Knapp 190.000 Menschen, sagt die Statistik, leben derzeit in der Republik ohne Krankenversicherungsschutz. Sei es, dass sie jung sind, jobben und einfach verdrängen, dass sie krank werden könnten; sei es, dass sie selbstständig, mit ihren Beiträgen in Zahlungsrückstand geraten und daraufhin aus ihrer Privaten Krankenversicherung heraus geflogen sind; sei es, dass sie nach einer Scheidung versäumt haben, sich schnell wieder zu versichern oder aus der "Bedarfsgemeinschaft" nach ALG II gefallen sind; sei es, dass sie zu alt sind, um noch von der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen zu werden. Die Fälle sind so vielfältig wie das Leben auf den deregulierten Arbeitsmärkten - und ihre Zahl wird ansteigen.
Gemeinschaft stiftendes Versprechen
In den USA hat das Versprechen, die Leute gegen Krankheit zu versichern, einmal einen Wahlkampf mitentschieden. In der Bundesrepublik braucht es gar nicht die Aussicht ins unversichert kranke Elend abzustürzen; allein schon die Vorstellung vom so genannten medizinischen Fortschritt abgeschnitten zu werden, weil er über die Kasse nicht mehr finanziert wird, könnte die Wahlwaage ausschlagen lassen. Wenn also schon nicht das soziale Gewissen Politiker treibt, die Zukunft des Gesundheitssystems zu einem zentralen Thema des Wahlkampfs zu machen, so immerhin taktische Überlegungen. Und weil die Union mit ihrer mehrfach umgetauften Pauschale - nun Gesundheitsprämie genannt - eher kleinmütig auftritt und hinter vorgehaltener Hand schon gemunkelt wird, Angela Merkel sei es damit ohnehin nicht allzu ernst, wäre von der anderen Seite das Feld leicht zu bestellen. Zumal sich der Begriff Bürgerversicherung schnell eingebürgert hat als Gemeinschaft stiftendes Versprechen.
Genau das ist aber das Problem all der Parteien, die sich die Bürgerversicherung auf die Fahnen geschrieben haben: Es muss als reizvolles Angebot ohne Preisschild präsentiert werden. Die Bürgerversicherung soll die schmerzlich empfundene Gerechtigkeitslücke schließen, die sich zwischen den abhängig Beschäftigten und allen Anderen aufgetan hat; sie soll der Zwei-Klassen-Medizin einen Riegel vorschieben; sie soll die Qualität der Gesundheitsversorgung erhöhen und auf möglichst hohem Niveau erhalten; und sie soll darüber hinaus kurzfristig Arbeitgeber und auf lange Sicht den Staat (durch die Einbeziehung der Beamten) entlasten. So und ähnlich lässt sich das auch in den gerade neu aufgelegten Programmen von SPD, Grünen und Die Linke. PDS nachlesen.
Ansonsten fallen stillschweigende Kurskorrekturen, verbunden mit einer sprechenden Zurückhaltung im Detail auf. Die Bündnisgrünen, deren Parteirat die Bürgerversicherung 2003 aus der Taufe gehoben hatte, will mit dem neuen Versicherungsmodell "einen einheitlichen Wettbewerbsrahmen" herstellen und den "Wettbewerb zwischen Leistungserbringern zugunsten der Patienten" fördern. Neoliberale Ohren hören´s gerne. Der ursprüngliche Plan der Grünen, den Arbeitgeberbeitrag bei 6,5 Prozent zu deckeln, um die Lohnnebenkosten zu senken (Bundesdelegiertenkonferenz 2004), wurde im aktuellen Programm fallen gelassen. Dort heißt es nun im Gegenteil, dass die Partei an der Beitragsparität festhalten wolle. Mit dieser programmatischen Abgrenzung gegenüber der SPD - die macht in ihrem Wahlmanifest dazu keinerlei Aussagen - befinden sich die Grünen nur noch in Konkurrenz zur Linken, für die die paritätische Finanzierung der Gesundheitskosten selbstverständlich ist. Das allerdings ist ein Rückschritt gegenüber ursprünglichen Absichten, die Unternehmen mit einer Wertschöpfungsabgabe ("Maschinensteuer") an den Gesundheitskosten zu beteiligen.
Retuschen: Negative Mieteinkünfte, abwanderndes Kapital
Dissens gibt es bei den Parteien auch bei der Frage, welche Einkommen in die Beitragserhebung einfließen sollen: Grüne und Die Linke.PDS beharren unverändert darauf, dass neben Zinserträgen und Dividenden auch Mieten und Pachten einbezogen werden. Um kleine und mittlere Einkommensbezieher nicht ungebührend zu belasten, sind nicht konkret umrissene Freigrenzen geplant. Die SPD verzichtet in ihrem Wahlmanifest ohne weitere Begründung auf Miet- und Pachterträge; wohl, weil der Sachverständigenrat vor einem Jahr vorgerechnet hat, dass es wenig Sinn macht, den de facto negativen Mietsaldo in Deutschland (höhere Aufwendungen als Erträge) in die Beitragserhebung einzubeziehen. Bedenken gibt es allerdings auch hinsichtlich der Zinserträge: Wenn nämlich Zinsen versicherungspflichtig werden, ist dies nur zu Lasten der Zinsabschlagsteuer möglich, weil es für die Anleger sonst günstiger wird, ihr Geld beispielsweise in der Schweiz, die künftig nur die Quellsteuer abführt, anzulegen. Die Linkspartei beschränkt sich auf die nicht weiter spezifizierte Aussage, "alle Einkommensarten" heranziehen zu wollen.
Darüber, dass "alle" Berufsgruppen in die neue Versicherung einzahlen sollen, sind sich grundsätzlich alle einig. Aber keiner wagt Aussagen, wie das im einzelnen funktionieren soll: Die SPD will privat Versicherten eine Rückkehrmöglichkeit eröffnen, wobei Bürgerversicherung und Privatversicherungen weiter nebeneinander existieren sollen. Da die Grünen, folgt man den Aussagen ihrer gesundheitspolitischen Sprecherin, Biggi Bender, bei der Pflege eine "ergänzende private Vorsorge" für unumgänglich halten, darf vermutet werden, dass auch sie die Koexistenz dulden werden: Zugeständnis an die vielen Selbstständigen in der Partei, die auf die ärztliche Vorzugsbehandlung nicht verzichten wollen. Die Linke. PDS indessen will die Bürgerversicherung zur Pflichtversicherung erheben und damit verhindern, dass "auf private Versicherungen ausgewichen" werden kann. Sie beabsichtigt außerdem - wie grundsätzlich auch die Grünen - die gesetzliche Pflegeversicherung in die Bürgerversicherung zu integrieren.
Wie mit konkreten Berufsgruppen - zum Beispiel Beamten - umgegangen werden soll, wird in den Programmen und Stellungnahmen nicht deutlich - und das ist gewollt, denn keine Klientel soll vorzeitig verprellt werden. Grundsätzlich gilt Bestandsschutz und das Prinzip des Vertrauensschutz: Einmal erworbene Rechte können nicht mehr kassiert werden. Die beitragsfreie Familienversicherung will die SPD erhalten, die Grünen fordern das Einkommens-Splitting für Ehepaare und Lebensgemeinschaften; Erziehende und Kinder bleiben beitragsfrei mitversichert.
Heikles Thema Beitragsbemessungsgrenze
Ein heikles Thema ist die Beitragsbemessungsgrenze, nicht zu verwechseln mit der Versicherungspflichtgrenze, die in der Bürgerversicherung entfiele. Die Linke. PDS will sie auf das Niveau in der Rentenversicherung anheben, das sind derzeit 5.100 Euro. Die Grünen denken an eine "maßvolle", nicht weiter konkretisierte Anhebung, während die SPD bei der derzeitigen Grenze von derzeit 3.525 Euro bleiben will.
Gar keine Aussagen machen die Parteien was mit der eingangs beschriebenen Gruppe der Geringstverdiener und derjenigen, die sich überhaupt keinen Krankenkassenbeitrag leisten können, passieren soll: Gilt hier die Eintrittspflicht des Staates oder bleiben sie weiter "draußen"? Denn "billig" wird auch die Bürgerversicherung, trotz aller Versprechen, nicht. Entlastet werden möglicherweise Familien und Einkommensbezieher mit einem Bruttoeinkommen bis 35.000 Euro. Für viele Familien, die außer Lohn oder Gehalt noch über weitere Einkünfte verfügen, könnte es allerdings ein böses Erwachen geben; deshalb werden auch die Freigrenzen nicht spezifiziert. Auch jüngere Singles fahren mit einer Privatversicherung unter Umständen immer noch besser als mit der Bürgerversicherung, von den Beamten ganz abgesehen.
Und wer richtig viel Knete verdient oder an den Börsen abzockt und damit weit über der Beitragsbemessungsgrenze liegt, ist ohnehin aus dem Schneider und muss - wenn er nicht doch auf die Privaten ausweicht - nur einen Solidarbeitrag bis zur Beitragsbemessungsgrenze einzahlen. An diesem neuralgischen Punkt aber wäre anzusetzen: Eine Bürgerversicherung darf sich nämlich nur nennen, in die alle, aber wirklich alle entsprechend ihres Leistungsvermögens einzahlen. Und in der sich auch die Ärmsten gegen Krankheit absichern können. Alles andere ist Etikettenschwindel.
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Einkommensarten
(außer Einkommen
aus abhängiger Erwerbsarbeit)
und Forstwirtschaft, selbstständiger Arbeit oder Gewerbebetrieb. Einnahmen aus Kapitalvermögen
Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft, selbstständiger Arbeit oder Gewerbebetrieb.
Einnahmen aus Kapitalvermögen,
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