem Kind überhaupt sagen?“ Die Therapeutin Petra Thorn rät solchen Eltern, ihre Kinder möglichst früh aufzuklären und offen über ihre Zeugungsgeschichte zu sprechen.

Fruchtbarkeitsmekka Spanien

Wie Kristine, die nicht weiß, ob sie noch einen Schritt weitergehen würde, wenn es in Tschechien wieder nicht klappt, denkt auch Simone sehr genau über die Folgen einer gespaltenen Mutterschaft nach. Auch einer gezielten genetischen Selektion, die zur Angebotspalette der Messe gehört, steht das Paar aus Bayern kritisch gegenüber: „Ich nehme jedes Kind an“, erklärt Simone. Und die Situation der Eizellenspenderinnen? „Die scheinen“, antwortet Markus, der gerade aus einem Vortrag über die tschechische Klinik kommt, „ganz gut behandelt zu werden. Überprüfen kann man das nicht.“

Der aus 500 Frauen bestehende „Spenderinnenpool“ von IVF-Spanien rekrutiert sich unter anderem aus Studentinnen der beiden in Alicante ansässigen Universitäten. Um verschiedene Phänotypen für die aus ganz Europa nachfragenden Paare vorhalten zu können, werden auch ausländische junge Frauen angesprochen. Neben den 1.100 Euro Aufwandsentschädigung bietet man ihnen an, eigene Eizellen einfrieren zu lassen und bei Bedarf eine kostenlose Fruchtbarkeitsbehandlung in Anspruch zu nehmen.

Dass damit das künftige Fertilitätsverhalten von Frauen kanalisiert und Social Freezing in den Peer Groups selbstverständlich werden könnte, ist für Aizpurua ebenso wenig ein Problem wie die Tatsache, dass seine Stiftung, die an einer Universität einen Lehrstuhl finanziert, dabei involviert ist. „Die Frauen sollen lernen, dass ihre biologische Uhr Grenzen hat. Wenn sie ihre Eizellen einfrieren, ist das eine Investition in die Zukunft.“

Am Stand von Cyros informieren sich Ines und Katja, ein lesbisches Paar Mitte 30 aus Darmstadt, über die Möglichkeiten von Samenspende. Für sie ist der Austausch hier persönlicher als im Netz. Anonyme Samenspende lehnen sie jedoch ab, „unser Kind soll wissen, von wem es abstammt. Und wir haben kaum eine andere Möglichkeit, an ein Kind zu kommen“, sagt Ines, die das deutsche Adoptionsrecht diskriminierend findet. Um jeden Preis wollen sie allerdings kein Kind: „Illegale Wege kommen für uns nicht infrage.“

Informationen über Adoption sucht man auf der Kinderwunschmesse vergeblich. Die Mitarbeiterin einer Berliner Pflegekindervermittlung wird jedoch stark frequentiert. „Viele Leute wissen gar nicht, dass es neben all dem künstlichen Zeug hier auch noch andere Wege gibt, ein Kind zu bekommen, und dass die Altersgrenzen für Pflegekinder höher liegen als bei einer Adoption“, erklärt sie. Auch die Angst, dass man das Kind wieder an die Herkunftsfamilie verlieren könnte, sei übertrieben, nur drei bis vier Prozent der Pflegekinder würden zurückkehren. Ihr Verein hat sich wie auch „Regenbogenfamilien“, der vor allem homosexuelle Paare berät, trotz Bedenken für die Teilnahme an der Messe entschlossen.

Denn es gibt offenbar ein großes Informationsbedürfnis. Obwohl die Veranstalter der Messe ihr Ziel mit 1.450 Besuchern deutlich verfehlt haben, wollen sie weitermachen. Es könnte sich lohnen, denn schon jetzt fahren jährlich geschätzt an die 3.000 Paare ins Ausland, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen, oft unter unkontrollierbaren Bedingungen, selbst wenn man wie bei IVF-Spanien stolz auf die deutsche TÜV-Plakette verweist.

Inzwischen existieren ganze Klinikkonzerne, die das Geschäftsfeld unter sich aufteilen. Und die mit Events wie dieser Messe auch ein fragwürdiges, von kommerziellen Interessen beeinflusstes Informationsmonopol aufbauen. Die lachenden Babygesichter auf den Hochglanzbroschüren sind Gold wert. Und die deutschen Reproduktionsmediziner werden sich bei allem Ärger über die ausländische Konkurrenz darüber freuen, dass das deutsche Embryonenschutzgesetz mit derartigen Events ein Stückchen mehr sturmreif geschossen wird.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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