Am Ohr des Parlaments

Embryonencheck Pünktlich zum Frauentag präsentierte der Ethikrat gestern seine Stellungnahme zur PID. Das gespaltene Votum demonstriert das Problem ethisch orientierter Politikberatung

Sollte mittlerweile Verwirrung angesichts der Vielzahl von Stellungnahmen, die für oder gegen den Embryonencheck im Reagenzglas votieren, entstanden sein – dafür gibt es Gründe. In der neuerlichen Diskussion um die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID), die kommende Woche im Bundestag verhandelt wird, werfen nicht mehr nur wie noch vor neun Jahren eine parlamentarische Bioethik-Kommission und ein damals umstrittener Nationaler Ethikrat ihr Votum in den Ring. Mittlerweile versuchen medizinische Fachgesellschaften und wissenschaftliche Akademien, sich mit dem Thema politisch zu profilieren.

Vor einiger Zeit war es die Leopoldina, die sich für die Freigabe der PID aussprach, kürzlich die Giordano-Bruno-Stiftung, von kleineren pressure groups gar nicht zu sprechen. Da kann man schon den Überblick verlieren. Und es besteht die Gefahr, dass die offiziell bestallten Politikberater, weil sie auch etwas spät kommen und sich nicht einig sind, das Ohr des Parlaments verfehlen und auf der Strecke bleiben.

Pünktlich zum Frauentag hat der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme zur PID veröffentlicht – und passend dazu ist darin auch sehr viel die Rede von den Rechten der Frau. Ein Paar, das genetisch vorbelastet ist und möglicherweise schon ein behindertes oder krankes Kind hat, dürfe von Staats wegen, sagen 13 der 26 Räte, nicht an der Fortpflanzung gehindert beziehungsweise genötigt werden, ein weiteres nicht perfektes Kind zu bekommen. Unter strengen medizinischen Voraussetzungen sei eine genetische Vorauswahl deshalb zulässig. Weder sollen Krankheiten, die erst im späteren Leben auftreten, diagnostiziert, noch gezielt Kinder gezeugt werden, um als spätere Spender von Geweben oder Zellen zu dienen; auch das Geschlecht des Kindes dürfe nicht ausgewählt werden.

Die knappe Ratsmehrheit prognostiziert durch die PID keine negativen Auswirkungen auf bereits lebende Betroffene und ist überzeugt, dass sich das gesellschaftliche Klima dadurch nicht zuungunsten von behinderten Menschen verändert.

Bunter, aber nicht wichtiger

Eine starke Minderheit von elf Räten (bei einer Enthaltung und einem Sondervotum) bezweifelt dies. Sie misst dem außerhalb des Mutterleibs gezeugten Embryo einen besonderen Schutz durch die Eltern und den an der künstlichen Erzeugung beteiligten Arzt zu. Embryonen mit dem erklärten Ziel herzustellen, einen Teil später zu verwerfen, sei nicht vergleichbar mit einem Schwangerschaftskonflikt oder einer in der fortgeschrittenen Schwangerschaft durchgeführten Pränataldiagnostik. Eine enge Begrenzung der Indikationen auf schwere genetische Erbkrankheiten halten die Räte angesichts der internationalen Erfahrungen für illusorisch, und eine besondere Gefahr sehen sie, wenn es zukünftig möglich sein wird, Embryonen mit unspezifisch abweichendem Profil mittels Gen-Chip-Technik auszusondern. Sie befürchten, dass eine „umfassende genetische Suchstrategie“ dazu führen wird, „verfügbare Embryonen in mehr oder weniger riskante“ einzuteilen, einzupflanzen oder zu verwerfen.

Das gespaltene Votum macht den politischen Durchschlag für den Ethikrat nicht einfacher. Zwar sieht das Ethikratgesetz, wie der alte Politikhase Wolf-Michael Catenhusen betonte, entsprechend der pluralen Besetzung abweichende Stellungnahmen vor, doch die Vielfalt der Meinungen ist auch ein Problem.

Als mit dem Antritt der Regierung Angela Merkels die Bioethik-Kommission des Bundestages abgewickelt wurde, drückten die Parlamentarier zumindest durch, den neu kreierten Deutschen Ethikrat – bis dahin als „Konsensmaschine“ von Kanzler Gerhard Schröder gescholten – zur Hälfte mit von den Fraktionen benannten Sachverständigen zu besetzen. Der Rat, das lässt sich seit fünf Jahren beobachten, ist dadurch zwar „bunter“, vielfältiger, vielleicht sogar etwas lebendiger geworden. Dass er in bioethischen Fragen mehr Einfluss gewonnen hätte, lässt sich indessen nicht behaupten – obwohl oder vielleicht gerade weil er seinen Einstand mit der umstrittenen Stellungnahme zur Babyklappe feierte.

Dass sich lang amtierende Räte wie die höchst forschungsfreundliche Bettina Schöne-Seifert verabschiedet haben, die nun über die Leopoldina Lobby-Politik für die PID betreibt, ist ein Indiz für den Gewichtsverlust eines Gremiums, das seine Stärke einmal aus der Konkurrenz zur parlamentarischen Kommission zog. Das gespaltene Votum dieser Woche zur PID bildet die gesellschaftliche Meinungslage ab – und ist insofern Seismograph.

Ob es den Schriftführern der drei konkurrierenden Gesetzesanträge, die kommende Woche im Bundestag beraten werden, helfen wird, ist eine andere Frage. Genau das haben die politisch agierenden Akademien erkannt. Ihre Eindeutigkeit füllt ein Vakuum.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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