Älterer Mann mit Lederjacke

Klar schmeißt BE-Job Wer ist nun sensationsgeil? Christian Klar, Claus Peymann oder die Bild-Zeitung? Oder: Warum sich das Mitleid mit einem Ex-Knacki in diesem Fall in Grenzen halten sollte.

Wenn eine Sau eine andere Sau eine Sau nennt, ist das irgendwie säuisch. Das fällt einem ein, wenn ein sensationsgeiles Boulevardblatt einen mediensüchtigen Intendanten schilt, er lebe auf Kosten eines Ex-Knackis seine Sensationsgeilheit aus. Seitdem der aus der Haft entlassene Christian Klar in Berlin aufgetaucht ist, um am Berliner Ensemble seinen Job als Kulissenschieber anzutreten, werden die Szenen um den ehemaligen RAF-Terroristen zunehmend kurzatmiger: Zuerst der Knatsch, ob ein Mörder in einer staatlich subventionierten „moralischen Anstalt“ Besserung finden soll; dann die Überbietungsfiguren, ihm einen medialen Maulkorb umzuhängen; und nun die absehbare Hatz nach Paparazzi-Manier, um die nun wirklich langweilig gewordenen Fahndungsfotos durch das Konterfei des „älteren Mannes mit der Lederjacke“ (Bild-Zeitung) zu ersetzen.

Das hat dazu geführt, dass Klar beim BE nicht antreten wird und sich einige Berliner Schreiberlinge umsonst um einen Praktikumsplatz bemüht haben. Dass Klar in den Medien nun plötzlich als Peymanns Opfer figuriert, entbehrt nicht der Ironie, wollte man die dreiste Heuchelei verkennen.
In diesem Fall hält sich das Mitleid mit dem „Opfer“ Klar allerdings in Grenzen, denn die Entscheidung für die Medienstadt Berlin war eine Entscheidung für die öffentliche Zurschaustellung. Man mag als RAF-Mitglied in Metropolen erfolgreich untergetaucht sein, als einen Staat und Polizei suchten; zu glauben, mit dieser Vergangenheit als freier Mann ein unbelästigtes Leben führen zu können, wenn einem jeder beantragte Hartz IV-Euro mit vorenthaltenen Reuetränen aufgerechnet wird, ist einfach nur naiv und auch mit 26 hinter Mauern verbrachten Jahren nicht zu erklären.

Über die Motive, die Christian Klar nach Berlin führen, zu spekulieren, ist müßig. Aber es scheint, dass diesen letzten prominenten Repräsentanten der RAF etwas anhaften bleibt, was sie in der Linken früher so unbeliebt machte: die Sonderrolle. Einst von der selbst ernannten Avantgarde für sich beansprucht, hat zuerst der Staat sie in Sondergefängnissen perpetuiert. Heute benötigt der diarrhoesche mediale Verdauungsapparat die bildgebenden Ausnahmeerscheinungen, und es ist ihm gleichgültig, ob es sich um schießwütige RAF-Leute oder Blaublütige handelt. Aus dieser Falle führt nicht einmal Reue, sondern nur die Zeit.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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