Auf der Ethik-Streckbank

Volles Risiko Bluttest gegen "Down Syndrom" und eine Transplantation in der Grauzone

Im Schatten hektischer Finanzturbulenzen, von drohendem Privat- und Staatsbankrott rücken Meldungen aus der Wissenschaft in die Überforderungszone des medialen Gedächtnisses. Die aktuellen Nobelpreisträger, die ja eher für ihr Lebenswerk als für einen aktuellen "Durchbruch" gewürdigt werden, gerade noch so mitnehmend, sind es vor allem die kleinen Nachrichten, gegen deren Störsignal wir abgestumpft reagieren.

So vermeldete die Süddeutsche Zeitung dieser Tage immerhin auf Seite eins, dass ein gewissenr Stephen Quake mit Kollegen der Stanford Universität einen Bluttest entwickelt habe, mit dem Trisomie 21 - das so genannte Down Syndrom - ohne Risiko für Mutter und Embryo getestet werden kann. Bislang konnte die Genmutation nur im Rahmen einer Fruchtwassseruntersuchung nachgewiesen werden, die unsicher ist und im schlimmsten Fall zu einer Fehlgeburt führen kann. Deshalb verzichten viele Schwangere v bislang darauf.

Ein erleichtertes Aufseufzen also, weil sich unerwünschter Nachwuchs auf diese Weise einfacher verhindern lässt? Doch was die Wissenschaft so scheinbar elegant erledigt, verschiebt ein Problem nur auf die ethische Streckbank: Bislang konnten Frauen auf das diagnostische Risiko verweisen, wenn sie sich nicht der Zerreißprobe aussetzen wollten, eine Schwangerschaft zu unterbrechen, falls bei ihrem Fötus ein Down Syndrom vermutet wurde. Jetzt stehen sie in der Pflicht zur Kontrolle. An Doppelmoral grenzt es jedenfalls, dass die Unionsfraktion im Bundestag ausgerechnet jetzt einen neuerlichen Vorstoß gegen Spätabtreibungen unternimmt.

Der einfache und wohl vergleichsweise kostengünstige Test - die Stanford Universität hat sofort ein Patent darauf angemeldet und die Forschergruppe geht von einem Preis von 700 Dollar aus - könnte nun in das Standardprogramm der Schwangerenvorsorge aufgenommen werden. Arme Frau, die im Fall der Fälle zu entscheiden hat; gar nicht zu reden von den Kindern, die dennoch weiterhin mit einem Down Syndrom zur Welt kommen.


Tauschen möchte man auch nicht mit einem 54-jährigen Landwirt, an dem vor zwei Monaten in München ein "sensationelles" Experiment vollbracht wurde. Nach einem Stromunfall hatte der Patient beide Arme verloren. Nachdem er mit herkömmlichen Prothesen nicht zurecht kam, willigte er in die Transplantation zweier Arme eines hirntoten Spenders ein. Das 40-köpfige OP-Team verpflanzte in einer 15-stündigen Operation die Gliedmaßen und begann anschließend, sich gegenseitig den Ruhm für diesen grandiosen Erfolg streitig zu machen. Nun wurde der bemitleidenswerte Patient der Weltpresse vorgeführt wie einst die "edlen Wilden" in den Schaugärten des Deutschen Kaiserreiches.

Die Übertragung von Gliedmaßen gehört zu den letzten Herausforderungen der ärztlichen Transplantationskunst, den sie sind extrem heikel. Im Unterschied zu einem inneren Organ werden dabei bis zu 20 Prozent der Hautoberfläche verpflanzt. Das birgt ein immense immunologische Probleme, denn das Abstoßungsrisiko ist viel größer und damit steigt auch der Medikamentenbedarf, der eine solche Reaktion verhindern soll.

Als 1998 in Lyon die erste Handverpflanzung vorgenommen wurde, war das Experiment in der Öffentlichkeit und in der Fachwelt umstritten. Neben den massiven medizinischen Problemen - Immunsuppressiva haben für den Patienten erheblich lebensverkürzende Wirkung - sind es auch die psychologischen, die eine solche OP schwer abschätzbar machen. Ein fremdes Gliedmaß, vor allem Hände, in das eigene Selbstbild zu integrieren, ist viel dramatischer als im Falle eines anderen Körperteils. Ethisch umstritten ist die Therapie auch, weil es sich um keine lebenswichtigen Organe handelt, der Patient also nicht todesbedroht ist und dennoch hirntote Menschen als Spender herangezogen werden.

Ob der betroffene Patient seine Arme in Zukunft überhaupt wird gebrauchen können wie ein Gesunder, ist heute noch nicht absehbar. Es dauert jahrelang, bis die Nervenzellen - im günstigen Fall - in die Muskeln einwachsen. Der Lyoner Patient hat seinen neuen Arm nach kurzer Zeit wieder verloren.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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