Angst vor der Schuldenfalle

Studiengebühren Eine unterdrückte Studie löst Empörung aus - derweil klettern die Zinsen für Studiendarlehen

Demografische Katastrophe? Wer sich derzeit an den Berliner Unis bewegt, wird nichts von bevorstehendem Bevölkerungsrückgang und Mangel an jungen Menschen spüren. Die Anziehungskraft der Massenuniversität scheint ungebrochen, trotz überfüllter Seminare, überforderter Dozenten und Fließbandprüfungen. Allerdings ist Berlin auch ein Studien-Mekka der Republik: In der Metropole lebt es sich vergleichsweise günstig, und sie hat zu bieten, was das Herz begehrt, hippe Kultur und handfeste Jobs - und ein (noch) gebührenfreies Dasein an der Alma Mater.

Dass es einen Zusammenhang zwischen der Wahl des Studienorts und Studiengebühren gibt, ist zumindest im Fall der ostdeutschen Studierenden bekannt. Die zieht es nämlich schon seit längerem nicht mehr in die gebührenpflichtigen West-Universitäten. Bislang waren es aber nur Asten und Bildungsforscher, die behaupteten, dass Studiengebühren die Abiturienten generell vom Studieren abhielten und den absehbaren Akademikermangel forcierten.

Nun hat das Hannover Hochschul-Informations-System (HIS) eine repräsentative Studie vorgelegt, die diesen nur "gefühlten" Befund erhärtet. Danach haben sich 2006 - also nach Einführung von Studiengebühren zunächst in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen - 18.000 junge Menschen gegen ein Studium entschieden, aus Angst, sich für die Zukunft hoffnungslos zu verschulden. Jeder vierte Abiturient, so die Studie, die sich auf 5.240 Befragte stützt, verzichte auf eine Hochschulausbildung, allen voran junge Frauen und Kinder aus "bildungsfernen" Schichten. Sprösslinge aus Akademikerkreisen dagegen lassen sich von Studiengebühren seltener in der Wahl der Ausbildung beeinflussen. Da nach dem Erhebungszeitraum noch fünf weitere unionsgeführte Länder Gebühren eingeführt haben, rechnet das "Aktionsbündnis gegen Studiengebühren" sogar mit bis zu 100.000 Abiturienten, die sich mittlerweile für eine hochschulferne Ausbildung entscheiden.

Bildungsministerin Annette Schavan, die am vergangenen Mittwoch mit viel Tamtam ihren Bildungsgipfel einläutete, war das Ergebnis der Umfrage offenbar so peinlich, dass sie die Studie im Giftschrank verschwinden ließ und dort "vergaß". Die Datenbasis, verteidigt sie sich, sei noch nicht "ausreichend" gewesen und man habe eine zweite Teiluntersuchung abwarten wollen.

Von der Deutschen Presseagentur dann doch vor dem Gipfel in Umlauf gebracht, stellte sich reflexhaft "große Empörung" ein: Es sei ein Skandal, so Christoph Matschie aus dem SPD-Präsidium, wenn unliebsame Ergebnisse unterdrückt würden. Auch der neue sozialdemokratische Vorsitzende Franz Müntefering findet es falsch, Studierende für ihre Ausbildung bezahlen zu lassen. Womit er wieder einmal bestätigt, wie vergesslich man in dieser Partei manchmal sein kann: Die baden-württembergische Landtagsfraktion der SPD zum Beispiel hat sich kürzlich nicht etwa für eine generelle Abschaffung von Studiengebühren ausgesprochen, sondern nur für deren "sozialere Ausgestaltung": Etwa, indem der Kreditzins von derzeit sieben Prozent auf die marktüblichen 4,5 Prozent gesenkt wird.

Den Zins für Studiendarlehen hatte die staatliche KfW nämlich mit Verweis auf die "schwierigen Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt" zum Wintersemester erhöht - von 5,1 auf satte sieben Prozent (nach Protesten wurde er bei 6,5 Prozent gedeckelt). Richtig, es handelt sich bei der KfW genau um dieselbe Bank, die kürzlich mit 320 Millionen Steuer-Euro den grandiosen Untergang der US-Bank Lehman Brothers mitfinanziert hat.

Man weiß nicht, wer da zynischer ist, die KfW oder die Bildungsministerin, die frommen Herzens für ein Studium für alle wirbt und ansonsten ihre Hände in Unschuld wäscht.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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